Die Plagegeister und der weiße Löwe (eBook)
144 Seiten
Lago (Verlag)
978-3-95762-307-2 (ISBN)
1. EINBRUCH IM DIREKTORAT
Erster Tag, Montag, 11:25 Uhr – Ben
»Echt jetzt? Schon wieder so ein dämlicher Übungsalarm!«, fluchte Ben, während er auf dem Schulklo saß. Wie oft wollten die das denn noch durchspielen? So schwierig war es doch echt nicht, geordnet die Schule zu verlassen. Er hatte überhaupt keine Lust, gleich in der Mittagssonne zu brutzeln, doch es half ja nichts. Oder konnte er vielleicht hier drinnen bleiben und erst wieder rauskommen, wenn dieses Theater vorbei war? Er seufzte. Das klappte bestimmt nicht. So verpeilt wie die Lehrerinnen und Lehrer auch manchmal waren, nahmen sie Übungen sehr genau. Spätestens beim Durchzählen würde sein Fehlen auffallen. Aber schon aus Prinzip würde er sich jetzt richtig viel Zeit lassen. Ein paar TikTok-Videos waren noch drin.
Einige Minuten später blickte Ben im Spiegel in sein eigenes genervtes Gesicht, wusch sich die Hände und verließ das Klo. Sein feuerrotes Haar spiegelte seine gereizte Stimmung ganz gut wider. Auf dem Schulflur ging er träge ein paar Schritte, blieb aber nach ein paar Metern wieder stehen, weil er Stimmen hörte. Klang so, als ob im Erdgeschoss zwei Menschen diskutierten. Was hatte das zu bedeuten? Hier sollte doch niemand sein. Auf leisen Sohlen schlich er zur Treppe und die Stufen herab, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen.
»Willst du da wirklich reingehen?«, fragte eine tiefe Stimme.
»Na klar, als ob das jetzt noch einen Unterschied macht«, antwortete eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Daraufhin knirschte es.
Ben spähte um die Ecke. Innerhalb von Sekunden erfasste sein Gehirn die Lage. Vor ihm breitete sich ein Flur mit Spinden in beide Richtungen aus. Zu seiner linken lag das Büro der Rektorin. Die Glastür war zersplittert, Zettel lagen überall verteilt und ein Mädchen, das ihm seltsam vertraut vorkam, versuchte, in den Raum zu gelangen, ohne sich an den herausstehenden Splittern zu schneiden. Sie hatte blonde Locken und trug ein türkisfarbenes Sommerkleid. Anscheinend hatte sie keinerlei Angst, denn sie ließ sich nicht von ihrem Plan abbringen. Ben wäre da ja nicht einfach so reingegangen. Aber wozu auch? So spannend war das jetzt auch nicht … Ein Junge im Rollstuhl sah ihr besorgt hinterher. Seine langen braunen Haare hatte er zum Dutt hochgesteckt, wobei das Zopfgummi farblich zu seinem khakifarbenen Hemd passte. Was hatten die hier verloren?
Warum bin ich nicht einfach so schnell wie möglich nach draußen gegangen?, fluchte Ben innerlich. Er beschloss, sich unauffällig zurückzuziehen, kam jedoch dabei gegen einen Mülleimer, der laut schepperte. Auweia! Hoffentlich hatten die anderen ihn nicht gehört.
»Hey, du da!« rief ihm das Mädel zu, nachdem sie ihn entdeckt hatte. Zu spät, jetzt konnte er sich nicht mehr aus dem Staub machen.
»Ich habe nichts gesehen«, versicherte Ben mit unschuldigem Blick. »Ehrlich, ich werde euch nicht verpetzen.« Betont lässig drehte er sich um und schlenderte los.
Der Junge rollte neben ihn. »He, wir waren das nicht.«
»Habe ich doch gesagt.« Ben blieb mit verschränkten Armen stehen.
»Aber du glaubst uns nicht«, stellte sein Gegenüber richtig fest.
»Was hätten wir denn davon, hier einzubrechen?«, ertönte es aus dem Büro. Jetzt wusste Ben, wieso ihm das Mädchen so vertraut vorgekommen war. Möglicherweise war sie die bekannteste Person an der Schule, denn sie hatte einen eigenen YouTube-Kanal. Das war Melanija Lazić. Wenn er sich nicht irrte, war sie Gamerin. Er hatte persönlich ja nie verstehen können, wieso man seine Freizeit damit verbrachte, anderen Menschen beim Zocken zuzugucken. Aber vielleicht konnte er das auch nicht begreifen, wenn er nicht selbst Videospiele spielte. Er verbrachte seine Zeit lieber mit Sport in der echten Welt.
»Wow, das ist ja krass!« Ein brünettes Mädchen mit Brille stand plötzlich hinter ihnen, in der Hand einen orangen Rucksack, und starrte auf die Scherben. Als sie merkte, dass die drei sie anstarrten, senkte sie sofort den Blick. Warum waren die nicht alle vor der Schule, um sich zählen zu lassen? Hatte er sich die Sirene etwa nur eingebildet?
»Dass gerade Feueralarm ist, scheint auch niemanden zu interessieren, oder?«, sprach der andere Junge seinen Gedanken aus.
Melanija runzelte die Stirn. »Bald werden die anderen nach uns suchen. Und ich will damit jedenfalls nicht in Verbindung gebracht werden.« Sie wies auf das Büro der Rektorin. Es war wirklich ein heilloses Bild der Verwüstung. Hatte da jemand was gesucht? Viel Zeit konnte die Person nicht gehabt haben; seit dem Alarm waren vielleicht gerade mal zehn Minuten vergangen.
