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Die Erfindung des Abschieds (eBook)

Ein Tabor-Süden-Roman
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
480 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41203-9 (ISBN)
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Nach dem Tod seines geliebten Großvaters ist der neunjährige Raphael Vogel spurlos verschwunden. Die zerstrittenen Eltern - und bald auch Öffentlichkeit und Medien - sind in höchstem Alarmzustand. Doch das zuständige Dezernat 11 hat selbst Probleme: Kommissar Tabor Süden (der Seher), einer der wichtigsten Mitarbeiter, hat sich ausgerechnet jetzt in eine Hütte im Wald zurückgezogen und plagt sich mit Selbstvorwürfen wegen eines vergangenen Falls. Die Polizeimaschinerie läuft an, und gerade dadurch nimmt das Drama seinen Lauf. Es werden Menschen sterben, weil die Beamten Regeln befolgen und Prinzipien einhalten. Als sich die Situation zuspitzt und die Zeichen sich mehren, dass der kleine Raphael zu seinem Opa gehen will, wacht der Seher endlich auf und schreitet mit eigenen Methoden zur Tat - auch ohne die Erlaubnis seiner Vorgesetzten...

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.

Erster Teil


1


Schöner Planet im Spiegel

An einem Tag wie diesem konnte sie es nie fassen, dass sie immer noch in einem Büro arbeitete, immer noch um sieben Uhr aufstehen musste und sich durch den Morgenverkehr quälen, die aggressiven Gesten der Autofahrer und die gequälten Scherze der Radiomoderatoren ertragen, einen Parkplatz suchen und sich vom Pförtner fragen lassen, ob auf der Leopoldstraße wieder Stau gewesen war. An Tagen wie heute blieb sie länger als sonst, viel länger, auf dem Rücken liegen und starrte an die Decke. Und eine Frage, in roter fluoreszierender Schrift, leuchtete dort oben auf: Wieso, verdammt noch mal, bin ich Beamtin geworden?, und sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie die Sonne in ihr Zimmer schien und die Gegenwart wie ein Eiswürfel einfach wegschmolz.

An einem Tag wie diesem, der trostlos trüb und farbenlos begann, an dem die Müllmänner die Container über den Asphalt scheppern ließen und sich lauter interessante Dinge zuschrien, ein unverständliches Gemisch aus Bayerisch und Türkisch – an so einem Tag verpasste Sonja Feyerabend ihrem piependen Digitalwecker eine Ohrfeige, drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Wieso, verdammt noch mal …

Das Telefon klingelte, und sie erschrak.

Bis sie aus dem Bett gestakst, den Apparat erreicht, ihn herumgedreht und leise gestellt hatte, explodierten die Sekunden in ihrem Kopf, und ihr Fauchen klang bedrohlich.

»Ja!«

Niemand meldete sich. Sonja legte sofort auf und knallte den Apparat aufs Fensterbrett, wo er unter den langen Blättern einer Palme ein Schattendasein führte; das war weiter nicht von Bedeutung, da Sonja kaum private Anrufe erhielt, und wenn doch gelegentlich jemand versuchte, sie zu erreichen, ging sie meist nicht dran. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte sich ihr Freundeskreis auf eine Frau und drei Männer reduziert, mit denen sie regelmäßig Kontakt hatte, wobei sie die Frau lediglich im Fitnesscenter traf und anschließend zu einer Reihe von Weißbieren, was ihre Freundschaft aber nicht vertiefte. Von den drei Männern lebte einer als Makler in der Nähe von Hamburg. Er hatte, seit er verheiratet war, moralische Bedenken, was seine Anwesenheit in München aus Sonjas Sicht weitgehend überflüssig machte, auch wenn sie sich nach wie vor über seine krakelig geschriebenen Briefe freute. Einem der beiden anderen Männer begegnete sie fast täglich bei der Arbeit, und da sich ihre gegenseitigen, tief greifenden Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Ehe inzwischen in Luft aufgelöst hatten, redeten sie viel und vertraut miteinander, gingen zwei bis dreimal im Monat zusammen essen und versicherten einander ihre immer währende Zuneigung. Der dritte Mann war in ihren Augen ein Kannibale, denn er hatte die Hälfte ihres Herzens gefressen. Dieser Mann rief seit Monaten nicht mehr an. Und das war auch besser so. Manchmal. Manchmal nicht. Dann hasste sie ihn, weil er nicht anrief, und dann ging sie erst recht nicht ans Telefon, wenn es klingelte.

