Peter, Eliza, Anita und Andy müssen sich kurz vor dem Schulabschluss genau dieser Frage stellen. Ihnen bleiben zehn Wochen, um all ihre Hoffnungen und ihre Herzen in die Waagschale zu werfen, denn vielleicht, vielleicht, ist es die einzige Zukunft, die sie haben.
In diesem existentiellen Carpe-Diem-Szenario stellt sich für den Sunnyboy Peter ebenso wie für die ehrgeizige Anita die Frage, was für sie wirklich zählt, und auch der sorglose Andy und die fatalistische Eliza mit ihrer Nach-mir-die-Sintflut-Haltung müssen zum ersten Mal ernsthaft ihr Leben überdenken.
Tommy Wallach ist ein Singer-Songwriter und Essayist, der seine Beiträge in verschiedenen New Yorker Magazinen veröffentlicht. Als Musiker ist er bei Decca Records unter Vertrag und trat bereits im New Yorker Guggenheim Museum auf. Die Filmrechte seines ersten Jugendromans We All Looked Up sicherte sich noch vor Erscheinen Paramount Pictures.
Peter
»Das ist nicht das Ende der Welt«, sagte Stacy.
Peter senkte den Blick. Er hatte abwesend in den Himmel gestarrt und war im Kopf die kurze Unterhaltung mit Mr McArthur immer wieder durchgegangen. Er konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen.
»Was?«
»Ich sagte, dass es nicht das Ende der Welt ist. Dann mag dich eben ein Mensch nicht. Wenn kümmert das?«
»Du glaubst echt, dass er mich nicht mag?«
Stacy stöhnte. Sie redeten jetzt schon seit einer Viertelstunde darüber, und das war nach Peters Erfahrung circa 14 Minuten länger, als seine Freundin gern über ein beliebiges ernstes Thema sprach.
»Keine Ahnung. Vielleicht ist er neidisch auf dich oder so.«
»Warum sollte er denn neidisch auf mich sein?«
»Weil, irgendwie …« Sie warf ihr Haar erst nach der einen Seite, dann zur anderen. Peter hatte noch nie verstanden, warum sie das machte. Vielleicht hatte sie es mal in einem Werbespot für Shampoo gesehen. Sie hatte allerdings auch tolle Haare – sie war Favoritin für die besten der Schule, wenn die Zeit für das Jahrbuch kam –, lang und milchkaffeebraun und so glatt und glänzend wie ein Basketballtrikot. »Du hast dieses ganze Potenzial, weißt du? Irgendwie noch dein ganzes Leben vor dir. Und er sitzt an dieser Scheißschule fest und muss ständig die gleiche Scheißgeschichte unterrichten. Wenn ich jedes Jahr vor mir hätte, was ihm bevorsteht, dann würde ich mich wahrscheinlich in einer Kammer für Lernmaterial oder so was aufhängen.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Der Gedanke, dass ein Lehrer auf einen Schüler neidisch sein mochte, war ihm noch nie gekommen. Als kleiner Junge hatte Peter sich vorgestellt, dass einem, sobald man ein gewisses Alter erreicht hatte, irgendjemand einfach all das Wissen aushändigen würde, das man brauchte, um ein Erwachsener zu sein. Aber wie sich rausstellte, funktionierte es kein bisschen so. Peters Dad hatte erst vor Kurzem zugegeben, dass er selbst im Alter von 52 noch manchmal mit der absoluten Gewissheit aufwachte, erst 24 zu sein und sein ganzes Leben, wie ein unberührtes Thanksgiving Dinner, noch vor sich zu haben. Das war vermutlich eines der vielen Rätsel des Älterwerdens, neben Glatzenbildung beim Mann, Midlife-Crises und Erektionsstörungen. Die einzige Alternative, um sich das alles zu ersparen, nämlich nicht langsam sein gutes Aussehen, seine Zähne, Haare und am Ende den Verstand zu verlieren, bestand darin, früh den Löffel abzugeben. Aber das wollte natürlich keiner.
