Vielleicht ist er gerade deshalb bei den anderen Kindern in seiner Klasse so beliebt. Sie mögen ihn wegen seiner stets guten Laune, seiner pfiffigen Einfälle, seiner sprudelnden Fantasie und Erfindungsgabe.
Finden ihn aber alle aus der Klasse toll? Absolut nicht!
Zwischen dem hochnäsigen Reichenbach-Clan, der Matze ständig demütigt weil er aus ärmlichen Verhältnissen kommt, entbrennt immer wieder ein erbitterter Streit.
Als an einem schönen Frühlingstag auf dem Schulhof der Bremer Grundschule etwas Schlimmes geschieht und Matze mutig eingreift, ändert sich so manches in der 4b.
Matze ist ein liebenswerter Chaot mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der beweist, dass Glück nicht käuflich ist.
4. Der Ärger geht weiter Am nächsten Morgen kommt Matze mal wieder als Letzter in den Klassenraum der 4b gehetzt. Sogar Frau Märtens steht schon vorn am Pult. Völlig außer Puste hechtet er sich auf seinen Platz. »Gerade noch rechtzeitig geschafft«, flüstert er seinem Nachbarn zur Rechten zu. Es ist sein bester Freund Florian. »Wie immer«, entgegnet Flo trocken. In dem Klassenraum sind die Tische am Rand in U-Form aufgestellt. Einige Tische in der Mitte stoßen an den äußeren Ring. Matze sitzt auf dem 4. Platz des Us, mit Blick zu den Fenstern. Und mit direktem Blick zu …! Natürlich zu den Zwillingen, die genau gegenüber auf der anderen Seite des Us sitzen. Eigentlich ist die Klasse in drei Lager geteilt. Nicht räumlich, aber es gibt drei Gruppierungen. Die meisten Kinder in der Klasse sind ganz normal und halten zu Matze. Sie lieben seine pfiffigen Ideen, seinen Unfug, seine Witze und seine stets gute Laune. Und seinen Mut! Denn er sagt immer geradeaus, wenn ihm etwas nicht passt. Sogar den Erwachsenen und seiner Lehrerin! Diese Eigenschaften schätzen seine Freunde an ihm und es ist ihnen ziemlich wurscht, ob er alte Sachen trägt oder wenig Geld hat. Das kleinere Lager besteht aus sechs Kindern, die sich um die Reichenbach Zwillinge scharen. Sie schleimen sich bei ihnen wegen ihres vielen Geldes ein, ihrer feinen Klamotten und all dem oberflächlichen Drum und Dran. Sie erhoffen sich von dieser Zugehörigkeit, dass ein wenig Glanz der schönen Glitzerwelt auf sie herab fällt. Und dann ist da noch die dritte Gruppe, die wie graue Mäuse völlig neutral ist. Es sind die Langweiler, die niemals eine Meinung haben, sich nichts trauen und keine Entscheidungen treffen. Also die, die von keinem so richtig wahrgenommen werden. Heute sind die Zwillinge wohl besonders gut gelaunt, denn sie starren Matze unverschämt und herausfordernd an. Es ist sonnenklar und ganz offensichtlich, dass sie es waren, die ihn mal wieder bei Frau Märtens angeschissen haben. Die Hoffnung auf eine harte Bestrafung treibt ihnen diesen triumphierenden Blick ins Gesicht. Dieses schadenfrohe, hinterhältige Grinsen! Doch Matze ist redlich bemüht, seiner Mutter keinen weiteren Kummer zu bereiten. Er beschließt, das verächtliche Gehabe einfach zu ignorieren. Unbeirrt wendet er seinen Blick nach vorn. Voll Konzentration versucht er dem Unterricht zu folgen. Aber irgendwie rauscht die Stimme von Frau Märtens an seinem Ohr vorbei, so als würde er unter Wasser tauchen. Vorsichtig schielt Matze zu den Zwillingen herüber. Sie fixieren ihn immer noch herablassend mit einer dreisten Arroganz. Noch einmal versucht er sich mit äußerster Willenskraft gegen die Provokationen zu stemmen. Doch es gelingt ihm nicht. Es ist zwecklos, sich auf die Rätsel der Textaufgaben zu konzentrieren, wenn sich die Blicke seines Gegenübers gnadenlos in ihn herein bohren. Sie wollen ihn bis zum Äußersten reizen, daran besteht kein Zweifel. Darauf muss Matze doch einfach reagieren. Sie sollen schließlich nicht die Oberhand gewinnen. Mit seiner Mimik will er ihnen eindeutig zeigen, wie blöd er sie findet. Er ist nämlich der genialste Meister im