Gefährliche Kunst-Stücke (eBook)
398 Seiten
tredition (Verlag)
9783347640290 (ISBN)
Marcus Mislin ist in Basel geboren und aufgewachsen. Schon früh interessierte ihn das Theater. Er absolvierte die Schauspielschule in Zürich. Nach einem vierjährigen Studium in San Francisco, arbeitete er als Schauspieler und Regisseur im Schauspielhaus Zürich, Gorki Theater in Berlin, Deutsches Theater in Berlin, Staatstheater Stuttgart u.v.m. Im Staatstheater Mainz entdeckte er seine Liebe zum Kindertheater und schrieb und inszenierte während Jahren das Weihnachtsmärchen in diesem Haus. Während des Corona-Lockdowns hatte er endlich Zeit, seinem lange gehegten Plan einen Jugendroman zu schreiben, nachzukommen. Er lebt in Köln und in einem alten Bauernhaus im Elsass.
Marcus Mislin ist in Basel geboren und aufgewachsen. Schon früh interessierte ihn das Theater. Er absolvierte die Schauspielschule in Zürich. Nach einem vierjährigen Studium in San Francisco, arbeitete er als Schauspieler und Regisseur im Schauspielhaus Zürich, Gorki Theater in Berlin, Deutsches Theater in Berlin, Staatstheater Stuttgart u.v.m. Im Staatstheater Mainz entdeckte er seine Liebe zum Kindertheater und schrieb und inszenierte während Jahren das Weihnachtsmärchen in diesem Haus. Während des Corona-Lockdowns hatte er endlich Zeit, seinem lange gehegten Plan einen Jugendroman zu schreiben, nachzukommen. Er lebt in Köln und in einem alten Bauernhaus im Elsass.
Das Château Chambrette
Anna
„Wir haben hier klare Regeln. Wer sich daran hält, der kann gut leben. Wer das Gefühl hat, er müsse diese Regeln nicht beachten, der hat es sehr schwer. Ich will euch beiden ein für alle Mal klar machen, dass ich absolut keine Regelverletzungen akzeptiere. Jede Regelverletzung wird mit Strafe geahndet. Ist das klar?“
Der Heimleiter, Monsieur Schoch, schaut über seine Lesebrille und fixiert mit seinen stahlblauen Augen erst Lenny, dann mich.
„Alles klar“, sage ich.
„Ja, klar,“ stimmt auch Lenny zu. „Können wir denn zusammen in einem Zimmer schlafen?“
„Selbstverständlich nicht“, sagt der Schoch. „Jungs und Mädchen haben verschiedene Wohngruppen. Ihr seid zusammen in einer Schulklasse, könnt zusammen essen, aber die Wohngruppen sind nach Geschlecht getrennt. Habt ihr ein Problem damit?“
Die Frage scheint von ihm bereits mit nein beantwortet zu sein.
„Ja, da hab ich allerdings ein Problem“, widerspricht Lenny.
Mensch Lenny, was willst du mit diesem Arsch diskutieren.
„Unsere Mutter ist im Krankenhaus im Koma, unser Vater ist in Kanada nicht erreichbar. Wir sind das Einzige, was wir noch haben: Ich habe Anna und sie hat mich. Ich bestehe darauf, dass wir zusammen in einer Wohngruppe sind.“
Monsieur Schoch nimmt betont langsam die Lesebrille von seiner pickeligen Nase, faltet sie sorgfältig zusammen, legt sie vor sich auf den Schreibtisch. Er schaut Lenny lange an, dann sagt er leise:
„Ist das der Weg, den du gehen willst? Widersprechen? Auflehnen? Regeln nicht akzeptieren? Ist das, was du willst?“
„Nein, das ist nicht, was ich will. Ich will mit meiner Schwester zusammen bleiben. Das ist, was ich will.“
„Aber das, was du willst, widerspricht den Regeln des Heims und ist deshalb nicht möglich, basta, Diskussion beendet.“
„Aber….“
„Dis-kuss-ion be-endet!!“ Er schlägt bei jeder Silbe mit der Handfläche auf den Schreibtisch. Wir sind es nicht gewohnt, dass man uns anschreit, wenn wir ein berechtigtes Anliegen haben. Wir kommen zwar aus dem Wald, aber die Umgangsformen sind eindeutig die besseren im Wald, als hier in Strasbourg. Monsieur Schoch setzt sich wieder. Er kramt mit seinen Wurstfingern in dem Ordner herum, der vor ihm aufgeschlagen liegt.
