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Lieutenant Eve Dallas lungerte an ihrem Schreibtisch auf dem Revier herum. Sie versuchte Zeit zu schinden. Die Aussicht darauf, sich in ein schickes Kleid werfen zu müssen, um dann in die Stadt zu fahren und ihren Mann und eine Horde Fremder zu einem als zwangloses Zusammensein getarnten Geschäftsessen zu treffen, war für sie ebenso verlockend wie in einen Recycler einzusteigen und darauf zu warten, dass der Schredder seine Arbeit tat.
Die Alternative, noch etwas länger im Büro zu bleiben, erschien ihr richtiggehend reizvoll.
Da sie an diesem Nachmittag einen Fall hereinbekommen und sofort hatte zum Abschluss bringen können, könnte sie noch den Bericht dazu verfassen und an ihren Vorgesetzten schicken. Sie hatte also tatsächlich zu tun. Da jedoch sämtliche Zeugen darin übereinstimmten, dass der Kerl, der von dem Gleitband vor der sechsten Etage eines Hauses auf den Bürgersteig gesegelt war, den Streit mit den beiden Touristen aus Toledo vom Zaun gebrochen hatte, bräuchte sie für den Papierkram höchstens ein paar Minuten.
In den letzten Tagen hatte sie mit einer Reihe ähnlich gelagerter Fälle zu tun gehabt. Streitigkeiten zwischen Eheleuten, in deren Verlauf ein Partner dem anderen an die Gurgel gegangen war, Straßenprügeleien mit tödlichem Ausgang, ja sogar einen Streit an einem Schwebekarren über eine Eiscremetüte, bei dem einer der Beteiligten erschlagen worden war.
Die Hitze machte die Menschen schlaff und reizbar, was, wie sie hatte erkennen müssen, eine todbringende Mischung war.
Auch sie war leicht gereizt, als sie daran dachte, dass sie sich in Schale werfen musste, um die nächsten Stunden in irgendeinem Schickimicki-Restaurant beim Smalltalk mit ihr völlig fremden Menschen zu verbringen.
Das hatte sie davon, dass sie einen Kerl zum Mann genommen hatte, der genügend Geld besaß, um ganze Kontinente zu erwerben, dachte sie erbost.
Roarke hatte tatsächlich Spaß an solchen Abenden. Was sie beim besten Willen nicht verstand. Er knabberte genauso gerne in einem Fünf-Sterne-Restaurant – das ihm wahrscheinlich sogar noch gehörte – an irgendwelchen Kaviarkanapees, wie er zu Hause auf dem Sofa flegelte und herzhaft in einen vor Fett triefenden Burger biss.
Aber nachdem sie inzwischen bald ein Jahr verheiratet waren und sich diesbezüglich nichts änderte, gewöhnte sie sich besser allmählich daran. Also stieß sie sich resigniert von ihrem Schreibtisch ab.
»Sie sind ja immer noch hier.« Ihre Assistentin Peabody streckte den Kopf durch die Tür ihres Büros. »Ich dachte, Sie hätten heute Abend irgendein tolles Essen in der Stadt.«
»Ich habe noch ein bisschen Zeit.« Ein Blick auf ihre Armbanduhr rief jedoch leichte Schuldgefühle in ihr wach. Okay, sie käme wieder mal zu spät. Aber nur ein bisschen. »Ich habe nur noch schnell den Bericht zu dem Gleitband-Springer diktiert.«
Peabody, deren dunkelblaue Sommeruniform jeder natürlichen Ordnung widersprach und trotz der schwülen Hitze frisch und faltenfrei aussah, bedachte ihre Chefin mit einem vorwurfsvollen Blick. »Sie haben doch wohl nicht versucht Zeit zu schinden, Lieutenant?«
»Einer der Bewohner unserer Stadt, denen zu dienen und die zu schützen ich geschworen habe, wurde bei einem Sturz auf die Fifth Avenue wie ein Käfer platt gedrückt. Ich denke, er hat es verdient, dass ich mich ihm eine halbe Stunde widme.«
»Muss wirklich hart sein, wenn man gezwungen ist, sich in ein schickes Kleid zu werfen, sich ein paar Diamanten oder andere Juwelen um den Hals zu hängen und dann zusammen mit dem schönsten Mann, den das Universum je gesehen hat, Champagner zu schlürfen und Hummerkroketten zu knabbern. Ich verstehe wirklich nicht, wie Sie es geschafft haben, trotz einer derartigen Belastung den Tag zu überstehen.«
»Ach, halten Sie die Klappe.«
»Während ich mich mit McNab an einen winzig kleinen Tisch beim Italiener an der Ecke quetschen und mir erst eine Pizza und anschließend die Rechnung mit ihm teilen darf.« Peabody schüttelte den Kopf, und ihr dunkler Haarschopf wippte dabei hin und her. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für Schuldgefühle ich deswegen habe.«
»Suchen Sie zufällig Streit?«
»Nein, Madam.« Peabody gab sich die größte Mühe, unschuldig auszusehen. »Ich möchte Ihnen nur versichern, dass ich in dieser schweren Zeit in Gedanken bei Ihnen bin.«
»Lecken Sie mich doch am Arsch.« Gerade als sich Eve, hin und her gerissen zwischen Ärger und Belustigung, von ihrem Platz erheben wollte, klingelte ihr Link.
