Das Glühen im Dunkeln (eBook)
260 Seiten
Milena Verlag
9783903460423 (ISBN)
Christian Fuchs Geb. in Graz, lebt und arbeitet als Journalist, Musiker und Autor in Wien. In den Büchern 'Kino Killer' und 'Bad Blood' widmete er sich schon früh dem True-Crime-Film-Boom. Den Radiosender FM4 versorgt Fuchs seit dessen Gründung mit Film- und Pop-Beiträgen, sowohl on-air, online als auch Teil des FM4 Filmpodcasts. Nach erfolgreichen Indie-Bands wie Fetish 69 und Bunny Lake wurde Christian Fuchs mit der Wienerlied-Rock'n'Roll-Formation Die Buben im Pelz vom deutschen Feuilleton gefeiert. Daneben betreibt er noch das cinematische Bandprojekt Black Palms Orchestra.
In der Kirche von Christopher Nolan: Eventkino mit Hirn und Herz
Zeichnungen:
The Prestige
The Dark Knight (Batman/Joker Heath Ledger)
Inception
Oppenheimer
Magische Triebtäter: THE PRESTIGE ist eine faszinierende Studie menschlicher Obsessionen
2007
Ich kenne fast nur Menschen, die ihre Obsessionen den Zwängen des Lebens opfern. Die einen machen das bereits in ihrer Jugend, wenn der Studierstress gnadenlos zuschlägt oder ein Job plötzlich keine Luft mehr zum Atmen lässt. Manchmal reicht auch nur ein dominanter Partner, der es nicht duldet, dass sein Gegenüber von Plattenaufnahmen, Filmplänen, Buchprojekten oder Ähnlichem träumt. Andere verabschieden sich spätestens mit der Geburt eines Kindes von ihren Passionen. Das ist natürlich völlig legitim und zeugt noch dazu von einem großen Verantwortungsgefühl. Wenn ich wirklich ehrlich bin, bewundere ich aber ganz andere Charaktere. Es sind die ungebrochen Besessenen, die bis ins hohe Alter den eigenen Leidenschaften nachjagen, denen meine Ehrfurcht gilt.
Denn der Preis für solche Getriebenheit ist nicht gering. Weit abseits romantischer Bohémien-Klischees warten Spott und soziale Ächtung auf die meisten obsessiven Menschen. Selbst wenn sich ideelle Pläne und finanzielle Zwänge bestens vereinbaren lassen, droht ein einsamer Tod in Verbitterung. Neben der Weltliteratur verneigt sich vor allem das Kino seit jeher vor solchen fiebrigen Figuren, die für ihr hochgestecktes Ziel alles aufs Spiel setzen. Und ich schätze etliche der diesbezüglichen Streifen, egal ob sie von fiktiven Künstlern und Mad Scientists handeln oder von realen Ehrgeizlingen wie Howard Hughes.
Deshalb bin ich auch THE PRESTIGE verfallen, dem neuen Streifen von MEMENTO- und BATMAN BEGINS-Regisseur Christopher Nolan. Entgegen jeder Vernunft liefern sich darin zwei Varieté-Zauberer im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen beinharten Konkurrenzkampf um das unschlagbarste Kunststück. Dabei schrecken Robert Angier (Hugh Jackman) und Alfred Borden (Christian Bale) auch vor hinterlistiger Erpressung und mörderischer Sabotage nicht zurück. Nolan, der nicht nur für verschachtelte Erzählstrukturen bekannt ist, sondern auch für eine Affinität zu psychologischen Abgründen, zeigt sämtliche Schattenseiten dieses Duells. Herzensmenschen bleiben auf der Strecke, Kollaborateure werden betrogen, Affären scheitern, Fanatismus mutiert zum Wahn. Und trotzdem: Die Faszination der Magie überstrahlt alles.
