Paris im Aufruhr (eBook)
495 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-78446-3 (ISBN)
1870/71 ist Paris im Aufruhr. Während auf den Straßen der Hauptstadt die Monarchie ihren Geist aushaucht, die Kommune blutig niedergeschlagen wird und sich eine bürgerliche Regierung etabliert, sitzt die junge Berthe Morisot dem Maler Édouard Manet Modell und findet nach und nach zu ihrem eigenen, unverwechselbaren Malstil. Zusammen mit ihren Familien sind die beiden einige der wenigen impressionistischen Künstler, die während des Schreckensjahres in Paris bleiben. Inmitten von Chaos und Ruin suchen sie nach einer neuen Art der malerischen Wahrnehmung in Opposition zu traditionellen Techniken und Themen. Verband beide eine Liebesbeziehung? Immerhin war Manet verheiratet. Hat Morisot versucht, die unkonventionelle Freundschaft zu retten, indem sie (später) Manets Bruder Eugène heiratete?
Brillant recherchiert, mit scharfem Blick fürs Detail und literarischem Gefühl für Charaktere und Situationen schreibt Sebastian Smee über Künstler, die sich dem Neuen verpflichtet hatten: neuen politischen Kräfteverhältnissen; einer neuen Art zu leben und zu fühlen; und einer neuen Art zu sehen - und zu malen.
Sebastian Smee, in Australien geboren und aufgewachsen, ist Kunstkritiker bei der <em>Washington Post</em> und lehrt non-fiction writing am Wellesley College, Massachusetts. Pulitzer-Preisträger 2011.
Hinweis des Autors
Dieses Buch handelt davon, wie sich vor dem Hintergrund von zwei militärischen und politischen Katastrophen, die Paris innerhalb eines Jahres trafen, eine Liebesgeschichte zwischen zwei großen Künstlern entspann und die impressionistische Bewegung entstand. Die Geschichte kreist um die Ereignisse von 1870/71, die Victor Hugo als »das schreckliche Jahr« bezeichnet hat: um den Deutsch-Französischen Krieg und die Pariser Kommune. Meine Darstellung beruht auf der Überzeugung, dass wir den Impressionismus nur richtig einordnen können, wenn wir die Auswirkungen dieser turbulenten Zeit auf die führenden Mitglieder der Bewegung verstehen.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Erlebnisse von Berthe Morisot und Édouard Manet. Unter all den Malern, die Zeugen der Ereignisse von 1870/71 wurden, hatten nur Manet, Morisot und Edgard Degas das Pech, während des langen Winters der deutschen Belagerung in Paris gefangen zu sein. (Die übrigen Mitglieder der Gruppe, die den Impressionismus begründeten, verbrachten diese Zeit in anderen Landesteilen oder in London.) Bedeutsam ist jedoch nicht nur, dass diese Maler in Paris blieben. Manet und Morisot wurden auch persönlich in die politischen Wirren jener Zeit hineingezogen, was nicht zuletzt daran lag, dass sie enge Beziehungen zu einigen der wichtigsten politischen Akteure unterhielten.
Studenten der Kunstgeschichte wissen, dass Manets Beispiel andere Impressionisten inspirierte: Monet, Renoir, Pissarro, Sisley, Bazille, Morisot und Cézanne schauten sich allesamt etwas von seiner Pinselführung, seiner Behandlung des Lichts und seiner Themenwahl ab. Und sie wurden von seiner einnehmenden Persönlichkeit und seinen politischen Überzeugungen beeinflusst. Manet war ein glühender Anhänger der Republik. Er verabscheute den Autoritarismus und insbesondere das Regime Napoleons III., der sich nach dem Staatsstreich von 1851 zum Kaiser hatte krönen lassen. Manet machte keinen Hehl aus seinen Überzeugungen, und zwar nicht nur als Bürger, sondern auch als Künstler. Die meisten von denen, die Manet bewunderten oder seinem Kreis angehörten, teilten seine politische Einstellung, und jene, die ihn ablehnten, waren auch Gegner der Republik.
