Die 17-jährige Isobel ist eine begabte Porträtmalerin mit einer gefährlichen Klientel: das unheimliche Volk der Elfen; unsterbliche Wesen, die nichts erschaffen können, ohne zu Staub zu zerfallen. Doch als Isobel ihren ersten royalen Kunden empfängt – Rook, den Prinz des Herbstlandes – begeht sie einen fatalen Fehler. Sie malt den menschlichen Schmerz in seinen Augen – eine Schwäche, die Rook das Leben kosten könnte. Um sein Leben zu retten, müssen Isobel und Rook lernen, einander zu vertrauen. Doch als aus Vertrauen langsam Liebe wird, brechen die beiden ein Gesetz des Elfenvolkes, das gnadenlose Konsequenzen nach sich zieht …
Wenn Margaret Rogerson nicht gerade schreibt, trifft man sie beim Malen, Lesen, Gaming, Puddingkochen oder auf der Suche nach Kröten und Pilzen im Wald an. Zu ihren Hobbys zählen außerdem das Sammeln seltsamer Schals und der Konsum von mehr Dokumentarfilmen als sozial akzeptabel wäre (das behaupten zumindest einige). Derzeit lebt sie im Norden von Cincinnati, Ohio.
Eins
Der Geruch nach Leinöl und Breitblättrigem Lavendel erfüllte die Stube, auf der Leinwand glänzte ein Tupfer Bleizinngelb. Ich hatte den Farbton von Gadflys seidenem Gehrock fast perfekt getroffen.
Das wahre Kunststück bei Gadfly bestand allerdings darin, ihn davon zu überzeugen, bei jeder Sitzung dieselben Kleider zu tragen. Die Ölfarbe brauchte Tage, bis sie trocken war, und es wollte ihm nicht in den Kopf, dass ich nicht auf eine Laune von ihm sämtliche Kleidungsstücke ändern konnte. Selbst für einen Elf war er ungewöhnlich eitel – also in dem Sinne, als würde man einen Teich als ungewöhnlich nass bezeichnen oder einen Bären als überraschend haarig. Für ein Geschöpf, das mich umbringen konnte, ohne deshalb seinen Tee verschieben zu müssen, war es allerdings eine charmante Eigenschaft.
»Vielleicht lasse ich die Manschetten noch mit Silberstickereien verzieren«, sinnierte er. »Was meint Ihr? Das ließe sich doch noch nachträglich hinzufügen, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Und wenn ich ein anderes Halstuch wählen würde …«
Innerlich verdrehte ich die Augen. Äußerlich schmerzte mein Gesicht schon von dem höflichen Dauerlächeln, das ich seit zweieinhalb Stunden aufrechterhielt, doch Unhöflichkeit zählte zu den Fehlern, die ich mir nicht erlauben durfte. »Solange das Tuch ungefähr gleich groß ist, kann ich es ändern, allerdings wäre dazu eine weitere Sitzung nötig.«
»Ihr seid wahrhaftig ein Ausnahmetalent. Viel besser als der letzte Porträtmaler – dieser Warzenbursche, den wir kürzlich hier hatten. Wie hieß er doch gleich? Sebastian Manywarts? Oh, ihn mochte ich ganz und gar nicht, er roch immer ein wenig streng.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass Gadfly von Silas Merryweather sprach, einem Meister der Malkunst, der schon vor dreihundert Jahren gestorben war. »Vielen Dank«, sagte ich. »Ein sehr aufmerksames Kompliment.«
»Es ist fesselnd zu sehen, wie sich die Kunst im Laufe der Zeit verändert.« Er hörte kaum zu und wählte von dem Tablett neben der Chaiselongue ein Törtchen. Doch er verzehrte es nicht sofort, sondern saß erst einen Moment da und starrte es wie ein Insektenforscher an, der einen Käfer mit nach hinten zeigendem Kopf entdeckt. »Man denkt immer, man habe bereits das Beste gesehen, was Menschen zu bieten haben, doch dann gibt es plötzlich eine neue Methode, Porzellan zu glasieren, oder diese fantastischen kleinen Törtchen mit Zitronencremefüllung.«
Mittlerweile war ich an die Eigenarten der Elfen gewöhnt. Ohne den Blick von seinem linken Ärmel zu heben, tupfte ich weiter an dem glänzenden gelben Schimmer der Seide. Nur allzu gut konnte ich mich an die Zeit erinnern, als mich das Verhalten der Elfen verunsichert hatte. Ihre Bewegungen waren anders als die der Menschen: geschmeidig, abgezirkelt, ihre Haltung hatte bis in die Fingerspitzen etwas seltsam Steifes. Sie konnten stundenlang dasitzen, ohne zu blinzeln, oder sich mit derart furchterregender Geschwindigkeit bewegen, dass sie einen am Wickel hatten, bevor man auch nur überrascht nach Luft schnappen konnte.