»Ja!«, fauchte sie in den Hörer, denn es hatte wieder geklingelt.

»Was ist mit dir los, schwere Nacht gehabt?«, sagte eine Stimme, die sie nicht gleich erkannte.

»Schrei nicht so!«

Mit dem Telefon in der Hand ging sie ins Bad, an dessen Tür ein Schild hing, auf dem in blauer Kinderschrift geschrieben stand: Badezimmer. Das war ihre allmorgendliche Erinnerung daran, dass es sich bei dem Kabuff hinter der Tür um ein Zimmer handelte, und zwar um ein Badezimmer, auch wenn die Wanne zu kurz war und das Waschbecken zu mickrig und die Toilette zu nah an der Wand klebte; trotz aller Mängel – zudem war der Spiegel schlecht geschliffen und viel zu klein, um sich ordentlich schminken zu können, und das weiße Licht klatschte einem eine Maske ins Gesicht wie aus einem Horrorfilm – handelte es sich hier um ihr Badezimmer, und die Betonung lag auf dem kleinen Wörtchen ihr, weil diesen Raum niemand außer ihr okkupierte. Und das war vielleicht die größte Freiheit nach dem Auszug aus der hundertfünfundsechzig Quadratmeter großen Altbauwohnung, in der sie mit Karl zwei Jahre lang das Eheleben geprobt und ja gehaucht hatte, als er ihr bei Kerzenschein die entscheidende Frage stellte. Danach folgte jener Irlandurlaub, der alles beendete.

Wenigstens hatte sie nun ein eigenes Badezimmer, und das, fand sie, stand ihr zu mit einundvierzig Jahren.

»In deinem Alter darfst du nicht mehr so viel trinken«, sagte die Stimme, und Sonja legte auf. Sie wusste jetzt, wer am Apparat war. Sie ließ heißes Wasser in die Wanne laufen, während sie sich die Zähne putzte und darauf achtete, nicht aus Versehen in den Spiegel zu schauen. In wenigen Minuten würde er von Dampf beschlagen sein, und dann konnte sie gefahrlos den Kopf heben.

Es klingelte zum dritten Mal, und sie wartete ab. Dann klemmte sie sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter und regulierte die Wassertemperatur. Sie drehte an den Hähnen, bis das Wasser eher heiß als lau war, aber nicht zu heiß, damit sie sich sofort hineinsetzen konnte, und es durfte auch nicht zu lau sein, denn sonst würde sie frieren, und das war das Schlimmste um diese Zeit.

»Du musst sofort kommen«, sagte die Stimme.

»Ja«, sagte Sonja.

»Sofort!«

Nie mehr würde ihr morgens um sieben irgendjemand sagen, was sie zu tun habe; dafür nahm sie ein Loch als Badezimmer in Kauf, ein Achtunddreißig-Quadratmeter-Appartement für neunhundert Mark in Milbertshofen und zwei Fenster, die auf einen betonierten Hof hinausgingen, wo die Skater am Sonntagmorgen gute Laune verbreiteten. Das war der Preis fürs Alleinsein, und in Momenten wie diesen wusste sie, dass er nicht zu hoch war.

»Wir haben einen Vermissten, einen neunjährigen Jungen«, sagte Karl. Und weil er nichts weiter hörte als das Rauschen des Badewassers und ein leises Plätschern, fuhr er fort: »Die Mutter war bei uns. Ihr Schwiegervater wird heute beerdigt, und jetzt ist auch noch ihr Junge weg. Anscheinend ist er mit dem Tod seines Großvaters nicht zurechtgekommen. Hörst du mir zu?«

Sonja drückte die Toilettenspülung, stellte das Telefon auf den Wannenrand, legte den Hörer daneben und zog ihr T-Shirt aus, das einzige Kleidungsstück, das sie nachts trug. Sie hängte es über die Handtuchstange, die sie eigenhändig in die Wand gedübelt hatte, und blickte zufrieden in den Spiegel: Er war vollkommen beschlagen.

