Meg Leder ist Korrektorin für verschiedene Fachzeitschriften und Fachverlage in New York City. Bekannt wurde sie vor allem durch ihr viel gelobte Nachschlagewerk 'The Handbook of Novel Writing'. Meg Leder hat seit neuestem ihren Hort in Brooklyn, NY.
Am ersten Tag meines dritten Jahrs an der Highschool setzte sich in den ersten zwei Minuten der Schulversammlung der hübscheste Junge, den ich in meinen sechzehn ungeküssten Jahren je gesehen hatte, in meine Nähe, sah mich an und zog eine Augenbraue hoch.
Er hatte graugrüne Augen, so kühl wie ein Kieselstein.
Er trug ein Fänger im Roggen-T-Shirt und einen dunkelblauen Cordblazer mit Flicken an den Ellbogen.
Und er roch nach Zimt.
Hätte ich mir den perfekten Jungen zaubern sollen, ich hätte es nicht besser machen können.
»Hey«, sagte er und nickte in meine Richtung. »Wie gefällt dir das?«
Ohne zu überlegen, schaute ich auf den Platz neben mir. Aber nein, Eph hatte sich auf seinen Stuhl gefläzt und kritzelte irgendwas Kompliziertes in ein Notizbuch. Ich schaute auch vor mich, aber da unterhielt sich Audrey mit dem Rücken zu uns gerade mit Cherisse.
Der Junge redete anscheinend mit mir.
Der Junge mit den kräftigen Augenbrauen und dem hübschen Kopf voller brauner Locken redete mit mir.
»Ohhhh?«, sagte ich verblüfft, und es klang, als ob jemand auf eine Maus getreten sei. Ich zeigte mit dem Finger auf meine Brust. Ich?
Er nickte und grinste ironisch. »Klar, du, Scout.«
Mein Herz machte einen Satz, schoss durch meine Rippen bis hinauf in die Kehle, blieb dort einen Atemzug lang und plumpste sogar noch schneller wieder an seinen Platz zurück.
Als hätte ich mit dem Finger in eine Steckdose gegriffen.
Als sei ich vom Blitz getroffen worden.
Irgendwas in mir rührte sich.
»Wie gefällt mir was?« Dabei strich ich mit den Handflächen über meine Oberschenkel und bemühte mich, cool zu sein und lässig.
»Dein Comic«, sagte er und zeigte auf das Exemplar von Watchmen, das aus meiner Tasche ragte. »Magst du es?«
Der süße Junge auf der anderen Seite des Mittelgangs fing ohne ersichtlichen Grund ein Gespräch mit mir an, und flüchtig kam mir dieser schwindelerregende Gedanke: Wow, vielleicht passiert es endlich. Und: Danke, liebes Jesuskind, dass du Eph dazu gebracht hast, mir sein Exemplar von Watchmen zu leihen.
Dann machte ich den Mund auf.
»Oh, du meinst diese Graphic Novel? Die gehört mir nicht, mein Freund hat sie mir geliehen …« Ich deutete mit dem Kopf in Ephs Richtung, vermied es aber, den Blick von dem Jungen abzuwenden. »Was ziemlich cool ist, weil es eine Erstausgabe ist und er ein Megafan. Wahrscheinlich wird er irgendwann auch Comiczeichner …« Der wunderschöne Junge nickte amüsiert, also legte ich nach. »Hast du es gelesen? Ich bin noch nicht durch, aber ich hab den Film gesehen, und der war ziemlich gut, obwohl Eph meinte, im Film hätten sie eine Menge versaut …«
Der Junge wollte gerade etwas sagen, aber planlos aus meinem Mund purzelnde Worte hinderten ihn daran. »Obwohl ich mich eigentlich schwertue, dieses Graphic-Novel-Zeugs zu lesen, also fange ich einen Dialog von oben nach unten oder von links nach rechts an …« Dazu fuchtelte ich mit den Händen wie verrückt herum, als hätte ich einen Comic vor mir. »Oder vielleicht ist das ja auch egal – keine Ahnung. Aber ich lese jedenfalls total gern.«
Mit Müh und Not kam ich zum Ende, weil mir die Luft ausgegangen war, aber auch weil der Junge diesen unergründlichen Gesichtsausdruck angenommen hatte, von dem ich nur vermuten konnte, was er bedeutete. Nämlich dass er über die nächstmögliche Fluchtroute nachdachte, damit er mir nie wieder begegnen müsste.
