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Wenn nachts der Ozean erzählt (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
288 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-19498-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wenn nachts der Ozean erzählt -  Zana Fraillon
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Ein Buch über Freiheit, Hoffnung und die heilende Kraft von Geschichten
Subhi ist ein Flüchtlingskind, geboren in einem Auffanglager. Seine Welt beschränkt sich auf einen staubigen Flecken Erde hinter einem Maschendrahtzaun. Aber wenn alle schlafen, dann träumt Subhi vom Nachtmeer, das zu seinem Zelt kommt und ihm Schätze bringt. Eines Tages bringt es ihm Jimmie. Das Mädchen Jimmie lebt auf der anderen Seite des Zauns, fühlt sich jedoch genauso verloren und einsam wie Subhi. Zwischen den beiden entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft, die auf eine harte Probe gestellt wird. Am Ende müssen beide mutiger sein als je zuvor, um sich und der Welt neue Hoffnung zu geben.

Zana Fraillon ist Grundschullehrerin und Autorin. In ihrem Heimatland Australien sind bereits mehrere Bücher von ihr erschienen. Sie wünschte, dass sie dieses hier nie hätte schreiben müssen. Aber wenn es auch nur ein paar Menschen wachrüttelt, ist vielleicht schon viel gewonnen. Zana Fraillon lebt mit ihren drei Söhnen, ihrem Mann und zwei Hunden in Melbourne.

1

In manchen Nächten verwandelt sich der Sand draußen in einen wunderschönen Ozean. Rot wie die Sonne und tief wie der Himmel.

Ich liege auf dem Bett, und lausche den Wellen, die gegen das Zelt schlagen, Queenys Füße drücken an meine Wange. Sie findet mich dumm, weil ich so etwas sage. Aber es stimmt. Sie sieht den Ozean bloß nicht, ist alles. Maá sagt, es gibt Menschen, die können all die verborgenen Teilchen sehen, die der Nordwind aus dem Universum heranbläst und im Schatten verteilt. Queeny, sie versucht nie, in den Schatten zu schauen. Nicht mal kurz.

Aber Maá sieht ihn. Sie kann den Ozean draußen auch hören. ›Du hörst ihn, ?‹, flüstere ich, meine Finger tasten im Dunkeln nach ihrem Lächeln.

Morgens, wenn die Erde noch feucht und vom Schaum der Wellen bedeckt ist, verfolge ich die Spuren von Hunderten von Tieren, die bis zum Zelt geschwommen sind und ihre Gesichter gegen die Zeltöffnungen pressen, weil sie einen Blick auf uns in unseren Betten erhaschen wollen. Queeny sagt, es sind überhaupt keine richtigen Betten, bloß alte Armeepritschen und noch ältere Armeedecken. Queeny sagt, ein richtiges Bett hat Sprungfedern und Kissen und Federn, außerdem kratzen richtige Decken nicht.

Ich glaube nicht, dass die Tiere den Unterschied kennen oder dass es wichtig für sie ist. Heute Morgen fand ich neben den Tieren eine Muschel. Ich atmete ihren Geruch ein. Nach Hitze und salzigem Fisch, wie der tiefe Grund des Ozeans. Und auch wenn Queeny es nicht glaubt und brummte, wann ich endlich erwachsen werde und ob ich bitte aufhören kann, sie die ganze gottverdammte Zeit zu nerven, gab sie mir trotzdem ihr letztes Stück Papier und sagte, ich kann mir ihren Stift ausleihen, um die Überschrift schwarz auf das Blatt zu schreiben. Das Nachtmeer und seine Bewohner. Ich malte das Bild so gut es eben ohne Farben und mit dem feuchten, welligen Papier ging. Ihren Stift und ihr Papier zu benutzen hat mich bloß meine Seife gekostet, und die hole ich mir später sowieso wieder von ihr zurück. Schwestern sollten von ihren Brüdern nichts für Papier verlangen.

Ich kuschle mich an Maá und schiebe meine Beine zwischen ihre – vorsichtig, damit ich sie nicht aufwecke, denn heute ist einer ihrer müden Tage – und schaue mir alle Bilder in meiner Schachtel an. Ich muss bald eine neue finden, eine Seite haben die Ratten schon fast weggenagt und der Rest ist, selbst nachdem ich die Schachtel zum Trocknen in die Sonne gestellt habe, feucht und modrig. Ganz unten liegen ein paar Bilder mit Überschriften in Maás Handschrift, sie sind von damals, als ich noch nicht schreiben konnte. Ich mag Maás Handschrift lieber als meine. Bei ihr fließen die Wörter einfach so aufs Blatt. Ich fahre mit den Fingern über ihre Buchstaben und atme sie ein wie die Gerüche aus meiner Muschel.

