Das Zauberschlösschen (eBook)
252 Seiten
tredition (Verlag)
9783347600881 (ISBN)
Kapitel 4
Jutta ganz allein im dunklen Wald
Wie Merle es sich schon vorher gedacht hatte, sirren die Mücken nur so unter den Bäumen herum. Wo die Blätter kein Sonnenlicht durchlassen, ist es fast kalt im Wald. Der Waldweg hat Schlaglöcher und spitze Steinchen, die sich in Merles offene Sandalen schieben. Jutta scheint das nichts auszumachen. Sie stapft einfach drauflos und immer tiefer in das Wäldchen hinein. Merle stolpert ihr hinterher. „Jutta, lauf doch nicht so schnell, ich komme gar nicht mehr mit dir mit!“, ruft sie angstvoll aus.
Doch Jutta ist so in ihre Gedanken vertieft, dass sie Merle gar nicht mehr wahrnimmt, und auch nicht sieht, dass Merle schon weit hinter ihr zurückgeblieben ist. Gehört hat sie auch kein Wort mehr im Wald. Stattdessen meint sie, Merle sei dicht hinter ihr. „Wie Hänsel und Gretel geht es mir jetzt“, sagt sie zu Merle, die es ja gar nicht hören kann. „Die gingen auch immer weiter und weiter. Aber die beiden waren schlau, Merle. Die legten auf dem Weg noch ihre letzten Brotreste hin. Damit hatten sie auch wieder aus dem Wald herausgefunden. Komm, wir nehmen jetzt einfach ein paar Bucheckern, die hier am Wegesrand liegen und werfen eine nach der anderen auf den Boden! Dann finden wir schon wieder zurück. Wir verlaufen uns schon nicht, Merle! Komm jetzt, da hinten ist bestimmt ein Fuchsbau versteckt! Da holen wir uns den Gemüsedieb!“ Wenn Merle es gehört hätte, hätte sie Jutta gesagt, dass Füchse gar kein Gemüse fressen, weil Füchse Raubtiere und Fleischfresser sind. Und dann hätten sie zusammen umkehren und den blöden Gemüsedieb sein lassen können. Doch Merle hat Jutta so wenig gehört, wie Jutta Merle.
Merle hat nur eins, nämlich verheulte Augen, weil sie Jutta fast gar nicht mehr sehen kann. „Jutta, Jutta!“, ruft sie ein paar Mal mit trauriger Zitterstimme. Doch Jutta geht und geht und bleibt nicht stehen. Nur noch ihre rote Bluse leuchtet wie eine rote Mohnblume von Weitem, obwohl im Wald gar keine Mohnblumen wachsen. Und dann ist auch diese rote Bluse nicht mehr zu sehen. Merle hält an und überlegt, denn ohne Jutta will sie auf keinen Fall mehr weitergehen. „Ich lauf‘ jetzt nach Hause zurück. Soll doch Jutta alleine weitermarschieren. Ich habe genug von diesem Wäldchen“, beschließt sie.
In diesem Moment erblickt sie ein Eichhörnchen, das von Ast zu Ast hüpft. Es ist ganz zutraulich und Merles Angst ist plötzlich verflogen. Trotzdem siegt ihre Vernunft und sie geht den Weg zurück, denn sie will einfach nur nach Hause, zu ihrer Mutter und den Geschwistern. Auf Jutta ist sie richtig wütend. So eine Gemeinheit, sie einfach alleine zu lassen! Bald ist Merle auf dem Spielplatz zurück, wo die Jungs eifrig an einem Haus bauen, in dem sie spielen können. Die Stadt hat den neuen Spielplatz richtig schön angelegt, damit die Kinder auf diesem Abenteuerspielplatz ihre Ideen verwirklichen können. An allen Ecken wird daher gewerkelt. Manche Kinder bauen eine Rutsche. Andere wiederum holen sich vom nahen Bach Wasser und mischen einen Teig aus Lehm. Sie wollen daraus kleine Tiere formen und dann trocknen lassen. Wiederum andere pflücken Blumensträuße, denn auch ein Stückchen Wiese gehört zum Spielplatz. Beim gemeinsamen Werkeln und Basteln sieht man den Kindern richtig an, dass sie glücklich und zufrieden ihren Arbeiten nachgehen, denn keiner redet ihnen drein.
Doch Merle hat keine Lust mehr zum Spielen. Auch als Philipp und Oskar ihr zurufen und sie zum Mitspielen auffordern, hört sie gar nicht hin, sondern geht einfach stumm, mit verheulten Augen, nach Hause.
Jutta indessen ist so in ihre Gedanken und ihre Suche nach der Diebesbeute vertieft, dass sie Merle völlig vergessen hat und dem Waldweg immer weiter folgt. Dass es im Wäldchen spuken und ein Geheimnis geben soll, hat Jutta schon mal gehört. Dieses Geheimnis interessiert sie sehr, doch nicht einmal ihre Mutter hat ihr etwas darüber verraten, was in diesem Wäldchen vor sich gehen soll. „Was soll das denn sein?“, fragt sich Jutta und schaut sich besonders gut um. „Hier gibt’s doch bloß Bäume!“ Geheimnisse sind Juttas Lieblinge. Kein Geheimnis, und wäre es noch so geheim, ist vor ihr sicher, denn dann ist sofort ihre Spürnase gefragt. Und am Ende ist jedes Rätsel gelöst. Jutta ist schließlich nicht umsonst als Detektivin bekannt.
„Merle!“, ruft Jutta, als sie sich zum zweiten Mal um die eigene Achse gedreht und nach irgendetwas Geheimnisvollem geschaut hat, denn auf einmal fällt ihr auf, dass ihre beste Freundin gar nicht dicht neben ihr steht. Aber keine Merle antwortet.
