Sein letzter Wille - Myron Bolitar ermittelt (eBook)
394 Seiten
Goldmann (Verlag)
9783641085292 (ISBN)
Harlan Coben ist Nr.1- Spiegel- und Nr.1-New-York-Times-Bestsellerautor und einer der international erfolgreichsten Autoren. Seine Thriller wurden in 46 Sprachen übersetzt, erreichten in über einem Dutzend Länder Platz 1 der Bestsellerlisten und haben sich weltweit mehr als 90 Millionen Mal verkauft. Seine Myron-Bolitar-Reihe wurde mit den drei bedeutendsten Krimipreisen ausgezeichnet – dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award. Coben ist zudem Urheber und Produzent zahlreicher TV-Serien, darunter der Nr.1-Netflix-Hits: Ich vermisse dich und In ewiger Schuld.
3
Eine Stunde später stolzierte Windsor Horne Lockwood III – den diejenigen, die ihn fürchteten (und das waren fast alle), als Win kannten – in Myrons Büro. Win konnte ausgezeichnet stolzieren – es wirkte fast so, als trüge er einen schwarzen Smoking mit Rockschößen und Zylinder und wirbelte dazu einen Spazierstock herum. Stattdessen trug er eine rosa-grüne Lilly-Pulitzer-Krawatte, einen blauen Blazer mit einer Art Wappen auf der Brust und Khakis mit einer so scharfen Bügelfalte, dass man sich daran schneiden konnte, und dazu Mokassins ohne Socken. Im Grunde sah er so aus, als käme er direkt von einem Segeltörn mit der SS Altes Geld.
»Suzze T war gerade da«, sagte Myron.
Win nickte. »Ich hab sie noch gesehen.«
»Sah sie besorgt aus?«
»Ist mir nicht aufgefallen«, sagte Win und setzte sich. Dann: »Ihre Brüste waren sehr prall.«
Win.
»Sie hat ein Problem«, sagte Myron.
Win lehnte sich zurück und schlug mit der ihm eigenen, gespannten Leichtigkeit die Beine übereinander. »Erzähl.«
Myron drehte den Computermonitor so, dass Win ihn sehen konnte. Suzze hatte vor ungefähr einer Stunde etwas Ähnliches getan. Myron dachte über die beiden Worte nach. Für sich genommen waren sie vollkommen harmlos, allerdings ging es im Leben immer um Zusammenhänge. Und in diesem Zusammenhang wurde es durch diese beiden Worte kühler im Raum.
Win sah auf den Bildschirm, kniff die Augen zusammen und griff dann in seine Brusttasche. Er zog eine Lesebrille heraus. Er hatte sie sich vor gut einem Monat besorgt, und obwohl Myron es für unmöglich gehalten hatte, sah er damit noch hochnäsiger und arroganter aus als vorher. Außerdem deprimierte die Anwesenheit der Brille Myron ungemein. Win und er waren nicht alt – noch längst nicht –, aber, um die Golfanalogie zu bemühen, die Win benutzt hatte, als er die Brille in Myrons Gegenwart zum ersten Mal aufsetzte: »Wir sind ganz offiziell auf der Back Nine des Lebens.«
»Ist das eine Facebook-Seite?«, fragte Win.
»Ja. Suzze sagte, sie macht damit Werbung für ihre Tennisakademie.«
Win beugte sich etwas näher heran. »Ist das ihr Ultraschall?«
»Ja.«
»Und inwiefern kann man mit einem Ultraschallbild Werbung für eine Tennisakademie machen?«
»Das habe ich sie auch gefragt. Sie meinte, so eine Akademie bräuchte eine persönliche Note. Die Leute wollten nicht nur normale Werbung lesen.«
Win runzelte die Stirn. »Sie stellt ein Ultraschallbild von einem Fötus ins Netz?« Er sah Myron an. »Findest du das logisch?«
Das fand Myron nicht. Trotzdem – wo er Win mit der Lesebrille vor sich sah und sie gemeinsam über das moderne Leben mit den sozialen Netzwerken jammerten – kam er sich alt vor.
»Achte auf die Kommentare unter dem Bild«, sagte Myron.