Morgen, wenn es ihr besser geht, werde ich Maá mein neues Bild und die Muschel zeigen und ihr wieder vom Nachtmeer und seinen Schätzen erzählen. Ich werde ihr jede kleine Kleinigkeit erzählen und sie kichern hören und lächeln sehen.

Als ich meine Beine herausziehe und ihr zuflüstere, dass es gleich Frühstück gibt und ob sie nicht mitkommen und etwas essen möchte, öffnet sie die Augen einen Spalt und ihr Mund beginnt zu lächeln. ›Nur bisschen länger, ?‹, sagt sie in ihrem Englisch, das nie ganz richtig ist. ›Ich nicht viel hungrig, Subhi, Liebling.‹

Maá ist nie viel hungrig. Als sie das letzte Mal ihr Essen aufgegessen und nicht nur darin herumgestochert hat, war ich erst neunzehn Zaunrauten groß. Ich erinnere mich daran, weil es Queenys Geburtstag war und Maá uns an unseren Geburtstagen immer misst. Mittlerweile bin ich mindestens einundzwanzig oder zweiundzwanzig groß, vielleicht sogar zweiundzwanzigeinhalb. Ich bin schon länger nicht mehr gemessen worden.

Maá ist nie viel hungrig, ich immer. Eli schätzt, dass ich gerade einen Wachstumsschub habe. Weil seine eigene Familie nicht hier ist, lebt Eli mit anderen im Familienzelt 4. Früher wohnten Eli und ich im selben Zelt, dem Familienzelt 3, aber dann haben die Aufpasser ihn verlegt. Das tun sie manchmal. Ich verstehe aber nicht warum, denn im Familienzelt 4 wohnen siebenundvierzig Leute und im Familienzelt 3 nur zweiundvierzig Leute. Dass der Altersunterschied zwischen Eli und mir noch größer ist als zwischen Queeny und mir, ist nicht wichtig, er ist trotzdem mein bester Freund und wir erzählen uns alles. Eli sagt, wir sind sogar mehr. Wir sind Brüder.

Eli hat vermutlich Recht mit dem Wachstumsschub, denn heute bin ich nach dem Essen immer noch hungrig, dabei habe ich sogar eine besonders große Portion in meine Schale bekommen. ›Du musst stark sein, damit du auf deine Mutter aufpassen kannst, stimmt’s?‹, fragte der Mann, der uns das Essen gab. Ich nickte, weil ich mehr haben wollte, aber ich weiß nicht, was er mit Aufpassen meinte.

Eli beugte sich zu mir und sagte: ›Wenn du stark sein willst, dann iss sowas nicht.‹ Aber mir lief schon vom bloßen Anblick das Wasser im Mund zusammen. Die letzten vier Tage waren die Lebensmittel rationiert und wir haben nur halbe Portionen bekommen. Egal, was Eli sagte, ich würde mir das Essen nicht verderben lassen.

Als ich fertig bin, schaue ich zu den anderen, die sich an dem langen Tisch über ihre Schalen beugen, und zu denen, die an der Wand stehen und essen, niemand scheint auf sein Essen verzichten zu wollen, nicht einmal, nachdem jemand etwas, das wie ein Stück Plastik aussah, aus dem Mund gepult hat. Sie löffeln ihren Brei bloß vorsichtiger.

Maá sagt, ich soll mir das Essen nie zu genau ansehen, und wenn ich Fliegen oder Würmer darin finde, erklärt sie mir jedes Mal, dass ich besonderes Glück habe, weil ich auf diese Art Eiweiß bekomme. Einmal habe ich sogar einen menschlichen Zahn in meinem Reis gefunden. ›Hey, Maá, bringt der auch Glück?‹, fragte ich und Maá sah ihn sich an und sagte: ›Wenn du Zahn brauchst.‹ Sie lachte lange über ihren Witz. Dabei war er eigentlich überhaupt nicht lustig.

Eli bemerkt meinen Blick und schiebt mir seine halbvolle Schüssel zu. »Du verrückter Junge. Kein normaler Mensch will mehr von diesem Dreck.‹ Er sagt es besonders laut und die Aufpasser kommen einen Schritt näher, ihre Hände liegen auf den Schlagstöcken, falls wir vergessen haben sollten, was passiert, wenn wir im Essenszelt herumstänkern.