Maskenschneiden. Mit zusammen gekniffenen Augen feuert er einen vernichtenden Pfeil zu ihnen herüber. Doch die Zwillinge legen bloß mitleidsvoll ihre Köpfe zur Seite und entgegnen mit einem herablassenden »ts, ts, ts«. Zynisch lächelnd heizen sie Matzes Wut nur noch weiter an. Darauf reagiert Matze, zeigt seine spitzen Eckzähne, reißt seinen Mund wie ein gefräßiger Tiger auf und knurrt bedrohlich. Doch auch dieses beeindruckt seine Gegner nur wenig. Angelina verdreht gelangweilt die Augen, während John demonstrativ gähnt. Er rekelt sich und stützt den Kopf auf den angewinkelten Arm. Matze merkt, dass er noch härtere Geschütze auffahren muss, um sie von seiner Überlegenheit zu überzeugen. Zu Hause übt er vor dem Spiegel leidenschaftlich Grimassen zu schneiden. Und er findet sich selbst sehr beeindruckend. Doch bei den beiden muss er sich richtig ins Zeug legen und alle Register seiner Künste darbieten. Er verzieht seine Mundwinkel, rollt mit weit aufgerissenen Augen, schielt und wackelt mit der Zunge. Mit den Fingern verzieht er das Gesicht und präsentiert die komischsten Verrenkungen. Das muss sie doch endlich aus der Fassung bringen! Hochnäsig und mit gespielter Lässigkeit in ihren Gesichtern glotzen die Zwillinge unbeeindruckt zu Matze herüber. Angelina kaut schmatzend auf einem Kaugummi herum und macht Blasen. »Es ist zum Ausflippen!«, denkt er verzweifelt. »Sind diese grässlichen Gören denn selbst gegen die scheußlichsten Anfeindungen immun? Schafft er es einfach nicht, ihnen wenigstens einen Hauch Angst einzujagen?« Längst haben die anderen Klassenkameraden das Schauspiel mitbekommen. Ein Kichern und Flüstern geht durch den Raum. »Matze«, ermahnt ihn Frau Märtens und will seine Aufmerksamkeit wieder zur Mathematik lenken. Aber er hat sich so in seine Vorstellung herein gesteigert, dass er nichts mitbekommt. Er ist jetzt gerade so gut drauf. Unglaublich gut drauf, findet er. Die Zwillinge haben anscheinend urplötzlich ihre Provokationen eingestellt. Im Eiltempo spuckt Angelina das Kaugummi aus und klebt es unter die Tischplatte. Kerzengerade richten sich die zwei auf. Brav blicken sie mit einer Unschuldsmiene zu Frau Märtens herüber. Es scheint, als würde es für sie nichts Interessanteres auf der Welt geben als die Textaufgaben bei Frau Märtens. Mit gefalteten Händen sehen sie aus wie Musterschüler, denen niemals auch nur die kleinste Gemeinheit zuzutrauen wäre. Matze triumphiert. Er glaubt, dass er die Schlacht gegen sie gewonnen hat. »Die Weicheier haben aufgegeben«, murmelt er siegessicher. Noch einmal will er seinen Erfolg mit den genialsten Verrenkungen auskosten. Er zuckt mit den Ohren, bläst seine Backen so dick wie ein Kugelfisch auf und zeigt den Reichenbachs den Stinkefinger. Flo stößt Matze in die Seite: »Hör endlich auf, es gibt Ärger«, warnt er ihn und zeigt zum Pult. Doch zu spät. »Matze, jetzt ist endgültig Schluss, es reicht«, brüllt ihn Frau Märtens energisch an. »Hättest du die Güte, dich nach deinem Kasperkram mal wieder der Mathematik zuzuwenden? Wenn du so weitermachst, kapierst du Mathe nie.« Matze glaubt, trotz aller Strenge ein klitzekleines Zucken in ihren Mundwinkeln zu erkennen. Dann fährt die Lehrerin fort: »Morgen schreiben wir eine Mathearbeit mit Textaufgaben. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn du dich mehr dem Unterricht widmen würdest!« Auch das noch! Eine Arbeit mit Textausgaben! Wie soll er die alle an einem Tag in seinen Kopf hinein prügeln? Als die Stunde vorbei ist und die meisten Mitschüler schon auf den Pausenhof stürmen, hält Frau Märtens Matze am Ärmel fest. »Ich mache mir Sorgen um dich. Noch eine fünf in Mathe kannst du dir nicht erlauben. Du bist einfach viel zu …« Matze fällt seiner Lehrerin ins Wort: »Ich weiß. Viel zu faul und viel zu blöd«, knurrt er genervt von dem ewigen viel-zu-viel. Frau Märtens schüttelt den Kopf: »Zu blöd bist du auf keinen Fall. Aber zu faul, das kommt schon eher hin. Du hast einfach zu viele Döneken im Kopf. Versprichst du mir, dass du dich heute Nachmittag hinsetzt und fleißig alle Textaufgaben aus dem Buch übst?