Harper Green - Be Brave. Be Angry. Be the Storm. (eBook)
352 Seiten
Arena Verlag
978-3-401-81044-7 (ISBN)
Carola M. Lowitz machte ihre Liebe zum Geschichtenerzählen als Regieassistentin, Dramaturgin und Regisseurin an Theatern zum Beruf, bevor sie Drehbuch und Dramaturgie an der HFF Konrad Wolf studierte. Seitdem schreibt sie Drehbücher, Hörspiele und neuerdings auch Jugendromane. Sie lebt mit ihrer Familie, einem Hund und drei Katzen in Niedersachsen.
Carola M. Lowitz machte ihre Liebe zum Geschichtenerzählen als Regieassistentin, Dramaturgin und Regisseurin an Theatern zum Beruf, bevor sie Drehbuch und Dramaturgie an der HFF Konrad Wolf studierte. Seitdem schreibt sie Drehbücher, Hörspiele und neuerdings auch Jugendromane. Sie lebt mit ihrer Familie, einem Hund und drei Katzen in Niedersachsen.Susanna Mewe, 1981 in NRW geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie schreibt Romane, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Für ihre Arbeiten wurde sie u. a. mit dem Retzhofer Dramapreis, dem Alfred Döblin-Stipendium der Akademie der Künste und dem Literaturpreis Wartholz ausgezeichnet. Sie lebt in Berlin und im Münsterland.
1
Mein Magen fühlt sich an wie ein heißer Stein. Ich hasse Friedhöfe. Seit Dads Beerdigung kriege ich Bauchschmerzen, wenn ich einen betreten muss. Ich würde alles dafür geben, jetzt nicht zwischen Gräbern entlanglaufen zu müssen. Angestrengt versuche ich, mich mit dem Zählen der vertrockneten Bäume um mich herum abzulenken, während ich unter Glockengeläut neben meinem Bruder Noah und meiner Mom dem Trauerzug folge.
Die Sonne scheint. Besser gesagt, sie knallt erbarmungslos vom wolkenlosen Sommerhimmel. Ich blinzele gegen sie an, was aber nur dazu führt, dass ich flimmernde bunte Fäden sehe, wenn ich die Augen schließe. Meine Haare kleben unangenehm feucht im Nacken. Obwohl es gerade mal elf Uhr ist, schwitze ich mich in meiner langärmligen schwarzen Bluse fast zu Tode. Blöderweise sind meine Ablenkungsversuche so lahm, dass mein Blick am Ende doch auf Camillas Sarg landet. Er ist aus weiß gestrichenem Holz, hat goldene Zierleisten und ist mit einer Unmenge riesiger Blumengebinde beladen. Knallpinke Rosen, lila Hyazinthen und orangefarbene Orchideen, deren süßer Duft schwer in der Luft hängt.
Mom streicht Noah ermunternd über den Rücken. Mir wirft sie einen kritischen Blick zu. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und presst die Lippen aufeinander. Wenn Mom mich so anschaut, kann das unendlich viele Gründe haben: Vielleicht ist der Kragen meiner Bluse umgeklappt oder ich gucke nicht traurig genug. Meine Wimperntusche könnte sich auch gerade auf meinem Unterlid verteilen. Keine Ahnung. Irgendwas an mir stört offensichtlich das Bild der perfekten Familie, das Mom so unfassbar wichtig ist. Aber was es auch ist, es geht mir am Arsch vorbei, denn ich habe ein ganz anderes Problem: Meine verdammten Kopfschmerzen kommen zurück.
Der Stein in meinem Magen ist eine Sache. Der verschwindet wieder, wenn das hier alles vorbei ist. Die Kopfschmerzen sind etwas anderes. Wenn die erst mal anfangen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Stimmen wieder da sind. Das darf auf keinen Fall passieren! Nicht jetzt!
Ich spüre, dass meine Hände anfangen zu zittern. Allein bei der Vorstellung, vor der versammelten Trauergemeinde zusammenzuklappen, wird mir ganz anders. Ich wollte nicht mitkommen, aber ich hatte keine Wahl. Mom war ehrlich empört: Ihre Freundin Cherry hat ihre Tochter verloren, noch dazu war Camilla nicht nur eine Schulkameradin von mir, sondern auch eine Soldatenwaise wie Noah und ich. Wir alle teilen das gleiche Schicksal. Und außerdem – und das ist das Wichtigste – halten wir zusammen. Das ist eine eiserne Regel. Komme, was wolle. Wir sind immer füreinander da.