Ich lehnte mich mit dem Pinsel in der Hand zurück und betrachtete das fast vollendete Porträt als Ganzes. Dort war Gadflys starres Ebenbild, ebenso unveränderlich wie er selbst. Warum die Elfen so versessen auf Porträts waren, gab mir Rätsel auf. Vermutlich hatte es mit ihrer Eitelkeit zu tun und ihrem unersättlichen Durst, sich mit menschlicher Kunst zu umgeben. Sie würden nie an ihre Jugend zurückdenken, denn sie kannten nichts anderes, und wenn sie starben, falls dies überhaupt je geschah, wären ihre Porträts längst verrottet.
Gadfly wirkte wie ein Mann von Mitte dreißig. Wie alle seinesgleichen war er groß, schlank und schön. Seine Augen leuchteten im klaren Blau eines Himmels, von dem der Regen die Sommerhitze weggespült hat, sein Teint war so blass und makellos wie Porzellan, sein Haar besaß das strahlende Silber-Gold von Tau, der von der aufgehenden Sonne angestrahlt wird. Ich weiß, es klingt lächerlich, aber Elfen verlangen nach solchen Vergleichen. Man kann sie nicht anders beschreiben. Ein verschrobener Dichter starb einst aus Verzweiflung, weil er außerstande war, die Schönheit eines Elfen in einem Vergleich einzufangen. Ich halte es zwar für wahrscheinlicher, dass er mit Arsen vergiftet wurde, aber so wird es erzählt.
Doch ihr müsst wissen: Ihr Äußeres ist nur Glimmer, schöner Schein, darunter sehen Elfen nicht wirklich so aus.
Sie sind begabte Heuchler, jedoch unfähig zu lügen. Außerdem hat ihr Glimmer immer einen Makel. Bei Gadfly waren es die Finger, die entschieden zu lang waren, um menschlich zu sein, und an manchen Tagen wirkten die Gelenke merkwürdig miteinander verbunden. Blickte jemand zu lange darauf, verschränkte er die Hände und schob sie wie zwei Spinnen hastig unter eine Serviette, um sie zu verbergen. Er war von den Elfen, die ich kannte, der sympathischste und was Manieren anbelangte, sehr viel entspannter als die anderen, trotzdem war es nicht ratsam, ihn anzustarren – es sei denn, man hatte wie ich Grund dazu.
Nach einer Weile aß Gadfly sein Törtchen. Ich sah ihn nicht kauen, bevor er einen Bissen herunterschluckte.
»Für heute sind wir fast fertig«, ich wischte meinen Pinsel an einem Lappen ab und ließ ihn in das Glas mit Leinöl neben meiner Staffelei fallen. »Möchtet Ihr einen Blick darauf werfen?«
»Warum fragt Ihr überhaupt? Isobel, Ihr wisst doch, dass ich mir keine Gelegenheit entgehen lasse, Eure Kunst zu bewundern.«
Ehe ich mich’s versah, beugte sich Gadfly über meine Schulter. Obwohl er einen Höflichkeitsabstand einhielt, wurde ich von seinem unmenschlichen Duft umhüllt: einem farnähnlichen grünen Wohlgeruch nach Frühlingslaub, dem süßen Parfüm von Feldblumen. Darunter etwas Wildes – etwas, das seit Jahrhunderten durch den Wald streifte und dessen lange, spinnenähnliche Finger eine menschliche Kehle zusammenpressen konnten, während ihr Besitzer ein freundliches Lächeln zur Schau trug.
Mein Herzschlag setzte aus. Hier im Haus bin ich sicher, rief ich mir in Erinnerung.