Weniger bekannt ist, dass Berthe Morisot eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Impressionismus spielte. Liebhaber dieser Stilrichtung wissen, dass Morisot zwischen 1874 und 1886 an sieben der acht impressionistischen Ausstellungen teilnahm und dass sie die einzige Frau war, die von Anfang an einen zentralen Platz in der Bewegung einnahm. Aber Morisot war auch ein Beispiel und in mancher Hinsicht eine Vorreiterin der großen impressionistischen Befreiung.
Manets Freund Charles Baudelaire, ein Prophet der modernen Kunst, hatte die Maler aufgefordert, in ihren Bildern den »Heroismus des modernen Lebens« einzufangen. Aber im »schrecklichen Jahr« änderte sich die Vorstellung vom Heroismus zwangsläufig, und Morisots Reaktion auf die Wirren jener Zeit ist ungemein aufschlussreich. Dass sie Frauen, Mädchen und Innenansichten malte, war nicht (wie oft behauptet wird) einfach darauf zurückzuführen, dass sie sich als Frau nicht so frei in Paris und seiner Umgebung bewegen konnte wie die anderen impressionistischen Maler. Sie entschied sich bewusst für diese Themen. Als sie in der Zeit nach dem »schrecklichen Jahr« künstlerisch reifte, entwickelte sie einen Stil, der eine klare Reaktion auf ihre Erfahrungen in jener Zeit war. Sie malte nicht nur das fließende und flüchtige Licht, sondern auch die grundlegende Fragilität des Lebens an sich, wobei sie sich auf Frauen und Kinder konzentrierte. Einige Merkmale des impressionistischen Stils entwickelte sie weiter als jeder ihrer Zeitgenossen und gelangte so zu einer radikal »unvollständigen« und gebrochenen bildlichen Darstellung. In ihren Bildern tritt das Interesse an dem zutage, was der amerikanische Literaturwissenschaftler Robert D. Richardson als »die Werkstattphase, das Geburtsstadium der Kunst« bezeichnet hat, im Gegensatz zum »Museumsmoment, der Phase der Einbalsamierung«. Es ist unübersehbar, dass sich ihr besonderes Gespür nicht nur für Freude und Anmut, sondern auch für die Vergänglichkeit, die Augenblicken des Übergangs innewohnt, auf Manets Malerei in den siebziger Jahren auswirkte (obwohl die Beziehung zwischen den beiden zu jener Zeit derart eng war und sie ihre Arbeit gegenseitig so aufmerksam beobachteten, dass man unmöglich genau bestimmen kann, wer wen beeinflusste).
Jene Freunde Manets, die sowohl Maler als auch Republikaner waren, hatten eine Vorstellung davon, wie Frankreich ohne ein autokratisches Regime und mit republikanischen Freiheiten aussehen könnte. Sie waren mit Anhängern der Republik verbunden, die verschiedene ideologische Überzeugungen und praktische Reformwünsche hatten, aber besonders am Herzen lag ihnen natürlich die Freiheit der Kunst. Unter anderem wünschten sie sich die Zerschlagung der staatlichen Kunstbürokratie und einen radikalen Umbau des vom Regime Napoleons III. beaufsichtigten Systems von Ausbildung, Patronage und Rezeption (vor allem wollten sie den jährlichen Salon reformieren). Um die Leistungen Manets und der Impressionisten verstehen zu können, müssen wir daher nachzeichnen, wie sich die militärische und gesellschaftliche Katastrophe von 1870/71 auf die politischen Hoffnungen und Überzeugungen dieser Künstler auswirkte.
