Mae ist alles andere als begeistert, als sie zu ihren Großeltern in das kleine Örtchen Tallahawney in die Südstaaten ziehen soll, um endlich Disziplin zu lernen und ihren Highschool-Abschluss nachzuholen. Doch kurz nach ihrer Ankunft geschieht Schreckliches: Mitschülerin Shirley wurde kaltblütig ermordet. Die Polizei tappt im Dunkeln. Mae beschließt, selbst Nachforschungen anzustellen, und wird dabei von dem beliebten, aber verschlossenen Nathan unterstützt. Bald wird klar, dass jeder im Dorf etwas zu verbergen hat. Mae gerät in ein gefährliches Netz aus Lügen und Intrigen, das auch die gut gehüteten Geheimnisse ihrer eigenen Familie ans Licht bringen könnte ...
Kira Licht ist in Japan und Deutschland aufgewachsen. In Japan besuchte sie eine internationale Schule, überlebte ein Erdbeben und machte ein deutsches Abitur. Danach studierte sie Biologie und Humanmedizin. Sie lebt, liebt und schreibt in Bochum, reist aber gerne um die Welt und besucht Freunde. Für News zu Büchern, Gewinnspielen und Leserunden folgen Sie der Autorin auf Instagram (kiralicht) und Facebook.
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Tallahawney
Mae
USA, Louisiana, Tallahawney
Ich konnte den Sumpf riechen.
Hinter mir gab der kleine Bus der LPT, der Louisiana Public Transportation, ein Schnaufen von sich, während ein Quietschen das Schließen seiner Tür verkündete. Ich war der einzige Fahrgast, der hier ausgestiegen war. Was mich nicht wunderte.
Tallahawney. Der verdammte Nabel der Welt. In meinem Leben war bisher eine Menge schiefgelaufen, aber das hier war definitiv der traurige Höhepunkt. Mein Blick glitt zu einem abblätternden Schild. Tallahawney – Den Süden im Herzen. Darunter war ein Alligator gemalt. Das gesamte Kunstwerk sah aus, als hätte es eine Gruppe ziemlich gelangweilter Grundschüler produziert.
Ich holte Luft, um tief zu seufzen, bereute es aber sofort. Die Luft war so feucht, dass ich sie schmecken konnte. Stumpf, herb ... und erdig. Igitt.
Laut einer sehr geschwätzigen Sitznachbarin namens Blythe wusste ich, dass es in der Gegend vier Tage lang geregnet hatte. Die Flüsse waren über die Ufer getreten, und der Honey Island Sumpf hatte sich in ein Fließgewässer verwandelt. Und all dieses Wasser im Boden schien nun in der Hitze zu verdampfen. Ich räusperte mich und ließ meinen Blick die Hauptstraße entlanggleiten. Jedes zweite Geschäft stand leer. Ich entdeckte eine Drogerie, eine Tankstelle, einen winzigen Supermarkt und ein Büro der »Pearl River Tours«. Die Kirche, ein Flachbau mit getönten Fenstern, war modern und neben dem mit Säulen geschmückten Rathaus, das einzige Gebäude, das aktiv gepflegt zu werden schien. Ein Schild im Fenster des Diners, das direkt an der Bushaltestelle lag, verriet, dass es geschlossen war.
Ich zückte mein Handy. Grandma wollte mich abholen, also wartete ich. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde.
Komm schon, Grandma. Ich habe drei Staaten per Bus durchquert und bin seit zwölf Stunden unterwegs.
Ich rief sie an, doch sie ging nicht dran. Ich schickte Nachrichten, die sie nicht las.
Super.
Die Straße war in der Hitze des Vormittags wie ausgestorben. Ein Mann passierte mich und hatte einen Käfig mit einem Opossum darin dabei. Zwei Traktoren ratterten vorbei, und der brüchige Asphalt vibrierte unter ihrem Gewicht.
Echt jetzt, Grandma? Sie hatte mich vergessen.
