Ritter Heribert reist ins Morgenland (eBook)
168 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-6951-5001-4 (ISBN)
GELALA,
DIE HERRIN VON SCHLOSS »DONAUGLÜCK«
Auf der Freitreppe zum Schloss hatten die Handwerker eine schiefe Ebene aus gehobelten Brettern angebracht. Am unteren Ende lag ein Teppich, der einen Sessel trug. Er hing an zwei Seilen, mit denen vier kräftige Männer Teppich und Sessel zum oberen Treppenende ziehen konnten. Mit dieser Konstruktion sollte dem alten Kaiser das Treppensteigen erspart werden. Klar, es wäre auch einfacher gegangen! Die Konstruktion war tatsächlich unnötig. In einer einfachen Sänfte könnten Träger den Kaiser leicht und sicher in den Schlosssaal tragen. Doch als ein Handwerker dem Ritter und Schlossherrn Heribert diese Erfindung vorschlug, wollte der sie ausprobieren. Etwas Neues, Ungewöhnliches reizte ihn immer.
Nun sollte die Probe stattfinden. Statt des Kaisers saß Heribert auf dem Sessel. Die vier jungen Burschen zogen kräftig, fast war der Sessel schon oben, da löste sich ein Seil, der Sessel kippte. Der Ritter war jung und konnte locker abspringen, nichts war ihm geschehen. Doch der alte Kaiser wäre sicher nicht unverletzt davongekommen. Die nächste Probe gelang.
Heute sollte der Einzug ins Schloss »Donauglück« mit einem großen Fest gefeiert werden. Umbau und Renovierung waren rechtzeitig vor Winteranfang fertig geworden. Zum Fest waren die bedeutendsten Leute der Hauptstadt Wien geladen, die wichtigsten Handwerker und Kaufleute, die berühmtesten Künstler und Musiker, die Hofbeamten, dazu die in der Hauptstadt weilenden Kurfürsten und Markgrafen und sogar der Kaiser sagte einen kurzen Besuch zu. Heribert hatte den alten, kinderlosen Kaiser zum »Friedenskaiser« gemacht. Zum Dank adoptierte dieser ihn als Sohn und schenkte ihm und seiner jungen Frau Gelala zur Hochzeit das wunderbare Schloss »Donauglück«. Das war gegen Ende des Sommers gewesen. Gelala, die Schlossherrin und Ehefrau von Heribert, war zuversichtlich, dass das Fest heute Abend ein großes Ereignis werden würde, von dem morgen in Wien alle reden.
Erwartungsfroh waren die Gäste gekommen, und sie wurden nicht enttäuscht. Gelala sprach mit allen wenigstens kurz und war eine bezaubernde Gastgeberin. Ritter Heribert wurde von allen Seiten aufgefordert, seine Geschichte zu erzählen. Er konnte sich den Wünschen nicht ganz verschließen: »Meine Erlebnisse sind spannend und lehrreich und ich spreche auch gern darüber. Aber sie sind auch so umfangreich, dass ich sie nur in kleinen Stücken und im kleinen Kreis erzählen kann. Deshalb lasse ich sie im Winter von einem Hofschreiber aufschreiben. Wir haben schon angefangen, ihr könnt bald alles nachlesen. Jetzt kann ich eure Neugier nicht stillen, sondern werde sie nur durch wenige Bemerkungen weiter anheizen: Als mich meine Mutter im Frühling aus der Burg schickte, damit ich die Welt kennen lernte, ahnte ich gar nicht, wie wenig ich von dem wusste, was außerhalb der Burgmauern vorgeht, wie unerfahren und unwissend ich war. Ich musste viel lernen, oft auf sehr beschwerliche Art.
Bei einem Herbergswirt verrichtete ich schmutzige Arbeiten, weil ich nicht bezahlen konnte. Hauptmann Wackerwolf lehrte mich das Kämpfen und brachte mir nützliche Lebensweisheiten bei und wurde mein Freund. Und das ist tatsächlich am allerwichtigsten: Auf meinen Wanderungen fand ich einige Freunde fürs Leben, normale Menschen und auch andere Wesen, darunter einen klugen Bären, eine Hexe, eine Fee, sogar einen Drachen. Vorstellen darf ich euch heute zwei meiner Freunde: Den Bruder Ansgarius, der ein einfacher Priester war, als wir uns das erste Mal trafen, heute ist er Erzbischof, und den Weisen Abdullah. Der hatte ein Jahr zuvor dem Zwergenkönig Laurin geholfen, die Bergmaden zu bekämpfen. Als es mich in seinen Berg verschlug, bat mich Laurin, Abdullah in Wien aufzusuchen und zu grüßen. Das war ein großes Glück, denn ohne diesen Hinweis hätte ich niemals etwas für den Friedensschluss tun können.«
Heribert wollte sich hinsetzen, aber aus dem Saal ertönten Rufe: »Was war denn das schlimmste Erlebnis auf deiner Reise?« Er wollte nicht erzählen, wie er in letzter Notwehr einen Menschen erschlagen hatte, sondern entschied sich für etwas anderes: »Sehr schlimm war für mich der Tod meines geliebten Pferdes Baldur Bärenstark, mit dem ich im Frühjahr aus der Burg Braunenfels ausritt. Das Ross war alt, es konnte mich bergauf nicht mehr tragen und auch sonst kaum noch laufen. Als ich den kranken Drachen Malm traf, der einen Flügel gebrochen hatte, tat ich etwas, was mir mancher von euch nicht verzeihen wird: Ich opferte Baldur Bärenstark. Malm brauchte zur Genesung Fleisch, und er konnte es nicht mehr selbst besorgen, und mein altes Ross wollte sterben. Malm tötete es mit einem Biss und wurde nach der Mahlzeit schnell gesund. Ich weinte lange.« Danach war es eine Weile sehr still im Saal.
