Infinity (eBook)
320 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62041-3 (ISBN)
Gabriele Gfrerer, geboren 1961 in Wien, wuchs mit vier älteren Brüdern auf. Daher gab es von Kindesbeinen an Action, aber auch viel Geborgenheit - und vor allem jede Menge Geschichten. Vorgelesene ebenso wie selbst erfundene. Es dauerte dann allerdings noch Jahr(zehnt)e, bis ihr erstes gedrucktes Buch Wirklichkeit wurde. Dazwischen lagen ein Lehramtsstudium, die Arbeit als Grundschullehrerin und schließlich die Selbstständigkeit als Grafikdesignerin. Ob Krimis, Fantasy, Liebesgeschichten oder Zeitgeschichtliches: Was erzählt werden will, findet seinen Platz von selbst. Gabriele Gfrerer lebt und schreibt in der Nähe von Wien umgeben von ihrer Familie.
_ 3 _
Der Fernseher drang gedämpft durch die Tür, die Klara schnell hinter sich zugezogen hatte. In wenigen Minuten würde Mama eingeschlafen sein. Genau genommen in dem Augenblick, in dem sie die Beine auf die Couch legte. Was kein Wunder war. Acht Stunden hinter einem Verkaufspult zu stehen und dabei immer höflich zu bleiben, auch wenn so manche verwöhnte Hausfrau sich nicht zwischen dem Brillantring und dem Perlencollier entscheiden konnte, stellte Klara sich megaanstrengend vor. Ganz zu schweigen von dem Frust, den ihre Mutter haben musste, wenn sie sich bewusst machte, wie weit dieser Job von dem entfernt war, wovon sie einmal geträumt hatte.
Schmuckdesignerin … Das wär’s gewesen!
Mamas Kreationen waren unverwechselbar. Klara drehte ihr aus unterschiedlich dicken, bunten Lederstreifen ein geflochtenes Armband.
Aber dann ist dir dieser Junge mit den umwerfend blauen Augen und den sexy langen schwarzen Haaren in die Quere gekommen. Der gar nicht schnell genug wieder verschwinden konnte, als sich herausstellte, dass ich im Anmarsch war. Gerade siebzehn warst du damals – genauso alt wie ich jetzt.
Das schlechte Gewissen drückte Klara – wie jedes Mal, wenn sie sich vorstellte, wie Mamas Leben verlaufen wäre, wenn sie nicht »passiert« wäre.
Mama lächelte immer, wenn Klara davon anfing. »Hätte schlimmer kommen können!« Dabei betonte sie das Wort »schlimmer« und wuschelte durch Klaras Zottelfrisur. »Ich würd’s wieder so machen – schon allein für dich hat es sich gelohnt.«
Aus Gewohnheit zupfte Klara an den unterschiedlich langen Strähnchen, die ihr bis knapp über die Augen hingen. Ihr Blick ging zu einer Postkarte, die neben ihrem Computer an der Pinnwand steckte.
ICH HAB DICH LIEB!
ZEIG’S MIR AUCH HIN UND WIEDER.
Quer über das Bild, auf dem zwei Katzenkinder zu sehen waren, die in einer Wiese balgten, hatte Mama den Satz geschrieben. Mit schwarzem Marker und in Blockbuchstaben. Ach Mama. Klara rieb sich über die Stirn. Sie würde ja gerne. Aber manchmal fürchtete sie, sie hätte gar keine Gefühle. »Blödsinn!« Klara schnaubte durch die Nase. Zumindest Lucie konnte sie gründlich in Wut versetzen. Und Wut war eindeutig ein Gefühl. Schwer ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl plumpsen und startete den Computer.
Wenigstens etwas! Richis Skype-Button zeigte das grüne Anwesenheitshäkchen.
»Hallo, Herr Doktor, wie geht’s?«, tippte sie in das Schreibfeld neben seinem Avatar – Richis Porträt, das beinahe nur aus seinem Mund zu bestehen schien. Mama hatte ihn hinter seinem Rücken immer Mick Jagger genannt. Klara wurde den Verdacht nicht los, ihre Mutter hätte sie gerne mit dem feschen Jungen aus der Wohnung gegenüber verkuppelt. Es ließ sich nicht genau feststellen, wer von ihnen trauriger war, als er voriges Jahr das Stipendium für Innsbruck bekam.
