Die Kleine Form (eBook)
132 Seiten
Books on Demand (Verlag)
9783695108916 (ISBN)
Sammler und Autor, der vornehmlich an historischer Alltags- und Regionalkultur interessiert ist.
Die Insel-Bücherei – ein Abschied
Die Perle der Kleinen Form dürfte wohl für alle Zeit die Insel-Bücherei bleiben. Ich habe sie bereits früh registriert, aber als etwas Fremdes ohne Habenwollen. In meiner Erinnerung waren die Insel-Bücher noch während meines Studiums eine bibliophile Angelegenheit für bürgerliche und nicht an Wissenschaft, sondern an Bildungsexklusivität interessierte Angehörige einer älteren Generation.
Als es dann bei mir los ging, im Verlauf des Jahres 1985, unterschieden sich die Begleiterscheinungen nicht von denjenigen aller anderen Sammlungen und Sammel-Leidenschaften: Die Begeisterung fraß sich in das alltägliche Bewusstsein, es entstand der berüchtigte Tunnel-Blick, und die Befindlichkeit changierte zwischen einer sich kindlich anfühlenden Freude an jedem neuen Stück und schlichter Raffgier.
Zuvor bereits hatte ich die Insel-Bücherei irgendwie nebenbei wahrgenommen mit ihrer Sammlerszene, die immer schon ein eigenes bibliophiles Genre unterhalb der großen Kostbarkeiten-Sammler oder auch eine „Vorschule der Bibliophilie“ dargestellt hat. Jetzt aber kam sie mir näher und auf eine Weise nah, die sich anfühlte, als würde sich mir eine neue Gefühlswelt erschließen. Nun, in einer anderen Lebensphase, ist die Liebe abgekühlt, und es steht an: gleichsam eine Trennung in beiderseitigem Einverständnis.
Zwischen 500 und 600 Exemplare sind es geworden im Verlauf von nahezu 30 Jahren. In den letzten Jahren hat sich der Bestand kaum noch verändert – einzelnen, wenigen Zugängen standen an Freundinnen und Freunde verschenkte Büchlein gegenüber, die bereits als Zeichen abklingender Hortungsstrukturiertheit zu spüren und zu deuten waren. Schon längere Zeit wurde das doppelt aufgebaute Bestandsverzeichnis eher schludrig ergänzt und bearbeitet. Es bestand aus der mobilen, auf Flohmärkten und Städtereisen in Form eines Vokabelheftes mitgeführten handschriftlichen Fehlliste sowie aus dem offiziellen, anhand der bibliografischen Literatur jeweils minutiös aktualisierten Nachweis wachsender Vollständigkeit.
Ein Profi-Sammler der Insel-Bücherei war ich nie und drohte ich auch nie zu werden. Als ich feststellte, dass viele Nummern doppelt oder sogar dreifach mit Titeln besetzt waren, fiel die Entscheidung rasch, nach Möglichkeit jeden Titel zu sammeln. Als sich mir die ganze Welt der Insel-Sammler erschloss mit der Jagd nach verschiedenen Auflagen, Überzugpapieren und editorischen Feinheiten, war ebenso rasch klar, dass diese Stufe an Intensität und Akribie (und Finanzaufwand) für mich nicht mehr erstrebenswert war. So blieb es sowohl hinsichtlich des Zeitaufwandes als auch im Hinblick auf das hinein gesteckte Kapital bei einem überschaubaren Rahmen.
Allerdings wurde dieses Konzept gleich zu Beginn einmal – ein einziges Mal – durchbrochen. Am 30. September 1985, als erst wenige, einzelne Insel-Bücher im Regal standen, sah ich in der Privatwohnung eines Trödlers, der sich später zum Antiquar entwickeln sollte, ein ganzes Regalbrett voller Insel-Bücher – ein für mich völlig neuer Anblick, der meinen Adrenalinspiegel nachhaltig veränderte. Ich ließ bettelnd nicht eher locker, bis ich das ganze Brett bzw. alle Bücher auf ihm zu einem – aus heutiger Sicht: sehr günstigen – Pauschalpreis gleich mitnehmen durfte. Es war ein wunderbares Erlebnis, dem seinerzeitigen Trödler hat es vielleicht sogar ein wenig weh getan.
Jedes Bändchen wurde in die Hand genommen, angeschaut, befühlt, durchgeblättert und bekam fein säuberlich seinen Besitzervermerk mit Datum. In dieser Zeit entstand im Übrigen auch der Wunsch nach einem eigenen Exlibris. Er wurde nie erfüllt, was aus heutiger Sicht ganz in Ordnung ist. Noch lange sind sämtliche Sammlungszugänge in entsprechender, vorsichtiger Weise mit dem Bleistift gekennzeichnet worden. Erst viel später wurde auch diese Handhabung laxer als Zeichen dafür, dass die Freude am einzelnen Buch wie auch am Kollektionieren nachgelassen hatte und die Sammlung unwichtiger geworden war.
So groß wie sie war, nahm die Sammlung aber inzwischen ein ganzes Billy-Regal ein, zumal auch diverse Ausgaben des Insel-Almanachs hinzugekommen waren, ebenfalls ursprünglich mit Vollständigkeitsanspruch erworben. Irgendwann war es nicht mehr nötig, alle Bändchen zugleich zu sehen: Bis dahin bildete dies eine konstitutive Komponente „meiner Insel-Sammlung“, die sich immer im Wohnzimmer befunden hat, nie im Arbeitszimmer. Nun wurden die Bände in Doppelreihe aufgestellt, was dazu führte, dass die jeweils hintere, unsichtbare Reihe praktisch vollkommen unberührt blieb, weil der Aufwand des Einfügens und Neuordnens einfach zu groß war. Aus der – nicht nur für mich – optisch sichtbaren Aufmerksamkeit war ein eher diffuses Besitzerwissen geworden, nach wie vor schön positiv, aber doch anders. Vielleicht war das zugleich der Anfang vom Ende.
