Tatort Mittelalter Doppelband 1 und 2 (eBook)
240 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
9783738900699 (ISBN)
5
Wolfram fand Bruder Ambrosius wie üblich in den vom Fackelschein erhellten Kellergewölben des Klosters St. Ingbert, das etwa eine halbe Stunde Fußweg von Burg Wildenstein entfernt lag. Hier führte der überaus gelehrte Mönch seine Versuche durch.
Schon seit Jahren war es sein Ziel, Erde in Gold zu verwandeln. Dazu mischte er gewöhnliche Erde mit allerlei Pulvern und Tinkturen, erhitzte sie oder goss ätzende Säuren darüber.
Bislang war es ihm allerdings noch nicht gelungen, das große Ziel zu erreichen.
Dabei wollte der ziemlich beleibte Ambrosius das Gold keineswegs dafür, um selbst ein reicher Mann zu werden. Als Mönch hatte er sich dazu verpflichtet, arm zu sein und ohne Besitz zu leben. Nicht einmal die dunkelbraune Kutte, mit der er bekleidet war, gehörte ihm. Sie war genauso Eigentum des Klosters wie die einfachen Sandalen, die er an den Füßen trug.
Oft genug hatte sich Wolfram mit Bruder Ambrosius darüber unterhalten, was man alles tun könnte, wenn es dem Mönch gelänge, tatsächlich aus Dreck Gold zu machen.
Ambrosius beabsichtigte die Not der Armen mit diesem Gold zu lindern. Er wollte dafür sorgen, dass sie genug zu Essen und im Winter warme Kleidung bekamen. Für sich selbst wollte er nichts.
“Bruder Ambrosius, ich muss Euch unbedingt sprechen”, forderte Wolfram.
Der Mönch runzelte die Stirn. “Ich weiß, ich hatte versprochen, dass du dabei sein darfst, wenn ich das nächste Mal versuche Gold zu erschaffen. Aber mir fehlen noch ein paar wichtige Zutaten, die schwer zu besorgen sind ...” Schon oft hatte Wolfram dem wissbegierigen Mönch bei seinen Versuchen geholfen.
Das war nicht immer ungefährlich. Es hatte kleinere Explosionen gegeben und einmal war Wolframs Gewand in Brand geraten. Aber diesmal war er aus einem anderen Grund hier.
“Es geht nicht um das Gold”, sagte Wolfram.
“Offen gestanden habe ich im Moment auch wenig Zeit, mich meinen Forschungen zu widmen, Wolfram ...”
“Ich habe über etwas nachgedacht. Und darüber möchte ich mit Euch sprechen, Bruder Ambrosius.”
Das Gesicht des Mönchs wirkte ernst. “Worum geht es? Doch nicht um den bevorstehenden Besuch des Grafen, der unseren Burgherrn Baron Norbert so sehr in Aufregung versetzt?”
Wolfram war perplex. “Ihr wisst davon?”, platzte es aus ihm heraus. “Dass Hellsehen auch zu Euren Künsten gehört, habe ich nicht geahnt!” Pater Ambrosius lächelte nachsichtig. “Nun übertreib nicht! Ich wusste durch einen Herold des Burgherrn davon! In scharfem Galopp kam er hier angeritten, um die Neuigkeit zu berichten und natürlich um sich auch gleich danach zu erkundigen, ob für den Besuch des Grafen alles vorbereitet sei!” Pater Ambrosius kicherte in sich hinein.
“Baron Norbert ist mächtig nervös, wie mir scheint. Dabei gibt es dafür nicht den geringsten Anlass. Graf Gernot ist ihm wohl gesonnen und es gibt keinen Grund, weshalb ein derart mutiger Ritter wie Baron Norbert, der den Grafen in vielen Schlachten mutig begleitete, jetzt wie Espenlaub zu zittern beginnt.” Wolfram atmete tief durch. “Ich bin wirklich nicht deswegen hier”, erklärte der Junge. “Obwohl ich Euch natürlich sicherlich davon erzählt hätte!”
“Sicherlich!”
“Ich habe in den letzten Tagen sehr lange über etwas nachgedacht ...” Pater Ambrosius hob den Zeigefinger und wedelte damit in der Luft herum.
“Nachdenken ist immer gut. Es ist der erste Schritt zur Erkenntnis!” Wolfram nahm all seinen Mut zusammen. Schon lange lag ihm etwas auf dem Herzen, was er mit Pater Ambrosius besprechen wollte. Im Übrigen wusste er niemanden sonst, der ihm in dieser Sache hätte helfen können.
“Ich möchte, dass Ihr mir das Lesen und Schreiben beibringt”, brachte er sein Anliegen schließlich heraus.
Bruder Ambrosius starrte den Jungen verwirrt an. “Aber – wozu?”, fragte er.
Wolfram umrundete den großen Holztisch, auf den der Mönch eine Kerze gestellt hatte.
“Muss ich Euch das wirklich erklären? Woher habt Ihr denn all Euer Wissen, Bruder Ambrosius? All die Geschichten von der Erschaffung der Welt und wovon Ihr mir noch so alles erzählt habt ...”
Ambrosius machte eine wegwerfende Handbewegung. “Glaubst du denn, dass deine Pflichten als Page auf der Burg dir überhaupt genug Zeit dafür lassen, lesen und schreiben zu lernen?”
“Ich werde so oft zu Euch kommen, wie ich kann!”
