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Scherbenpark (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30047-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Scherbenpark -  Alina Bronsky
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Es war die unwahrscheinliche Geschichte eines unverlangt eingesandten Manuskriptes, das den Verlag sofort begeisterte, und es wurde eines der erfolgreichsten Debüts: Mit ihrer Geschichte von Sascha, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, hat Alina Bronsky die Herzen ihrer Leser erobert. Was macht ihr Debüt so besonders? Da ist zum einen die siebzehnjährige Sascha Naimann, die aus Moskau nach Deutschland gekommen ist und mit ihren zwei ­jüngeren Geschwistern im Scherbenpark lebt - einem Hochhaus-Ghetto, in dem eigene Gesetze herrschen, die sie mit wilder Entschlossenheit bricht. Da ist zum anderen das katholische Elite-Gymnasium, das Sascha wegen ihrer Hochbegabung und ihrer prekären Lebenssituation angenommen hat, mitsamt den behüteten und ausstaffierten Mitschülerinnen, die keinen Schimmer von Algebra haben, aber ein volles Freizeitprogramm. Und da ist der Ton, in dem Sascha ihre Geschichte erzählt: Selbstbewusst und geradeheraus, beiläufig und trocken kommentiert sie ihre Umgebung, das verzweifelte Streben nach Glück, Freiheit und Wohlstand, das Scheitern ringsum und das eigene Aufbegehren.

Alina Bronsky, geboren 1978, lebt in Berlin. Ihr Debütroman »Scherbenpark« wurde zum Bestseller und fürs Kino verfilmt. »Baba Dunjas letzte Liebe« wurde für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. 2019 und 2021 erschienen ihre Bestseller »Der Zopf meiner Großmutter« und »Barbara stirbt nicht«.

Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland, lebt seit den Neunzigerjahren in Deutschland. Ihr Debütroman »Scherbenpark« wurde zum Bestseller und fürs Kino verfilmt. »Baba Dunjas letzte Liebe« wurde für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. 2019 erschien ihr Roman »Der Zopf meiner Großmutter«, der ebenfalls wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.

Inhaltsverzeichnis

Seine Augen lachen. »Gehe ich dir auf den Geist?« fragt er.

»Nein«, sage ich und verliere mich in seinem Blick. »Aber ich Ihnen.«

»Keineswegs«, sagt er ernst. »Und ich glaube, Felix freut sich.«

»Jetzt nicht mehr«, sage ich. »Ich habe ihn mit meinem tragischen familiären Hintergrund konfrontiert. Er hat jetzt einen Schock.«

Volker Trebur macht ein strenges Gesicht. »Hat er etwa …?«

»Er hat nichts gefragt, nein. Ich habe es ihm selber erzählt. Ich dachte, er wüsste das.«

»Ja«, sagt Volker langsam. »Es ist schwierig für ihn, damit umzugehen.«

»Er wird es schon schaffen«, sage ich ein bisschen grob. »Wenn ich es doch auch schaffe.«

»Entschuldige bitte«, sagt er. »Entschuldige um Himmels willen.«

»Kein Problem.«

Ich nehme wieder das Buch in die Hand. Ich weiß nicht, was ich tun soll, mich hier noch einmal hinsetzen oder weggehen, zurück ins Bett oder in den Garten. Der Zauber dieses Morgens ist verflogen, keine Ahnung, wann und wieso.

»Ich habe deine Mutter gekannt«, sagt Volker in meine Überlegungen hinein.

»Wie?« Ich sehe zu ihm hoch.

»Ich habe sie mal kennen gelernt. Sie hat doch diesen Preis bekommen, für«, er runzelt die Stirn und schnipst mit den Fingern, »so eine merkwürdige Bezeichnung, Beihilfe zur gelungenen Integration oder sonst was. Ich war in der Jury. Man hat manchmal so Pflichten.«

»Sie Armer«, sage ich.

»Ja, du hast Recht. Ich sollte mich nicht beklagen. Also, das war die Gelegenheit.«

»Sie haben sie also mal kurz gesehen? Oder haben ihr feierlich den Umschlag mit 300 Euro überreicht?«

»Warum so kratzbürstig? Ich habe mich mit ihr unterhalten. Sie war eine außergewöhnliche Frau.«

»Haben Sie das sofort gemerkt?« frage ich gereizt.

»Ja«, sagt er ruhig. »Das habe ich.«

Ich blättere im Buch.

»Deswegen war ich auch so schockiert, davon zu hören, dass sie …« Er zögert und lässt die Finger knacken. Ein ätzendes Geräusch.

