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Kinder des Treibsands -  Efua Traoré

Kinder des Treibsands (eBook)

Magische Abenteuergeschichte für Kinder ab 10 Jahren

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Karibu (Verlag)
978-3-96129-416-9 (ISBN)
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Großstadtkind Simi wird in den Ferien zu ihrer Großmutter in ein abgelegenes Dorf geschickt. Wie soll sie die Sommerferien ganz ohne Handy, Internet und Fernsehen nur überstehen? Und auch ihre Großmutter ist Simi fremd, denn bis vor kurzem hatte ihre Mutter nie von ihr gesprochen.  Als Heilerin kümmert die Großmutter sich um alle Bewohner des Dorfs, doch auch von ihr erfährt Simi wenig über den Grund für die Entfremdung zwischen den Frauen. Entschlossen, dem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen, macht Simi sich auf die Suche nach Antworten. Im roten Treibsand eines verbotenen Sees beginnt ihre magische Reise ...

Efua Traoré ist eine deutsch-nigerianische Kinder- und Jugendbuchautorin. Schon während ihrer Kindheit in Nigeria schwirrten Ideen und Geschichten in ihrem Kopf herum, doch erst viel später fing sie an, diese aufzuschreiben.  Efua gewann den International Commonwealth Short Story Prize für Afrika mit ihrer Kurzgeschichte True Happiness und ein Literaturstipendium der Landeshauptstadt München für ein Jugendbuchmanuskript. Ihr Debutroman wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt und mit dem Times/Chicken-House-Prize in England und dem Zilveren Griffel in den Niederlanden ausgezeichnet. Efua schreibt ihre Geschichten und Songs in englischer und deutscher Sprache und ist auch Autorin der Bücher The House of Shells und One Chance Dance. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

3


Iyanla


Es war dunkel in dem kleinen Häuschen, dafür aber angenehm kühl. Der Boden unter Simis nackten Füßen fühlte sich fremd an, und sie stellte überrascht fest, dass er aus glatt poliertem roten Lehm war. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schummrige Licht, und sie sah sich um. Sie stand allein in einem kleinen Raum, und es gab zwei weitere Türen. Eine davon war geschlossen, die andere war offen und führte in einen winzigen Flur.

Vor einem bettähnlichen Sofa, das mit einer orangen handgewebten Decke bedeckt war, stand ein kleiner Tisch. Unter ihm lag eine Strohmatte, und auf der Tischplatte stand eine kleine Schale mit Kolanüssen für Gäste. Der Raum wirkte einfach, aber einladend. Hübsche gelbe Gardinen umrahmten das kleine Fenster. Ihre Mutter bevorzugte dunkle, eintönige Farben. Ihre Wohnung zu Hause in Lagos war in allen denkbaren Grautönen ausgestattet.

Simi setzte ihren schweren Koffer und ihre Sandalen ab und lief zaghaft in den Flur, der in den hinteren Teil des Hauses führte. Dort verbreiterte er sich zu einem Raum, der offensichtlich als Lagerraum diente. Ein hohes, mit Lebensmitteln gefülltes Regal nahm eine Seite des Raums ein. Auf dem Boden vor dem Regal lagen eine große Staude Kochbananen, ein Reissack und ein großer Kanister Palmöl. Lange Yamswurzeln waren ordentlich zu einem Haufen gestapelt. Die andere Seite des Lagerraums war aber der interessantere Teil. Hunderte kleine Tontöpfe, bunte Fläschchen, birnenförmige Phiolen und winzige Päckchen aus braunem Papier und getrockneten Blättern reihten sich in einem hohen Regal aneinander.

»Wieso habe ich das Gefühl, dass du unwissend hierhergeschickt wurdest?«

Simi wirbelte herum. Sie hatte ihre Großmutter nicht kommen hören.

»Unwissend?«, fragte sie und schluckte.

»Deine Verwirrung steht dir deutlich ins Gesicht geschrieben. So wie ich deine Mutter kenne, hast du wahrscheinlich bis vor Kurzem nicht mal gewusst, dass es mich gibt.« Ihre Großmutter hob fragend eine Augenbraue.

Simi verlagerte ihr Gewicht verlegen von einem Bein auf das andere.

»Hat sie vielleicht keine Wahl gehabt? Die Dinge wurden kompliziert, und sie sah keinen anderen Ausweg, als dich herzuschicken?«

Simi sah sie sprachlos an.