Und Noah und ich sind ein wichtiger Teil dieses Wir.
Seit zehn Jahren bestimmt dieses Wir als ungeschriebenes Gesetz unser Leben: Wir stehen am ersten Weihnachtsmorgen fröstelnd zwischen weißen Holzkreuzen auf dem Veteranenfriedhof, wir tragen einmal im Jahr Blumen und brennende Kerzen zum Kriegerdenkmal. Und jetzt begraben Wir eben eine aus unseren Reihen. Wir, die berühmten Soldatenwitwen und -waisen von Eden Citys Militärbasis Flowergrove. Jeder hier in Eden City kennt die Geschichte meines Dads und der anderen Männer und Frauen, die zu einem humanitären Militäreinsatz ans andere Ende der Welt fliegen sollten. Doch das Flugzeug hatte einen Triebwerksschaden und stürzte mitten ins Meer. Es konnten nur ein paar Trümmerteile geborgen werden, Bruchstücke des Flugzeugsrumpfs, Metallteile, so Zeug. Leichen fand man keine, die hatte die See verschlungen.
Nach dem Unglück zogen die meisten Angehörigen aus Flowergrove fort, auch wir. Das Militär stand uns dabei zur Seite und half uns, Wohnungen und Häuser in den besseren Stadtteilen von Eden City zu finden. Heute leben Wir über die ganze Stadt verteilt. Manche Familien wohnen in der Innenstadt am Square, andere in gut situierten Vierteln wie Batterfield oder Sitchmo. Einige wenige hat es wie mich und meine Familie nach Primrose Hill verschlagen. Zu ihnen gehören auch Camilla und Caleb.
Aber egal, wo wir jetzt wohnen, es ändert nichts an der Tatsache, dass Wir zusammengehören: Unsere Moms engagieren sich seit Jahren in Komitees, um das Andenken an unsere Helden und Heldinnen hochzuhalten. Bürgermeister Reed erwähnt uns regelmäßig in seinen Wahlkampfreden als leuchtendes Beispiel für den Mut und die Opferbereitschaft des Militärs. Und auch die Presse liebt uns, vor allem an Gedenktagen, wenn Berichte über »die tapferen Soldatenkinder« die Auflage steigern. Natürlich sind die meisten von uns keine Kinder mehr, sondern pickelige Teenager, denen dieser ganze patriotische Totenkult eher unangenehm ist. Im Alltag gehen wir einander so gut wie möglich aus dem Weg. Wir nicken einander vielleicht mal flüchtig zu, wenn wir uns zufällig im Shoppingcenter am Square begegnen, aber genauso schnell schauen wir auch wieder weg. Trotzdem sind die meisten von uns heute gekommen. Camillas Dad war ein Held, genau wie meiner. Und deswegen verbringe ich den ersten Tag der Sommerferien auf der Beerdigung eines Mädchens, das mich gehasst hat.
Meine Kopfschmerzen werden stärker. Seit dem ersten Mal in der Schule überfallen sie mich immer wieder aus heiterem Himmel. Meistens werden sie so schlimm, dass ich mich übergeben muss. Die ersten Male bin ich fast durchgedreht. Ich lag kotzend in meinem abgedunkelten Zimmer und habe mit Tränen in den Augen darüber nachgedacht, ob es nicht möglich wäre, mir ein Loch in den Kopf zu bohren, um den Schmerz zu stoppen. Kein Schmerzmittel, das wir zu Hause hatten, hat geholfen. Mom hat mich zu unserem Hausarzt geschleppt, der mir Migräne attestierte. Nur waren leider auch die Tabletten, die er mir verschrieb, nutzlos. Genauso wie jedes andere Schmerzmittel, das ich in unserer Hausapotheke gefunden habe. Sogar das starke Zeug, das Peter mal nach einer Blinddarm-OP verschrieben bekommen hat.
