Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Es muss ja nicht perfekt sein (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | Deutsche Erstausgabe
cbj (Verlag)
978-3-641-19877-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Es muss ja nicht perfekt sein - Krystal Sutherland
Systemvoraussetzungen
6,99 inkl. MwSt
(CHF 6,80)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
50 irre Sonntage, viele Ängste und eine große Liebe

Esthers Familie ist ungewöhnlich. Das ist das Mindeste, was man sagen kann. Ihr Vater wagt sich nicht mehr aus dem Keller, der Bruder kann nur bei Licht schlafen und die Mutter hat panische Angst vor allem, was Unglück bringen könnte. Was Esthers größte Angst ist, weiß sie nicht. Aber vorsichtshalber notiert sie alles, was infrage kommen könnte, in einer Liste. Und die gerät ausgerechnet in die Hände von Jonah Smallwood – ihrem Schwarm aus der Grundschule. Doch statt sie auszulachen, hilft Jonah ihr, sich ihren Ängsten zu stellen. Gemeinsam arbeiten sie die Liste ab und kommen sich immer näher. Bis Esther erfährt, was Jonah getan hat.

Krystal Sutherland ist in Townsville, Australien, geboren und aufgewachsen, einem Ort, der noch nie einen Winter gesehen hat. Bevor sie 2011 nach Sydney zog, lebte sie in Amsterdam, wo sie als Auslandskorrespondentin gearbeitet hat, und in Hongkong. Krystal war auf der Shortlist für den Queensland Young Writers Award. Sie hat keine Tiere und keine Kinder, dafür aber ein Hollandrad mit dem Namen Kim Kardashian, und einen kleinen, aufblasbaren Dinosaurier namens Herbert. Ihr Debütroman war auf Anhieb ein großer Erfolg, wurde in mehr als zwanzig Länder verkauft und unter dem Titel »Chemical Hearts« mit Lili Reinhart verfilmt.

1

Der Junge an der Bushaltestelle

Esther Solar hatte schon eine halbe Stunde draußen vor dem Pflege- und Rehazentrum Lilac Hill gewartet, als sie erfuhr, dass das Schicksal schon wieder zugeschlagen hatte.

Ihre Mutter Rosemary Solar erklärte ihr am Telefon, dass sie sich unter keinen Umständen mehr in der Lage sehe, ihre Tochter abzuholen. Eine Katze, schwarz wie die Nacht und mit dämonengelben Schlitzaugen, hatte sich auf der Motorhaube der Familienkutsche niedergelassen. – Ein denkbar schlechtes Omen, das sie davon abhielt, loszufahren.

Esther reagierte gelassen. Das spontane Auftreten von Phobien war in der Familie Solar nichts Neues. Und so machte sie sich in ihrem roten Umhang, der sich in der abendlichen Brise bauschte und seltsame Blicke einiger Passanten auf sich zog, auf den Weg zur vier Häuserblocks von Lilac Hill entfernten Bushaltestelle.

Unterwegs fragte sie sich, wen normale Menschen in so einer Situation anrufen würden. Ihr Vater saß immer noch im Keller fest, wozu er sich selbst vor sechs Jahren verdammt hatte, Eugene war nicht aufzufinden (Esther vermutete, dass er mal wieder durch einen Spalt in der Realität gerutscht war – das passierte ihm von Zeit zu Zeit), und ihr Großvater besaß nicht mehr die feinmotorischen Fähigkeiten, die man zum Lenken eines Fahrzeugs benötigte (ganz zu schweigen von der Erinnerung, dass sie seine Enkelin war).

Im Grunde genommen gab es also nur sehr wenige Menschen, die Esther im Krisenfall beistehen konnten.

Die Bushaltestelle war für einen Freitagabend relativ leer. Nur eine weitere Person saß dort. Ein großer schwarzer Junge, angezogen wie eine Figur aus einem Film von Wes Anderson: mit limettengrüner Cordhose, Wildlederjacke und einer über die Haare gezogenen Baskenmütze. Der Junge schluchzte leise, weshalb Esther genau das tat, was man eigentlich tun soll, wenn ein völlig Fremder in der Öffentlichkeit seinen Gefühlen freien Lauf lässt – sie ignorierte ihn komplett. Erst setzte sie sich neben ihn, dann zog sie ein zerlesenes Exemplar von Der Pate aus ihrer Tasche und bemühte sich sehr, konzentriert darin zu lesen.

Die Lampen über ihnen brummten wie ein Wespennest und gingen flackernd an und aus. Hätte Esther ihren Blick gesenkt gehalten, dann wäre das nächste Jahr ihres Lebens völlig anders verlaufen. Aber sie war nun mal eine Solar, und die Solars besaßen die schlechte Angewohnheit, ihre Nasen in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen.