»Ist sie etwa in Schwierigkeiten?« Die dunklen Augen ihrer Großmutter bohrten sich so tief in Simi hinein, dass sie wegschauen musste.

»Woher weißt du das? Hat meine Mutter dich doch noch angerufen?«

Ihre Großmutter wedelte ungeduldig mit einer Hand im Raum herum. »Siehst du hier irgendwo ein Telefon?«

Simi spürte, wie ihre Wangen warm wurden, und biss sich auf die Lippen, die immer viel schneller als ihre Gedanken waren.

»Hat sie dir etwa nicht einmal gesagt, in welches verschlafene Dorf sie dich schickt?«

»Doch! Ja. natürlich, ich … ähm … ich hatte das nur vergessen.«

»Darf ich erfahren, weswegen sie mir ihre Tochter schickt, nachdem wir seit Jahren kein Wort gesprochen haben?«

»Also, meine Eltern haben sich getrennt … letztes Jahr … und, ähm, meine Mum muss wegen der Arbeit verreisen«, brachte Simi stotternd hervor.

Sogar jetzt, ein Jahr später, mochte sie immer noch nicht darüber reden. Die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack in ihrem Mund, und sofort fiel ihr das Gestreite wieder ein. Nichts macht dich jemals glücklich!, hatte ihr Vater zu ihrer Mutter gesagt. Du trägst Wut mit dir herum wie ein Schutzschild … Du lässt keine anderen Gefühle zu … Wenn du nicht endlich mit deiner Vergangenheit ins Reine kommst, wirst du nie glücklich werden …

War das jetzt der Versuch ihrer Mutter, mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen? Wollte sie die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter dadurch retten, dass sie ihre Tochter zu ihr schickte? Aber wenn das der Grund war, wieso war sie nicht mitgekommen?

Der Gesichtsausdruck ihrer Großmutter war schwer zu deuten.

»Ist es okay, dass ich, ähm … hergekommen bin?«

Ihre Großmutter griff ins Regal und holte eine kleine dunkelgrüne Phiole herunter.

»Was ist das für eine Arbeit, die eine Mutter von ihrem Kind trennt?«, fragte sie, ohne auf Simis Frage einzugehen.

»Sie ist Apothekerin«, antwortete Simi. »Sie hat gerade einen neuen Job in einer großen Firma angenommen, und dafür muss sie nach London zu einem Einführungskurs fliegen.«

Die Stirn ihrer Großmutter kräuselte sich. Sie sah verwirrt aus.

»Also eine Apothekerin ist jemand, der Medikamente …«, setzte Simi an.

»Ich weiß, was eine Apothekerin tut«, unterbrach ihre Großmutter sie. »Auch wenn ich hier draußen wohne, heißt das nicht, dass ich von gestern bin.«

»Entschuldigung«, sagte Simi und senkte ihren Blick.

»Ich bin nur überrascht, dass deine Mutter so eine Arbeit gewählt hat. Ich hätte nie gedacht …«

Ihre Großmutter brach ab und schüttelte gedankenverloren den Kopf.

Einen kleinen Moment lang hatte Simi das Gefühl, einen Anflug von Stolz in ihrem Gesicht zu sehen. Ihre Großmutter war selbst offensichtlich eine Art Naturheilerin, jemand, der sich mit natürlicher Medizin auskannte. Also eine Art Natur-Apothekerin.

Nun nahm sie eine kleine Stofftasche aus einem Korb in der Ecke. »Komm, wir haben heute viel zu tun«, sagte sie und marschierte nach draußen.

Der vordere Teil des Hinterhofs war überdacht. Dort standen ein großer Holztisch und zwei Stühle. In einer traditionellen Feuerstelle glühten Holzscheite. Darüber blubberte laut ein dreibeiniger eiserner Kessel auf großen rußbedeckten Steinen.

