Silfur - Die Nacht der silbernen Augen (eBook)
Sommerferien in Island, einem Land, in dem die Menschen sich am Lagerfeuer Geschichten über Elfenwesen und Wiedergänger erzählen. Doch handelt es sich dabei wirklich nur um Geschichten? Die Brüder Fabio und Tom sind sich da zunehmend unsicher. Gemeinsam mit Elín, dem wilden isländischen Mädchen, das ihnen nicht nur die Hauptstadt Reykjavík zeigt, sondern sie auch mit zu einem Reiterhof in der Nähe der berühmten Hraunfossar-Wasserfälle nimmt, stoßen sie auf eine geheimnisvolle Welt im Verborgenen …
Nina Blazon, geboren in Koper bei Triest, las schon als Jugendliche mit Begeisterung Fantasy-Literatur. Selbst zu schreiben begann sie während ihres Germanistik-Studiums. Ihr erster Fantasy-Jugendroman wurde mit dem Wolfgang-Hohlbein-Preis und dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Seither haben Nina Blazons Bücher zahlreiche Preise erhalten, darunter 2016 den Seraph für »Der Winter der schwarzen Rosen«. Die erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin lebt in Stuttgart.
Fabios Eltern hatten also keinen Witz gemacht. Die Isländer aßen tatsächlich vergammelten Haifisch! Fabios Bruder Tom schob die gelblichen Würfel schon seit fünf Minuten auf seinem Teller hin und her. Papa grinste. »Macht nicht solche Gesichter, Jungs, traut euch. Ja, es riecht ein bisschen ungewöhnlich. Aber hier in Island ist das eine Spezialität.«
Fabio und Tom sahen sich zweifelnd an und rümpften die Nasen. Ein bisschen ungewöhnlich? Das Zeug müffelte bestialisch – nach scharfem Putzmittel und ein bisschen sogar nach dem Jungsklo im Fußballverein, fand Fabio.
»Das Haifleisch wird ein paar Wochen lang im Boden eingegraben und danach getrocknet«, erklärte Papa. »Nur so wird es genießbar.«
Er spießte todesmutig einen Brocken auf die Gabel und aß. Mama folgte seinem Beispiel und kaute tapfer. Fabio wurde schon beim Zuschauen schlecht.
»Schmeckt interessant«, sagte Mama. »Und bestimmt ist dieser … ähm … Hákarl auch gesund. Oder, Björg?«
»Haukartl«, sagte Björg. »Man spricht es Haukartl aus. Sehr gesund!«
Tom zeigte Fabio sein irrsinnigstes Schielen, griff sich dramatisch an den Hals, als würde er sich selbst würgen. Fabio schoss das Blut in den Kopf, so sehr verbiss er sich das Lachen.
»Das habe ich gesehen, Tom«, mahnte Papa streng. »Aber man darf erst meckern, wenn man auch wirklich probiert hat!«
Tom und Fabio versuchten nun beide, nicht loszuplatzen. Auf den Stinkefisch hatte sich Toms Grimasse nämlich gar nicht bezogen, sondern auf den komischen Vornamen ihrer Vermieterin, die sich jetzt gut gelaunt noch ein Stück Roggenbrot abschnitt und dick mit Butter beschmierte. Sie hieß mit Vornamen tatsächlich Björg.
»Klingt ja wie Würg!«, hatte Tom Fabio feixend zugeflüstert. Dabei hätte schon Björgs Aussehen für eine ganze Reihe von Spitznamen gereicht. Vampira oder Batgirl zum Beispiel. Björg war nämlich ziemlich blasshäutig und trug schwarze weite Flatterklamotten. Ihre Augen waren dick mit schwarzer Schminke umrandet und sie hatte einen punkigen Haarschnitt. Schwarzes fransiges Haar, in das ein paar schneeweiße, flippige Strähnchen eingefärbt waren. An ihrem rechten Ohr baumelte zudem ein kleiner silberner Totenkopf. Kaum zu glauben, dass Björg und Mama gleichalt sein sollten. Björg erinnerte in ihrer Aufmachung eher an das Gothic-Mädchen, das in Fabios Schule in die Oberstufe ging.
»Jungs?« Mama deutete auffordernd auf die Teller und lächelte sehr breit. Das war nicht ihr normales Lächeln. Es war das LÄCHELN.
