Entdeckungen in der analogen Fotografie (eBook)
204 Seiten
BoD - Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-0342-8 (ISBN)
Matthias Kistmacher, Jahrgang 1971, erlernte nach dem Abitur zunächst den Beruf des Versicherungskaufmanns und studierte im Anschluss Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss Diplom-Ökonom. Heute lebt er mit seiner Familie in Hannover. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Marktforscher arbeitet er seit vielen Jahren als freier Mitarbeiter für die Fachzeitschrift PhotoKlassik und schreibt regelmäßig zu unterschiedlichen Themen der analogen Fotografie. Die dabei entstandenen und veröffentlichten Artikel hat er jetzt unter dem Titel "Entde-ckungen in der analogen Fotografie" als Buch zusammengefasst.
Kapitel 2
Ikonen klassischer Fotokameras
In der inzwischen knapp 150-jährigen Geschichte des Kamerabaus ist eine Fülle unterschiedlicher Typen und Modelle für die filmbasierte Fotografie entstanden, die sich mehr oder weniger gut für verschiedene Einsatzzwecke eignen. In den folgenden Abschnitten soll auf einige wenige, besonders ikonische Kameras eingegangen werden, die für die Alltagsfotografie besonders stilbildend waren und wieder sind.
Dabei stehen nicht die technische Leistungsfähigkeit der Kameras im Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie mit ihnen entschleunigt und bewusst fotografiert werden kann, auch und gerade im digitalen Zeitalter. Somit wird der Fokus klar auf den praktischen Einsatz der Modelle gelegt. Neben den Kameras als Ganzes werden zwei markante Bauteile separat betrachtet, der Auslöser und der Sucher der Kamera. Dabei wird beleuchtet, wie die Art unseres fotografischen Sehens und Erlebens im Moment der Aufnahme durch diese Bauteile beeinflusst wird.
Fotografie aus der Hosentasche – die Pocketkamera
„Die beste Kamera ist gerade die, die man dabei hat“. Wer heute auf dieses Zitat von Eliott Erwitt stößt, denkt unweigerlich an die in Smartphones oder in sonstiger Form überall anzutreffenden digitalen Kompaktkameras. Oftmals werden diese auch als „Pocket“-Kamera bezeichnet, obwohl die Geburtsstunde der Fotografie „aus der Hosentasche“ bereits nahezu ein halbes Jahrhundert zurückliegt. So brachte Kodak schon im Jahre 1972 den „Pocket“-Film für das 110er Format auf den Markt und läutete damit eine über zwei Dekaden andauernde Dominanz der gleichnamigen Kameras in der Fotografie ein. Waren Pocketkameras nach Ablauf dieser Zeit nahezu spurlos vom Markt verschwunden, erleben sie in jüngster Zeit dank neuer und passender Filmfabrikate ein (vorerst noch) kleines Revival. Wie ist das zu erklären und was macht diesen Kameratyp bis heute für viele Anwender so besonders, ja so liebenswert?
(M)Ein „Ding“ aus Kindertagen
Kürzlich fand ich vor meiner Haustür einen nachbarschaftlichen Gruß in Form eines kleinen Kartons vor. Darauf ein Zettel mit der Aufschrift: „Sie sammeln doch Kameras“. Zwar hätte ich mir zum Wort „sammeln“ auch noch den Zusatz „und nutzen“ gewünscht, freute mich aber natürlich trotzdem über dieses unerwartete Präsent. Das Kistchen wurde umgehend inspiziert und gab eine Reihe von Kameramodellen aus dem Massenmarkt der 1960er und 1970er Jahre frei, darunter auch eines, welches meine besondere Aufmerksamkeit erregte.
Es handelte sich um einen flachen, länglichen und schwarz lackierten Plastikquader namens „Agfamatic 6008“ – einen typischen Vertreter der analogen Pocketkamera. Durch diesen Fund fühlte ich mich zurückversetzt in frühe Kindertage des Jahres 1982, als ich zu meinem zehnten Geburtstag eine ähnliche Kamera, genauer gesagt eine Kodak Ektralite, geschenkt bekam, die über einige Jahre mein lieb gewonnenes und erstes fotografisches „Ding“ wurde.
Sie begleitete mich buchstäblich überall hin, da sie in jeder Tasche und an jedem (Ablage-) Ort Platz fand. Ohne Wissen über Belichtung, Aufnahmeabstand, Schärfe und dergleichen mehr half sie mir, einigermaßen passabel alles im Bild festzuhalten, was mir in dieser Zeit wichtig war – ohne Schnörkel, schnell und einfach. Einzig zwischen den Wetterphänomenen sonnig, wolkig und bedeckt musste ich mich mittels eines Schiebers an der Oberseite der Kamera vor der Aufnahme entscheiden. Heute weiß ich, dass mit dieser Einstellung die Belichtung festgelegt wurde. In Erinnerung geblieben ist mir auch ein ausklappbarer Griff an der Ektralite, der nicht nur für den Schutz der Kamera vor äußeren Einflüssen sorgen sollte, sondern ebenso den Akt der Auslösung stabilisierte und so gleichsam als Stativersatz fungierte. Über ihn machte ich mir mehr Gedanken als über die spätere Qualität der Bilder, da er ständig drohte, abzubrechen und mir ohnehin oftmals schlicht im Weg war. Da mein damaliges Taschengeld neben den reinen Filmkosten nur zur Finanzierung von Abzügen in 9 x 13 cm reichte, blieben meinen Kinderaugen bildmäßige Qualitätsreserven, die stärkere Vergrößerungen wohl sicher zu Tage gefördert hätten, ohnehin verborgen. Irgendwann verlor ich meine „Pocket“ für immer aus den Augen und – aufgrund der Anschaffung einer Spiegelreflexkamera – auch aus dem Sinn. Allerdings war mir damals noch nicht bewusst, welch interessante Entwicklungsgeschichte sich hinter ihr verbarg. Dies herauszufinden wollte ich nun, motiviert durch meinen Haustürfund, nachholen und begann, zu recherchieren.
