Die Spiegelreisende 4 - Im Sturm der Echos (eBook)
619 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76603-2 (ISBN)
Risse überziehen die Welt der Archen. Einer jagt den nächsten, die Abgründe werden immer größer. Babel, Pol, Anima - keine der Archen bleibt verschont. Die Bewohner müssen ungläubig mitansehen, wie ihre Welt nach und nach auseinanderbricht. Um die unwiederbringliche Zerstörung der Archen zu stoppen, muss so schnell wie möglich der Schuldige gefunden werden. Muss »der Andere« gefunden werden. Aber wie? Wo doch niemand auch nur weiß, wie er aussieht?
Ophelia und Thorn sind so vereint wie nie. Zusammen begeben sie sich auf unbekannte Wege, wo sie die Echos der Vergangenheit und der Gegenwart zum Schlüssel all der Rätsel führen werden. Das ungeheuerliche Finale der Saga der Spiegelreisenden.
<p>Christelle Dabos wurde 1980 an der Côte d'Azur geboren. Nach ihrem Studium zog sie nach Belgien und arbeitete als Bibliothekarin. Als sie 2007 an Krebs erkrankte, begann sie zu schreiben. Zunächst veröffentlichte sie auszüge aus<em> Die Spiegelreisende</em> im Internet. Nachdem sie den Jugendbuchwettbewerb von Gallimard Jeunesse gewann, wurde der erste Band der Serie <em>Die Verlobten des Winters</em> publiziert und entwickelte sich rasch zu einem Bestseller. Die ersten drei Bände sind auch in Deutschland Bestseller geworden. Im Herbst 2025 erschien der neue Roman von Christelle Dabos, <em>Die Spur der Vertrauten</em>, im Rotfuchs Verlag.</p>
Die Leere
Ophelia hatte Pollux' Botanische Gärten in strahlender Erinnerung. Sie waren das Erste, was sie von Babel gesehen hatte. Sie hatte noch die imposanten, stufenförmig angelegten Terrassen vor Augen und die unzähligen Treppen, die sie erklimmen musste, um aus dem Dschungel herauszukommen.
Sie erinnerte sich an die Gerüche. Die Farben. Die Geräusche.
Nichts davon gab es mehr.
Ein Erdrutsch hatte alles, bis auf den letzten Grashalm, in die Tiefe gerissen. Diese hatte auch eine komplette Brücke, den halben benachbarten Markt und mehrere kleine Archen verschlungen. Ebenso wie jegliches Leben, das sich darauf befunden hatte.
Ophelia hätte entsetzt sein müssen. Doch sie war einfach nur fassungslos. Sie betrachtete den Abgrund durch das behelfsmäßig an der neuen Grenze zwischen Erde und Himmel errichtete Gitter. Zumindest versuchte sie es. Der Regen hatte aufgehört, aber das Wolkenmeer begann die gesamte Stadt zu überfluten. Seine dampfigen Schwaden sorgten nicht nur für zweifelhafte Sichtverhältnisse, sondern ließen auch noch Ophelias Brillengläser beschlagen.
»Der Andere existiert tatsächlich«, stellte sie fest. »Bis jetzt war er nichts als eine abstrakte Vorstellung. Egal wie oft man mir sagte, dass es eine Riesendummheit war, ihn zu befreien, dass er wegen mir die Archen vernichten würde, dass ich mit ihm verbunden wäre, ob ich will oder nicht, ich fühlte mich nicht wirklich betroffen. Wie sollte ich eine apokalyptische Kreatur aus meinem eigenen Spiegel herausgelassen haben, ohne mich richtig daran erinnern zu können? Ich weiß nicht mal, wie er aussieht, wie er das alles anstellt und warum er es überhaupt tut.«
Der Nebel um Ophelia war so dicht, dass sie das Gefühl hatte, nur eine körperlose Stimme im Nichts zu sein. Sie klammerte sich an das Gitter, als plötzlich die Wolken aufrissen und ein Stück Himmel enthüllten, wo sich zuvor das nordöstliche Viertel der Stadt erstreckt hatte.
»Es ist alles weg. Was, wenn Anima … vielleicht auch der Pol …«
Sie ließ den Satz unvollendet. Männer, Frauen und Kinder waren in die Leere dort vor ihren Augen gestürzt, doch sie dachte zuerst an ihre eigene Familie.