«, fragt sie mit eindringlichem Blick. »Wirklich alle!«, wiederholt sie mit erhobenem Zeigefinger. Eigentlich hat Matze heute überhaupt keine Zeit dazu, denn er hat noch Wichtiges zu erledigen. Aber das sagt er lieber nicht seiner Lehrerin. Sie hätte womöglich keinerlei Verständnis dafür. 8. Das verletzte Rotkehlchen Zur Pause drängeln alle Schüler und Schülerinnen auf den Schulhof. Matze und seine Freunde toben herum und spielen fangen. Der Reichenbach Clan hat mal wieder tuschelnd die Köpfe zusammengesteckt und macht sich über die anderen Kinder lustig. In Siegerpose steht Angelina da, die Arme in die Hüften gestemmt. Ihr abschätzender Blick wandert von Matzes Schuhen hinauf bis zu seinen Haarspitzen. Ganz ungeniert spottet sie über sein neues T-Shirt. »Na, trägst du jetzt schon Mädchen-Sachen?«, fragt sie höhnisch. »Das ist wohl die neueste Pariser Mode«, überbietet sich die Gruppe gegenseitig mit ihren gehässigen Bemerkungen und fällt dann gemeinsam in ein schallendes Gelächter ein. Eine andere wispert mit aufreizender Stimme: »Ja, so ein entzückendes Schlabbershirt hätte ich auch gerne. Das könnte man gleichzeitig auch als Zelt benutzen.« Die Mädchen biegen sich vor Lachen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fällt das nächste Mädchen auf die Knie und hebt betend die Hände. Mit flehender, zuckersüßer Stimme winselt sie: »Mein Gott, ist das ein schönes Teil. Wo um alles in der Welt bekommt man nur so ein exquisites Shirt?« Mit einer nicht zu überbietenden Überheblichkeit fügt John abfällig hinzu: »Diesen geschmacklosen Schrott findest du sicherlich im Container an der nächsten Ecke«, und spuckt in weitem Bogen zu seinem Kontrahenten. Am liebsten würde Matze gleich losheulen, aber diesen Triumph gönnte er nicht der niederträchtigen Bande. Er ignoriert ihre Boshaftigkeiten, ihren Spott und Hohn. Er presst die Lippen aufeinander und tut einfach so, als ob er die Lästerei gar nicht gehört hätte. Und dann passiert es! Ein unüberhörbares, dumpfes »Plopp«. Ein schriller Schrei, der durch Mark und Bein fährt, ertönt. Im nächsten Augenblick springt Angelina mit ihren Freundinnen kreischend zur Seite. Die Mädchen schreien hysterisch und Kletten sich ängstlich aneinander. Entsetzt starren sie auf das Pflaster des Pausenhofes. Das angsterfüllte Geschrei bringt jäh das laute Durcheinander auf dem Schulhof zum Erliegen. Natürlich kommen alle anderen Kinder sofort angerannt. Neugierig scharen sie sich um den Reichenbach Clan. Sie blicken auf ein kleines kugelrundes Häufchen flauschiger Federn. Ein blaugraues Vögelchen liegt wie tot vor ihnen auf dem Asphalt. Die Schulkinder stehen geschockt und ratlos im Kreis um das Tier herum. Flo findet als Erster die Sprache wieder. »Was ist passiert?«, fragt er die Reichenbachs. »Ich weiß auch nicht«, stottert John verstört. »Erst gab es dieses dumpfe ›Plopp‹ Geräusch und im nächsten Augenblick plumpste der Vogel vom Himmel. Ich nehme an, das blöde Vieh ist gegen die Scheibe der Pausenhalle geflogen.« Wieder herrscht einen Moment betretenes Schweigen. »Ich glaube, es ist ein Rotkehlchen«, vermutet Flo. »Ich erkenne es an den auffälligen orangeroten Federn auf der Brust und am Kopf. Ich nehme an, dass es ein Jungvogel ist, der das Glas nicht erkannt hat.« Streitbar kontert Johneff: »Klugscheißer! Das ist doch wohl vollkommen egal was das für einer ist. Der muss doch nicht ausgerechnet uns vor die Füße fallen.« Ratlos betrachten die Kinder den regungslosen Vogel, der hilflos auf der Seite liegt. »Ist der tot?