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Die milchblütige Heldin Üllü Wa (eBook)

Ein Märchenroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
256 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-347-24860-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die milchblütige Heldin Üllü Wa -  Ingrid Dobbertin
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Üllüs Geschichte, die hier erzählt wird, beginnt drüben im Westen und endet auf der anderen Seite der Welt, jeweils im Meer, denn Üllü war kein Menschenkind, sondern ein Kind des Wassers, eine Nixe. Auf ihrer weiten Reise um die Welt erlebte Üllü eine Katastrophe nach der anderen, und als sie gar nicht mehr weiterwusste, und dachte, die einzige Nixe auf der Welt zu sein, kam die Wende zum Guten. Ihr Glück wurde so groß, dass sie den Drang verspürte, etwas davon weiterzugeben und denen, die sie liebte, etwas Gutes zu tun. Lange wusste sie nicht, womit sie sie beglücken sollte, doch schließlich war sie überzeugt, es zu wissen und ihre Aufgabe gefunden zu haben. Um diese zu lösen, musste Üllü an den Ort der Schrecken zurückkehren. Das machte ihr so große Angst, dass sie beinahe der Versuchung erlegen wäre, aufzugeben. Doch Üllü stellte sich der Gefahr. Zum Glück musste sie es nicht alleine tun und schließlich erreichte sie, was sie sich vorgenommen hatte, wenn auch auf andere Weise, als gedacht.

Wie Üllü und Sabo Freunde wurden

Für Üllü war alles schön damals in Wassererde, das Schönste aber war für sie die Freundschaft mit Sabo. Niemanden in ihrer Familie liebte sie so wie Sabo, und ohne die Freundschaft zu ihm hätte sie sich ihr Leben gar nicht vorstellen können. Das war sehr ungewöhnlich, denn zum einen kamen so enge Freundschaften bei den Wa sonst gar nicht vor, zum anderen war Üllü fast noch ein Kind und Sabo uralt.

So alt war er, dass die meisten der Nixen dachten, er sei schon immer auf der Welt gewesen. Das stimmte zwar nicht, doch wenn man Sabo ansah, war es kein Wunder, dass so etwas geglaubt wurde. Sein Rücken war gebeugt, sein Gesicht durchzogen von einem Netz tiefer Furchen, und ein silberner Kranz aus Haar und Bart umrahmte es wie ein Heiligenschein. Sabo war aber nicht nur alt, er war auch weise und kannte das Meer, denn in seinem langen Leben hatte er nicht nur viel erlebt, er hatte auch über vieles nachgedacht. So genoss er großes Ansehen bei den Wa und alle suchten seinen Rat.

Dass Üllü und Sabo etwas hatten, was den anderen Nixen fehlte, ein gutes Gedächtnis, war sicher wichtig für ihre Freundschaft, alleine dadurch wäre diese aber nicht zustande gekommen. Dazu war ein Anstoß nötig, und der war von Üllü gekommen, als sie noch ein ziemlich junges Nixenkind war.

Wie alle ihre Geschwister war sie damals wild, voller Tatendrang und für alles zu haben, was Spaß machte. Doch Üllü hatte auch noch eine andere Seite. Manchmal hatte sie das Gefühl, als ob ihr etwas fehlte. Sie wusste selbst nicht, was es war. Sie spürte es wie einen leichten Hunger, doch nicht Hunger im Bauch, sondern Hunger im Kopf. Wenn sie den spürte, hielt sie es nicht aus in der Gesellschaft ihrer Geschwister und wollte alleine sein. Sie schwamm dann zum See der tausend Quellen. Hier war sie ungestört, denn die anderen Wa mieden den See wegen des dichten Wurzelgewirrs im Wasser. Üllü dagegen liebte den See mit allem, was dazugehörte, und fand ihn wunderschön. Wie ein offenes Auge leuchtete er aus dem Grün des Waldes hervor, hellblau, dunkelblau, türkis oder grün, je nach Tageszeit und Wetter, und die unzähligen Quellen, die seinem Grund entsprangen, glucksten und sangen und brachten das Licht zum Tanzen. Das machte den See zu einer Zauberwelt, die Üllü zum Träumen einlud.