Die Ereignisse jenes Jahres wirkten auf Manet und Morisot demoralisierend und beängstigend. »Nach der Belagerung bin ich von meinen Mitmenschen und sogar meinen besten Freunden angewidert«, schrieb Morisot Anfang des Jahres 1871. »Selbstsucht, Gleichgültigkeit, Vorurteil – das ist, was man fast überall sieht.« Als in seinem geliebten Paris der Aufstand der Kommunarden ausbrach, reagierte Manet ähnlich desillusioniert. In seinen Augen hatte sich gezeigt, dass die Menschen im Grunde selbstsüchtig handelten. Niemand sei wirklich prinzipientreu und engagiert; es gebe keine »großen Bürger«, keine echten Republikaner, sondern nur machthungrige Menschen, die eine erbärmliche Nostalgie für die nach der Revolution von 1789 errichtete Kommune hegten, die während der Terrorherrschaft zu einem grotesken Zerrbild ihrer eigenen Ideale verkommen sei. Diese Leute hätten die Idee einer wirklichen Republik aufs Spiel gesetzt. Nach der brutalen Niederschlagung der Kommune, die Manet mit Entsetzen verfolgte, war er verzweifelt. »Wie werden wir uns von alldem erholen?«, fragte er sich. Jedermann suche die Schuld bei anderen, aber die Wahrheit sei, dass alle für die Katastrophe verantwortlich seien.
Die Frage Wie werden wir uns von alldem erholen? führte zu einer weiteren: Wie sollen wir als Künstler reagieren?
In diesem Buch versuche ich nachzuzeichnen, wie die politische Klarheit in den Jahren 1870/71 ihre »Unschuld« verlor. Die Ereignisse in dieser Zeit weckten bei allen, die sie miterlebten, ein tiefes Gefühl der Ungewissheit. Das ganze 19. Jahrhundert war für Frankreich eine einzige Übung in politischer Instabilität, aber viele, die das »schreckliche Jahr« erlebten, wurden von einer neuartigen, tiefer gehenden existentiellen Unsicherheit erfasst, und es liegt nahe, in der impressionistischen Konzentration auf das flüchtige Licht, den unablässigen Wandel der Jahreszeiten, Augenblicke des Lebens auf den Straßen und vergängliche Alltagsszenen einen Ausdruck dieses ausgeprägten Bewusstseins von Veränderlichkeit und Sterblichkeit zu sehen.
Eines der auffälligsten Merkmale der impressionistischen Malerei der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts ist die Weigerung, das »schreckliche Jahr« auf die Leinwand zu bringen. Obwohl Manet, Morisot und Degas während der Belagerung in Paris blieben, standen alle drei in dieser Zeit unter zu großem Leidensdruck, um zu Pinseln und Farben zu greifen. Die übrigen Mitglieder der Gruppe hielten sich außerhalb von Paris auf und wollten nicht malen, was sie nicht selbst erlebt hatten. Aber als sie heimkehrten, waren von großen Teilen des Stadtzentrums nur noch ausgebrannte Ruinen übrig. Die Tatsache, dass die Trümmer oder andere Manifestationen der jüngsten Gewaltexzesse in den Bildern der Impressionisten praktisch nicht auftauchten, muss erklärt werden. ...
| Erscheint lt. Verlag | 14.10.2025 |
|---|---|
| Übersetzer | Stephan Gebauer |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Paris in ruins. Love, War, and the Birth of Impressionism |
| Themenwelt | Kunst / Musik / Theater |
| Schlagworte | aktuelles Buch • Anekdoten • anekdotisch • Belagerung von Paris • Berthe Morisot • Bücher Neuerscheinung • Bürgerkrieg • Camille Pissarro • Claude Monet • Deutsch-französischer Krieg • Edgar Degas • Édouard Manet • Franco-Prussian War • Frankreich • Frédéric Bazille • Île-de-France • Impressionismus • Kulturgeschichte • Kunstgeschichte • Kunst und Rivalität • Liebesgeschichte • Neuerscheinung 2025 • neues Buch • Paris (City) • Pariser Kommune • Paris in ruins. Love War and the Birth of Impressionism deutsch • Paris (Region) • Pierre-August Renoir • Politik Und Geschichte • Pulitzer-Preis 2011 • Pulitzer-Preisträger • Spannendes Sachbuch • Westeuropa |
| ISBN-10 | 3-458-78446-2 / 3458784462 |
| ISBN-13 | 978-3-458-78446-3 / 9783458784463 |
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