Der Titel des Films, der nach einem Roman von Christopher Priest entstand, bezieht sich übrigens auf den perfekten Zaubertrick. Ebenjener, so erzählt der »Ingenieur« Cutter (Michael Caine) am Anfang, besteht aus drei Akten. Der erste Teil, das »Versprechen«, zeigt etwas vermeintlich Gewöhnliches, die »Wendung« präsentiert alles dann in einem anderen Licht. Der dritte Akt schließlich, »Prestige« genannt, ist der Part, bei dem Leben auf dem Spiel stehen und der Zuschauer etwas Schockierendes sieht. Christopher Nolan, der seinen Historienthriller ebenfalls wie einen Zaubertrick aufgebaut hat, voller Geheimnisse, Irreführungen und Drehungen, scheitert ausgerechnet bei diesem Finale. Halbwegs findige Zuseher werden zumindest einen Teil des Twists schon lange vorher ahnen.
Aber das macht überhaupt nichts. Denn in THE PRESTIGE geht es eben um viel mehr als nur um spannendes Rätselraten. Schon alleine die Bilder sind den Besuch des Films wert, die einerseits eine düstere Eleganz vermitteln, auf der anderen Seite mit einem ungewöhnlichen Handkamera-Realismus bestechen. Völlig überzeugend wirkt auch die Besetzung, aus der neben Jackman, Bale und Scarlett Johansson als charismatischer Assistentin vor allem David Bowie in einer großartigen Nebenrolle herausragt.
Wie gesagt, dieser Streifen ist eine Liebeserklärung an Männer, die von vielen wohl als gefühlskalte Egozentriker abgetan werden. Wenn aber einer der beiden Zauberer in einem Schlussmonolog sentimental von der Macht der Wunder schwärmt, dann verwandelt sich »The Prestige« endgültig in ein Plädoyer für das unnachgiebige Verfolgen von irrationalen Lebensträumen. Und er wird auch zu einer Huldigung an die größte Illusionsmaschinerie überhaupt – das Kino selbst.
Die Königsklasse: Reflexionen zu THE DARK KNIGHT
2008
Es geht hier zunächst nicht um Kunst. Wir reden hier von einer Art von Film, bei der das Budget wohl einen kleinen Staat sanieren könnte und dessen Misserfolg einen Konzern gefährden kann, bei dem jede künstlerische Entscheidung in hunderten Marketingsitzungen hinterfragt wird und wo jeder einzelne Satz im Drehbuch von unzähligen Männern in grauen Anzügen abgesegnet werden muss. Ein Film wie THE DARK KNIGHT ist eine gigantische wirtschaftliche Unternehmung in einem Ausmaß, das die meisten gar nicht begreifen können, und hat mit Kino, wie es beispielsweise auf der Viennale läuft, nur ganz am Rande zu tun.
Und dennoch, genau auf solchen Cineasten-Festivals machte sich Christopher Nolan mit THE FOLLOWING und MEMENTO einst einen Namen. Und dass es dem Regisseur und Co-Autor, der sich das Drehbuch mit seinem Bruder Jonathan teilt, gelungen ist, seinen Hang zu undurchschaubaren Charakteren und verwickelten Plots, seine Intelligenz und seine komplexe Weltsicht in das neue Batman-Abenteuer zu retten, in den beinahe 200 Millionen Dollar teuren Teil einer Blockbuster-Franchise, all das macht THE DARK KNIGHT erst richtig bemerkenswert.
Ich habe das schon oft kundgetan, kann es mir aber erneut nicht verkneifen: Natürlich sind es die vielen kaum bekannten oder einfach nur einer elitären Minderheit vertrauten Künstlerinnen und Künstler, die mit ihren Experimenten und radikalen Brüchen immer wieder das Kino oder die Musik vorantreiben. Aber die tatsächlichen großen popkulturellen Veränderungen kommen von ebensolchen Visionären, die es aus den hermetischen Nischen raustreibt auf das aalglatte Parkett der Mehrheitstauglichkeit und des breiteren Geschmacks. Weniger den rauen Pionieren Mudhoney verdankte sich die Grunge-Revolution, sondern Nirvana und ihren Melodien, die auch in Kinderzimmern funktionierten. Ein Bestseller-Autor wie Michel Houellebecq dringt mit seinen Büchern auch in Bereiche ein, die sich dem akademisch angehauchten Existentialismus generell versperren. TV-Serien wie »Six Feet Under« gelingt die Balance zwischen Qualität und Quote auf atemberaubende Weise.