„Wo ist sie denn hingegangen?“, fragt sich Jutta und bekommt jetzt doch ein schlechtes Gewissen, weil sie so schnell weitergegangen ist und Merle einfach vergessen hat. „Merle, Merle, wo bist du?“
Jutta bleibt stehen. Vielleicht hat Merle sich ja versteckt. Sie bückt sich und blickt genauer ins Gebüsch und auch zu den besonders dicken Baumstämmen hinüber. Einen Augenblick zögert sie noch. Sie weiß nicht, ob sie die Suche nach dem Gemüsedieb jetzt aufgeben oder ob sie ihre Freundin Merle suchen soll. Sie entscheidet sich für Merle, denn es tut ihr leid, dass sie ihre beste Freundin völlig vergessen hatte. Mit langen Schritten rennt sie auf dem Waldweg zum Spielplatz zurück. Aber morgen, nimmt sich Jutta vor, morgen will sie wieder hierherkommen, denn dieses Wäldchen mit seinem Geheimnis gefällt ihr. Es zieht sie einfach magisch an. Juttas Spürsinn ist geweckt.
Plötzlich raschelt es im Wald. Ist da etwa der Geist? Auf einmal ist die sonst so mutige Jutta doch nicht so mutig, wie sie sich gerne gibt. Da! Von irgendwo hinter ihr legt sich eine große Hand auf ihre Schulter. Jutta will sich gar nicht umdrehen, so heftig pocht ihr Herz.
„Was sucht denn die junge Dame hier im Wald?“, hört sie eine tiefe Männerstimme fragen.
Entsetzt dreht sich Jutta um. Ach, nur der Förster! Zumindest nimmt es Jutta an, dass es der Förster ist, denn der Mann vor ihr ist ganz in Grün gekleidet und hat so einen lustigen Hut mit einer Feder auf dem Kopf. Außerdem hat er ein Gewehr um die Schulter hängen und plötzlich kriecht auch noch ein kleiner Hund aus dem Gebüsch.
„Das ist Waldi, mein Hund, und wer bist du?“, fragt der Förster. Kleinlaut nennt Jutta ihren Namen, denn sie erinnert sich jetzt, dass ihre Mutter ihr verboten hat, allein in das Wäldchen zu gehen. Was, wenn der Förster zu ihrer Mutter nach Hause mitgehen und Jutta verpetzen würde? Garantiert würde ihre Mutter dann mit ihr schimpfen, weil sie nicht bloß allein in das Wäldchen gegangen ist, sondern auch noch Merle unterwegs verloren hat. Das gäbe ein schönes Donnerwetter! Und vor dem Donnerwetter ihrer Mutter fürchtet sich Jutta mehr als vor einem Dieb im Schulgarten oder vor einem Räuber im Wald. Doch lange hält die Angst nicht an. Der Förster sieht ja ganz freundlich aus. „Gibt es eigentlich Räuber hier im Wald?“, will Jutta neugierig wissen und tut so, als wäre es selbstverständlich, dass kleine Mädchen allein im Wald herumlaufen.
„Ich weiß es nicht, ob es Diebe und Räuber in unserem Wäldchen gibt, doch im Märchen sollen ja die Räuber im Wald wohnen“, sagt der Förster und lacht dabei. „Aber wenn so kleine Mädchen, wie du allein in den Wald gehen, ist das manchmal nicht ungefährlich.“ „Es gibt hier in der Nähe auch einen See und einen Steilhang. Wenn man unkundig in dieser Gegend ist, dann kann es passieren, dass man hier leicht abstürzen kann.“
Jutta macht bei dem Gehörten dann doch große Augen, denn dass es ganz in der Nähe einen See geben soll, davon weiß sie nichts. Da könnte man doch baden gehen, überlegt sie jedoch gleich und stellt sich schon vor, wie sie mit Merle und den anderen im Wasser toben würde.
Doch der Förster kann ihre Gedanken lesen. „Aber Baden darf man an diesem See nicht, hörst du, Jutta, der See ist zu gefährlich!“, hört sie ihn ernsthaft sagen. Jutta schlägt bestürzt ihre Augen nieder, weil der Förster sie sofort durchschaut hat.
„Allein gehe ich da nicht hin!“, verspricht Jutta gleich. „Aber, Herr Förster, darf ich Sie mal was fragen? Ich habe mal gelesen, dass es hier in diesem Wäldchen ein Geheimnis gibt und es spuken soll, stimmt das?“ Schon verfinstert sich das Gesicht des Försters, der Jutta bis dahin so nett angeblickt hat wie sein eigenes Kind. „Was weißt du denn von diesem Geheimnis?“ Und dabei packt er sie ziemlich barsch an der Schulter, dass Jutta gar nicht mehr weiterfragen will. Wenn Erwachsene so ein Gesicht machen, dann soll man am besten nicht mehr weiterfragen. Das weiß Jutta ganz genau.
„Komm jetzt!“ Der Förster ist völlig verändert. „Komm, ich bringe dich jetzt nach Hause zu...
| Erscheint lt. Verlag | 5.4.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
| Kinder- / Jugendbuch ► Vorlesebücher / Märchen | |
| Schlagworte | Abenteuer • Andersartigkeit • Begeisterung • Fantasie • Freundschaft • Geheimnis • Gemeinschaft • Geschwister • Gespenster • Kameradschaft • Kreativität • Liebe • Märchen • Mutter • Rätsel • Sagengestalten • Spannung • Spiel • Spielplatz • Träume • Vertrauen • Wäldchen • Willensstärke • Zauberei • Zusammenhalt |
| ISBN-13 | 9783347600881 / 9783347600881 |
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