»… niedergeknallt wurde«, sage ich. »In den Kopf, in den Bauch, in die …«

Sein Gesicht verändert sich.

»… in die Beine«, fahre ich fort. »Zum Glück in dieser Reihenfolge. Ich denke, so herum hat sie deutlich weniger mitgekriegt. Warum sind Sie so weiß?«

Seine Hände fallen vom Tisch auf den Schoß und verkeilen sich ineinander.

»Nanu?« sage ich. »Habe ich etwas gesagt, was für Sie neu ist?«

»Hör auf«, sagt er und sieht mich nicht an. »Bitte hör auf.«

»Klingt das zu gruselig? Ich dachte, Sie haben die Berichterstattung verfolgt, von Berufs wegen. Da wurde doch jedes Einschussloch ausführlich erörtert. Man will doch die Leute auf dem Laufenden halten.«

»Nicht diese Details«, sagt er kaum hörbar. »Die habe ich nicht gelesen.«

»Wenn es um jemanden geht, den man ein wenig gekannt hat, klingt es ganz anders als sonst, nicht wahr?«

»Hör auf«, sagt er und steht auf. »Bitte.«

»Volker«, sage ich langsam. »Haben Sie meine Mutter vielleicht doch ein bisschen besser gekannt?«

Er setzt sich wieder schwerfällig hin und verschränkt die Hände. »Wie meinst du das?« fragt er.

»Ist ja ein Ding«, sage ich. »Wie klein die Welt ist.«

»Wovon sprichst du?« fragt er mühsam.

»Warum wollen Sie es nicht zugeben?«

»Ich habe nichts zuzugeben, Sascha«, sagt er und sieht mich an. Die grauen Augen sind ganz matt.

»Ist es Ihnen peinlich? War sie Ihnen nicht gut genug? Oder wollte sie nicht mit Ihnen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Sascha«, sagt er laut, und ich zucke zusammen. »Was willst du eigentlich von mir?«

»Ich von Ihnen?« frage ich nachdenklich zurück. Er sitzt mit zusammengesunkenen Schultern am Küchentisch und reibt sich mit dem Daumen die Stelle zwischen den Augen. Er sieht furchtbar müde aus.

Er beginnt mir leidzutun.

»Entschuldigen Sie«, sage ich dann. »Es geht mich überhaupt nichts an. Das war sehr undankbar von mir, Ihnen auf die Pelle zu rücken, wo Sie doch so freundlich waren und mich hier aufgenommen haben.«

»Das ist doch nicht der Rede wert«, sagt er mühsam. »Ich möchte aber nicht, dass du etwas Falsches von mir denkst.«

»Noch so ein Geheimnis«, sage ich und sehe aus dem Fenster auf den Kirschbaum. »Kommen Sie, wir machen uns das Leben nicht weiter schwer. Scheint für uns beide irgendwie wund zu sein, dieses Thema.«

Am Nachmittag geht er wieder weg. Er sagt, er muss zu einem Termin. Ich hoffe, dass es nicht deswegen ist, weil er nicht mit mir in einem Haus sein kann, weil er Angst vor meinen Fragen hat.

Ich würde gern kurz sein Haar berühren. Es interessiert mich, ob es weich ist wie Antons oder drahtig wie meins.

Felix kommt, als ich im Garten auf der Wiese liege und die Wolken betrachte.

»Du bist ja auch da«, sage ich erstaunt.

»Du doch auch«, sagt er.

»Hockst du viel zu Hause?«

»Immer«, sagt er. »Ich wollte dich fragen, ob du mit mir eine DVD gucken willst.«

»Welche denn?«

»Ich habe tausend Sachen. Auch ein paar Neue.«

Ich rapple mich auf und klopfe mir das Gras von der Jeans.

Ich stehe lange vor seiner DVD-Sammlung, während auf dem Fernseher derselbe Nachrichtensender wie in der Nacht läuft.

»Ich mag keine Actionfilme«, sage ich. »Und auch keine Liebesfilme. Und auch keine Horrorfilme.«

Felix stöhnt auf. »Gibt es denn irgendetwas, was du magst?«

»Theoretisch schon«, sage ich und suche weiter.

»Willst du meinen Lieblingsfilm sehen?« fragt er und wird ein bisschen rot.

Ich rechne mit James Bond oder »Mission Impossible«, aber Felix überrascht mich. »Gottes Werk und Teufels Beitrag«, spricht er verlegen aus.

»Von John Irving«, sage ich erstaunt. »Er hat, glaube ich, auch das Drehbuch geschrieben.«

»Das weiß ich nicht«, sagt er und blickt fragend in mein Gesicht. »Hast du Lust? Ist ein toller Film.« Und strahlt, als ich nicke.

