City Crime - Blutspur in Berlin (eBook)
183 Seiten
Tulipan (Verlag)
978-3-641-32897-9 (ISBN)
Andreas Schlüter, geb. 1958 in Hamburg, lernte nach dem Abitur Kaufmann, arbeitete dann mit Kinder- und Jugendgruppen, gründete 1989 das Journalistenbüro und die Fotoagentur SIGNUM. 1994 erstes Buch: 'Level 4-die Stadt der Kinder', das ein Bestseller wurde und mittlerweile schon zu den modernen Kinderbuchklassikern gehört.
Seit 1996 ausschließlich Kinder- und Jugendbuchautor, seit 2004 auch Drehbuchautor u. a. für den 'Tatort' (zusammen mit Mario Giordano). Er hat mehr als 40 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht und einige Kinderkrimipreise erhalten.
Andreas Schlüter lebt in Hamburg und auf Mallorca.
Der Radfahrer kam von hinten. Joanna bemerkte ihn nicht. Auch Finn hätte ihn übersehen, wenn er sich nicht instinktiv genau im richtigen Moment umgeschaut hätte. Das Fahrrad raste direkt auf sie zu.
»Pass auf!«, rief Finn, schubste seine ältere Schwester zur Seite und sprang selbst zur anderen. Joanna stieß gegen die Hauswand. Doch noch ehe sie sich bei ihrem Bruder wegen des rabiaten Stoßes beschweren konnte, sauste der Radfahrer an ihrer Nase vorbei. Sie zog noch schnell den Kopf ein und schützte ihn mit den Händen. Dafür bekam sie den Ellenbogen des Rüpels so heftig in die Rippen gerammt, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb.
Finn schaute dem Wahnsinnigen fassungslos hinterher. »Tickt der nicht mehr ganz richtig?«, schimpfte er und half seiner Schwester, die sich die Seite hielt und tief durchatmete.
»Mann«, stöhnte sie. »Wenn du nicht gewesen wärst, hätte der mich glatt über den Haufen gefahren!« Ihre Beine zitterten.
»Willst du dich setzen?«, fragte Finn.
Joanna schüttelte den Kopf. Auch, weil es weit und breit keine Sitzgelegenheit gab.
»Nein, schon gut«, sagte sie mit bebender Stimme. »Mann, hier in Berlin sind die Radfahrer ja gemeingefährlich! Komm, wir gehen lieber schnell hinein.«
Sie standen vor einem kleineren Seiteneingang des Reichstags, dem Sitz des Deutschen Bundestags.
Finns Schritte verlangsamten sich, als er die Schwelle betrat. Nicht, weil das Gebäude an dieser Stelle besonders imposant und majestätisch war. Im Gegenteil! Es wirkte alles wie bei einer ganz normalen Behörde. Was Finn Respekt einflößte, waren die zwei Sicherheitsleute in dem Glaskasten am Eingang. Gerne ließ er Joanna den Vortritt. Hinter ihnen wartete bereits eine ganze Schulklasse.
Ein Mann in einem dunklen Anzug zwängte sich durch die Schülertraube hindurch, hastete an Finn vorbei und hielt kurz einen Ausweis in die Höhe, den in dieser Eile sicher niemand lesen konnte. Dennoch öffnete sich die Sicherheitsglastür neben der Pförtnerloge mit einem lauten Summen und ließ den Mann passieren, sodass er sein Tempo nicht verringern musste. Einer der beiden Sicherheitsleute nickte ihm freundlich zu. Offenbar war der Mann bekannt. Erstaunlich, fand Finn. Wo doch in diesem Gebäudekomplex 1600 Leute arbeiteten. Das hatte er in einer Informationsbroschüre gelesen.
Joanna drehte sich zu ihm um. »Wo bleibst du?«
»Ich komm schon«, antwortete Finn leise.
Denn auch er und seine Schwester besaßen Ausweise, mit denen man ihnen sofort Einlass gewähren würde.
Joanna und ihr Bruder hatten sich neben einigen Tausend anderen Schülern für das erste »Bundes-Kinderparlament« beworben, das im echten Bundestag in Berlin tagen würde. Bisher hatte es nur sogenannte »Jugendparlamente« gegeben, die nichts weiter waren als Rollenspiele. Die Jugendlichen mussten konservative oder linke Politiker spielen und über bestimmte politische Themen diskutieren. Joanna und Finn fanden das total öde. Außerdem waren sie noch nicht alt genug, um mitmachen zu dürfen.