«, kreischt Angelina. Doch langsam kehrt Leben in das Tier zurück. Noch ganz benommen fängt der Vogel an zu zucken. Dann rappelt er sich mühsam auf seine kleinen dünnen Beinchen und schlägt die Augen auf. »Hat der süße Knopfaugen«, ruft ein Mädchen entzückt. Verängstigt versucht das Rotkehlchen vor den umherstehenden Kindern zu fliehen. Mühsam hüpft es vorwärts und will wegfliegen. Doch es schafft nur ein paar Zentimeter, ehe es wieder auf die Seite fällt. Seinen einen Flügel hat es abgespreizt. Er scheint gebrochen zu sein. John ergreift wieder das Wort: »Der ist fast hin! Wer weiß, was der noch alles für Verletzungen hat. Vielleicht hat er durch den Aufprall Kopfverletzungen gekriegt. Man sieht ja, wie der sich quält. Man sollte ihn töten, damit er nicht länger leiden muss.« Die Gefühlskälte in Johns Stimme ist unüberhörbar. Erschrocken weichen die Kinder zurück. Schon holt Johneff mit dem Fuß aus, um dem Rotkehlchen einen Tritt zu versetzen. Blitzartig greift Matze ein. Er fährt gerade noch rechtzeitig dazwischen. Wie eine Dampfwalze rammt er John einen solch heftigen Stoß in die Rippen, dass dieser taumelnd zurückfällt. »Untersteh dich, du Tierquäler«, brüllt Matze ihn an. »Du kannst dich immer nur an Schwächeren vergreifen. Lass ja den verletzten Vogel in Ruhe«, schnaubt er wütend. Dann geht er zielstrebig auf Angelina zu, die noch immer mit offenem Mund in einer gewissen Schockstarre verharrt. »Los, gib mir dein Tuch«, fordert Matze sie barsch auf. Doch das Mädchen scheint seine Bitte nicht zu verstehen. »Na wird’s bald! Gib mir endlich dein Tuch«, wiederholt er ungeduldig. »Wieso, warum, das ist mein neuester Seidenschal. Der war sehr teuer«, stammelt sie verdattert. Doch Matzes Geduld ist am Ende. Mit einem Ruck reißt er ihr das Tuch vom Hals. Verwirrung und Empörung liegen gleichermaßen in Angelinas Protest. »Bist du jetzt total übergeschnappt? Du kannst doch nicht einfach … der war teuer … echt …« Ihre Stimme wird immer schwächer und die Hand, die eben gerade noch nach dem Schal greifen wollte, sinkt im Zeitlupentempo schlaff herunter. Kommentarlos bahnt sich Matze den Weg zu dem kleinen Vogel. Die umherstehenden Kinder weichen ehrfurchtsvoll zurück. Vorsichtig wirft er den Schal über das Rotkehlchen. »Piep, piep«, ruft der Vogel ängstlich. Ganz behutsam hebt Matze das Tier in den Seidenschal. »Hab keine Angst. Ich will dir doch nur helfen«, flüstert er leise. Durch den dünnen Stoff spürt er, wie das kleine Herz pocht. »Oh, lass mal sehen«, kommen neugierig die Mädchen näher. Doch Matze schüttelt energisch den Kopf. »Wenn sich der Vogel den Flügel gebrochen hat, braucht er so schnell wie möglich Hilfe. Ich kenne jemanden, der ihm helfen kann. Ein Freund von mir ist Tierpfleger im Bürgerpark. Der kann sich um ihn kümmern und ihn gut verarzten.« »Soll ich mitkommen?«, fragt Flo besorgt. »Nee du, das reicht schon, wenn ich die nächste Stunde schwänze und mal wieder Ärger bekomme«, schüttelt Matze fest entschlossen den Kopf. »Das kriege ich schon allein hin.« Ratlos steht Flo neben seinem Freund. Doch er begreift, dass es zwecklos ist, Matze zu überreden. Resigniert zieht er die Schultern hoch. Matze zieht sein T-Shirt weit nach vorn vor seinen Bauch und bettet das Rotkehlchen mitsamt Angelinas Schal in die Mulde. Dann macht er sich zügig, aber vorsichtig auf den Weg. »Bloß nicht stolpern oder hinfallen«, murmelt Matze besorgt. Die Klassenkameraden sehen ihrem Helden bewundernd nach.
| Erscheinungsdatum | 03.08.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Bremen |
| Sprache | deutsch |
| Maße | 120 x 180 mm |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Vorlesebücher / Märchen |
| Schlagworte | Freundschaft • Grundschule • Kindheit • Mut • Unterschiede • Vorurteile |
| ISBN-10 | 3-95651-346-0 / 3956513460 |
| ISBN-13 | 978-3-95651-346-6 / 9783956513466 |
| Zustand | Neuware |
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