Die Schwierigkeiten, die sich für einen ernsthaften Künstler ergeben, wenn er sich in das Haifischbecken des Kommerz begibt, sind enorm. Einerseits ist die Möglichkeit, zuerst mit einem Erfolg den guten Ruf und dann mit einem Flop die Existenz zu verlieren, immer nur einen Hauch entfernt. Auf der anderen Seite wimmelt es vor miserablen Vorbildern, die den einfachsten Weg gehen und damit die ganz große Kohle einfahren. Gelingt die diffizile Gratwanderung aber, wie bei Stanley Kubrick, James Cameron, Martin Scorsese, Kathryn Bigelow oder David Fincher, um nur einige blitzgescheite Leinwand-Populisten zu nennen, dann ist das für mich die Königsklasse des Kinos.
Christopher Nolan gehört hier schon länger dazu, mit THE DARK KNIGHT hat er nun, so melodramatisch das klingen mag, tatsächlich Geschichte geschrieben. Ein kassensprengendes Comic-Action-Spektakel, in dem um nichts weniger ernsthaft und erwachsen als etwa bei Ingmar Bergman Moral und Ethik und Gut und Böse diskutiert werden, das muss ihm erst mal wer nachmachen.
Wer einen kleinen Film dreht, hat Christopher Nolan unlängst sinngemäß gesagt, darf und soll sich nur um seine ganz eigene Agenda kümmern. Wer aber einen Blockbuster für einen Gutteil der Weltbevölkerung plant, hat auch eine gewisse Verantwortung auf seinen Schultern ruhen. Wer Nolan als Regisseur besser kennt, weiß, dass er mit solchen Aussagen nicht in eine Kerbe mit dem Gros des europäischen Bildungsbürgerkinos schlägt. Der gebürtige Londoner macht glücklicherweise keine Filme, die fein abgeschmeckte liberale Botschaften verbreiten, und weder seine Storys noch die Figuren müssen politisch korrekten Idealen genügen.
Was der Brite trotzdem mit Verantwortung meinte: Blockbuster-Epen rund um Superhelden wie Batman, Spider-Man oder die X-Men stellen das moderne Pendant zu den Märchen und Sagen der Vergangenheit dar. Aus diesen Filmen speisen sich die zentralen Mythologien unserer Tage, die etliche Generationen prägen. Wenn beispielsweise einer wie Michael Bay das ungeheure Potential dieses Massenkinos in herzlosen und hirntoten Streifen verschenkt, die sich mit einem bloßen Action-Formalismus begnügen, dann beraubt er damit Millionen Menschen um ein Stück ihrer Fantasie.
Betrachtet man THE DARK KNIGHT dagegen in diesem Kontext moderner Mythologien, dann gehört Christopher Nolan zu den wichtigsten Erzählern zeitgenössischer Märchen und Sagen überhaupt. Denn wie bei den Gebrüdern Grimm oder auch bei Homer geht es neben dem Thrill, der Spannung, der Dramatik vor allem um eines: um Ethik und Moral. Letztere, erklärt der Joker in einem seiner vielen formidablen Monologe in diesem Film, sei ein bloßes Konstrukt, eine Schimäre, eine philosophische Fleißaufgabe. Warum nicht einfach ohne Grund und völlig sinnentleert ein Krankenhaus in die Luft sprengen? Warum nicht einfach töten ohne monetäre Gründe, denen gewöhnliche Verbrecher nachjagen? Warum, wenn es keinen Gott gibt und man der irdischen Strafe entkommt, nicht einfach blindwütiges...
| Erscheint lt. Verlag | 6.11.2024 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik |
| Schlagworte | Film • Kino |
| ISBN-13 | 9783903460423 / 9783903460423 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich