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Das Buch und die vier Ecken der Welt

Von der Hülle der Thorarolle zum Deckel des Evangeliencodex

(Autor)

Buch | Hardcover
356 Seiten
2011
Reichert, L (Verlag)
978-3-89500-709-5 (ISBN)
CHF 137,20 inkl. MwSt
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Ein englisches Sprichwort warnt: »Don’t judge a book by its cover.« Auf den Einband richten sich noch vor dem Öffnen die Blicke der Leser, die sich seinem Eindruck nur schwer entziehen. Ausgehend von der berühmtesten Bücherhülle der Spätantike, die die Langobardenkönigin Theodelinda um 600 der Basilika San Giovanni in Monza stiftete, gelingt es dem Autor, die Voraussetzungen der Entstehung des spätantiken Prachteinbands in der christlichen Auseinandersetzung mit der Verwahrung der heiligen Schriften im Judentum zu bestimmen.
Ausgangspunkt der Arbeit ist eine genaue ikonographische Analyse der als Gammadiae bezeichneten, winkelförmigen Motive in den vier Ecken der Buchdeckel, die die Langobardenkönigin Theodelinda um 600 an die Basilika San Giovanni in Monza stiftete. Anhand dieses Motivs wird der Prozess rekonstruiert, der in der frühchristlichen Kunst den Buchdeckel zum Spiegel des Buchinhalts werden ließ und den Vierevangeliencodex als ein Abbild der Welt inszenierte. Besondere Berücksichtigung findet dabei das Verhältnis von jüdischer und christlicher Buchverwahrung. Es entwickelte sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Buchformen, Rolle und Codex, die in den beiden Religionen zur Aufzeichnung der heiligen Schriften präferiert wurden. Der Weg des Codex von einer in der klassischen Antike als minderwertig angesehenen Buchform zum Repräsentationsobjekt im spätantiken Christentum wird anhand bildlicher Darstellungen der biblischen Bücher nachgezeichnet. Erscheinen diese im jüdischen Kontext in der Regel in der Form von Rollen im Thoraschrank an einem festen Ort innerhalb der Synagoge, versetzt sie das Christentum in Mobilität. Biblische Schriften werden als Rollen in einem Tragebehälter, der Capsa, zu Füßen des lehrenden Christus gezeigt, der selbst einen geöffneten, später auch geschlossenen Codex als Zeugnis seines Evangeliums in Händen hält. Parallelen im liturgischen Zeremoniell, insbesondere der im Rahmen der Taufe vollzogene Ritus der Expositio Evangeliorum, erklären die Entwicklung der Repräsentation des Evangeliums von einem zunächst stets geöffnet präsentierten Buch zum geschlossenen Codex. Dessen Buchdeckel konnte zunehmend die Funktion der Türen des Thoraschranks übernehmen. Die kosmologische Deutung der damit gleichgesetzten Bundeslade wurde auf den christlichen Buchdeckel übertragen, der sich als ein Medium etablierte, das zwischen Offen und Geschlossen, zwischen Bild und Wort vermittelt und gleichermaßen die Welt wie die heilige Schrift repräsentiert. Wie prägend dieses ikonographische Konzept für das abendländische Schriftverständnis wurde, zeigt der Epilog der Arbeit, der eine Brücke vom spätantiken Buchdeckel bis zu der von Dominique Perrault entworfenen Architektur der neuen Nationalbibliothek in Paris schlägt. Die Untersuchung erweist sich damit als fundamentaler Beitrag zur Debatte um die "Lesbarkeit der Welt", eine Debatte, die angesichts des Entstehens allumfassender digitaler Bibliotheken gerade in Bezug auf die materielle Form des Buches höchste Aktualität besitzt.

Thomas Rainer geb. 1973, Studium der Kunstgeschichte, Alten Geschichte und Geschichte in Innsbruck und Freiburg im Breisgau, Promotion 2008. Von 1998 bis 2001 Studienaufenthalt an der Bibliothèque nationale de France in Paris. Ab 2002 Tätigkeit als Kulturpublizist und Ausstellungskurator in München, zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bayerischen Schlösserverwaltung. Lehraufträge an der Universität Innsbruck und an der Fachhochschule Kufstein. Publikationen zur spätantiken und mittelalterlichen Kunst, der Sozialgeschichte des mittelalterlichen Künstlers, dem Verhältnis jüdischer und christlicher Kunst sowie dem Kulturtransfer zwischen Asien und Europa. Arbeitet zurzeit an einer Mediengeschichte des codexförmigen Buches.

Erscheint lt. Verlag 11.4.2011
Reihe/Serie Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz
Verlagsort Wiesbaden
Sprache deutsch
Maße 225 x 315 mm
Gewicht 1510 g
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
Schlagworte Altertumswissenschaften • antiker Bücherschrank • Bibliotheksarchitektur • Bibliothèque nationale de France • Buch • Buchdeckel • Bucheinband • Buchgestaltung • Buch (Print) • Buchrolle • Bundeslade • Byzantinistik • Byzanz • Christentum • Codex • Evangelienrechtfertigung • Evangelium • Expositio Evangeliorum • Gammadia • Heilige Schrift • Ikonographie • Judentum • Kodex • Kosmosdarstellung • Kulturgeschichte • Kunstgeschichte • Mittelalter • Prachteinband • Spätantike • Tabernakel • Taufliturgie • Tempel • Tempel;Judentum;Christentum;Buchdeckel;Bucheinband;Prachteinband;Buchgestaltung;Codex;Kodex;Buchrolle;Ikonographie;Gammadia;Evangelium;Vierevangeliencodex;Thorarolle;Thoramantel;antiker Bücherschrank;Thoraschrank;Thoraschrankvorhang;Tabernakel;Bundeslade;K • Thoramantel • Thorarolle • Thoraschrank • Thoraschrankvorhang • Vierevangeliencodex
ISBN-10 3-89500-709-9 / 3895007099
ISBN-13 978-3-89500-709-5 / 9783895007095
Zustand Neuware
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