Alles, nur nicht „Opas Fototasche“
Die ersten Ideen zur Entwicklung der „Pocket“ genannten Kameramodelle entstammten den Ergebnissen von Marktforschungsstudien, die die Firma Agfa in den ausgehenden 1960er-Jahren durchführte, einer Zeit also, in der besonders von der Jugend alle geltenden gesellschaftlichen Konventionen und Traditionen hinterfragt und in Zweifel gezogen wurden. Auch die Fotografie als besondere künstlerische Ausdrucksform der Alltagskultur blieb hiervon nicht ausgenommen. Danach äußerten die Befragten den Wunsch, mit allem aus Ihrer Sicht fotografisch Altem und Überkommenem brechen zu wollen, was bis dato ihre Wahrnehmung in diesem Bereich geprägt hatte. Dies hieß vor allem: weg mit „Opas Fototasche“ und her mit neuen Kameramodellen, die zwar nicht technisch hochwertig sein, jedoch eine zumindest professionelle Anmutung haben mussten. Dies bedeutete damals einerseits ein Verzicht auf klobige, zumeist in glänzendem Braun gehaltene und passend zu bestimmten Modellreihen (z. B. Agfa Isolette) gefertigte Kamerataschen und andererseits die Produktion von Kameragehäusen in schwarzem Finish als damaliges Synonym für „professionell“.
Die Herausforderung für die Kamerakonstrukteure jener Zeit bestand also darin, Modelle zu entwickeln, die problemlos in die „Hosentasche“ passten und so „Opas Fototasche“ vergessen machten. Pionier auf diesem Weg war 1972 die Firma Kodak mit der Markteinführung der „Pocket Instamatic-Reihe“ nebst passendem Film im 110er Format, der Negative in der Größe 13 x 17 mm lieferte. Zwar boten einige Hersteller wie etwa Rollei zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa einem Jahrzehnt handliche Kleinbildkameras als Vorläufer der späteren „Pocket“ an. Jedoch konnten sich diese aufgrund unterschiedlicher technischer Probleme nicht marktbedeutend durchsetzen. Erst die Filminnovation von Kodak verhalf der Pocketkamera zu ihrem Durchbruch als Massenphänomen und ließ sie in den 1970er und 1980er Jahren zu einer Art „Kugelschreiber“ der Fotografie werden. Denn dieser Kameratypus war einfach jederzeit überall anzutreffen und von nahezu jedem, an der Fotografie interessierten Menschen ohne jegliche Vorkenntnisse sofort intuitiv einsetzbar. So hatte sehr bald jede große Kameramarke mindestens eine dieser Kameras im Angebot. Jedoch nicht die von Kodak angebotenen, sondern diejenigen Modelle der Firma Agfa aus dem „Agfamatic“-Programm gerieten zu stilbildenden Ikonen für die Kameragattung „Pocket“ überhaupt („Agfapocket“) und schafften es schnell an die Spitze einschlägiger Verkaufsstatistiken.
Zwischen 1974 (Agfamatic 2000 Pocket) und 1978 (Agfamatic Motor) betrieb Agfa eine intensive Modellpflege und platzierte in kurzen Zeitabständen zahlreiche neue Kameravarianten im Markt. Dabei wurden einzelne technische Features immer wieder verändert und verfeinert. Einige Eigenarten, die den ganz speziellen Charme der „Pocket“ ausmachten und auch von anderen Marken übernommen wurden, blieben jedoch konstituierend erhalten. Unter ihnen sticht besonders der etwas eigentümliche Mechanismus des Filmtransports hervor. Dieser ging in der Weise vonstatten, dass vor jeder Aufnahme zunächst ein Schieber an der Unterseite der Kamera bewegt werden musste, was deren Gehäuse aufspringen ließ sowie Sucher und Objektiv frei gab – die Kamera war aufnahmebereit! Nach Betätigen des Auslösers wurde die Kamera zusammengeschoben, wodurch der Verschluss gespannt und der Film ein Belichtungsfenster weiter transportiert wurde. Diese Aktion verursachte ein „Ritsch-Ratsch-Geräusch“, welches ich noch heute aus der Kindheit erinnere. Es geriet zu einer Art auditiver Visitenkarte der „Pocket“ und war so charakteristisch für sie, dass die Bezeichnung „Ritsch-Ratsch“ als Synonym für den Kameratypus schlechthin in den Sprachgebrauch einging – vergleichbar mit dem Begriff „Tempo“ für Papiertaschentuch.
Weiterhin verblieb die rein technische Ausstattung der Agfamatic-Reihe über sämtliche Modelle auf einem recht spartanischen Niveau, da es angesichts des Leitmotivs, die Kamera möglichst kompakt und handlich zu halten (Prinzip „Hosentasche“), vor allem darauf ankam, Bedienelemente einzusparen und die...
| Erscheint lt. Verlag | 2.7.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Fotokunst |
| Sachbuch/Ratgeber ► Freizeit / Hobby ► Fotografieren / Filmen | |
| Schlagworte | Analoge Fotografie • Entschleunigung • Fotografie • Kameratechnik • Nachhaltigkeit |
| ISBN-10 | 3-8192-0342-7 / 3819203427 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-0342-8 / 9783819203428 |
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