Mr McArthur hatte eine Glatze. Vielleicht auch Erektionsprobleme. Und mal ehrlich, welches Recht hatte Peter, sauer auf irgendeinen alternden Geschichtslehrer an der Highschool zu sein, wenn sein eigenes Leben so irre und kriminell gut war? In seinen dreieinhalb Jahren an der Hamilton war er viermal für das Basketballteam nominiert worden. Er war zweimal auf Landes- und einmal auf Bundesebene dabei gewesen. Er hatte bei Stacy seine Unschuld verloren, zum 16. Geburtstag einen niedlichen Jeep bekommen und war nach ungefähr hundert irre lustigen Partys hackedicht gewesen. Und jetzt war er achtzehn. Im Herbst würde er ins sonnige Kalifornien aufbrechen (das formelle Zusageschreiben würde nicht vor März eintreffen, aber die Sportfakultät von Stanford hatte ihm versichert, er sei so gut wie drin). Und mal im Ernst, wie hart konnte das College werden? Er würde irgendeiner Verbindung beitreten und überall im Land Basketball spielen und jedes Wochenende mit seinen Teamkollegen und Verbindungsbrüdern Party machen. Stacy würde sicher an der San Francisco State genommen, sodass sie sich dauernd sehen konnten. Wenn er Glück hatte, würde er Basketballprofi werden oder sonst eben Coach oder irgendwas anderes. Er und Stacy würden heiraten, ein paar Kinder großziehen, in den Weihnachtsferien in Baja California oder Tijuana aufschlagen und sich ein geiles Sommerhaus mit Jacuzzi am Lake Chelan zulegen. So sollte das Leben laufen, oder? Einfach immer besser werden.
Aber Peter wusste, dass es nicht für jeden so lief. Er schaute Nachrichten (oder kriegte sie zumindest aus dem Augenwinkel mit, wenn seine Eltern sie einschalteten). Menschen verhungerten. Menschen verloren ihre Jobs und dann ihre Häuser. Menschen bekamen schlimme Krankheiten, erlebten hässliche Scheidungen, und ihre Kinder hatten Motorradunfälle, nach denen sie im Rollstuhl saßen. Vielleicht war Mr McArthurs Leben, seit er die Highschool beendet hatte, einfach immer schlechter geworden. Vielleicht war er deshalb wirklich neidisch.
Und wenn nicht, was zur Hölle hatte er dann im Unterricht zu machen versucht?
»Baby, hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen.« Stacy gab ihm einen trockenen Kuss auf die Wange. »Wenn ich jedes Mal außer Fassung geraten würde, wenn jemand mich nicht mag, dann, dann …« Sie überlegte ein paar Sekunden und zuckte anschließend mit den Achseln. »Keine Ahnung. Dann wäre ich ernsthaft aus der Fassung.«
»Ja. Du hast recht.«
»Natürlich habe ich das. Und außerdem bin ich am Verhungern, also komm jetzt.«
Heute gab es panierte Hähnchenteile in der Mensa, was traditionell Grund zur Freude war (diese Chicken-Nuggets schmeckten wahnsinnig gut). Er packte sich zwei Papierschälchen voll damit auf sein Tablett, außerdem eine Lemon-Lime-Gatorade, einen Schokopudding, einen Apfel, einen Müsliriegel und ein Minischälchen schlappen Blattsalat mit geraspelter Karotte. Beim Durchqueren der Mensa fiel ihm das frisch gefärbte Haar seiner kleinen Schwester ins Auge. (Das Waschbecken in ihrem gemeinsamen Bad sah immer noch aus, als habe ein irischer Kobold sich dort übergeben und sei dann darin verendet.) Sie aß zusammen mit ihrem komischen Freund am Tisch der komischen Typen. In seiner Vorstellung konnte Peter immer noch eine viel jüngere Version von ihr sehen, die neben ihm auf dem Wohnzimmersofa saß und mit ihren Legos spielte. Doch das war vor ihrer Verwandlung in etwas Weibliches und Unergründliches.
»Alter, bist du okay?« Peter schaute hoch und sah die Hand seines besten Freundes, Cartier Stoffler, vor seinem Gesicht herumwedeln. »Ich habe schon ungefähr drei von deinen Chicken-Nuggets gegessen.«
»Ja, sorry. Ich habe heute einen komischen Tag. Weil ein Lehrer was zu mir gesagt hat.«
»Hast du Ärger?«
»Nein, das nicht. Ist schwer zu erklären.«
»Ich erklär dir jetzt mal meinen Trick bei den Lehrern, ja? Erstens, hör ihnen niemals zu.«
»Brillant.«
»Damit habe ich es immerhin bis hierher geschafft«, sagte er und warf sich ein ganzes Stückchen Hühnerfleisch auf einmal in den Mund.