Nach ein paar Sekunden tauchte der virtuelle Schreibstift im Antwortfeld auf. »Schmeichlerin … Mir geht’s ganz gut. Wenn man davon absieht, dass gestern Nacht mein Mantel überfahren worden ist.«
»Wie das denn?« Sie kicherte. Typisch Richi. Er liebte es rätselhaft.
»Ja, irgendwie gruselig. Ich hab meinen Mantel im Café gegenüber der Uni hängen gelassen. Und irgend so ein Penner hat ihn sich offenbar gekrallt. Ich bin total erschrocken, als um fünf Uhr früh die Polizei vor der Tür stand und mich nach meinem Ausweis fragte. Da bin ich erst draufgekommen, dass der Mantel weg war. Mit meinem Studentenausweis. Der Bulle hat mir erzählt, dass der Typ, der meinen Mantel geklaut hat, wenig später ganz in der Nähe von einem Auto angefahren wurde. Wahrscheinlich ein Betrunkener, der dann Fahrerflucht begangen hat.«
»Ist ja schaurig!« Klaras Arme überzogen sich mit einer Gänsehaut. »Und?«
»Na ja – mein Mantel ist hin …«
»Idiot! Was ist mit dem Mann?«
»Der war so dicht, dass er nichts mitgekriegt hat. Aber angeblich hatte er mehr Glück als Verstand. Ein paar Rippenbrüche und Prellungen … mehr ist ihm nicht passiert.«
»Puh!«
»Und natürlich kann er sich an nix erinnern … Meinen Mantel werd ich also abschreiben müssen.«
»Komiker. Sei froh, dass du nicht dringesteckt hast!« Klara wollte sich das gar nicht vorstellen. Schnell wechselte sie das Thema. »Duhuuu … Ich brauch deinen schlauen Kopf.« Sie klickte das Emoticon mit der verspiegelten Brille an.
Postwendend kam das Smiley mit den roten Wangen. »Hoffentlich nicht auf einem Silbertablett! Oder heißt du etwa mit zweitem Namen Salome und bringst mich mit deinem Schleiertanz um Kopf und Kragen?«
Klara kicherte. »Keine Angst! Keine grausame Bibelgeschichte. Ich brauch eine umwerfend neue Idee für den kommenden Redewettbewerb. Die der Jury den Atem verschlägt. Mindestens!«
»Gib’s zu! In Wirklichkeit geht’s dir doch nur um eine Person, die du beeindrucken willst. Schon wieder Zickenkrieg mit Lucie? Wer von euch beiden hat diesmal zum Halali geblasen?«
Klara schnaufte leise. Richi kannte sie verdammt gut.
»Quatschkopf! Nix Zickenkrieg – Siegesdurst! Gibt’s bei euch an der Uni vielleicht was Neues? Umwälzende Erkenntnisse? Theorien? Gerüchte? Irgendwas, das ich in der Öffentlichkeit enthüllen kann? *sensationslüstern bin*«
»Ich vermute, das Gerücht, dass einer der Rektoren sich mit einer Praktikantin im Sezierraum vergnügt haben soll, trifft nicht so ganz deine Vorstellungen, oder?«
Klara kicherte. »Stimmt genau. Seit das in den obersten Führungsetagen salonfähig geworden ist, fehlt der Reiz des Neuen.« Die Tastatur klapperte unter ihrem rasanten Anschlag. »Außerdem hab ich eher an Auswüchse geistiger Potenz gedacht.« Sie trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Richi schien nachzudenken. Endlich bewegte sich der Zeiger wieder.