Meistens bedeutete es: Letzte-Warnung-oder-es-raucht! Im Moment konnte man es übersetzen mit: »Gammelhai schmeckt schlimmer als Krötensuppe, aber als Gäste müssen wir höflich sein, also esst gefälligst!«
Tom gab sich geschlagen, türmte ein paar Haiwürfel auf sein Brot, stopfte sich alles auf einmal in den Mund und kaute. »Schmeckt wie salziger Radiergummi«, nuschelte er.
Die Erwachsenen brachen in Gelächter aus und klatschten Beifall, als hätte Tom eine Schwertschluckernummer hingelegt. Typisch, dachte Fabio. T. T., der »Tolle Tom« hatte seinen Vorsprung wieder gesichert. Und prompt schweiften alle Blicke zu Fabio. »Hm, lecker, lecker!«, sagte Tom und grinste mies.
Vielen Dank, dachte Fabio. Aber er hatte keine Wahl, er musste Tom übertrumpfen. Wenigstens war das diesmal leichter zu schaffen als sonst. Also schob er nicht nur ein paar, sondern alle gelben Brocken auf einmal auf sein Brot. Der scharfe Gestank brannte schon in seiner Nase. Er versuchte, nicht einzuatmen, während die Grässlichkeit Kurs auf seinen Mund nahm.
Aber fürs Erste rettete ihn ein Türenknallen. Nein, es war eher ein Donnern. Es brachte die Scheiben zum Zittern und im Küchenregal klapperten leise die blau geblümten Tassen.
»Im Haus zieht es wohl«, bemerkte Mama.
Björg seufzte tief. »Nein, nein. Das ist nur Elín. Meine Tochter.«
»Oh, du hast eine Tochter?« Mama spähte erfreut zur Küchentür. »Wie alt ist sie denn?«
»Elf«, erwiderte Björg.
»Das ist ja toll«, rief Mama. »Dann ist sie fast im selben Alter wie unsere Söhne. Habt ihr gehört, ihr beiden? Vielleicht zeigt euch Elín ja, was Kinder hier in der Stadt alleine unternehmen können?«
Tom und Fabio wechselten nur einen vielsagenden Blick. Klar, ihre Mutter hoffte, sie nicht die ganzen drei Ferienwochen über ständig an der Backe zu haben. Nicht umsonst hatte sie ihr ganzes Malzeug mitgeschleppt, um – wie sie betonte – »endlich mal wieder in Ruhe kreativ sein zu können«.
Die Treppe knarrte unter ihren Schritten. Und dann begann ein Trampeln, als würde ein wütender Oger in den ersten Stock galoppieren.
»Kommt Elín denn nicht zu uns in die Küche?«, wollte Papa wissen.
Björg seufzte wieder. »Ich glaube nicht.«
Jetzt polterte es direkt über ihren Köpfen, als würde ein Elefant Samba tanzen. Ein bisschen Staub rieselte von der Decke. Fabio nutzte den Moment, als alle hochschauten, um die Haiwürfel vom Brot auf seine Serviette zu kippen und das ganze Bündel unter der Tischplatte verschwinden zu lassen. Dann stopfte er sich das Brot in den Mund und kaute.
Blöderweise fiel es nun niemandem mehr auf.
Denn jetzt schleifte etwas über ihnen, als würde jemand Möbelstücke herumschieben. Björg atmete sehr tief durch und stand auf. »Entschuldigt mich kurz.« Als sie süß lächelte, hörte sogar Tom auf zu grinsen. Denn das hier war eindeutig ein LÄCHELN. Fabio wollte lieber nicht in Elíns Haut stecken, als Björg nun aus der Küche rauschte. Kurz darauf klappte im oberen Stockwerk eine Tür und dann hörte das Schleifen schlagartig auf. Dafür hörte man dumpf Björgs Schimpfen. Das Haus war wirklich hellhörig.
»Na, wie gefällt es euch bis jetzt?«, wandte sich Papa munter an Fabio und Tom. »Jetzt sind wir also mehr als zweitausend Kilometer weit weg von zu Hause, auf der Insel der Gletscher und Vulkane.«
»Zweitausenddreihundertfünfundsiebzig Kilometer«, sagte Besserwisser Tom. »Luftlinie. Stand im Prospekt der Fluggesellschaft.«
Papa begann zu strahlen und hob den Zeigefinger. »Und der höchste Vulkan ist zweitausendeinhundertzehn Meter hoch.«
Typisch. Wenn er sich für eines begeistern konnte, dann waren es Zahlen.