Der Junge schluchzte dramatisch. Esther schaute hoch. Quer über seinen Wangenknochen blühte eine Prellung im fluoreszierenden Licht dunkelviolett auf. Aus einem Riss in der Augenbraue tropfte Blut. Das gemusterte Oberhemd – eindeutig eine Kleiderspende aus der Mitte der 1970er-Jahre – war am Kragen eingerissen.

Wieder schluchzte der Junge auf, dann schielte er zu ihr rüber.

Esther vermied es eigentlich, mit Menschen zu reden, wenn es nicht zwingend nötig war. Manchmal mied sie Menschen sogar dann, wenn es eigentlich absolut nötig war.

»Hey«, sagte sie schließlich. »Alles okay?«

»Ich glaub, ich wurde überfallen«, sagte er.

»Glaubst du?«

»Kann mich an nichts erinnern.« Er zeigte auf die Wunde an seiner Stirn. »Man hat mir Handy und Geldbörse abgenommen, deshalb glaube ich, dass es ein Überfall war.«

Und in diesem Moment erkannte sie ihn. »Jonah? Jonah Smallwood?«

Die Jahre hatten ihn verändert, aber da waren noch immer dieselben großen Augen, das ausgeprägte Kinn, der durchdringende Blick, den er schon als Kind draufhatte. Natürlich hatte er inzwischen mehr Haare: einen Bartschatten und eine schwarze Mähne, die er im Pompadour-Style trug. Esther fand, er ähnelte Finn aus Star Wars: Das Erwachen der Macht, was, zumindest ihrer Ansicht nach, bedeutete, dass jemand ziemlich gut aussah. Er betrachtete sie, das Jackson-Pollock-Muster der dunklen Sommersprossen auf ihrem Gesicht, Hals und Armen sowie ihr erdbeerblondes Haar, das ihr bis über die Taille fiel. Er versuchte anscheinend, sie einzuordnen. »Woher weißt du, wie ich heiße?«

»Erinnerst du dich nicht mehr an mich?«

Sie waren damals mit acht nur ein Jahr lang befreundet gewesen, aber trotzdem. Esther spürte einen Anflug von Trauer, weil er sie anscheinend vergessen hatte. Sie hatte ihn jedenfalls nicht vergessen.

»Wir waren zusammen auf der Grundschule«, erklärte sie. »Ich war mit dir in der Klasse von Mrs Price. Du hast mich gefragt, ob ich deine Valentine sein will.«

Jonah hatte ihr eine Tüte Zuckerherzen gekauft und eine Karte gebastelt. Darauf hatte er zwei Birnen gezeichnet und dazu geschrieben We make the perfect pear. Wir sind das perfekte Paar. Als sie die Karte aufklappte, stand dort, sie solle ihn in der Pause treffen.

Esther hatte gewartet. Jonah war nicht aufgetaucht. Sie hatte ihn nie mehr gesehen.

Bis jetzt.

»Ach ja«, sagte Jonah zögernd, während man sah, dass es ihm endlich dämmerte. »Ich mochte dich, weil du, ungefähr eine Woche nachdem der Film rausgekommen war, vor der Buchhandlung gegen den Tod von Dumbledore demonstriert hast.«

So erinnerte sie sich daran: Die kleine Esther, sieben Jahre alt und mit leuchtend rotem Topfhaarschnitt, demonstriert vor dem örtlichen Buchladen mit einem Schild, auf dem steht: RETTET DIE ZAUBERER. Und dann ein Schnipsel aus den 18-Uhr-Nachrichten. Ein Reporter geht neben ihr in die Hocke und fragt: »Weißt du eigentlich, dass das Buch schon vor Jahren erschienen ist und man den Schluss nicht mehr ändern kann?« Sie hatte dazu stumm in die Kamera geblinzelt.

Zurück in der Realität: »Schrecklich, dass es davon einen Videobeweis gibt.«

Jonah deutete mit dem Kopf auf ihr Outfit. Das blutrote Cape, das am Hals von einer Schleife zusammengehalten wurde, und den Weidenkorb zu ihren Füßen. »Sieht aus, als wärst du immer noch seltsam. Oder warum bist du wie Rotkäppchen angezogen?«

Esther hatte schon seit ein paar Jahren keine Fragen mehr zu ihrer Vorliebe für Kostüme beantworten müssen. Fremde Leute auf der Straße gingen einfach immer davon aus, sie sei gerade auf dem Weg zu oder dem Heimweg von einem Kostümfest. Die Lehrer konnten – zu deren großem Bedauern – an ihrer Kleidung im Hinblick auf die geltenden Kleidervorschriften nichts bemängeln. Und ihre Klassenkameraden hatten sich längst daran gewöhnt, dass sie sich als Alice im Wunderland oder Bellatrix Lestrange aus Harry Potter verkleidete. Es war ihnen mehr oder weniger egal, solange sie weiter Gebäck für sie schmuggelte. (Mehr dazu gleich.)