Ein Schwarm orientierungsloser Vögel suchte nach den verschwundenen Bäumen. Was geschah mit den Dingen, die versanken? Sämtliche Haupt- und Nebenarchen schwebten auf einem gigantischen Wolkenozean, in den sich keine Lebensform vorwagte. Es hieß, der Weltkern sei nichts als ein Knäuel unablässiger Gewitter. Selbst Lazarus, der berühmte Forschungsreisende, war nie bis dorthin gelangt.
Ophelia hoffte, dass niemand gelitten hatte.
Noch am Abend zuvor hatte sie sich so beruhigt gefühlt, so erfüllt. Sie hatte die wahre Identität des tausendgesichtigen Gottes, der ihre Leben kontrollierte, aufgedeckt. Eulalia Gort. Endlich ihren Namen zu kennen, zu begreifen, dass sie ursprünglich eine kleine idealistische Schriftstellerin gewesen war und niemals irgendein Recht gehabt hatte, zu entscheiden, was gut und was böse war: All das hatte Ophelia von einer solchen Last befreit! Und nun sollte der gefährlichste Gegner gar nicht der sein, von dem sie es angenommen hatte?
›Du wirst mich zu ihm führen.‹
»Erst hat der Andere mich benutzt, um Eulalia Gorts Kontrolle zu entkommen, und jetzt benutzt Eulalia Gort mich, um den Anderen aufzuspüren. Da diese beiden mich in ihre verbrecherischen Machenschaften hineinziehen, werde ich die Sache jetzt persönlich nehmen.«
»Wir.«
Ophelia drehte sich zu Thorn um, ohne ihn zu sehen. In diesem Nebel war auch er nur ein entferntes, etwas unheimliches Flüstern, und doch erschien ihr seine Stimme greifbarer als der Boden unter ihren Sandalen. Mit einem einzigen Wort hatte er dafür gesorgt, dass sie sich besser fühlte.
»Sollte sich herausstellen, dass der Andere sowohl etwas mit der Zerstörung der alten Welt als auch mit dem Einsturz der Archen und der Verwandlung einer einfachen Frau in den Allmächtigen zu tun hat«, fuhr Thorn im nüchternen Ton einer Geschäftsbilanz fort, »dann wird er zu einer grundlegenden Komponente der Gleichung, die ich seit Jahren zu lösen versuche.«
Ein metallisches Klacken war zu hören. Es war Thorns Taschenuhr, die ihren Deckel öffnete und wieder schloss, um ihn zur Eile zu mahnen. Seit sie animiert war, hatte sie die Eigenarten ihres Besitzers angenommen.
»Die Zeit läuft«, sagte Thorn. »Für jeden Normalsterblichen ist ein Erdrutsch wie dieser eine Naturkatastrophe. Wir dagegen wissen inzwischen nicht nur, dass es damit nichts zu tun hat, sondern auch, dass es weitergehen wird. Solange nicht klar ist, wem wir vertrauen und auf welche Fakten wir uns stützen können, sollten wir mit niemandem darüber sprechen. Wir müssen also herausfinden, was genau Eulalia Gort und den Anderen verbindet, verstehen, was sie wollen, was sie sind, wo sie sind, wie und warum sie tun, was sie tun, und dann all diese Erkenntnisse gegen sie verwenden. Und nach Möglichkeit sollten wir es schnell tun.«
Ophelia kniff die Augen zusammen. Der Wind hatte die Wolkenmassen um sie herum fortgeblasen, und das Licht hatte sie urplötzlich überflutet wie ein gleißender Wasserfall.
Jetzt sah sie Thorn ganz genau. Er stand neben ihr vor dem Gitter, extrem aufrecht, übertrieben groß, seine Uhr in der Hand, den Blick in die Unendlichkeit des Himmels gerichtet. Die Goldverzierungen seiner Uniform funkelten grell in der Sonne, doch sie konnten Ophelia nicht dazu bringen, sich abzuwenden. Sie öffnete die Augen sogar noch weiter, um all den Glanz in sich aufzunehmen. Thorn strahlte eine Entschlossenheit aus, die sich auf sie übertrug wie elektrische Energie.