Win sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. »Die Leute kommentieren ein Ultraschallbild?«
»Lies sie einfach.«
Win las. Myron wartete. Er kannte die Seite inzwischen fast auswendig. Es gab insgesamt 26 Kommentare zu dem Bild, meistens Glückwünsche. Suzzes Mutter, das (alt gewordene) Paradebeispiel einer überehrgeizigen Tennismutter, hatte geschrieben: »An alle: Ich werde Oma. Juhu!« Jemand namens Amy sagte: »Och, niedlich!!!« Ein scherzhaftes: »Ganz der Vater! ;)«, von einem Studiodrummer, der mit HorsePower zusammengearbeitet hatte. Ein Kelvin schrieb: »Glückwunsch!!« Tami fragte: »Wann soll das Baby denn kommen, Schatz?«
Beim dritten von unten stoppte Win. »Witzbold.«
»Welcher?«
»Ein Scheißtyp namens Erik hat geschrieben« – Win räusperte sich und beugte sich näher an den Monitor – : »… Dein Baby sieht aus wie ein Seepferdchen‹, dann hat Erik der Spaßvogel noch ein ›LOL‹ angefügt.«
»Das ist nicht das Problem.«
Win beruhigte das nicht. »Trotzdem sollte man dem guten Erik eventuell einen Besuch abstatten.«
»Lies einfach weiter.«
»Gut.« Wins Miene zeigte nur sehr selten eine Regung. Sowohl für Geschäftsangelegenheiten als auch für Kämpfe hatte er sich antrainiert, sich nichts anmerken zu lassen. Aber ein paar Sekunden später sah Myron, wie sich die Augen seines alten Freundes verdunkelten. Win blickte auf. Myron nickte. Denn Myron wusste, dass Win die beiden Worte entdeckt hatte.
Sie standen ganz unten auf der Seite. Sie standen in einem Kommentar von »Abeona S«, ein Name, der Myron nichts sagte. Das Profilbild war eine Art Symbol, vielleicht ein chinesischer Buchstabe. Und daneben standen in Großbuchstaben ohne irgendwelche Satzzeichen die beiden einfachen und doch so aufwühlenden Worte:
»NICHT SEINS«
Schweigen.
Dann sagte Win: »Autsch.«
»Eben.«
Win nahm die Brille ab. »Muss ich die offensichtliche Frage stellen?«
»Die da lautet?«
»Ist es wahr?«
»Suzze schwört, dass es von Lex ist.«
»Glauben wir ihr?«
»Das tun wir«, sagte Myron. »Ist das wichtig?«
»Rein moralisch gesehen nicht, nein. Willst du meine Theorie hören? Das ist das Werk eines kastrierten Spinners.«
Myron nickte. »Das ist das Gute am Internet: Jeder bekommt eine Stimme. Das Schlechte am Internet: Jeder bekommt eine Stimme.«
»Es ist die Bastion der Feiglinge und Namenlosen«, pflichtete Win ihm bei. »Suzze sollte das lieber löschen, bevor Lex es sieht.«
»Zu spät. Das ist ein Teil des Problems. Lex ist irgendwie abgehauen.«
»Verstehe«, sagte Win. »Dann sollen wir ihn suchen.«
»Und nach Hause bringen, ja.«
»Dürfte nicht allzu schwer sein, einen berühmten Rockstar zu finden«, sagte Win. »Und der andere Teil des Problems?«
»Sie will wissen, wer das geschrieben hat.«
»Die wahre Identität von Mr. Kastrierter Spinner?«
»Suzze meint, es steckt mehr dahinter. Sie glaubt, irgendjemand hat es richtig auf sie abgesehen.«
Win schüttelte den Kopf. »Das ist ein kastrierter Spinner.«
»Komm schon. Einfach ›Nicht seins‹ zu schreiben ist schon ziemlich krank.«
»Dann ist es eben ein kranker kastrierter Spinner. Hast du dir diesen Mist im Internet schon mal genauer angesehen? Geh auf irgendeine Nachrichtenseite und sieh dir die rassistischen, homophoben, paranoiden ›Kommentare‹ an.« Er zeichnete mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Da möchte man am liebsten den Mond anheulen.«
»Ich weiß, aber ich habe ihr versprochen, mich darum zu kümmern.«
Win seufzte, setzte die Brille wieder auf und beugte sich zum Monitor. »Das wurde von einer Person namens Abeona S gepostet. Können wir davon ausgehen, dass es sich dabei um ein Pseudonym handelt?«
»Yep. Abeona ist der Name einer römischen Göttin. Ich hab keine Ahnung, wofür das S steht.«
»Und was ist mit dem Profilbild? Was für ein Symbol ist das?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du Suzze gefragt?«
»Yep. Sie hat gesagt, sie weiß es nicht. Es sieht ein bisschen aus wie ein chinesischer Buchstabe.«
»Vielleicht finden wir jemanden, der ihn uns erklären kann.« Win lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander. »Ist dir auch aufgefallen, wann der Kommentar gepostet wurde?«
Myron nickte. »Um drei Uhr siebzehn nachts.«
»Verdammt spät.«
»Das hab ich auch gedacht«, sagte Myron. »Es könnte einfach das Gegenstück zu ›betrunken anrufen‹ in sozialen Netzwerken sein.«
»Ein rachsüchtiger Ex?«, sagte Win.