Denn nach mehreren Jahren inaktiver Sammeltätigkeit, jedenfalls bezüglich des Insel-Themas und zudem abgelöst von anderen Objekten der Begierde, kamen erstmals Gedanken hoch, die Sammlung abzugeben. Wirklich viel Geld war nicht hineingeflossen, eine Beschäftigung fand so gut wie gar nicht mehr statt und der Platz war auch ein Problem. Beim Gedanken der Abgabe stellten sich zwiespältige Gefühle ein, gottlob nicht oder nicht mehr der Wunsch, die „Sammlung KD“ irgendwo wohlverwahrt und angemessen beachtet und gewürdigt zu wissen.
Aus eher pragmatischen Gründen des Arbeitsaufwandes recherchierte ich Möglichkeiten, die Bände als doch schon relativ ordentliches Sammlungskonvolut in eine Auktion zu geben. Dabei stellte sich heraus, dass, um ein Verschleudern zu verhindern, eine genaue Auflistung mit Nummern, Auflagen, Ausstattung und Erhaltungszustand trotzdem unumgänglich war. Deshalb fiel die Entscheidung, den Abverkauf selbst in die Hand zu nehmen.
Auch diese Entscheidung hatte viel mit Gefühlen zu tun. Denn sie ermöglichte, ja setzte voraus, jedes Bändchen noch einmal – abschließend, zum Abschied, segnend, ganz nach Gefühlslage – in die Hand zu nehmen. Geldscheine fanden sich nicht, nur einige alte Zeitungsausschnitte. Als sich der Wunsch zu festigen begann, doch den einen oder anderen Band zu behalten, und der entsprechende Stapel schnell wuchs, war ein erneuter, weiterer harter Schnitt erforderlich. Eine sehr kleine Auswahl von Bänden behielt ich aus persönlichen Gründen, weil sich in ihnen Erinnerungen, Erlebnisse und Emotionen manifestierten oder spiegelten. Eine etwas größere, aber immer noch gut überschaubare Zahl wurde „erstmal“ behalten vornehmlich aus literarischen oder ästhetischen Gründen, nicht etwa aus Gründen des Wertes oder der Seltenheit der Stücke.
Dann begann die Abgabe. Sie war, anders als beim Erwerb und in gewisser Weise doch durchaus wieder vergleichbar, mit positiven Gefühlen behaftet.
Die Insel-Bücherei stand – mehr oder weniger – am Anfang meiner privat-persönlichen Sammler-Karriere. Zuvor hatte ich geradezu puristisch die Maxime eingehalten, als Museumssammler die öffentlich-wissenschaftlichen Ansprüche am besten von persönlichen Gelüsten zu trennen, indem privat einfach keinerlei Sammlung angelegt wurde. Insofern war die Insel-Bücherei die erste Ausnahme: zulässig hauptsächlich deshalb, weil Bücher generell nicht zu den Sammelgebieten eines Museums, schon gar nicht eines Freilichtmuseums gehören.
Der Abschied von meiner Insel-Bücherei war (durchaus folgerichtig) denn auch der Beginn eines größeren Abschieds: von allen möglichen kleinen Buch-, Bild- und Dokument-Sammlungen. Die Erfahrungen mit den Sammlungen verstorbener älterer Kollegen hatten mich gelehrt: Lieber selbst für das Nachleben sorgen und es zumindest teilweise mitbestimmen können als alles seinem Schicksal überlassen und zuvor ständig dran denken müssen, wie unwürdig hinterher alles makuliert, verschleudert oder missachtet wird. Gleichzeitig war jede dieser kleinen Sammlungen von vornherein darauf hin angelegt, auch eine räsonierende Analyse zu erfahren – mal mehr erkenntnisorientiert, mal sehr persönlich gefärbt wie dieser Text. Und damit stand die Insel-Bücherei auch irgendwie am Anfang einer Phase, die Erfassen, Recherchieren, Erkennen und Schreiben beinhaltete, jeweils themen-, bild-, genrebezogen oder einfach lustvoll fabulierend.
Für so manchen Freund oder Verwandten hat meine Insel-Leidenschaft eine willkommene Lösung bei Schenk- oder Mitbringsel-Problemen dargestellt. Das letzte Buch habe ich von Barbara Habermann geschenkt bekommen, der befreundeten Oldenburger Künstlerin, zusammen mit zwei schönen IB-Postkarten sowie Trockenblumen als Lesezeichen und zusammen gehalten von einem individualisierend wirkenden Strohbändchen. Nach fast 30 Jahren vermögen nicht wenige andere Bände mit ihren entsprechenden Erinnerungseinträgen tatsächlich die intendierten Funktionen des Sammlers und Bewahrers und Dokumentars zu erfüllen: „von Tante Elna und Onkel Willi aus dem Keller, Jan. 88“, sowieso „von Gabi am 18.11.85“,...
| Erscheint lt. Verlag | 15.10.2025 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Das niedere Bild |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Design / Innenarchitektur / Mode |
| Technik | |
| Schlagworte | Bibliophilie • Buchgestaltung • Grafikdesign • Kleine Buchreihen • Kultur des Sammelns |
| ISBN-13 | 9783695108916 / 9783695108916 |
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