Ich zuckte zusammen. »Oh Gott, tut mir leid.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte mich nur ein bisschen unterhalten …«
Er wollte sich nur ein bisschen unterhalten. Er versuchte nur, höflich zu sein.
Ich spürte, wie ich vom Hals aufwärts rot wurde, und ein großer Teil von mir wäre am liebsten aufgesprungen und hätte gekreischt: Ich bin schrecklich darin, mich mit Jungs zu unterhalten! Ich bin schrecklich darin zu leben! Und danach einfach wegrennen, so weit es geht, bis zu einer einsamen Forschungsstation am Nord- oder Südpol (also zu dem mit den Pinguinen), wo ich für den Rest meines Lebens nie mehr in Kontakt mit anderen menschlichen Wesen kommen müsste.
(Ein anderer Teil von mir – ein klitzekleiner – wünschte sich verzweifelt, eine Minute zurückzuspulen. Bis dahin, bevor ich meinen Mund öffnete, bevor ich wusste, dass er nur höflich sein wollte. Zu dem Moment, als mein Herz noch voller Hoffnung und wie elektrisiert gewesen war.)
»Manchmal rede ich zu viel …«, fing ich eben an zu erklären, als Cherisse – eine aus der Top Ten aller Leute weltweit, die ich am wenigsten mag (und zwar inklusive Diktatoren und Leuten, die Hundekämpfe veranstalten) – keuchte: »Oh mein Gott, Keats!«
Der wunderschöne Junge – offensichtlich Keats – errötete und zog die Augenbrauen hoch. »Hey, Cherisse. Ich habe mich schon gefragt, wann ich dich hier sehen würde.«
Er schob die Ärmel seiner Jacke hoch und beugte sich rüber, um Cherisse einen Kuss auf die Wange zu geben. Dabei sah ich einen rot-weiß geringelten Socken unter dem Saum seiner Cordhose hervorschauen. Der andere war dunkelblau mit Giraffen drauf.
Jetzt wurde Cherisse rot, warf ihr Haar über die Schulter und spielte mit dem Anhänger ihrer goldenen Halskette. Gleichzeitig lehnte sie sich weit zu Audrey rüber und nutzte ihren Rücken sehr effektiv, um mich von der Unterhaltung auszuschließen.
»Aud, das hier ist der Junge, von dem ich dir erzählt habe! Sein Dad und mein Dad kennen sich schon ewig.«
»Wow, schon ewig also«, murmelte Audrey höflich, fing meinen Blick auf und lächelte entschuldigend.
Ich zuckte mit den Achseln und schaute in mein Notizbuch.
»Ich kannte Keats schon, als wir noch nicht mal sprechen konnten«, fuhr Cherisse fort und lächelte ihn affektiert an. Ich spürte, dass Enttäuschung sich wie ein Seufzer der Erschöpfung in mir ausbreitete. Selbst wenn ich es mit meinem epischen Monolog über Watchmen nicht verbockt hätte, sobald Cherisse und ihr glänzendes Haar und ihre Konversationsfähigkeiten ins Spiel kamen, war ich chancenlos.
Cherisse zeigte auf Audrey. »Keats, das ist meine Besti, Audrey. Du wirst sie lieben.«
Am liebsten hätte ich gesagt, Audrey ist meine beste Freundin, aber ich war ja keine sieben mehr, also biss ich mir nur auf die Lippe und sah zu, wie sie sich miteinander bekannt machten.