„Anna, du bist in der Wohngruppe 3. Léonard, du bist in der Wohngruppe 5. Ihr wartet im Vorzimmer, bis der jeweilige Wohngruppenchef euch abholt.“
„Wohngruppenchefin“, murmle ich leise vor mich hin, aber gerade so laut, dass der Alte es hören kann.
„Wie war das?“, schnappt Schoch.
„Ich hab nur gesagt: Wohngruppenchefin. Ich warte auf die Wohngruppenchefin und nicht auf den Wohngruppenchef.“
„Du willst mich korrigieren?“
„Nein, ich will Sie nicht korrigieren.“
„Dann ist ja alles gut. Ihr könnt jetzt draußen warten. Der Wohngruppenchef und die Wohngruppenchef-in“, er zieht das Wort sarkastisch in die Länge, „werden euch alle Informationen geben. Und die Heimregeln gibt euch im Vorzimmer Mademoiselle Chariot.“ Er macht eine brüske, ungelenke Handbewegung, was offenbar heißen sollte, dass die Unterredung beendet ist.
Wir trotten aus dem Büro und setzen uns ins Vorzimmer. Die Stühle sind extrem unbequem und ich hoffe, dass die Wohngruppenchefin bald aufschlägt. Wir warten still. Ich hab einen dicken Knoten im Hals.
„Seid ihr Léonard und Anna?“ hören wir plötzlich eine freundliche Stimme hinter dem enormen Monitor fragen.
„Ja“, sage ich, steh vom Stuhl auf und schau neugierig, wer hinter dem Bildschirm versteckt ist. Ein Kopf mit kurzen, strubbeligen, weißen Haaren taucht auf, und ein freundliches runzliges Gesicht lacht uns an. Das war das erste Lächeln, das wir sehen, seit wir vor vier Stunden von den zwei Sozial-Tanten wie Findelkinder im Heim abgegeben worden sind. Zuerst mussten wir in einem zugigen Flur drei Stunden warten. Bis schließlich ein Betreuer, der schon viermal an uns vorbeigelatscht war, gefragt hatte, auf was wir denn warten. Er verschwand wieder, und eine halbe Stunde später wurden wir endlich vom Schoch in sein Büro geholt.
„Ich bin Mademoiselle Chariot. Schaut, hier hab ich die Hausordnung, die ihr sehr sorgfältig lesen sollt. Monsieur Schoch versteht keinen Spaß…“
„Ja, das haben wir auch schon bemerkt“, unterbrach ich sie.
„Kann einem leider kaum entgehen“, fuhr sie fort. „Aber wenn ihr keinen Mist baut, habt ihr mit ihm auch kaum etwas zu tun. Ihr seid Zwillinge? Wir haben sehr selten Zwillinge hier. Also ihr seid etwas Besonderes, vielleicht hilft euch das. Habt ihr denn heute schon gegessen?“
„Nein, wir hatten nur eine Tasse Schokodrink bevor uns das Jugendamt hierher verschleppt hat.“
„Das geht ja gar nicht. Kommt, ich zeig euch die Kantine, da werden wir in der Küche sicher etwas für euch finden“, sagt sie und klettert umständlich hinter ihrer Festung aus Akten, Bildschirm und Thermoskannen hervor.
„Aber wir sollten hier auf die Wohngruppenchefs warten“, sagt Lenny.
„Die schicke ich euch dann in die Cantine. Kommt mit.“ Sie hält uns die Tür auf und wir folgen ihr durch einen Flur, dessen Wände mit Landschaften, Weinbergen und Ansichten von Strasbourg bemalt sind.