»Sonja, verdammt!« Die Stimme kam laut aus dem roten Hörer und wurde immer lauter. »Was ist denn mit dir los? Wir müssen diesen Jungen finden, und du badest in aller Ruhe. Komm hierher, das ist dein Job!«

»Guten Morgen, Karl«, sagte sie in den Hörer, ohne diesen in die Hand zu nehmen; sie neigte den Kopf und sprach schräg zum Wannenrand. Dann drehte sie den Hahn zu und steckte ihren linken Fuß ins Wasser. Es war zu warm, aber nicht heiß, also stieg sie hinein, stemmte die Arme auf den Rand und glitt langsam nach unten. Als sie ihre Beine ausstreckte, ragten ihre Füße und ein Großteil ihrer Unterschenkel aus dem Wasser. Sie nahm den Hörer in die Hand.

»Seit wann ist der Junge verschwunden?«, fragte sie.

»Das wissen wir noch nicht genau«, sagte Karl. Keiner von beiden schien sich noch daran zu erinnern, wie sie soeben miteinander umgesprungen waren. »Die Mutter sagt, sie wollte ihn wecken, aber da war er schon weg. Das war gegen halb sechs.«

»So früh?« Sie lag mit geschlossenen Augen im dampfenden Wasser und konzentrierte sich auf jedes Wort.

»Die Familie wohnt in Pasing, und die Beerdigung ist auf dem Ostfriedhof. Der Mann hat in Giesing gewohnt.«

»Und der Vater?«

»Der Vater ist das nächste Problem. Er wohnt nicht mehr zu Hause, jedenfalls nicht ständig, hat eine Freundin in der Stadt, irgendwo beim Hauptbahnhof.«

»Die Mutter weiß also nicht, wo ihr Mann ist, wenn er nicht zu Hause ist.«

»Sie weiß es nicht, auch wenn sie behauptet hat, ihr fällt gerade der Straßenname nicht ein, weil sie so nervös ist wegen ihrem verschwundenen Jungen.«

»Du hast also nicht mit dem Vater gesprochen«, sagte Sonja und öffnete die Augen. Schweiß lief ihr über den Hals, und sie tauchte ihre Füße ins Wasser und stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Knie ab. »Er weiß also noch nichts davon.«

»Nein«, sagte Karl, und man hörte etwas klappern. »Entschuldigung, mir ist der Kaffeelöffel runtergefallen. Der Mann weiß noch nicht, dass sein Sohn verschwunden ist, aber er wird zur Beerdigung erwartet.«

»Wann findet die statt?«

»Um acht. Ich möchte, dass du hinfährst und mit den Leuten redest«, sagte er und trank einen Schluck Kaffee.

»Vielleicht kommt der Junge von selber hin.«

»Das hab ich der Mutter auch gesagt, aber sie glaubt es nicht. Er ist nämlich nicht zum ersten Mal ausgebüchst.«

»Mit neun Jahren?«

»Ja.«

Das war ungewöhnlich; wenn sie sich richtig erinnerte, gab es in den zweieinhalb Jahren, seit sie in der Vermisstenstelle der Kriminalpolizei arbeitete, keinen einzigen Fall, bei dem ein Kind weggelaufen wäre, das jünger als zehn Jahre war; die meisten waren zwischen vierzehn und achtzehn, überwiegend Mädchen, die nach wenigen Tagen oder Wochen wieder auftauchten. Sonja kannte ein Mädchen, das schon fünfzehnmal ausgebüchst und wieder zurückgekommen war und dessen Eltern eine Menge Geld zum Psychologen trugen, ohne dass sie bei ihrer Erziehung Fortschritte machten.

»Wie oft?«, fragte sie.

»Die Mutter sagt, zweimal. Aber ich fürchte, das stimmt nicht. Sie hat panische Angst, dass ihrem Jungen was zugestoßen sein könnte.«

»Warte.« Sie legte...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2011
Reihe/Serie Ein Fall für Tabor Süden
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ani Süden • anspruchsvolle Krimis • Dezernat 11 • Friedrich Ani • Friedrich Ani Süden • Großvater • Kind • Krimi • Krimi Bayern • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • Kriminalromane Serien • krimi reihen • Polizei • Polizei Krimis/Thriller • psychologische Krimis • Raphael Vogel • Romane spannend • spannungsromane • Suche • Tabor Süden • Tabor Süden Band 1 • Tabor Süden, Friedrich Ani • Vermisste • Vermisstenfälle • vermisstes Kind • verschwindet
ISBN-10 3-426-41203-9 / 3426412039
ISBN-13 978-3-426-41203-9 / 9783426412039
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