Er reißt eine Packung Chips auf und legt die DVD ein. Ich setze mich im Schneidersitz auf sein Bett, er streckt sich daneben aus. Einmal berührt er mich kurz mit dem Knie und zuckt zurück, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Ich will sagen, dass ich nicht beiße, verkneife es mir aber.

»Er ist ein bisschen traurig«, sagt er nach fünf Minuten. »Ich weiß nicht, ob du das … ob es für dich …«

»Mein Gott«, sage ich, »ich werde dich wegen dieses Films bestimmt nicht vollheulen. Überhaupt habe ich bislang nur einmal bei einem Film geweint.«

»Ja?« fragt er interessiert, aber ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden. »Bei welchem denn?«

»Kennst du ›My Girl‹ mit Macaulay Culkin? Er stirbt ja irgendwann in diesem Film, weil er von Wespen gestochen wird und eine Allergie hat. Und bei der Beerdigung platzt seine kleine Freundin, deren Vater das Bestattungsinstitut hat, rein und beginnt zu schreien, dass sie dem Jungen die Brille zurückgeben sollen, weil er ohne sie nichts sieht. Und er liegt gerade tot da. Und sie schreit: ›Gebt ihm die Brille zurück!‹ Und an dieser Stelle muss ich immer Rotz und Wasser heulen.«

»Oh«, sagt er und schaut mich kurz von der Seite an. »War das schon immer so, oder erst, seit …« Er verstummt.

»Das war noch vor dem Tod meiner Mutter«, sage ich. »Der Film ist ja uralt.«

»Oh«, sagt Felix wieder und knistert mit der Chipstüte.

Danach reden wir nicht mehr, bis der Abspann gelaufen ist. »Guckst du auch immer hin?« fragt Felix und steckt die DVD zurück in die Hülle.

»Wohin?«

»Auf den Abspann. Bis alle aufgezählt sind.«

»Ja«, sage ich überrascht. »Schon immer.«

»Ich auch«, sagt Felix. »Auch im Kino. Es nervt mich, wenn die Leute sofort aufspringen und wegrennen, sobald das letzte Wort gesprochen ist. Ich will auch lesen, welche Musik und überhaupt. Da haben so viele Leute mitgearbeitet, man muss sie doch würdigen, indem man wenigstens ihre Namen liest.«

»Ich war lange nicht mehr im Kino«, sage ich. »Seit Jahren nicht.«

»Ist dir an dem Film etwas aufgefallen?« fragt Felix und wird wieder ein bisschen rot.

»Was aufgefallen?«

»Das Mädchen im Waisenheim, das sich in Homer verliebt.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie sieht ein bisschen aus wie du.«

»Was?« rufe ich. »Diese komische Tussi?«

»Sie ist keine komische Tussi«, sagt Felix empört. »Sie ist sehr hübsch. Sie hat nur eine etwas komische Rolle. Aber die macht sie supergut.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Willst du sehen?« fragt Felix. Er springt von seinem Bett auf und schiebt mich vor den Computer. Er schlägt auf eine Taste. Der Bildschirm wird sofort hell, der Computer war die ganze Zeit eingeschaltet. Ich stelle mich neben Felix und sehe zu, wie er Fenster anklickt und wieder zumacht.

»Was genau?« beginne ich, aber dann sehe ich es – Paz-de-la-Huerta-Website.

»Was ist das?« frage ich. »Was ist Paz de la Huerta?«

»Das ist dieses Mädchen. Diese Frau. Sie ist schon 22.«

»Und was ist da der Vorname?«

»Paz.«

»Und warum zeigst du mir das?«

»Damit du das siehst. Dass du ihr ähnlich siehst.« Und er klickt eine Fotogalerie an. Ich gehe ein bisschen näher dran. Felix schiebt mir den Drehstuhl zu und kniet sich neben mich auf den Boden.

»Siehst du?« fragt er. »Habe ich Recht?«

Ich klicke mich durch die Galerie. Sie besteht aus Szenenfotos des Films, den wir gerade gesehen haben. Das dunkelhaarige Mädchen aus unterschiedlichen Perspektiven. 52 Bilder.

»Na ja«, sage ich. »Ganz so übel...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2009
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alina Bronsky • Belletristik • Debüt-Roman • Erwachsenwerden • Jugendliche • Kiepenheuer & Witsch • Liebe • Plattenbau-Siedlung • Roman • Scherbenpark • Schicksal • Trauer • Verbrechen • Verlust
ISBN-10 3-462-30047-4 / 3462300474
ISBN-13 978-3-462-30047-5 / 9783462300475
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