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Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte -  Julia Blesken

Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
250 Seiten
Verlag Friedrich Oetinger
978-3-96052-233-1 (ISBN)
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Vor einem Supermarkt, am Anfang der Herbstferien, treffen sechs Kinder zufällig aufeinander: Katja, die sich mit ihren Vätern gestritten hat. Polina, die nur eben Backpulver kaufen wollte, Fridi, Mustafa und Zeck sowie Jennifer mit Rehpinscher Püppi und der Asche ihres Opas in einer Plastiktüte. Als Mustafa einen Rocker auf dem Parkplatz reinlegt, müssen die Kinder schnellstens abhauen. Ohne Handys und fast ohne Geld. Aber mit einer wichtigen Mission: Jennifers Opa soll seine letzte Ruhe in Kolomoro finden. Nur: Wie geht das, wenn man keine Ahnung hat, wo Kolomoro liegt?

Julia Blesken, 1976 in Berlin geboren, erhielt 2020 für Mission Kolomoro den Kirsten-Boie-Preis der Hamburger Literaturstiftung. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Berlin.

Julia Blesken, 1976 in Berlin geboren, erhielt 2020 für Mission Kolomoro den Kirsten-Boie-Preis der Hamburger Literaturstiftung. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Berlin.

Musti in Schwierigkeiten


Katja schlüpft aus der Tür. Zecks Rücken – natürlich nicht nur der, aber der Rest wird von zwei riesigen Dobermännern verdeckt – steckt im olivgrünen Parka, für den es jetzt eigentlich noch zu warm ist, aber so was interessiert Zeck ja nicht im Geringsten. Der Parka muss sein. Die Mütze auch. Ohne geht nicht, sagt Zeck. Und der, der da hinter dem olivgrünen Parka vorguckt, ist Fridi. Viel ist nicht von ihm zu sehen. Nur manchmal ein bisschen blondes Haar oder ein Stückchen grünes T-Shirt, je nachdem, wohin Zeck sich gerade bewegt. Zeck und Fridi, die gehen beide in ihre Klasse. Fridi heißt eigentlich Fridolin, aber er mag seinen Namen nicht so. Wie Zeck in echt heißt, hat Katja vergessen, weil Zeck meint, seinen Namen sucht man sich am besten selber aus, da weiß man, woran man ist, und es kann nichts schiefgehen.

Während Katja zu ihnen über die Straße schlendert, sieht sie zum Küchenfenster rauf. Natürlich, da steht Papa.

Dann muss sie ihm ja wenigstens nicht mehr Bescheid sagen.

»Na«, sagt Katja. »Gut, dass endlich Ferien sind.«

Fridi und Zeck nicken, aber sie sind mit ihren Gedanken ganz woanders, das sieht man. »Ich hab von meinen Eltern Geld gekriegt für die letzte Mathearbeit.« Zeck grinst. »Zwei fünfzig hab ich schon ausgegeben, und vom Rest will ich jetzt was kaufen. Nur weiß ich nicht, was, und Fridi hier ist auch keine wirkliche Hilfe.«

Zeck boxt Fridi ein bisschen in die Seite. Fridi zieht verlegen die Schultern hoch.

»Mal sehen, vielleicht kann ich euch ja helfen«, sagt Katja. Mit solchen Dingen kennt sie sich fantastisch aus.

Zeck hat genau drei Euro fünfzig. Komischerweise ist es gar nicht so leicht, zu entscheiden, wie man das Geld am besten anlegt. Zeck ist für zwei Tüten Chips, eine davon auf jeden Fall Zwiebelringe, und eine Flasche Cola. Fridi ist ganz scharf auf Kaugummis, Colakracher, Center Shocks und Brausestangen. Katja Pfeiffer will, ganz klar, eine Zehnerpackung Schokoküsse.

Von den Brausestangen muss man immer die Hälfte wegschmeißen, weil die Spucke irgendwann alles verklebt und das Brausepulver zu bröseligen Klumpen wird. Chips und Cola dagegen sind eine handfeste Sache, findet Zeck.

Fridi soll pünktlich zum Mittagessen hoch. Er hat Schiss, dass seine Mutter dann die Zwiebelringe riecht, was Quatsch ist, weil, so viele Stunden hält sich der Geruch im Mund auch nicht, da ist sich Katja Pfeiffer ziemlich sicher. Die Sache ist die, dass Fridi einfach vor allem Schiss hat, sogar vor dem Mittagessen. Heute gibt es Brokkoli-Auflauf mit Schafskäse. Und Fridi weiß jetzt schon, dass er kein bisschen davon runterkriegt. Er isst nämlich überhaupt nichts, was grün ist, außer Brausestangen und Kaugummis.