»Soll ich drangehen und sagen, dass Sie nicht mehr da sind?«
»Habe ich nicht gesagt, dass Sie die Klappe halten sollen?« Eve setzte sich wieder und nahm das Gespräch entgegen. »Morddezernat. Dallas.«
»Madam. Lieutenant.«
Nie zuvor hatte sie Officer Troy Truehearts jungenhaftes, typisch amerikanisches Gesicht, das auf dem Monitor erschien, so angespannt gesehen. »Trueheart.«
»Lieutenant«, wiederholte er und musste hörbar schlucken. »Es gab einen Zwischenfall. Ich habe … oh, Gott, ich habe ihn getötet.«
»Officer.« Während sie sprach, rief sie schon seinen Standort auf dem Bildschirm auf. »Sind Sie im Dienst?«
»Nein, Madam. Ja, Madam. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht genau.«
»Reißen Sie sich zusammen, Trueheart«, schnauzte sie ihn an und sah, wie er zusammenfuhr, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. »Erstatten Sie Bericht.«
»Madam. Ich hatte gerade meine Schicht beendet und zu Fuß den Heimweg angetreten, als aus einem Fenster eine weibliche Zivilperson um Hilfe rief. Ich habe darauf reagiert. Im vierten Stock des betreffenden Gebäudes ging ein mit einem Schläger bewaffnetes Individuum auf die Frau, die um Hilfe gerufen hatte, los. Ein zweites Individuum, ein Mann, lag bewusstlos oder tot im Korridor und blutete stark aus einer Wunde am Kopf. Ich habe die Wohnung betreten, in der die Frau angegriffen wurde, und … Lieutenant, ich habe versucht ihn aufzuhalten. Er stand im Begriff, sie zu erschlagen. Er hat sich zu mir umgedreht und sämtliche Warnungen und Befehle, den Schläger wegzuwerfen, einfach ignoriert. Es ist mir gelungen, meine Waffe zu ziehen und den Stunner einzustellen. Ich schwöre, ich hatte die Absicht, ihn nur zu betäuben, aber er ist tot.«
»Trueheart, sehen Sie mich an. Hören Sie mir zu. Sichern Sie das Gebäude, melden Sie den Vorfall der Zentrale und sagen Sie, dass Sie mir bereits Bericht erstattet haben und dass ich auf dem Weg zu Ihnen bin. Dann rufen Sie einen Krankenwagen. Sichern Sie den Tatort, Trueheart. Machen Sie alles ganz genau nach Vorschrift. Haben Sie verstanden?«
»Ja, Madam. Ich hätte die Sache erst bei der Zentrale melden sollen. Ich hätte -«
»Halten Sie die Stellung, Trueheart. Ich bin unterwegs. Peabody«, rief Eve, während sie bereits in Richtung Tür stürmte, ihrer Assistentin zu.
»Zu Befehl, Madam. Ich komme mit.«
Als Eve ihr Fahrzeug parkte, standen bereits zwei Streifen- und ein Krankenwagen hintereinander am Straßenrand. Es war eine Gegend, in der die Menschen, wenn die Bullen kamen, eher auseinanderliefen als sich zu versammeln, weshalb nur ein kleines Häuflein Schaulustiger davon abgehalten werden musste, das Gebäude zu betreten.
Die beiden uniformierten Beamten, die den Hauseingang flankierten, tauschten, als sie sich ihnen näherte, viel sagende Blicke miteinander aus. Sie war ein hohes Tier und könnte Männern ihres Ranges problemlos die Eier abreißen, falls ihnen nur der kleinste Fehler unterlief.
Sie spürte die feindselige Atmosphäre, als sie näher kam.
»Ein Cop sollte einem anderen dafür, dass er seinen Job macht, keine Schwierigkeiten machen«, grummelte einer der beiden so laut, dass es nicht zu überhören war.
Sie blieb kurz vor ihm stehen.
Sie war eine große, schlanke Frau und blickte ihn aus ihren bernsteinbraunen Augen reglos wie eine Schlange an. Ihr ebenfalls braunes, kurz geschnittenes, wild zerzaustes Haar rahmte ein schmales Gesicht mit einem für gewöhnlich vollen, jetzt aber zu einem schmalen Strich zusammengepressten Mund und einem Kinn, das trotz des hübschen kleinen Grübchens wirkte, als wäre es aus Stahl.
Unter ihrem Blick hatte der Beamte das Gefühl zu schrumpfen.
»Ein Cop sollte einem anderen dafür, dass er seinen Job macht, keine Vorhaltungen machen«, erwiderte sie kalt. »Falls Sie ein Problem mit mir haben, Officer, warten Sie gefälligst, bis ich mit meiner Arbeit fertig bin. Dann höre ich mir Ihre Beschwerden gerne an.«
Damit betrat sie das schuhkartongroße Foyer und drückte auf den Knopf des einzigen Fahrstuhls, den es in dem Gebäude gab. Dass sie kochte, hatte mit...