Ben wollte schon protestieren, dass bei einem Probealarm gar nicht die Feuerwehr käme, fragte sich dann aber, wieso er eigentlich davon ausgegangen war, dass es sich nur um eine Übung handelte. Was wäre, wenn es wirklich brannte?
»Sie hat recht, lasst uns abhauen. Mir nach«, schlug der Junge vor und unterbrach damit seine Gedanken. Und da niemand eine bessere Idee hatte, flitzten die vier über die Schulflure zum Hinterausgang. Sie stießen die Tür auf und traten hinaus in einen heißen Junitag. Es war keine Wolke zu sehen und der Asphalt schien zu glühen.
»Jetzt müssen wir uns nur noch unauffällig unter die Leute mischen«, sagte Ben.
Melanija runzelte die Stirn. »Wenn es nur keinem auffällt, dass wir jetzt so lange weg waren.«
Doch sie kamen gar nicht erst dazu ihren Plan weiter auszufeilen, denn in dem Moment kam eine Feuerwehrfrau auf sie zu. »Entwarnung. Ich habe die fehlenden Kinder gefunden«, sprach sie ins Funkgerät und wandte sich an sie. »Warum habt ihr denn so lange gebraucht?«
»Der Fahrstuhl war kaputt und ich musste erst durch das halbe Gebäude. Die anderen wollten mich nicht allein lassen«, meinte der Junge mit zittriger Stimme. Ben war beeindruckt, wie schnell der Junge eine Ausrede parat hatte. Ben hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. Er blickte der Feuerwehrfrau in das schweißnasse Gesicht. In der Ausrüstung war ihr bestimmt richtig heiß.
»Na gut, das ist ja auch vernünftig. Aber jetzt schnell zu den anderen. Habt ihr gesehen, wo es brennt?«
Damit hätte sich die Frage nach dem Übungsalarm auch beantwortet. Doch die vier schüttelten alle nur den Kopf.
Die Feuerwehrfrau zeigte nochmal in die Richtung der Sammelstelle. »Na, dann los jetzt.« Sie selbst ging in die andere Richtung davon und zückte wieder ihr Funkgerät.
Als sie losgingen, flüsterte ihnen das brünette Mädchen zu: »Mist, ich habe noch den Rucksack. Der hat glaube ich was damit zu tun. Jedenfalls wollte den gerade jemand loswerden.«
Ben sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wovon redete sie bloß?
Sie schien seinen Blick zu bemerken und wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als die YouTuberin sie unterbrach.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit! Wirf ihn da vorne in die Mülltonne«, schlug Melanija vor, weil die Feuerwehrfrau sie noch immer wachsam beobachtete. »Dann sammeln wir den nach Schulschluss ein. Lasst uns uns nach der Schule kurz treffen, nach der sechsten Stunde, hier am Mülleimer. Passt das allen?« Der andere Junge nickte mit leuchtenden Augen und schien es gar nicht abwarten zu können. Auch das Mädchen murmelte ein »Okay«. Da Ben nicht die Spaßbremse sein wollte, zuckte er nur mit den Schultern. »Dann wäre das abgemacht. Außerdem müssen wir uns abstimmen, was wir erzählen, falls wir nochmal befragt werden oder so.« Ben fand das ziemlich übertrieben, sagte aber nichts. Doch er konnte es sich nicht nehmen lassen, mit den Augen zu rollen. Er meinte, kurz zu sehen, wie sich die Mundwinkel des brünetten Mädchens zu einem Grinsen verzogen, als sie das sah. Sofort stieg sie auf Bens Sympathieskala. Dann machten sie sich wieder auf den Weg. Die Sammelstelle befand sich auf der Südseite der Schule auf der anderen Seite der Straße auf dem Schulparkplatz. Als der unbeliebte Herr Meier sie erblickte, kam er direkt auf sie zugedackelt, wobei eine potthässliche Sonnenbrille an einer Kordel um seinen Hals schlackerte. Der lebt auch echt noch in den Siebzigern, dachte Ben, während er das geblümte Hemd und die orange Hose zur Kenntnis nahm. Doch er sah hochzufrieden aus, weil er nun seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen konnte: Kinder anmeckern. Noch ehe der Lehrer zu einer ordentlichen Standpauke ausholten konnte, packten sie eilig ein weiteres Mal ihre Geschichte aus und er wurde ganz kleinlaut. Von Vorwürfen war plötzlich nichts mehr zu hören, im Gegenteil, er entschuldigte sich bei ihnen. Kurz hatte Ben ein schlechtes Gewissen, doch es überwog die Erleichterung darüber, so glimpflich davongekommen zu sein. Manchmal musste man eben Glück haben.
Er gesellte sich zu seiner Klasse, der 9c, und seine Freunde Nils und Tim...
| Erscheint lt. Verlag | 15.5.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
| Schlagworte | Detektiv Buch Kinder ab 10 • Detektivgeschichten ab 10 Jahre • Kinderbuch Abenteuer • Kinderbuch Bande • Kinderbuch besondere Kinder • Kinderbücher • Kinderbuch Freundschaft • Krimi für Kinder ab 10 • spannende bücher für kinder ab 10 |
| ISBN-10 | 3-95762-307-3 / 3957623073 |
| ISBN-13 | 978-3-95762-307-2 / 9783957623072 |
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