»Alen und ich arbeiten gerade an einem spannenden Projekt. Es geht um Querdenker in der Wissenschaft. Und wie die Ignoranz der ehrwürdigen Kollegenschaft immer wieder wirklich umwälzende Ideen im Keim erstickt. Wir sind da auf eine Arbeit gestoßen …«
»Klingt spannend! Was für eine Arbeit?«
»Na ja, ich bin mir ja nicht sicher, ob das Ding nicht längst überholt ist. Schließlich ist der Aufsatz schon vor zwanzig Jahren veröffentlicht worden. Aber Alen ist ganz heiß drauf!«
»Worum geht’s denn?«
»Um die Suche nach dem Alterungs-Gen.«
»Geil! Und?«
»Der Text ist wirklich vielversprechend. Ich denke schon auch, dass der Typ auf keinen Fall ein Spinner ist. Seine Referenzen klingen nach einem hohen Tier. Aber seit seiner Veröffentlichung ist von ihm nichts mehr zu finden. Keine Zeile.«
»Hmmm …«
»Genau. Alen meint, wir sollten das weiter verfolgen. Er sagt, er hätte das im Gefühl, dass das eine Riesensache sein könnte. Er ist ganz aufgeregt deswegen und will diesen Dr. Johannes Neumeier, der in seinem Aufsatz erste Tierversuche beschrieben hat, unbedingt ausfindig machen.«
»Hihi. Deinen Alen würd ich gern mal kennenlernen. Scheint mir auch einer von diesen Querdenkern zu sein.« Klara kritzelte mit dem Bleistift auf ihre Unterlage. Eifersucht unter Wissenschaftlern, notierte sie, und Querdenker – spannendes Thema! Dazu malte sie drei Ausrufezeichen und kreiste das Wort ein paarmal ein.
»Danke, Richi, hast mir sehr geholfen!« Ihre Gedanken flitzten in alle möglichen Richtungen davon. Sie klickte das Skype-Fenster weg und öffnete die Suchmaschine, um nach mehr Infos zu suchen. Das Doppelquäken und der orange blinkende Skype-Button machten sie darauf aufmerksam, dass eine neue Nachricht eingegangen war. Mit einem Seufzer holte sie Richi wieder in den Vordergrund.
»BTW: Weißt du schon das Neueste?«
Klara schüttelte unwillig den Kopf. Sie hatte Feuer gefangen und ihr Hirn arbeitete bereits auf Hochtouren. Trotzdem wollte sie nicht unhöflich sein.
»Nein, was denn?«, tippte sie, obwohl sie die Antwort nicht rasend interessierte.
»Heute Vormittag gab’s auf dem Uni-Campus eine wilde Schlägerei. Einer aus dem ersten Semester ist mit einer zertrümmerten Bierflasche in einen Hörsaal gestürmt und hat den Vortragenden und ein paar Studenten, die dem Professor zu Hilfe kommen wollten, lebensgefährlich verletzt.«
»Was? Wieso denn?« Das klang nun doch nach einer spannenden Geschichte.
»Keiner weiß, warum. Der Student ist seitdem wie weggetreten. Sie haben ihn in eine geschlossene Anstalt gebracht. Sagt die Polizei. Da war echt die Hölle los.«
»Kann ich mir vorstellen. Ganz schöne Scheiße!«
»Das kannst du laut sagen!«
»Davon war noch gar nichts in den Nachrichten.«
Klara öffnete die News-Seite.
Folge der Krise: Geldstopp für die Forschung stand in der Schlagzeile. Sie klickte auf »Chronik«. Innsbruck: Alkofahrer flüchtete nach Unfall. Das war sicher der, von dem Richi erzählt hatte. Und in der nächsten Zeile las sie: Österreich unterlag Frankreich 1:3 in der WM-Quali.
»Vielleicht ein frustrierter Fan«, tippte sie und zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer, ich muss jetzt Schluss machen.« Das Thema über die Querdenker gab bei Weitem mehr her, als ein übergeschnappter Student irgendwo in Tirol. »Danke für den Tipp! Und viel Glück mit eurer Arbeit!«
Sie wartete noch Richis »Dir auch. Und lass wieder von dir hören!« ab und stellte ihren Status anschließend auf »Abwesend«.
Sie wollte nicht länger gestört werden. »Schnall dich an, Lucifer! Jetzt kommt Gegenwind!« Das Gefühl von Genugtuung machte sich warm in ihrem Bauch...
| Erscheint lt. Verlag | 5.1.2011 |
|---|---|
| Mitarbeit |
Designer: Simone Becher |
| Verlagsort | Stuttgart |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur |
| Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
| Schlagworte | Das Methusalem-Gen • Ewige Jugend • Ewiges Leben • Freundschaft • Genetik • Laborratten • Liebe • Medizin • Menschenexperimente • Menschenversuche • Methusalem • Naturwissenschaft • Pharmaindustrie • Rivalität • Thriller |
| ISBN-10 | 3-522-62041-0 / 3522620410 |
| ISBN-13 | 978-3-522-62041-3 / 9783522620413 |
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