Üllü liebte den See aber nicht nur, weil er so schön war und sie sich dort immer noch ein bisschen glücklicher fühlte als anderswo, es gab hier etwas, was ihr ganz besonders wichtig war. Das war die Schaukel, die sie sich einst aus Luftwurzeln und Schlingpflanzen gebaut hatte, und von der aus sie, wenn sie sich hoch nach oben schwang, durch ein Fenster im Laub Sabo auf seinem Felsen im Meer sehen konnte. Auf dieser Wurzelschaukel war Üllü einst der Gedanke gekommen, sie könnte Sabo einmal auf seinem Felsen besuchen. Das war der Beginn ihrer Freundschaft mit ihm.

Damals hatte Üllü sich wieder einmal auf ihre Schaukel zurückgezogen und sah Sabo in der Ferne auf seinem Felsen sitzen. Niemand außer ihm hielt es so lange alleine aus, so weit weg von allen anderen. Üllü wollte ja selbst manchmal alleine sein, doch so lange alleine da draußen zu sitzen wie Sabo, das hätte sie sich nicht gewünscht. Die Vorstellung, Sabo könnte vielleicht einsam oder traurig sein, hatte ihr keine Ruhe gelassen, und so war sie hinausgeschwommen und hatte sich neben ihn auf den Felsen gesetzt. Eine ganze Weile hatte keiner von ihnen ein Wort gesprochen, Sabo nicht, weil er überrascht war, und Üllü nicht, weil ihr neben so viel Alter und Weisheit nichts Vernünftiges einfiel. Schließlich hatte sie sich aber doch ein Herz gefasst und das Gespräch eröffnet. Es verlief folgendermaßen:

„Warum sitzt du so viel Zeit hier allein, Sabo?“, fragte sie.

Sabo ließ sich Zeit mit der Antwort. Er wollte etwas Richtiges sagen, und das liegt einem ja nicht immer gleich auf der Zunge.

„Ich bin nicht allein. Das Meer ist ja da. Es spricht mit mir“, sagte er leise und lächelte dabei.

„Kann das Meer denn sprechen?“

„Das Meer hat seine eigene Sprache, eine andere als wir, doch wenn man genau hinhört, kann man sie mit der Zeit verstehen, nicht immer, aber manchmal.“

Üllü wäre nie in den Sinn gekommen, an etwas zu zweifeln, was Sabo sagte, doch was er da gerade gesagt hatte, konnte sie sich nicht vorstellen.

„Wie spricht denn das Meer?“

„Nicht so, wie wir miteinander sprechen, nicht so direkt, nicht in Worten. Es spricht in Bildern.“

„Was für Bilder?“

„Wenn das Meer mir etwas sagen möchte, dann zeigt es mir Bilder von dem, was ich erlebt habe. Dabei fällt mir dann manchmal etwas auf, was ich vorher nicht beachtet habe, etwas, das überraschend war, das nicht gepasst hat oder etwas, was ich nicht verstanden habe. Manchmal ist es auch ein Gefühl, was ich mir nicht erklären konnte.“

Nach einer längeren Pause fuhr er fort:

„Manchmal fangen die Bilder an, sich zu bewegen, sie spielen miteinander, oft kämpfen sie auch gegeneinander. Ich schaue dann ihrem Treiben zu und warte ab, was daraus wird. Manchmal entsteht dann eine andere Geschichte, als die, die wirklich passiert ist, und ich finde etwas heraus.“

„Was findest du heraus?“

„Manchmal finde ich heraus, warum die Dinge so gekommen sind, wie sie gekommen sind. Manchmal sehe ich auch etwas, was noch nicht passiert ist, etwas, was erst kommt.“

Üllü überlegte eine Weile.