Die Cantine ist in einem modernen Anbau des alten Châteaus. Große Fenster zum Garten hinaus lassen viel Licht herein und überall aufgestellte grüne Inseln mit Pflanzen, und einige auch mit Kräutern, geben der Cantine, ein wohltuendes Flair. Mademoiselle Chariot geht sofort in die Küche und spricht mit einem Koch, zeigt auf uns, worauf der Koch nickt. Am Hungertod scheinen wir noch mal knapp vorbeigeschrammt zu sein.
„Aziz wird euch was zubereiten“, sagt sie. „Setzt euch einfach hier an einen Tisch – wird nicht so lange dauern. Und die Wohngruppenchefs schick ich euch hierher. Wenn ihr Fragen habt, dann kommt zu mir. Ja?“ Sie streicht uns beiden liebevoll über den Kopf und marschiert mit klickenden Absätzen wieder zurück hinter ihren Bildschirm.
„Das scheint doch eine ganz nette Oma zu sein“, breche ich nach längerer Zeit das Schweigen.
„Ja, das gibt einem ein bisschen Hoffnung. Der Schoch ist doch ein totales Arschloch.“
„Mademoiselle Chariot hat gesagt, wir haben nicht viel zu tun mit ihm. Da kann man nur hoffen, dass es noch ein paar nette Lehrer gibt.“
„Eh voilà… à la carte für die zwei Personen an Tisch drei.“ Aziz schiebt jedem von uns einen Teller randvoll mit Couscous und einem großen Stück Lammfleisch vor die Nase. „Ich bin Aziz, der Küchenchef. Meine Spezialität ist marokkanische Küche, ich hoffe ihr mögt das.“
„Oh ja! Super!“, sagt Lenny.
„Das riecht ja herrlich! Ich sterbe vor Hunger!“, freu ich mich und hau gleich rein. „Mmmmm…. ganz wunderbar, schmeckt phantastisch.“
„Das ist das beste Couscous, das ich je gegessen habe“, schmatzt Lenny mit vollem Mund.
„Danke, freut mich, dass es euch schmeckt. Wenn ihr noch mehr wollt, einfach rufen. Ich bin dann wieder in der Küche.“
Während wir essen, bessert sich meine Laune und der Knoten im Hals löst sich langsam auf.
Lange müssen wir nicht auf die Wohngruppenchefs warten.
„Seid ihr die Neuen?“ ruft ein Mädchen, das mindestens ein Jahr älter ist als ich, von der Tür quer durch die ganze Kantine. Ich schaue auf und nicke nur.
„Ja, nein, oder leck mich am Arsch. Aber einfach nur Kopfnicken is nich. Klar?“
Sie trägt enge Jeans, ein Holzfällerhemd über einem ausgewaschenen schwarzen T-shirt, kurze dunkelblonde Haare, und unter den hochgekrempelten Hemdärmeln sind flächendeckende Tätowierungen zu sehen.
„Das wird ja bestimmt sehr unterhaltsam“, flüstere ich Lenny zu.
„Vielleicht hast du doch einen Wohngruppenchef und keine Chefin…“ grinst Lenny. Aber als er seinen Wohngruppenchef sieht, der gleich hinter meinem Problem lässig hereingelatscht kommt, vergeht ihm das Grinsen zügig. Ein fast ein Meter neunzig großer Junge, der offensichtlich viel Zeit in das Erweitern seiner Muskelmasse investiert und wie der junge Arnold Schwarzenegger aussieht. Da hilft Lenny auch sein brauner Judogürtel nicht. Der Typ ist sicher doppelt so schwer wie mein Frère.
Er schaut lange etwas verloren auf das Clipboard, das er mit hat, schaut auf und fragte mit überraschend leiser Stimme.
„Bist du Léonard?“
„Bin ich.“
„Dann kommst du mit mir.“
„Und du kommst mit mir“, sagt die Chefin zu mir.
„Wir sehen uns beim Abendessen“, sagt Lenny und er...
| Erscheint lt. Verlag | 10.6.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
| Kinder- / Jugendbuch ► Vorlesebücher / Märchen | |
| Schlagworte | Drogen • Eltern • Ethnisch Divers • Geld • Geschichte • Glaube • Kunst • Liebe • Mensch • Recht • Solidarität • Wissen |
| ISBN-13 | 9783347640290 / 9783347640290 |
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