Aber schlimmer als die Schmerzen sind die Stimmen. Das letzte Mal haben sie mich im überfüllten Wartezimmer unseres Hausarztes überfallen. Verrückt zu sein, macht mir eine Heidenangst. Vor allem wegen der Insel. Dort will ich auf keinen Fall hin! Für richtige Verbrecher gibt es ein Gefängnis, aber seit der Ermordung Ronald Reagans vor vier Jahren hat jede Stadt jetzt zusätzlich so eine Institution. »Einrichtungen zur gesellschaftlichen Bildung« heißen sie offiziell, sie sind so was wie eine Mischung aus Umerziehungscamp und Therapiezentrum. Hier landen alle, die nicht in die Gesellschaft passen: Unmoralische, politische Aktivisten und auffällige Teenager. Als Sechzehnjährige, die seltsame Stimmen hört, hätte ich dort ganz bestimmt einen Ehrenplatz sicher.
Aber ich habe Glück. Das Stimmenhören dauert oft nur ein paar Minuten und es verschwindet immer so plötzlich, wie es gekommen ist. Was länger bleibt, sind die Kopfschmerzen, doch damit kann ich umgehen. Vor allem seit ich herausgefunden habe, was gegen beides hilft: Moms Psychopharmaka. Im Badezimmerschrank steht eine Dose voller Tabletten gegen Angstzustände. In meiner Verzweiflung hab ich sie ausprobiert und war überrascht, wie gut sie helfen. Zwei von den Dingern und die Stimmen verstummen. Nur leider habe ich vorhin vergessen, welche einzustecken. Bingo.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass Camilla wirklich tot ist.« Caleb hat zu mir aufgeschlossen. »Es ist schrecklich, was passiert ist. So sinnlos.«
Caleb ist mit ziemlicher Sicherheit der netteste Mensch auf der Welt. Und allein dafür, wie er jetzt über Camilla redet, würde ich ihn am liebsten umarmen. Als einziger nicht weißer Junge auf der Primrose High war er Camillas Lieblingszielscheibe. Wann immer sie im Schulflur an uns vorbeistöckelte, konnte man darauf wetten, dass sie sich naserümpfend an ihre Freundinnen wenden und einen rassistischen Spruch loslassen würde. Sie war furchtbar und trotzdem nimmt Caleb ehrlich Anteil an ihrem Schicksal.
»Unfälle sind meistens sinnlos«, erwidere ich. Kurz nach Camillas Tod erzählte Judith allen, was passiert war. Sie waren gemeinsam shoppen in der Mall am Square und machten anschließend bei Moe’s halt, wo sie Milchshakes tranken. Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle wurde Camilla von einem Jeep überfahren. Wie durch ein Wunder kam Judith mit dem Leben und einem Schrecken davon. Der Fahrer des Jeeps gab Gas und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Für Camilla kam jede Hilfe zu spät.
»Ob sie gespürt hat, dass sie stirbt?« Calebs Stimme klingt belegt. »Sie muss furchtbare Angst gehabt haben.«
»Sie hat bekommen, was sie verdient hat«, sage ich trocken. Gefühlsduselei ist nichts für mich.
»Komm schon, Harper.« Caleb schenkt mir ein warmes Lächeln. »Ich hab sie auch gehasst. Aber den Tod hab ich ihr trotzdem nicht gewünscht. Genauso wenig wie du.«
Zugegebenermaßen kennt Caleb mich ziemlich gut. Seit der dritten Klasse ist er nicht nur mein bester Freund, sondern ehrlich gesagt auch mein einziger. Und...
| Erscheint lt. Verlag | 30.3.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | Würzburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
| Schlagworte | 80e • ab 12 • Anti Heldin • Audible Original • Außenseiter • besondere Gabe • Coming of Age • dunkle Kräfte • Dystopie • enemies to lovers • Experiment • Gedanken hören • gedanken lesen • Hero • hörspiel serie • Jugendbuch ab 14 • Kämpferin • Liebesgeschichte • London • Marvel • Mystery • Paranormal • Rache • riverdale • Schicksal • Stimmen hören • Stranger Things • Superkräfte • Thriller • Übernatürliche Fähigkeiten • übernatürliche Kräfte • Unterdrückung • USA • Verbotene Liebe • Vergangenheit • Young Adult • Zeitreise |
| ISBN-10 | 3-401-81044-8 / 3401810448 |
| ISBN-13 | 978-3-401-81044-7 / 9783401810447 |
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