„Die Reise zur Korallenstadt?“, fragte sie schließlich.

„Vielleicht.“

„Ich möchte auch solche Bilder sehen“, erklärte Üllü.

„Du kannst es lernen. Dafür braucht man Geduld. Man muss warten können. Wenn man jung ist, ist das schwer.“

„Ich kann das“, erwiderte Üllü, und Sabo wunderte sich.

So wie Sabo mit Üllü sprach, hatte noch nie jemand mit ihr gesprochen. Üllü nahm sich damals vor, es Sabo mit dem Bildersehen gleichzutun. Nachdem sie eine Weile still nebeneinander gesessen hatten, fragte Üllü weiter:

„Dann bist du also nicht einsam?“

„Hast du das gedacht?“

„Ich weiß nicht, es hätte ja sein können.“

„Und deshalb wolltest du mir Gesellschaft leisten?“

Üllü war unsicher. Vielleicht wollte Sabo gar keine Gesellschaft. Doch als sie in sein freundliches Gesicht blickte, wusste sie, dass sie unbesorgt sein konnte.

„Nicht jede Gesellschaft kann Einsamkeit vertreiben. Dazu braucht es einen Freund – oder eine Freundin.“

„Vielleicht – könnte ich deine Freundin sein?“

Das war Üllü so herausgerutscht, und nun, da es ausgesprochen war, spürte sie ihr Herz klopfen. Sie war ja noch ein Kind. Sie schwankte zwischen Hoffnung und Furcht. Und dann sagte Sabo:

„Ja, das wäre schön, das wäre sehr schön“, und beide strahlten sich an.

Von diesem Tag an besuchte Üllü Sabo jeden Tag auf seinem Felsen im Meer. Über alles konnte sie mit ihm reden, nie wurde er ungeduldig und nie fand er eine Frage dumm. Manchmal saßen die beiden schweigend zusammen, blickten aufs Wasser und freuten sich einfach nur, dass der andere da war. Oft sprachen sie auch von ganz einfachen Dingen wie zum Beispiel davon, wo die besten Algen wuchsen, wie hübsch die frisch geschlüpften Enten waren, wie heiß es heute war oder dass sich eine Nixe beim Spielen an einer Feuerqualle die Finger verbrannt hatte. Doch sie sprachen auch über anderes.

Dann erzählte Sabo Üllü Geschichten aus dem Leben des Nixenvolkes. Er hatte diese Geschichten früher auch den anderen erzählt, doch die hatten bald alles wieder vergessen. Obwohl Sabo natürlich wusste, dass es nicht anders sein konnte, weil die Nixen ein so kurzes Gedächtnis hatten, hatte es ihn traurig gemacht und so hatte er über solche Dinge mit seiner Familie nicht mehr gesprochen. Dass es jetzt jemanden wie Üllü gab, die seine Geschichten liebte, sie nicht gleich wieder vergaß, und der er alles erzählen konnte, was er wusste, war für Sabo wie ein Geschenk. Es machte ihn glücklich.

*

Von der Korallenstadt hatte Sabo mit Üllü nur einmal gesprochen, als er vom weißen Blut der Nixen sprach. Der Anlass zu diesem Gespräch war eher ein zufälliger gewesen. Üllü war damals auf dem Weg zu Sabo in Panik geraten, weil sie dachte, dass ein Hai sie verfolge und fressen wolle, weil sie eine Gruselgeschichte über ihn erzählt hatte. Zitternd vor Angst hatte sie es schließlich zu Sabos Felsen geschafft und sich in Sabos Arme geworfen.

Sabo hatte sie ganz sanft festgehalten und leise zu ihr gesagt:

„Du brauchst keine...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2021
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch
Sonstiges Geschenkbücher
Schlagworte Delfin • Freundschaft • Märchen • Menschen • Nixen • Rabe • Schildkröte • Wunder • Zauber
ISBN-10 3-347-24860-0 / 3347248600
ISBN-13 978-3-347-24860-1 / 9783347248601
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