Mein Hals war trotz der hohen Luftfeuchtigkeit so trocken, dass mir das Schlucken schwerfiel. Irgendwo im Staat Mississippi war mir das Geld ausgegangen. Ich hatte unterschätzt, wie teuer die Verpflegung an Bord war. Ich hatte das Wasser in der winzigen Toilettenkabine des Überlandbusses probiert, es aber sofort wieder ins Waschbecken gespuckt, als ich das Chlor geschmeckt hatte. Mittlerweile hatte ich seit vier Stunden nichts getrunken. Ich hatte mir eingeredet, dass es nicht so schlimm war, dass ich bald bei meinen Großeltern sein würde, aber jetzt war mir schwindelig.
Nachdem ich erneut erfolglos Grandmas Nummer gewählt hatte, beschloss ich, dem »Mini Markt« einen Besuch abzustatten. Ich wollte nichts klauen. Ich hoffte, dass ich dort einen kostenlosen Becher Leitungswasser bekommen konnte.
Ich schulterte meine Reisetasche und überquerte die Straße.
Der Laden wirkte alt und nicht besonders einladend. Ein Standventilator am Eingang sollte wohl die Hitze abhalten. Drinnen wurde es nicht besser. Klebrige Fliegenfallen hingen in regelmäßigen Abständen die Decke hinab. Die Regale waren rostig, und der Holzboden hatte sich durch die Feuchtigkeit an einigen Stellen verzogen. Das Gemüse in den großen Körben wirkte frisch, aber die Etiketten der Konserven wellten sich bereits. Hinter der Theke mit der Kasse war niemand. Ich reckte den Hals. Mein Ex Slade würde sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und das hier war ein Notfall. Ich sah schon alles doppelt.
Trotzdem. Es hatte mir immer widerstrebt, anderen Menschen etwas wegzunehmen. Rechts von der Theke stand eine Kühlvitrine voller Getränke. Cola, Ginger Ale, Mountain Dew, Mineralwasser. Ich schluckte. Ich war so verdammt durstig. Vielleicht könnte ich jetzt eine Dose nehmen und später wiederkommen und das Geld ...
»Mae?« Ein Mädchen etwa in meinem Alter tauchte hinter der Regalreihe auf. Sie trug Jeanshotpants, ein verwaschenes weißes Shirt mit einem Einhorn darauf, eine winzige hellbraune Lederweste und einen riesigen Schlapphut in der gleichen Farbe. Ihr erdbeerblondes Haar reichte ihr fast bis zur Taille.
Mein vertrocknetes Gehirn brauchte eine Weile, bis ich sie erkannte. »Shirley, hi.«
»Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Ich hatte erst heute Nachmittag mit dir gerechnet.« Sie dehnte die Vokale, was typisch war für die Südstaaten, und ein Lachen schwang in ihrer Stimme mit. Sie kam mit langen Schritten auf mich zu, und fast rechnete ich damit, dass sie mir um den Hals fallen würde. »Wie war deine Reise? Das Essen in den Überlandbussen ist so schrecklich, oder? Ist das etwa dein gesamtes Gepäck? Und? War deine Mutter sehr emotional beim Abschied, oder ...?« Sie feuerte ihre Fragen auf mich ab, und ich war wieder etwas überfordert.
Shirley bemerkte meinen Blick und lachte. »Sorry. Ich quatsche dich voll. Wenn du hier was kaufen willst, dann leg das Geld einfach auf die Theke. Memphis ist vermutlich wieder in seinem Stuhl hinterm Laden eingeschlafen.«
Schon wieder wand ich mich. »Ich wollte eigentlich fragen, ob ich hier etwas Leitungswasser bekommen kann.«
Shirley starrte mich einen ewigen Moment an, bis sie verstand. »Mach das bloß nicht.« Sie zog ein Gesicht. »Der alte Memphis ist ein Geizhals, der wirft dich hochkant raus. Ich könnte dir was leihen, aber ich habe eine bessere Idee. Komm ...« Sie griff nach meiner Hand. »Wir gehen rüber zu Pops.«
Ich, die keine Ahnung hatte, wer oder was ein Pops war, ließ mich mitziehen.