»Ich glaube, dieses Halstuch ist wirklich mein liebstes«, sagte er. »Exquisit gemalt, wie immer. Welche Bezahlung hatten wir doch gleich vereinbart?«
Ich musterte verstohlen sein elegantes Profil. Aus dem blauen Band, das seine Haare im Nacken zusammenhielt, war wie zufällig eine Strähne herausgerutscht. Ich fragte mich, ob es Absicht war. »Wir hatten uns auf einen Zauber für die Hennen geeinigt«, erinnerte ich ihn. »Jede soll für den Rest ihres Lebens sechs Eier pro Woche legen und sie sollen lange leben.«
»Pragmatisch wie immer.« Er seufzte, als sei es eine Katastrophe. »Ihr seid die am meisten bewunderte Künstlerin Eurer Zeit. Stellt Euch all die Dinge vor, die ich Euch geben könnte! Ich könnte Perlen statt Tränen aus Euren Augen fallen lassen. Ich könnte Euch ein Lächeln verleihen, dem die Herzen der Männer verfallen, oder ein Kleid zaubern, das niemand, der es einmal gesehen hat, je wieder vergessen wird. Doch Ihr verlangt nach Eiern.«
»Ich finde Eier sehr schmackhaft«, erwiderte ich standhaft, wohl wissend, dass die Zauber, die er vorschlug, irgendwann alle seltsam und schal würden, am Ende sogar tödlich. Und was in aller Welt sollte ich mit irgendwelchen Männerherzen anfangen? Daraus ließ sich kein Omelett zubereiten.
»Nun denn, wenn Ihr darauf besteht. Der Zauber wird morgen in Kraft treten. Und jetzt, fürchte ich, muss ich mich wohl verabschieden – und mich um die Stickereien kümmern.«
Als ich mich erhob, knarzte mein Stuhl; Gadfly blieb an der Tür stehen und ich machte einen Knicks, den er mit einer eleganten Verbeugung quittierte. Wie die meisten Elfen war er ein Meister darin, so zu tun, als erwidere er die Höflichkeit aus freien Stücken, nicht aus diesem strengen inneren Zwang heraus, der für ihn ebenso notwendig wie Atmen war.
»Ach«, fügte er hinzu und richtete sich auf. »Beinahe hätte ich es vergessen. Am Frühlingshof kursierte das Gerücht, der Herbstprinz wolle Euch einen Besuch abstatten. Stellt Euch nur vor! Ich freue mich schon zu hören, ob er es schafft, eine ganze Sitzung still zu halten, oder ob er gleich nach seiner Ankunft wieder der Wilden Jagd hinterherstürmt.«
Mein Gesichtsausdruck entgleiste, als ich die Neuigkeit vernahm. Ich stand da und starrte Gadfly an, bis ein verdutztes Lächeln über seine Lippen huschte und er eine bleiche Hand nach mir ausstreckte, vielleicht, um herauszufinden, ob ich im Stehen gestorben war. Keine unbegründete Sorge, aus seiner Sicht schienen Menschen schon aus nichtigstem Anlass zu sterben.
»Der Herbst…« Meine Stimme war rau. Ich schloss den Mund und räusperte mich. »Seid Ihr ganz sicher? Ich dachte, er besuche Whimsy nicht mehr. Seit Hunderten von Jahren hat ihn niemand mehr …« Ich fand keine Worte.
»Ich darf Euch versichern, dass er am Leben und wohlauf ist. Ich habe ihn erst gestern auf einem Ball getroffen. Oder war es letzten Monat? So oder so, er soll morgen hier eintreffen. Richtet ihm Grüße von mir aus.«
»Es … Es wird mir eine Ehre sein«, stammelte ich und krümmte mich innerlich, weil ich so derart die Fassung verlor. Mit einem Mal hatte ich das Bedürfnis nach frischer Luft, ich öffnete die Tür. Nachdem ich Gadfly hinausbegleitet hatte, blieb ich stehen und beobachtete über das Feld mit Sommerweizen hinweg, wie sich seine Gestalt auf dem Weg entfernte.
Eine Wolke zog unter der Sonne vorbei und warf Schatten auf das Haus. In Whimsy blieb die Jahreszeit stets gleich, doch als...
| Erscheint lt. Verlag | 16.3.2020 |
|---|---|
| Übersetzer | Claudia Max |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | An Enchantment of Ravens |
| Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
| Schlagworte | ab 14 • Das Reich der sieben Höfe • Der dunklste aller Zauber • eBooks • Elfen • Elfenfantasy • Elfenkönig • elfenkrone • enemies to lovers • enemiestolovers • Erlkönig • Fantasy • Folk of the Air • Holly Black • Jugendbuch • Jugendbücher • Liebe • Magie • Märchenbuch • New York Times Bestseller • Prinz • Romance • Romantasy • Sarah J. Maas • Young Adult |
| ISBN-13 | 9783641231187 / 9783641231187 |
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