Peter lachte so überzeugend, wie er konnte. Cartier war eigentlich ziemlich gut darin, ihn aufzuheitern, aber heute brachte das nichts. Mr McArthurs Frage hatte irgendwie ein schwarzes Loch erzeugt, das scheinbar alles Gute rundherum in sich einsaugte. Oder eigentlich machte es alles Gute mies. Etwa, dass die Highschool fast vorbei war. Dabei war das einzig wirklich Blöde daran, dass Cartier sich an der Washington State beworben hatte, um Bierbrauen zu lernen, anstatt es an irgendeinem College in Kalifornien zu versuchen. Sie waren seit ihrem ersten Tag an der Highschool befreundet und so unzertrennlich, dass Coach Duggie sie »Cookies and Cream« getauft hatte. (Obwohl Cartier schwarz war, beharrte er darauf, die Sahne zu sein, weil er sich so geschmeidig bewegte.) Sie hatten sich ihre erste Flasche Bier geteilt, ihren ersten Joint, die Lösungen für die Hausaufgaben und in der zehnten Klasse ein paar Wochen lang sogar Amy Preston, die es geschafft hatte, ihnen einzureden, dass es für ein Mädchen ganz normal sei, zwei Freunde gleichzeitig zu haben. Und natürlich blieben ihnen immer noch die Ferien – Thanksgiving und Weihnachten und das lange, lange Wochenende namens Sommerferien –, aber es würde nicht mehr das Gleiche sein. Sie hatten bereits aufgehört, so viel zusammen abzuhängen wie früher. Das Schmerzlichste daran war nicht, dass sie keine Freunde mehr sein würden, sondern dass diese Tatsache ihnen nicht mal was ausmachen würde.
Und falls es ihm und Cartier nicht gelänge, in Verbindung zu bleiben, wer sagte dann, dass er und Stacy sich nicht auch trennen würden? Wenn Peter jedes Wochenende irgendwo zu einem Spiel unterwegs wäre und sie allein blieb. Würde sie ihm dann wirklich treu sein? Würde er ihr treu sein? Würde irgendwas aus den vergangenen vier Jahren in vier Jahren überhaupt noch zählen?
Diese Schwarzes-Loch-Gedanken verließen ihn die ganze Mittagspause hindurch nicht. Danach folgten zwei anstrengende Stunden in der Turnhalle, mit Sprints ohne nachzudenken und instinktiv ausgeführten Wurfübungen. Also hatte er erst wieder Zeit zum Nachdenken, als er unter der dampfenden Dusche in der Umkleide stand. Und da war Mr McArthurs Frage wieder – »Würde das ein Pyrrhussieg sein?« –, die in seinem Kopf festsaß, wie einer dieser banalen Popsongs, von denen man nur den Refrain kannte.
Er machte einen Zwischenstopp im Geschichtstrakt von Bliss Hall. Falls Mr McArthur für heute schon gegangen war, dann hätte sich die Sache erledigt. Und falls nicht, nun ja, dann konnte Peter wenigstens dafür sorgen, dass dieser dämliche Song ihm aus dem Kopf ging.
Es war das letzte Januarwochenende und in Seattle bedeutete das gnadenlos kurze Tage. Man betrat die Turnhalle bei hellem Tageslicht, und wenn man wieder rauskam, versank die Sonne so schnell hinterm Horizont, dass man meinen konnte, sie sei auf der Flucht. Peter verließ die Umkleide um kurz nach sechs, und das einzig übrige Tageslicht war ein flüchtiger rötlicher Schimmer am Horizont. Er zog den Reißverschluss seiner North-Face-Jacke hoch und schob...
| Erscheint lt. Verlag | 8.3.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Henriette Zeltner-Shane |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | We All Looked Up |
| Themenwelt | Literatur |
| Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
| Schlagworte | ab 12 • ab 13 • ab 14 • Asteroid • Clique • Coming of Age • eBooks • Ende der Welt • Jugendbuch • Jugendbücher • Jugendroman • Musik • New York Times Besteller • New York Times Bestseller • Pubertät • Sänger • Selbstwert • Songwriter • Soundtrack • Weltuntergang • Young Adult • Zukunftsangst |
| ISBN-10 | 3-641-18260-3 / 3641182603 |
| ISBN-13 | 978-3-641-18260-1 / 9783641182601 |
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