Da ist nichts zu machen, jeder will an diesem herrlichen Tag am Anfang der Herbstferien etwas anderes, und ihre Verhandlungen geraten ins Stocken. Dabei zählt Fridi eigentlich nicht so richtig. Wenn man ehrlich ist, kommt es nur auf Zeck und Katja Pfeiffer an.

Zeck starrt in den Himmel. Katja Pfeiffer zieht einen Stift aus der Hosentasche und malt eine kleine Ratte auf den Asphalt. Diesmal colarot. Die Ratte zwinkert ihr ein winziges bisschen zu, ganz so, als wüsste sie schon etwas, das Katja Pfeiffer noch nicht weiß. Vielleicht bildet sie es sich auch bloß ein.

Die Herbstsonne ist warm und mild. Der Wind kommt von links. Immer, wenn der Wind von links kommt, riecht es auf dem Parkplatz nach den Dämpfen der Schokoladenfabrik, zartbitter und ein bisschen marzipanig, und im Mund kriegt man dann so einen komischen Geschmack. Vor allem aber kriegt man noch mehr Lust auf Süßes.

Katja überlegt. Zeck hat das Geld, also kann Zeck irgendwie auch bestimmen. Logisch. Katja hat nur eine Chance, sie muss es so anstellen, dass alle plötzlich riesige Lust auf Schokoküsse kriegen. Vor allem Zeck. »Wenn ich an die weiße Füllung denke«, sagt sie schwärmerisch und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. »Wie süß und schaumig die ist und so klebrig im Mund schmilzt, und unten die knusprige Waffel dran.«

Katja selbst kriegt sofort riesige Lust auf Schokoküsse. Zeck guckt sie nur mit gerunzelter Stirn von der Seite an. Fridi versteht überhaupt nichts. Mist. So klappt das jedenfalls nicht.

Katja denkt scharf nach. Wie bekommt sie es bloß hin, dass die anderen machen, was sie will? Da zuckt der Gedanke wie ein Blitz durch ihren Kopf: »Wer fünf Schokoküsse hintereinander schafft, der kriegt was von mir!«

Was für eine Wahnsinnsidee, Katja Pfeiffer!

Vor allem, weil sie sich da gar keine Sorgen machen muss. Fridi schafft höchstens eineinhalb, Zeck, wenn es hoch kommt, drei. Katja Pfeiffer aber kriegt locker fünf Schokoküsse hin, wahrscheinlich wären sechs auch noch okay, und der siebte würde bestimmt irgendwie auch noch reingehen.

Zeck guckt ein bisschen misstrauisch. »Kommt drauf an, was denn?«

»Weiß ich noch nicht, was Tolles!« Katja zuckt mit den Schultern.

»Du kannst mir viel erzählen«, meint Zeck, »und nachher sind’s nur wieder zwei Eier oder ’n paar Hosenknöpfe, nee, nee, so läuft das nicht.«

Auf einem Schulausflug in den Zoo hatte Katja mit Zeck nämlich mal gewettet, wer sich traute, aus dem Goldfischbecken zwei Euro zu klauen, und Zeck hatte ganz klar gewonnen. Denn während Katja mühsam und unter großer Anstrengung, nicht reinzufallen, am Ende nur 20 Cent rausgefischt hatte – die nassen Ärmel gab’s gratis dazu –, war Zeck aufs Ganze gegangen und hatte gleich alle Ein- und Zweieurostücke, an die irgendwie ranzukommen war, aus dem Becken geholt.

»Das Risiko muss sich schließlich lohnen«, hatte Zeck gesagt, »ich mach mich doch nicht für zwei Euro nass und kassiere auch noch ’nen Anschiss.«

Damals hatte Katja ihre Wettschulden mit zwei gekochten Eiern beglichen, die Papa ihr als Proviant eingepackt hatte. Zuerst war Zeck sauer, aber Zeck ist zum Glück nie lange sauer, dann kommt meistens eine Idee. Dieses Mal auch. Die Eier hatte Zeck gegen zwei Tüten Chinanudeln von Mustafa getauscht und die mit Simon gegen eine Bifi mit Schrippe. Auf diese Art hatte Zeck es tatsächlich geschafft, am Ende mit einem Schokoriegel und einer Capri-Sonne dazustehen, wovon Katja jeweils die Hälfte abbekommen hatte. »Waren ja schließlich deine Eier«, hatte Zeck gesagt und gegrinst.