Ophelia spürte am ganzen Körper, was er ihr inzwischen bedeutete, was sie ihm inzwischen bedeutete, und nichts auf der Welt schien ihr verlässlicher zu sein.
Dennoch hütete sie sich davor, ihm zu nahe zu kommen. Weit und breit war niemand zu sehen – die Gegend war von den Behörden evakuiert worden –, trotzdem hielten sie die vorschriftsmäßige Distanz ein, wie immer in der Öffentlichkeit. Die gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen hätte größer nicht sein können. Seit ihrem Scheitern am Konservatorium der Guten Familie befand sich Ophelia am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie Babels. Thorn dagegen war »Sir Henry«, ein ehrwürdiger Lord von LUX.
»Eulalia Gort hat tausend verschiedene Identitäten, der Andere nicht eine einzige«, fügte er hinzu. »Wir haben keine Ahnung, wie diese beiden aussehen werden, wenn unsere Wege sich erneut kreuzen, aber wir müssen bereit sein, es mit ihnen aufzunehmen, ehe wir sie finden. Oder von ihnen gefunden werden.«
Plötzlich bemerkte Thorn, wie eindringlich Ophelia ihn ansah. Er räusperte sich.
»Es ist mir nicht möglich, dich von ihnen fernzuhalten, aber ich kann sie von dir fernhalten.«
Fast exakt das Gleiche hatte er schon einmal im Sekretarium des Memorials zu ihr gesagt – nur dass er sie da noch gesiezt hatte. Was Ophelia beunruhigte, war, dass sie ihm aufs Wort glaubte. Thorn hatte seinen Namen und seine Autonomie geopfert, um sie endgültig von dieser Überwachung zu befreien, der sie so mühevoll entkommen war und unter die sie beim kleinsten Fehltritt wieder geraten konnte. Ja, sie wusste, dass Thorn bereit war, auf alles zu verzichten, um dieses eine Ziel zu erreichen. Er hatte schließlich sogar den Gedanken akzeptiert, dass Ophelia sich an seiner Seite in Gefahr brachte, solange es ihre eigene Wahl war.
»Wir sind nicht allein, Thorn. Im Kampf gegen sie, meine ich. Während wir hier reden, sind Archibald, Reineke und Gwenael auf der Suche nach Erdenbogen. Vielleicht haben sie es bereits gefunden. Wenn sie die Bogianer überzeugen können, sich uns anzuschließen, dann ändert das alles.«
Thorn runzelte die Brauen. Ophelia und er hatten schon am Abend zuvor darüber gesprochen, ehe sie vom Heulen der...
| Erscheint lt. Verlag | 23.6.2020 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Die Spiegelreisende | Die Spiegelreisende |
| Übersetzer | Amelie Thoma |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | La Passe-miroir, tome 4 |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
| Schlagworte | 50plus • ab 12 Jahre • Abenteuer • aktuelles Buch • Anima • Arche • Babel • Best Ager • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • bücher bestseller 2020 • bücher neuerscheinungen • buch-geschenk • Coming of Age • Cornelia Funke • Crossover • Das Gedächtnis von Babel • Die Verlobten des Winters • Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast • Emanzipation • Fantasy • Fantasy-Serie • Freundschaft • Generation Gold • Geschenke für Jungs • Geschenke für Kinder • Geschenke für Mädchen • Golden Ager • Grand Prix de l'Imaginaire 2016 • insel taschenbuch 4932 • IT 4932 • IT4932 • Kinderbuch • La Passe-miroir tome 4 deutsch • Neuerscheinungen • neues Buch • New Adult • Ophelia • Prix du Premier Roman Jeunesse Gallimard-RTL-Télérama 2013 • Rentner • Rentnerdasein • Romantasy • Ruhestand • Senioren • spiegel bestseller • spiegel bestsellerliste • Spiegel-Bestsellerliste • Spiegel Bestseller Liste • Spiegel-Bestseller-Liste • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Stem-Punk • Thorn • vortex • Young Adult • Zeitreise • Zukunft • Zukunftsvision |
| ISBN-10 | 3-458-76603-0 / 3458766030 |
| ISBN-13 | 978-3-458-76603-2 / 9783458766032 |
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