»Nett, dich kennenzulernen«, sagte Keats und beugte sich über den Mittelgang, um Audreys Hand zu schütteln. Das kam mir echt gentlemanlike und höflich vor, und sie schüttelte seine Hand und sagte: »Freut mich sehr.« Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, nur halb so charmant plaudern zu können wie Audrey.
Cherisse zeigte auf Eph. »Und der groß gewachsene, gut aussehende Hottie da ist unser Freund Eph.«
Groß gewachsener, gut aussehender Hottie? Wer redete denn so?
Eph schaute von seiner Zeichnung hoch. »Hey, Mann«, sagte er, hob das Kinn in Keats Richtung und beugte sich dann wieder über sein Bild.
Cherisse lächelte. Offensichtlich war sie mit Vorstellen fertig. Ich spürte die vertraute Mischung aus Peinlichkeit und allgemeiner Übelkeit, die mich jedes Mal überkam, wenn klar wurde, dass sie sich mit mir nur abgab, weil meine Anwesenheit der Nebeneffekt ihrer Freundschaft mit Audrey war. Warum kümmerte es mich überhaupt, was Cherisse dachte? Mir doch egal, oder?
Äußerlich wurde ich rot, innerlich zog sich alles in mir zusammen, weil es einfach schrecklich ist, absichtlich übersehen zu werden, wenn ein süßer Junge in der Nähe ist. Dazu kam noch das grauenhafte Flirtversagen von vorhin – streichen wir das, und sagen wir: das epische Lebensversagen. Die Flucht zu der einsamen Forschungsstation auf dem Pol mit den Pinguinen schien mir immer verlockender.
Aber dann legte Audrey ihre Hand auf seinen Arm und zeigte auf mich. »Keats, du musst meine Freundin Penelope kennenlernen.«
Hätte ich Audrey als Highschool-Heilige nominieren können, ich hätte es auf der Stelle getan.
Cherisse warf einen abschätzigen Blick über ihre Schulter, und zwar so kurz, dass ich mir sicher war, ihn als Einzige bemerkt zu haben.
Zaghaft lächelte ich Keats an. »Äh, wir haben uns schon kennengelernt«, sagte ich.
Audrey hob eine Augenbraue und taxierte mich, als wolle sie sagen: Hallo, was soll das?, während Keats mir in die Augen schaute und mein Herz zu flattern begann, als erwache es aus einem Zauberschlaf.
Er machte Anstalten, etwas zu mir zu sagen – war also vielleicht doch noch nicht alles verloren? –, aber da unterbrach Cherisse ihn auch schon. »Was für Kurse hast du denn? Du bist im Advanced Placement, stimmt’s?«
Seine Augen hielten noch eine Sekunde lang meinen Blick fest, bevor er bedauernd mit den Schultern zuckte und sich Cherisse zuwandte. »Carroll in Chemie.«
Ich wollte eben sagen: »Die habe ich auch«, aber da kreischte Cherisse auch schon theatralisch: »Die ist irre! Audrey, ist sie nicht letztes Jahr bei dir in Bio durchgedreht?«
Ich lehnte mich zurück, während Audrey von Mrs Carrolls denkwürdigem Zusammenbruch berichtete: einer von der totalen Sorte mit Heulen und Aus-dem-Klassenzimmer-Rennen, nachdem jemand bei einem Experiment angefangen hatte Tiny Bubbles zu singen.
Jemand tippte auf meine Schulter.
»Wie findest du das?«,...
| Erscheint lt. Verlag | 25.7.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Henriette Zeltner-Shane |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Museum of Heartbreak |
| Themenwelt | Literatur |
| Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
| Schlagworte | ab 12 • beste Freunde • Coming of Age • eBooks • Erste Liebe • Familie • Freundschaft • gebrochenes Herz • Jugendbuch • Jugendbücher • Liebeskummer • Mädchenfreundschaft • Mädchenroman • Museum of Natural History • New York • Young Adult |
| ISBN-10 | 3-641-16313-7 / 3641163137 |
| ISBN-13 | 978-3-641-16313-6 / 9783641163136 |
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