Das Kinderparlament hingegen war etwas vollkommen Neues. Alle fünfzig Teilnehmer waren in Finns und Joannas Alter: zwischen zehn und vierzehn Jahren, wobei die Hälfte aus Berlin und Brandenburg stammte. Sie waren per Losverfahren ausgewählt worden und durften, ja, sollten ihre eigenen Meinungen vertreten. Und in den vier Tagen, in denen sie im Parlament saßen, mussten sie etwas entscheiden: In der Nähe des Parlamentsgebäudes sollte eine Fläche neu bebaut werden. Es gab Baupläne für einen großen Abenteuerspielplatz und ein Gamehouse, also eine Art »Haus der Jugend« voller Computerspiele. Welches der beiden Projekte realisiert werden sollte, hatte das Kinderparlament zu entscheiden! Deshalb kamen die meisten Kinder direkt aus der Stadt oder der Umgebung, weil ein Bau vor Ort zur Abstimmung stand.
»Na, auch zum Kinderparlament?«, fragte plötzlich ein Junge, der unbemerkt hinter Finn aufgetaucht war. Offenbar hatte er Finns Ausweis erkannt, den er in der Hand hielt. Er hatte einen ebensolchen zwischen den Fingern. In der anderen Hand hielt er ein Mini-iPad, auf dem er einen Lageplan des Gebäudes sowie die Einladungs-Mail mit den Hinweisen zur Anreise geöffnet hatte.
»Hallo!«, grüßte Finn. Sein Blick aber blieb aufs iPad geheftet. »Schönes Teil! Ist es das neueste?«
»Ja, das iPad-Mini 4!«, schwärmte der Junge. »Total krasses Teil!«
»Wow!«, sagte Finn. Er wusste, dass dieses Gerät noch nicht lange auf dem Markt war, und vor allem, dass er es sich niemals hätte leisten können. »Wo hast du das denn her?«
Der Junge blickte auf, schaute Finn skeptisch an und fragte in einem Ton, als ob er Finn ein Geheimnis entlocken wollte: »Du hast keines?«
Finn schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht! Meine Eltern würden mir nie so etwas kaufen. Viel zu teuer!«
»Meine Eltern auch nicht«, sagte der Junge, was Finn erneut verblüffte.
»Du hast es selbst gekauft?«
»Sorry, ich muss jetzt rein! Wir sehen uns später«, antwortete der Junge, hielt einem der Pförtner seinen Ausweis entgegen und wurde hineingelassen.
Finn schaute dem Jungen immer noch staunend hinterher. Nicht von seinen Eltern? Woher hatte er es dann?
»Finn, wo bleibst du?«, drängelte Joanna.
»Hast du den gesehen?«, fragte Finn und erzählte seiner Schwester von seiner Begegnung mit dem Jungen.
Joanna winkte ab und durchquerte gemeinsam mit ihm die Einlasskontrolle. »Womit du dich wieder beschäftigst! Schau dich lieber mal um: Das hier ist das Königsschloss der heutigen Zeit, sozusagen!«
»Na ja.« Finn wackelte ein wenig mit dem Kopf. »Königsschloss?«
»Klar!«, beharrte Joanna. »Nur ohne König. Aber gemessen an den Königen in früherer Zeit hat die Bundeskanzlerin bestimmt mehr Macht.«
»Meinst du?«, fragte Finn. Das konnte er sich nicht vorstellen.
»Zumindest redet sie auf internationalen Kongressen über die Gesetze von Ländern mit, von denen die Könige früher nicht mal wussten, dass die überhaupt existierten«, dozierte Joanna. Sie hatte sich gut vorbereitet.