“Das glaube ich gerne”, nickte Ambrosius. “Aber überlege dir gut, ob dieser Aufwand sich überhaupt lohnt.”
Wolfram runzelte die Stirn. “Ich verstehe nicht, was Ihr meint!”
“Nun, bis zum vierzehnten Lebensjahr wirst du als Page dienen und danach Knappe bei einem Ritter werden, bevor man dich schließlich selbst zum Ritter schlägt. Du wirst lernen zu kämpfen und zu jagen. Aber kannst du mir sagen, wozu du da lesen und schreiben können musst?”
Wolfram zuckte die Achseln. “Ich möchte es aber gerne können!”
“Nicht einmal unser Burgherr kann die Buchstaben! Wozu auch? Dokumente lässt er von einem Schreiber aufsetzen und unterzeichnet sie mit einem Federstrich.”
“Ich habe aber gehört, dass es auf anderen Burgen durchaus üblich ist, dass auch Ritter das Lesen und Scheiben erlernen!”
“So? Wer hat dir denn solche Geschichten erzählt?”
“Ritter Dankwart von Eichenbach! Er zieht als fahrender Sänger durch die Lande und verbrachte den letzten Winter auf Burg Wildenstein. Er ist viel herumgekommen und hat angeblich sogar die Mauern von Bethlehem gesehen!”
“Man sollte nicht alles glauben, was fahrende Sänger so berichten. Oft wollen sie nur ihre Liedtexte ausschmücken und dramatischer machen, damit sie bei den Burgdamen mehr Eindruck schinden können!”
“So gibt es also keine Burg, auf der Pagen von einem Geistlichen im Lesen und Schreiben unterrichtet werden?”
Pater Ambrosius hob die Hände. “Das will ich damit keinesfalls gesagt haben!”
“Na, also!”
“Aber es dürfte eher selten sein! Und unser ehrenwerter Baron Norbert hält das Lesen und Schreiben offenbar für nicht gar so wichtig.”
“Kein Wunder, wenn er es selbst nicht kann!”, ereiferte sich Wolfram.
“Da mag etwas Wahres dran sein, Wolfram”, gab der Mönch augenzwinkernd zu.
“Ambrosius, bitte!”, beharrte der Zehnjährige. “Ich möchte es wirklich gerne lernen.
All das Wissen, das in den Schriften verborgen ist ...”
“Pass später als Knappe lieber gut auf, wenn man dir beibringt, wie man einen Falken zur Jagd abrichtet. Dann hast du immer ein paar leckere Sachen auf dem Tisch!” Ambrosius beugte sich vor und fuhr etwas leiser fort: “Nicht so wie dein Freund Ansgar. Ich habe ihn gestern beobachtet. Der begreift einfach nicht, dass man Falken immer nur belohnen und niemals bestrafen darf!”
Aber Wolfram ließ einfach nicht locker. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, Lesen und Schreiben zu lernen. Ob er diese Fähigkeiten einmal brauchte, wenn er erst Ritter war, interessierte ihn dabei wenig.
“Bitte überlegt es Euch noch einmal, Bruder Ambrosius. Ich wüsste sonst niemanden, den ich fragen könnte!”
Ambrosius bedachte Wolfram mit einem nachdenklichen Blick.
Ein zischendes Geräusch ließ den Mönch herumfahren.
“Oh, oh!”, rief er und eilte sogleich zum Brennofen. “Das Wachs ist übergelaufen!” Ambrosius nahm eine etwa armlange Zange und griff damit nach einem Eisentopf, in dem er Wachs erhitzt hatte. Mithilfe der Zange nahm er den Topf vom Feuer und stellte ihn auf den Boden. Erleichtert seufzte er. Es war nicht viel von dem Wachs verloren gegangen.
“Was ist nun?”, bohrte Wolfram nach.
“Du bist ein vermaledeiter Quälgeist, Wolfram!”
“Ihr selbst habt mich gelehrt, dass man niemals fluchen soll, weil das schlimme Folgen haben kann!”
“Schon gut, schon gut!” Bruder Ambrosius hob beschwichtigend die Hände. “Ich werde es mir überlegen. Aber im Moment habe ich etwas Wichtiges zu erledigen!” Wolfram deutete auf das Wachs. “Hat es damit zu tun?”, erkundigte er sich.
Der Mönch nickte. “Ich werde dir etwas zeigen, das du so schnell nicht wieder sehen wirst. Komm her!” Er winkte den Jungen zu sich heran und ging mit ihm zu einem Holztisch, der am anderen Ende des Raums stand. Darauf lag ein dickes Buch mit einem kunstvoll gefertigten Umschlag aus Leder. “Weißt du, was das ist?”, fragte der Pater.
Wolfram schluckte. Natürlich wusste er es! Es musste sich zweifellos um das so ungeheuer wertvolle Buch handeln, das Graf Gernot in nächster Zeit abzuholen gedachte.
Ein Leuchten stand in Pater Ambrosius’ Augen. Fast zärtlich strich er über den Ledereinband. “Das ist der größte Schatz, den du oder ich jemals in den Händen halten werden. Ein Evangeliar – eine Abschrift der gesamten Bibel.” Vorsichtig schlug Ambrosius das Buch...
| Erscheint lt. Verlag | 16.9.2019 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Kinder- / Jugendbuch | |
| ISBN-13 | 9783738900699 / 9783738900699 |
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