›Aber wir haben Glück, Subhi, heute ist das Essen nur zwölf Tage über das Verfallsdatum.‹ Eli deutet auf die leeren Kübel neben der Küche und seine Stimme wird noch lauter. Als ich mitbekomme, wie sich die Aufpasser Blicke zuwerfen und darauf warten, dass Eli zu weit geht, fängt das Essen in meinem Magen zu brennen an.

›Und was ist es?‹, frage ich zurück.

Eli scheint das Zittern in meiner Stimme gehört zu haben, nur das, denn statt die Aufpasser anzustarren, wendet er sich zu mir. ›Hund‹, flüstert er. ›Eindeutig Hund.‹

Es ist ein Spiel, das Eli mir beigebracht hat. ›Essen erraten‹. Meistens ist das Essen braun und zermatscht und unmöglich zu erraten. Nichts davon sieht wie das Essen in den Zeitschriften aus, die manchmal im Aufenthaltsraum auftauchen.

Ich esse den letzten Löffel von Elis Teller und schließe die Augen. ›Nein. Es ist Hühnchen in Schokoladensauce mit einem Tropfen Honig. Hund wird nicht in Kübeln mit Verfallsdatum geliefert.‹

Eli fängt laut zu lachen an und schlägt mit der Hand auf den Tisch, die Schale landet scheppernd auf dem Boden und das Klirren des Metalls lässt alle anderen im Zelt verstummen. Es ist völlig klar, was die Aufpasser nun tun werden, Eli und ich rennen schnell nach draußen, mit einem Sprung über die Sitzbänke drängen wir uns an der wartenden Menschenschlange vorbei. Wir lachen noch immer, obwohl uns die Luft von unserem Keuchen in der Kehle stecken bleibt; wenn ich nicht bald aufhöre, spucke ich bestimmt mein Mittagessen aus und dann habe ich wieder Hunger.

Als wir genug Abstand haben, hole ich meine Muschel heraus und zeige sie Eli. Er ist der Einzige, dem ich alle meine Schätze zeige.

›Ba hat mir wieder etwas geschickt‹, sage ich.

Eli mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. Ich glaube, er ist nicht sicher, ob es mein Ba ist, der mir diese Schätze schickt, während die anderen schlafen. Aber wenn irgendjemand weiß, wie er das Nachtmeer herbeiflüstern muss, um dem Kind, das er nie kennengelernt hat, eine Nachricht zu schicken, dann ist das mein Ba.

›Dein Vater muss echt besser werden mit seinen Nachrichten, bisher versteht keiner von uns, was er dir mitteilen will‹, sagt Eli und schlägt auf den roten vereiterten Moskitostich auf seinem Bein. Ich brauche ihn nur anzusehen, um zu wissen, wie weh er ihm tun muss.

Eli hat Recht. Aber mein Nachtmeer spült schon seit fünf Jahreszeiten Schätze an, und beim ersten, den ich fand, lächelte Maá tiefer als je zuvor, und das Lächeln verschwand den ganzen Tag nicht mehr. Sie presste den Schatz an sich und flüsterte den Namen meines Ba, sie gab ihn erst zurück, als ich ihr sagte, sie hätte ihn lang genug gehabt und das wäre nur fair. Der Schatz war eine kleine Ritterstatue. Es gibt noch andere. Ein kleines blaues Auto, dessen Türen sich öffnen lassen, eine alte grüne Münze mit Schwarz am Rand, einen Stern, der den weiten Weg aus dem Weltraum heruntergefallen ist, einen Stift, der zwar nicht schreibt, sich aber schwer und gut in meiner Hand anfühlt, und ein mit schwarzem Stift gezeichnetes Bild von tausend Vögeln, die frei im Wind fliegen. Jeder dieser Schätze wurde von einer Welle angespült, die nur ich sehe.

Ich gebe meine Muschel Eli, der sie lächelnd nimmt und in...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2017
Übersetzer Claudia Max
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Bone Sparrow
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 12 • Aufstand • Australien • eBooks • Flüchtlingscamp • Flüchtlingskind • Flüchtlingskrise • Flüchtlingslager • Freundschaft • Jugendbuch • Young Adult
ISBN-10 3-641-19498-9 / 3641194989
ISBN-13 978-3-641-19498-7 / 9783641194987
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