»Ich habe meinen Großvater besucht. Dafür fand ich es passend«, erwiderte sie, was Jonah zufriedenzustellen schien, denn er nickte verständnisvoll.

»Hör mal, hast du ein bisschen Bargeld bei dir?«

Esther hatte mehr als ein bisschen Bargeld in ihrem Rotkäppchenkorb. Exakt fünfundfünfzig Dollar, komplett für ihre Hau-verdammt-noch mal-aus-diesem-Kaff-ab-Kasse gedacht, in der inzwischen 2.235 Dollar waren.

Aber zurück zum bereits erwähnten Gebäck. Dazu muss man wissen, dass es an der East River High, als Esther die elfte Klasse besuchte, zu grundlegenden Veränderungen in der Cafeteria kam, bis man dort nur noch gesundes Essen kaufen konnte. Vorbei die Zeiten von Pizza, Chicken Nuggets, Kartoffelplätzchen, Pommes und Burgern, die den Schulbesuch halbwegs erträglich machen. Der Name »Michelle Obama« wurde jetzt jedes Mal wütend gezischt, wenn ein neues Gericht wie Suppe aus Lauch und Blumenkohl oder Brokkoliquiche auf dem Speiseplan auftauchte. Esther hatte darin eine vielversprechende Geschäftsidee gesehen und aus einer Backmischung Double Chocolate Fudge Brownies gebacken. Die brachte sie am nächsten Tag mit in die Schule, verkaufte jeden Brownie für fünf Dollar und erwirtschaftete so den krassen Profit von fünfzig Dollar. Seit damals war sie zum Walter White des Junkfood aufgestiegen. Ihr Imperium hatte sogar dazu geführt, dass die Kundschaft an der Schule sie inzwischen »Kuchenheimer« nannte.

Erst kürzlich hatte sie ihr Territorium auf das Alten- und Pflegeheim Lilac Hill ausgeweitet. Dort waren die aufregendsten Sachen auf dem Speiseplan geplatzte Hotdogs und Kartoffelbrei ohne alles. Das Geschäft boomte.

»Warum?«, fragte sie zögernd.

»Ich brauche Geld für eine Busfahrkarte. Du gibst mir Bargeld und ich kann es mit deinem Handy direkt von meinem Konto auf deins überweisen.«

Das klang verdammt unseriös, aber Jonah hatte blaue Flecken, blutete und heulte. Außerdem sah sie in ihm immer auch noch ein bisschen den süßen kleinen Jungen, der sie mal so sehr gemocht hatte, dass er ihr zwei Birnen gezeichnet hatte.

Also fragte Esther: »Wie viel brauchst du?«

»Wie viel hast du? Ich nehme alles und überweise es dir gleich.«

»Ich habe fünfundfünfzig Dollar.«

»Dann nehme ich fünfundfünfzig Dollar.«

Jonah stand auf und setzte sich direkt neben sie. Er kam ihr jetzt viel größer vor und auch dünner. Irgendwie erinnerte er sie an eine Maispflanze. Sie sah ihm dabei zu, wie er die Banking App auf ihrem Handy öffnete, sich einloggte, die Kontodaten eingab, die sie ihm nannte, und die Überweisung in Auftrag gab.

Überweisung erfolgreich, stand in der App zu lesen.

Also bückte sie sich, öffnete ihren Korb und gab ihm die 55 Dollar, die sie heute im Lilac Hill verdient hatte.

»Danke«, sagte Jonah und gab ihr die Hand. »Du bist echt in Ordnung, Esther.« Dann stand er auf, zwinkerte ihr noch mal zu und war verschwunden. Wieder mal.

So war es Jonah Smallwood an...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2019
Übersetzer Henriette Zeltner-Shane
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel A Semi-Definitive List of Worst Nightmares
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 14 • Angststörung • Depression • eBooks • Erste Liebe • Harold und Maude • Jennifer Niven • Jugendbuch • Jugendbücher • Liebesromane • Rainbow Rowell • Selbstwert • Social Media • Unsere verlorenen Herzen • Wes Anderson • Young Adult • youtube
ISBN-10 3-641-19877-1 / 3641198771
ISBN-13 978-3-641-19877-0 / 9783641198770
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Der rote Nachtfalter

von Kristen Ciccarelli

eBook Download (2025)
Ravensburger (Verlag)
CHF 14,65
(Band 3:) Die letzte Stunde

von Stella Tack

eBook Download (2025)
Ravensburger (Verlag)
CHF 15,60