Das andere Zimmer (eBook)
180 Seiten
BoD - Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-8825-8 (ISBN)
Jürgen Kaiser war von 2003 bis 2025 Pfarrer der Französischen Kirche zu Berlin, also der Berliner Hugenottengemeinde, deren Hauptkirche der sogenannte Französische Dom auf dem Gendarmenmarkt ist. Seit 2020 ist er auch Geistlicher Moderator des reformierten Moderamens der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Von 1996 bis 2003 war er Pfarrer in Germersheim am Rhein. Er wuchs im saarländischen St. Ingbert auf und studierte evangelische Theologie in Erlangen, Bern und Heidelberg. In Heidelberg promovierte er mit einer Dissertation über die Deutungen des Sabbats in der Reformationszeit bei Prof. Gottfried Seebaß.
PRÄLUDIUM : ES STEHT GESCHRIEBEN …
RÖMER 1 5 , 4 - 1 3 ,
3 . ADVENT ,
1 7 . DEZEMBER 2 0 1 7
Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.« Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!« Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.«
Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Es steht geschrieben.
Es steht geschrieben: Wir sollen loben.
Es steht geschrieben: Wir sollen einmütig sein.
Es steht geschrieben: Wir sollen einander annehmen.
Es steht geschrieben zur Belehrung.
Es steht geschrieben, damit wir an der Hoffnung festhalten.
Es steht geschrieben: Ich werde Gott bekennen unter den Völkern.
Es steht geschrieben: Die Völker sollen sich freuen.
Es steht geschrieben: Die Völker sollen Gott preisen.
Es steht geschrieben: Aus der Wurzel Jesse wird hervorkommen der, der
über die Völker herrschen wird und auf den sie hoffen.
Es steht geschrieben.
***
So vieles steht geschrieben. So vieles, was wir sollen.
Und noch was steht geschrieben, etwas von Gott. Dass er ein Gott des Trostes sei. Mehrmals wird er so genannt: ein Gott des Trostes.
Trost, ein biblisches Zauberwort. Ich habe immer gedacht, Liebe sei das größte Wort der Bibel und ihr Gott sei der Gott der Liebe. Je älter ich werde, desto mehr denke ich: Trost ist ein noch größeres Wort in der Bibel. Und ihr Gott ist noch mehr ein Gott allen Trostes. Der liebende Gott ist mehr ein männlicher Gott, ein Bräutigam, der die Braut Israel liebt und um sie wirbt. Der tröstende Gott ist mehr ein weiblicher Gott, wie eine Mutter. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes 60,13)
***
Ihr sollt nicht über Trost predigen, sprach eine Predigtlehrerin. Ihr sollt trösten. Über den Trost könnte ich noch manches sagen. Aber wen tröstet ein Vortrag über den Trost? Wie kann ich trösten?
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. …Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. (Jes 40,1.6)
Ihr sollt nicht über Trost predigen, sprach eine Predigtlehrerin. Ihr sollt trösten. Und wie soll ich das tun, sprach ich. Alles Fleisch ist Gras.
Ich habe keinen Trost. Meinem Fleisch fehlt das Blut, meinen Augen fehlen die Farben, meiner Fantasie fehlen die Geschichten, meiner Sprache fehlt das Erlebte. Ich habe keinen Trost. Wie soll ich trösten?
***
Ich würde gern – wenn ich könnte – die Geschichte einer Umarmung schreiben. Zwei Menschen umarmen sich. Ein Paar, eine Mutter und ihr weinendes Kind, eine Frau und ihre trauernde Freundin… Mit allen Details würde ich das gerne beschreiben, die Härchen auf der Haut beschreiben, die Strömung unter der Haut, das Fließen der Wärme, das Seufzen und den Aufschwung der Atmung, die Neigung des Kopfes an der Brust des andern, die langsame Bewegung einer Hand über den Kopf oder über den Rücken. Wo wird Trost spürbarer als in einer Umarmung? Das würde ich gern beschreiben, einen ganzen Text lang, eine ganze Predigt lang oder länger, ein ganzes Kapitel einer Geschichte, vielleicht einen ganzen Roman lang. Hunderte Seite über eine Umarmung. Selig sind, die das Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. (Mt 5,4) Wo liegt mehr Trost drin?