Von den dreizehn rausgefischten Euro waren sie nachher zu Burger King gegangen, vegane Burger essen. Zu der Zeit war Zeck Vegetarier.

Katja seufzt. Diesmal wird es nicht so einfach gehen.

Fridi steht immer noch mit so hochgezogenen Schultern da, sicher hat er Angst, dass seine Mutter mal aus dem Fenster guckt. Es ist so warm, dass er sich seine Jacke um den Bauch gebunden hat. Fridi hat wieder sein Krümelmonster-T-Shirt an, das mit der blauen, felligen Gestalt, die sich gerade einen riesigen Keks in den Mund schiebt. Darüber steht: Ich bin ein Krümelmonster. Und darunter: Ich esse gerne Kekse.

Katja überlegt. Papa findet Auf-dem-Parkplatz-Rumstehen sicher auch nicht so gut, aber er kann auf weite Entfernungen zum Glück nicht so richtig sehen.

Und Zeck denkt wahrscheinlich gerade darüber nach, wie am Ende Chips und Cola rauskommen. Zecks Füße stecken schon in den schweren Winterschuhen. Die Jacke ist offen, der Wind lässt sie flattern wie Flügel.

Katja muss gut überlegen. Zeck ist ziemlich schlau. Und zwar auf eine ganz besondere Art: Wenn jemand was in der Klasse verloren hat und die Lehrerin fragt: »Wisst ihr, von wem das ist?«, riecht Zeck erst mal dran und weiß dann meistens gleich Bescheid.

Der letzte Pullover war von Jennifer Klar. »Eindeutiger Fall von Kuschelweich und 196er«, hat Zeck gemeint, und das stimmte auch.

Jennifers Mutter ist Busfahrerin der Linie 196, und immer, wenn Jennifer bei niemandem sonst bleiben kann, begleitet sie ihre Mutter zur Schicht. Die ganze Nacht fährt sie mit dem Bus durch die Gegend. Jennifer macht dann ihre Schularbeiten und isst dabei Chips und hört MP3-Player. Klar, dass ihr Pullover nach 196er riecht. Obwohl da noch was anderes ist, nicht nur der Geruch von Bus und Weichspüler, da ist noch was.

Ein bisschen beneidet Katja Jennifer Klar, sie würde auch gerne mal die ganze Nacht in der Stadt unterwegs sein, aber obwohl Tatusch Taxi fährt, darf Katja nachts nie auch nur ein klitzekleines bisschen mit ihm mitfahren. »Kommt ja gar nicht infrage«, meint Tatusch. Katja seufzt. Wenigstens ein Schokokuss wäre jetzt nicht schlecht.

 

Dahinten ist Mustafa, er schlendert langsam und mit gesenktem Kopf über den Parkplatz. Mit den Turnschuhen wischt er durch den Staub, vielleicht tritt er auch etwas vor sich her, so genau ist das nicht zu erkennen. Als er sie sieht, kommt er zu ihnen rüber. Er trägt sein Juventus-Turin-Trikot, das ihm ein bisschen zu klein ist und über der Brust spannt, er ist die Nummer 7, Ronaldo.

»Hallo, Ronaldo.« Zeck grinst. Sonst freut sich Mustafa, wenn ihn jemand Ronaldo nennt, heute nicht.

»Was ist los?«, fragt Katja.

»Alles scheiße«, sagt Mustafa. »Ich hab grad unseren Wellensittich gekillt.«

Die Kinder starren ihn an. »War aber echt nur aus Versehen, Mann«, meint Mustafa, als er ihre entsetzten Gesichter sieht, »ich wollte ihn nur mal bisschen halten, kraulen oder so, und der hackt mit seinem Schnabel gleich so richtig rein in meine Haut, ich hab mich so erschreckt, ich schwöre, da hab ich zugedrückt.«

Mustafa macht eine Pause. Er steht mit hängenden Schultern da.

»War gar nicht doll«, meint er schließlich, »ich hab gar nicht fest gedrückt, ehrlich. Aber ich hab einfach...

Erscheint lt. Verlag 4.8.2021
Illustrationen Barbara Jung
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte ab 9 • Abenteuer • Alltagshelden • Andere Kulturen • Außenseiter • Bande • Boie Preisträger • Clique • Coming of Age • Erwachsenwerden • Freundschaft • Geschenk für Kinder • Großstadt • Großstadtabenteuer • Großstadtsetting • Homosexualität • Kinderbuch • Magie • Preisgekrönt • Regenbogenfamilie • Reise • starke Kinder • Trost • Urban
ISBN-10 3-96052-233-9 / 3960522339
ISBN-13 978-3-96052-233-1 / 9783960522331
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