»Gibt es auch andere?«
»Und wenn ich an Suzzes zügellose Vergangenheit denke, könnte es, vorsichtig gesprochen, mehrere Kandidaten geben.«
»Allerdings keinen, bei dem sie ein solches Verhalten für möglich hält.«
Win starrte weiter auf den Monitor. »Und wie fangen wir jetzt an?«
»Ehrlich?«
»Wie bitte?«
Myron stand auf und ging ein paar Schritte in seinem renovierten Büro auf und ab. Die Poster von Broadway-Musicals und die Batman-Memorabilien waren verschwunden. Er hatte sie vor dem Streichen abgenommen und wusste nicht, ob er sie wieder aufhängen würde. Auch die alten Trophäen und Auszeichnungen aus seiner Sportlerzeit waren weg – die Meisterschaftsringe der Universitätsliga, die Urkunden der Zeitschrift Parade, die ihn als Mitglied der Studentennationalmannschaft auszeichnete, und der Pokal als Universitätsspieler des Jahres – mit einer Ausnahme: Direkt vor seinem ersten Profispiel für die Boston Celtics, als sein Traum endlich wahr wurde, hatte Myron eine schwere Knieverletzung erlitten, worauf die Sports Illustrated sein Foto auf die Titelseite gesetzt und in Großbuchstaben gefragt hatte: IST ER ERLEDIGT? Obwohl die Antwort im zugehörigen Artikel noch offen gelassen wurde, sollte sich herausstellen, dass die Antwort ein lautes und deutliches ›YEP!‹ war. Er wusste nicht recht, warum er die gerahmte Titelseite wieder aufgehängt hatte. Wenn ihn jemand danach fragte, antwortete er, es diene als Warnung für all die »Superstars«, die in sein Büro kamen, damit sie nicht vergaßen, wie schnell alles vorbei sein konnte – Myron nahm aber an, dass noch mehr dahintersteckte.
»Das ist nicht unsere übliche Vorgehensweise«, sagte Myron.
»Ach, erzähl.«
»Dies ist normalerweise die Stelle, an der du mir erzählst, dass ich Agent bin und nicht Privatdetektiv und dass du keinen Sinn darin siehst, dass wir uns darum kümmern, weil kein finanzieller Gewinn dabei herausspringt.«
Win sagte nichts.
»Dann beklagst du dich normalerweise, dass ich einen Heldenkomplex hätte und dauernd jemanden retten müsste, um mich als vollständiger Mensch zu fühlen. Und letztlich – oder soll ich...
| Erscheint lt. Verlag | 19.3.2012 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Myron-Bolitar-Reihe | Myron-Bolitar-Reihe |
| Übersetzer | Gunnar Kwisinski |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Live Wire |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | eBooks • esperanza • Facebook • Familiengeheimnis • Geheimnisse • Mickey Bolitar • Myron Bolitar • Privatdetektiv • Serien • Sportagent • Thriller • verschollener Bruder • Win |
| ISBN-13 | 9783641085292 / 9783641085292 |
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