Aber ich habe keine Worte, keine eigenen. Ich bin kein Dichter, kein Literat. Ich kann nicht mit eigenen Geschichten trösten. Ich bin nur ein Prediger.
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. …Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. – Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Etwas bleibt. Durch die Zeiten. Durch alle Wechselfälle. Durch alle Zeitenwenden. Etwas bleibt: Gottes Wort. Es steht geschrieben. Der Trost der Schrift, uns zur Lehre und zur Hoffnung.
***
Als einer in Heidelberg einen Katechismus schreiben sollte und da bei sich selber wohl dachte, dazu müsse er erst sich selber Lust machen, solches zu schreiben, und seinen Lesern Lust machen, solches zu lesen, er müsse also die allererste Frage so fragen, dass man gar nicht mehr anders könne als weiterschreiben und weiterlesen, da kam ihm eine schöne Idee. Diese Idee hat dazu beigetragen hat, dass der Heidelberger Katechismus zum vielleicht besten Katechismus aller Zeiten wurde. Er hat als erstes gefragt: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Calvin begann seine Lehrbücher mit der Frage nach der Erkenntnis. Das ist schlau, aber es ist lange nicht so tief und lange nicht so fesselnd. Erst die zweite Frage im Heidelberger Katechismus ist dann die nach dem Wissen: Was musst du wissen, damit du leben und sterben kannst? Aber die erste Frage ist die nach dem Trost.
Der Trost ist, dass ich nicht mir selbst zu eigen bin, sondern Jesus Christus, meinem Heiland, zu eigen bin. Ich muss nichts über mich selbst wissen. Gar nichts. Je weniger ich über mich weiß, desto besser. Ich muss aber alles über ihn wissen. Über diesen Heiland, der mich gekauft hat. Mit seinem teuren Blut. Über ihn muss ich alles wissen. Und alles, was es über ihn zu wissen gibt, steht geschrieben. In dem Buch. Zusammengefasst im Katechismus. Zusammenfassungen sind hilfreich und nützlich. Aber so gut wie das Buch sind sie nie.
Trost steht geschrieben. Der Trost der Schrift. Mein Heiland Jesus Christ. Woher er kommt und wohin er geht. Aus Israel, Wurzel Isais, Davids Stamm. Ohne die Verwurzelung in dieser Geschichte hinge alle Wahrheit Gottes in der Luft. Der Trost und alle Hoffnung haben sich in Israel geerdet. Dort sind sie groß geworden. Gott hat sie groß werden lassen, so groß, dass sie jetzt alle Völker, die ganze Welt umarmen.
Es steht geschrieben in den Büchern Israels und erneut in den Briefen an die Heiden: Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«
Die Wahrheit Gottes wird in Israel greifbar, die Barmherzigkeit wird in aller Welt greifbar in der großen Umarmung, mit der Gott alle in die Hoffnung einschließt.
***
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. …Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.
Ihr sollt nicht über Trost predigen, sprach eine Predigtlehrerin. Ihr sollt trösten.
Ich kann nur trösten mit dem, was geschrieben steht. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. Ich kann nur trösten mit dem ewigen Wort.
Ich kann nur trösten, wenn ich selbst getröstet wurde. Auch das steht geschrieben.
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. (2. Kor 1,3f) steht geschrieben im zweiten Brief an die Korinther.
Der Trost der ganzen Welt steht geschrieben. In vielen Trostworten. Man muss sie finden, man muss sie lesen, immer wieder.
Ich war in allerlei Bedrängnis, war ein verzweifelter Prediger, weil ich nicht wusste, wie ich trösten sollte. Untröstlich! Da las ich in der Schrift vom Trost der Schrift und las: Es steht geschrieben. Und wurde getröstet. Ich muss selbst kein Tröster sein. Ich muss auch kein Dichter von Trostgedichten, kein Autor von Trostgeschichten sein. Ich muss nur wissen, wo der Trost zu finden ist und darauf hinweisen. In der...
| Erscheint lt. Verlag | 29.8.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
| Schlagworte | Bibelauslegung • Dramaturgische Homiletik • Gendarmenmarkt • Hugenotten • reformiert |
| ISBN-10 | 3-8192-8825-2 / 3819288252 |
| ISBN-13 | 978-3-8192-8825-8 / 9783819288258 |
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