»Die Kanzlerin sitzt gar nicht hier in diesem Gebäude, sondern da hinten im Kanzleramt«, warf ein Mädchen ein, das im selben Alter wie Joanna war. Sie hatte ihre langen schwarzen Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihr einen kritischen Blick von Joanna einbrachte. Dazu trug sie eine enge dunkle Hose und eine gelbe Sommerbluse. »Ich bin Sandra!«
Joanna bemerkte, dass Sandra nur eine kleine Handtasche bei sich trug. Keinen Rucksack mit einer Wasserflasche, mitgebrachten Broten, Riegeln und einem Pullover für den Fall, dass die Räume zu sehr klimatisiert waren. Das alles befand sich in Joannas Rucksack, die sich nun ebenfalls vorstellte. »Und das ist mein kleiner Bruder Finn.«
Finn stöhnte auf. Das »kleiner« konnte Joanna sich natürlich mal wieder nicht verkneifen.
»Und?«, fragte Joanna. »Spielplatz oder Gamehouse? Wofür bist du?«
»Spielplatz!«, antwortete Sandra.
Über Joannas Gesicht zog sich ein breites Lächeln. Dann ein fordernder Blick zu Finn. »Siehst du? Nur du kannst dich mal wieder nicht entscheiden!«
»Was heißt denn hier mal wieder?«, verteidigte Finn sich. Er fand sowohl die Idee mit dem Spielplatz als auch die mit dem Gamehouse toll und fragte sich, weshalb man nicht einfach beides bauen konnte, jeweils etwas kleiner.
Joanna dagegen wollte leidenschaftlich für den Abenteuerspielplatz plädieren. Dazu hatte sie schon eine Rede geschrieben. Sie wusste über die Facebook-Seite des Kinderparlaments, dass die Meinungen ausgeglichen waren. Es würde auf jede Stimme ankommen.
»Bin gleich wieder da!«, entschuldigte sich Finn. Er hatte keine Lust, sich noch länger für seine Unentschlossenheit rechtfertigen zu müssen.
Er musste ein Stückchen gehen, bis er eine Toilette gefunden hatte. Zum Glück war sie leer. Leider nicht lange. Kaum hatte er sich ans Pissoir gestellt, tauchte ein junger Mann auf, der sich direkt vorm Pinkelbecken neben ihm aufbaute. Dabei gab es doch genügend freie, sodass er auch weiter weggehen konnte! Finn warf dem Mann einen ärgerlichen Blick zu. Der Typ glotzte zurück. Schnell wandte Finn seinen Blick ab.
Und stutzte.
Moment mal! War das nicht …? Finn glaubte den Typen wiedererkannt zu haben, der vor einer halben Stunde um ein Haar ihn und Joanna umgefahren hätte. War das möglich? Und wenn ja, war es nur ein Zufall, dass sie sich jetzt hier wieder trafen?
Finn wagte noch einen vorsichtigen Blick zum Nebenmann. Der war schon fertig.
›Ging aber schnell‹, dachte Finn. Hatte der überhaupt gepinkelt?
»Pass gut auf deine Schwester auf!«, zischte der Mann ihm plötzlich zu.
Finn zuckte zusammen und musste aufpassen, dass er nicht versehentlich danebenzielte. Hatte er sich verhört?
»Deine Schwester ist in Gefahr, wenn sie so weitermacht«, behauptete der Mann weiter. »Du solltest besser auf sie aufpassen.«
»Hä?«, fragte Finn.
Doch da war der Mann schon wieder verschwunden. Ohne sich die Hände zu waschen.
Jetzt war Finn sich sicher: Das war der Radfahrer gewesen! Und insofern hatte er ihm auch keinen gut gemeinten Rat gegeben. Das war eine Drohung gewesen!
Finn war nun fertig. Hastig wusch er sich die Hände, so flink und flüchtig, wie seine Mutter es ihm niemals hätte durchgehen lassen. Aber das spielte jetzt keine Rolle.
Er raste los, zurück zu seiner Schwester. Ein-, zweimal musste er kurz stehen...
| Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
|---|---|
| Illustrationen | Daniel Napp |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
| Schlagworte | 2024 • ab 10 • Abenteuer • action • Berlin • eBooks • Geheimnis • Kinderbuch • Kinderbücher • Kinderkrimi • Neuerscheinung • Politk • Rätsel • Reichstag • Spannung • Städtekrimi |
| ISBN-10 | 3-641-32897-7 / 3641328977 |
| ISBN-13 | 978-3-641-32897-9 / 9783641328979 |
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