Shirley und mich verband eine Sandkastenfreundschaft. Obwohl meine Großeltern und meine Mutter sich schon vor meiner Geburt zerstritten hatten, brachte meine Mutter mich regelmäßig in den Ferien zu ihnen. Mom setzte mich ab und fuhr dann davon, ohne ein Wort mit ihnen zu reden. Als ich elf Jahre alt war, eskalierte der Streit dann so sehr, dass auch meine Besuche eingestellt wurden. Ich hatte meine Großeltern jetzt sechs Jahre lang nicht gesehen. Zwar hatte ich vage Erinnerungen an sie, aber ich wusste nicht mal, wie genau ich zu ihrem Haus kam. Woran ich mich aber sehr deutlich erinnerte, war das Gefühl, das ich in ihrer Gegenwart empfunden hatte. Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, vieles, was mir bei meiner Mutter fehlte. Und auch an Shirley erinnerte ich mich, an unsere Freundschaft und die Dutzenden kleinen Geheimnisse, die wir geteilt hatten.
»Holt Maggy dich ab?«, riss Shirley mich aus meinen Gedanken.
»Grandma hat mich wohl vergessen. Dann laufe ich. Die fünf Meilen schaffe ich auch noch.« Wir überquerten die Straße. An dem Diner hing immer noch das »Geschlossen« Schild, doch Shirley stieß die Tür auf und marschierte in den Laden.
»Rück mal einen Sweet Tea raus, Pops, das Mädchen ist neu in der Stadt.«
Irgendwo klapperten Töpfe. Dann erschien ein knapp zwei Meter großer Afroamerikaner Mitte dreißig mit der Figur eines Linebackers in der Tür, die vermutlich zur Küche führte.
»Shirley Ann Vestby, du hast die Highschool abgeschlossen und kannst immer noch nicht lesen.« Er strich sich die weiße Schürze glatt, bevor er zu uns an die Theke kam. Er wirkte nicht unbedingt erfreut, war aber wohl zu höflich, um uns wieder rauszuwerfen.
Shirley glitt geschmeidig auf einen der Barhocker. »Ach, Pops«, schnurrte sie. »In der Highschool hatte ich Besseres zu tun.«
Besagter Pops schüttelte den Kopf, dann glitt sein Blick zu mir. »Piero Moreau, aber alle nennen mich Pops. Mir gehört das Diner.«
Ich hatte mich noch nicht gesetzt, denn was sollte ich in einem geschlossenen Diner ohne Geld. »Ich bin Mae, also Zara Mae Tolliver«, sagte ich etwas ungelenk.
»Sie ist eine Tolliver«, wiederholte Shirley und klang, als wäre das eine besondere Auszeichnung. »Jetzt gib ihr schon einen Tee. Sie muss noch fünf Meilen laufen.«
»Holt Maggy sie nicht ab?«
Wir schüttelten beide den Kopf.
Pops musterte mich, dann seufzte er. »Ich wurde angewiesen, dir einen Tee auszugeben. Nimm Platz. Pfirsich oder Minze?«
Mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich auf den Hocker neben Shirley glitt. »Pfirsich, bitte.«
»Du auch, Nervensäge?«
Shirley zog einen Schmollmund, schüttelte aber den Kopf.
Pops bückte sich und zauberte eine große Edelstahlkanne unter der Theke hervor. Im Nu stand ein durchsichtiger To-go-Becher samt Strohhalm vor mir, bis zum Rand gefüllt mit Eiswürfeln und herrlich duftendem Tee.
»Willkommen in Tallahawney.«
»Vielen Dank«, sagte ich etwas verlegen.
Shirley kaute auf einem rotweiß geringelten Strohhalm, den sie hinter der Theke hervorgeangelt hatte. »Du musst meine Freunde kennenlernen.«
»Davon...
| Erscheint lt. Verlag | 28.3.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
| Schlagworte | a good girl's guide to murder • Aktion Kulturpass • Bad Girl • Bookstagram • Booktok • Bücher ab 14 Jahren • Cold Case • ermittlungsarbeit • Erpressungen • Exklusive Farbschnitte • holly jackson • Junge Erwachsene • kulturpass • Mädchenmorde • missing person • Mord • Romantic Suspense • Spannung • strangers to lovers • Südstaaten • Sumpflandschaft • TikTok • TikTok books • YA Crime • young adult suspense |
| ISBN-10 | 3-7517-7443-2 / 3751774432 |
| ISBN-13 | 978-3-7517-7443-7 / 9783751774437 |
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