»Und diese Farben«, schwärmte Mama. »Das Meer und diese hübschen Häuser – es gibt welche in Rot und Orange, Blau, Türkis und sogar Neongrün! Und wir müssen unbedingt einen Ausflug mit dem Boot zu diesen bunten Seevögeln machen. Papageientaucher heißen sie.«
»Ich will zu dem Vulkan, der letztes Jahr ausgebrochen ist«, verkündete Tom. »Der mit dem witzigen Namen. Irgendwas mit Joghurtle.«
»Moment, den Namen haben wir gleich«, sagte Papa und zückte seinen Taschen-Reiseführer. Er blätterte und runzelte dann die Stirn. »Hier steht er: Eyj … jaf …föj-alljö… Du meine Güte. Das kann ja kein Mensch aussprechen!«
Mama lachte. »Das lernen wir schon noch. Und vielleicht begegnen wir im Urlaub sogar ein paar Elfen?« Sie nickte Fabio verschwörerisch zu. »Die Isländer sind fest davon überzeugt, dass hier welche leben, versteckt in den Hügeln. Sie sind zarte, anmutige Wesen. Sie tanzen im Mondlicht und zeigen sich manchmal denen, die an sie glauben.«
Fabio seufzte insgeheim. Natürlich schauten ihn jetzt auch sein Vater und sein Bruder so an, als müsste er die Fäuste in die Luft recken und begeistert »Yay!« rufen. Aber nur weil er in seinem Lieblingscomputerspiel neuerdings als Elbenkrieger Tirias unterwegs war, hieß das ja noch lange nicht, dass er an Glitzerelfen mit Spitzohren und rosa Flatterkleidchen glaubte.
»Toll«, murmelte er nur.
Björg kam wieder in die Küche und machte sacht die Tür hinter sich zu. Ihr Blick fiel auf Fabios leergeputzten Teller und sie begann zu strahlen. »Na sowas! Dir schmeckt der Hákarl aber gut! Da wird sich mein Onkel Gunnar freuen. Er ist nämlich ganz stolz darauf, den Hai selbst gefangen zu haben.« Damit schaufelte sie Fabio einfach noch eine Portion vor die Nase. Sein Gesicht sprach wohl Bände, denn jetzt grinste sogar Mama.
»Guten Appetit«, frotzelte Tom.
Aber Fabio hatte Glück. Ein zweites Mal kam die Rettung, diesmal in Gestalt eines pummeligen Mannes, der gemächlich in die Küche watschelte. Er hatte freundliche braune Augen, die hinter seiner dicken Brille allerdings ziemlich klein wirkten. Seine Halbglatze zierte ein dünner grauer Haarkranz, passend zu seinem Opa-Outfit mit gestrickter grauer Wollweste und braunen Stoffhosen. Nur die grellgelben Gummistiefel passten nicht dazu.
»Gerade spreche ich von dir, Gunnar!«, rief Björg. »Darf ich vorstellen: Das ist mein Onkel, der Schrecken der Haie. Seit er in Rente ist, ist er fast nur noch auf seinem Fischerboot unterwegs.«
Fabio runzelte verdutzt die Stirn. Das sollte ein Hai-Jäger sein? Aber vielleicht lockte er die Biester ja an, indem er seine Brille mit Meerwasser putzte und so tat, als sei er leichte Beute?
»Gunnar, das ist Familie Siebert aus Deutschland«, fuhr Björg fort. »Sie werden drei Wochen hier im Haus wohnen.«
»Guten Tag!«, sagte der Onkel mit einem etwas vernuschelten Akzent. »Velkomin til Íslands! Ich hoffe, ihr hattet einen schönen Flug?«
»Danke, ja.« Mama gab dem alten Mann die Hand. »Ich heiße...
| Erscheint lt. Verlag | 21.3.2016 |
|---|---|
| Illustrationen | Felicitas Horstschäfer |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur |
| Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre | |
| Schlagworte | ab 10 • Dänemark • eBooks • Elfen • fantastisches Abenteuer • Hraunfossar • Island • Kinderbuch • Kinderbücher • Kinderkrimi • Mitternachtshaus • Reykjavik • Vulkan • Wechselbälger • Wiedergänger • Zwillinge |
| ISBN-10 | 3-641-16878-3 / 3641168783 |
| ISBN-13 | 978-3-641-16878-0 / 9783641168780 |
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