Der große Hinterhof sah sehr gepflegt und ordentlich aus. Am äußersten Ende streckte ein großer Frangipanibaum seine Äste in alle Richtungen aus und spendete Schatten. Schmetterlinge und Bienen sausten im Zickzack über einen Kräutergarten, der neben einem kleinen Steinbrunnen angelegt war. Simi roch frischen Thymian. Ihre Mutter liebte Thymian und hatte sogar welchen in ihrem winzigen Garten in Lagos angepflanzt. Simi versuchte, sich ihre Mutter als kleines Mädchen hier vorzustellen, wie sie im Garten kniete und den Duft des Thymians einatmete. Aber es klappte nicht. Sie hatte noch nie ein Foto ihrer Mutter als Kind gesehen. Simi seufzte und ließ ihren Blick schweifen. Ein kleiner Holzzaun umrandete den Garten und den Hinterhof. Dahinter verlief ein Pfad, der in die eine Richtung zum Wald führte und in die andere zurück zum Dorf.

»Bist du hungrig?«, fragte ihre Großmutter, die sich schon an den kleinen Tisch gesetzt hatte.

Simis Magen fühlte sich immer noch komisch an nach der holprigen Fahrt, also schüttelte sie den Kopf. »Kann ich das Bad benutzen?«

Ihre Großmutter machte eine Kopfbewegung in Richtung einer kleinen Blechkonstruktion in der hintersten Ecke des Hofes. Simi hatte das Blechhäuschen noch gar nicht bemerkt, weil es hinter hohem Elefantengras versteckt war.

Sie lief hinüber und öffnete eine der beiden Metalltüren. Die Tür quietschte laut, und Simi starrte in eine leere Kabine. Der Boden war mit kleinen Steinchen ausgelegt, und ein Handtuch hing an einer Wäscheleine, die oben unter der Decke befestigt war.

Das hier war die Dusche!

Hmm, na ja, was hatte sie erwartet? Wo es keinen Strom gab, gab es auch nicht unbedingt fließendes Wasser aus Wasserhähnen.

Mit einer bösen Vorahnung öffnete Simi die andere Tür. Vor ihr befand sich eine eckige Holzkonstruktion, wie eine große Holzkiste, die fast die ganze Kabine einnahm. In einer Ecke stand ein kleiner mit Wasser gefüllter Eimer. Mittig auf der großen Holzkiste war ein runder Holzdeckel befestigt. Die Toilette!

Hilfe, wo war sie hier nur gelandet? Sie versuchte, nicht an das schöne kleine Bad zu Hause zu denken, mit den glänzenden, weißen Fliesen und dem flauschigen, grauen Teppich.

Als sie zu ihrer Großmutter zurückkam, wühlte diese gerade in einem großen Korb herum, der am Boden neben ihr stand. Zwischen Geschirrtüchern, Suppenkellen und anderen Küchenutensilien holte sie einen kleinen steinernen Mörser und einen passenden Stößel hervor. Sie legte beides auf den Tisch und gab ein paar getrocknete Blätter aus einer Schüssel in den Mörser. Aus der grünen Phiole, die sie aus dem Regal im Haus mitgenommen hatte, träufelte sie ein paar Tropfen dazu. Es war eine etwas zähe gelbliche Flüssigkeit, die so aussah wie Erdnussöl. Dazu kam noch etwas schwarzes Pulver aus einem Tongefäß.

»Zermahle das«, sagte sie und schob Simi den Mörser zu.

Simi nahm den Stößel und rührte die Mischung um. Zunächst zaghaft, aber bald wurde sie sicherer und rührte, stampfte und zermahlte die Blätter, bis alles langsam zu einem sämigen Brei wurde. Zu Hause liebte sie es, ihrer Mutter in der Küche zu helfen. Ihre Mutter entspannte sich beim Kochen. Die tiefen Sorgenfalten zwischen ihren Augenbrauen glätteten sich, wenn sie gemeinsam eine Soße zubereiteten oder das Gemüse für gebratenen Reis schnippelten.

Während sie die Blätter zermahlte, beobachtete Simi ihre Großmutter. Sie hatte hinten im Garten einen Büschel Blätter von einem hohen Busch gepflückt und entfernte gerade die dunkelgrünen Blätter von den Stängeln. Sie sahen aus wie Bitterblatt, was ihre Mutter immer für Schwarze Suppe benutzte. Ihre Großmutter wusch die Blätter nun in einer Schüssel und setzte sich mit einem Holzbrett und einem Messer zu ihr.

»Wie nennt sie dich?«, fragte sie unvermittelt.

»Was meinst du?«, fragte Simi verwirrt.

»Wie...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2024
Übersetzer Efua Traoré
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-96129-416-X / 396129416X
ISBN-13 978-3-96129-416-9 / 9783961294169
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