In die Stille hinein hörte man plötzlich den Ruf: »Der Kaiser kommt!« Alle stürzten hinaus, um zu sehen, wie er den Aufzug besteigt. Der Kaiser kam mit einem kleinen Gefolge, und er spielte mit und lachte fröhlich. Mit dem Aufzug wurde er sicher nach oben befördert, er ließ sich zum Tisch in der Saalmitte geleiten, wo er neben Gelala Platz nahm. Die Freunde Heriberts, Ansgarius und Abdullah, flankierten die beiden. Gegenüber saßen Heribert und die drei Kurfürsten Heinrich, Roland und Rudolf.
Die Gäste wollten noch mehr von Heribert hören, wie er den Friedensschluss bewirkte. Heribert bat Ansgarius, von den entscheidenden Tagen aus seiner Sicht zu erzählen. Ansgarius stand auf: »Heribert brachte uns drei zusammen, und wir spürten gleich den unbedingten Willen zum Frieden als gemeinsames Band. Wir agierten fast wie drei Verschwörer. Der Krieg um Wien konnte nur vermieden werden, wenn es uns gelang, den Einfluss der kriegstreibenden Berater auf den Kaiser hier und dort den Sultan, der Wien belagerte und angreifen wollte, auszuschalten. Unser Kaiser war bereit, mich anzuhören, und Abdullah, der ja ein Neffe des Sultans ist, fand dessen Ohr. Wir mussten es schaffen, dass die Herrscher die wichtigste Ursache des Krieges erkannten: Überwiegend war der Krieg ein Religionskrieg: »Ich glaube das Richtige und du das Falsche, deshalb muss ich dich erschlagen«. Doch in Wahrheit haben unsere beiden Religionen einen toleranten Kern. Ich bin sicher, Gott will nicht, dass in seinem Namen Menschen erschlagen werden. Deshalb muss es möglich sein, dass unterschiedliche Religionen nebeneinander existieren. Die beiden Herrscher, und ich danke unserem Kaiser dafür unendlich, verschlossen sich diesem Gedanken in den Verhandlungen nicht. So geschah das Wunder! Im letzten Moment vor dem Ausbruch des schrecklichen Krieges konnte die Welt gerettet werden! Heute freuen wir uns alle darüber, dass sich die religiösen Fanatiker auf beiden Seiten, die den Krieg wollten, nicht durchsetzen konnten. Aber vielleicht wäre alles nicht gelungen ohne die märchenhafte Liebe zwischen Heribert und Gelala. Ich sage märchenhaft, denn Gelala ist die Tochter des Sultans Mehmet. Und im Märchen wird manchmal ein Frieden besiegelt, wenn ein Königsohn die Tochter des verfeindeten Herrschers heiratet.« Die kurzen Reden von Heribert und Ansgarius gaben genug Gesprächsstoff für Stunden. Das Fest zog sich zur Freude aller noch lange hin. Ruhig war es nicht, denn draußen lachten die jüngeren Gäste, die den Aufzug als unterhaltsame Rutschbahn nutzten.
Es wurde schon Morgen, als die letzten Gäste gingen und die Lichter erloschen. Heribert umarmte seine Liebste im neuen Schlafzimmer. »Bist du sehr erschöpft? Du warst wundervoll!« »Oh nein! Der Erfolg gibt mir Kraft. Die Menschen lieben mich, in den Gesprächen erlebe ich, wie sie meine Meinung achten. Das macht mich glücklich. Zu Hause in Istanbul wurde ich verwöhnt und hatte nur eine passive Rolle. Hier in Wien kann ich viel bewirken.« »Hast du schon Pläne?« Gelala zögerte. »Ich habe mich im Trubel des Festes mit Kurfürst Heinrich von Franken über Handelswege und Steuern unterhalten. Offenbar war er sehr angetan von meinen Ideen dazu. Er machte mir den Vorschlag, regelmäßige Gesprächsrunden zu veranstalten, zu denen die häufig in Wien anwesenden Kurfürsten und andere wichtige Leute eingeladen werden sollten. Ich hätte große Lust dazu und ich glaube, ich habe auch die Fähigkeit, solche Gespräche zu lenken und zu vermitteln.« Heribert lachte. Er liebte sie, vielleicht auch, weil sie so ganz anders war als er, sehr klug und voller Gestaltungswillen. Er würde ihr den Erfolg gönnen. »Du willst in die Politik eingreifen? Es ist bestimmt schwierig, mit den doch sehr unterschiedlichen Kurfürsten umzugehen. Dein Unterstützer Heinrich von Franken ist ruhig, aber Rudolf von Kärnten ist ein alter Meckerer und Roland von der Pfalz ein unangenehmer Kritiker. Du bist eine Frau, und dazu noch aus dem Morgenland!« »Etwas anderes ist wichtiger: Hier bin ich zu allererst die Schwiegertochter des Kaisers. Und wenn der Kaiser stirbt, wirst du sein Nachfolger und ich werde deine Kaiserin sein. Bereite dich auf deine neue Rolle vor!« »Das hieße ja, dass ich hier in Wien festsäße und niemals wieder frei reisen...
| Erscheint lt. Verlag | 20.10.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
| ISBN-10 | 3-6951-5001-7 / 3695150017 |
| ISBN-13 | 978-3-6951-5001-4 / 9783695150014 |
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