Abseits 2 (eBook)
172 Seiten
Seifert Verlag
9783903583139 (ISBN)
Johanna Constantini, MSc, geb. 1992 in Wien. Sie ist Mama von zwei Töchtern und selbstständige Psychologin in eigener Praxis für Klinische-, Sport- und Arbeitspsychologie in Innsbruck, Tirol. Konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die psychologischen Auswirkungen des digitalen Wandels, vor allem in Hinblick auf psychische Erkrankungen. Strategien im persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Demenzerkrankungen widmet sie sich nicht zuletzt aufgrund der 2019 veröffentlichten Diagnose ihres Vaters, des ehemaligen Fußballnationaltrainers Didi Constantini. 2020 erschien von ihr bei Seifert 'Abseits - aus der Sicht einer Tochter'.
GINKGO
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
Hermann Hesse
„Geht scho, ge?“, fragte mich Papa regelmäßig, als ich meinen überdimensionalen Babybauch vor mir herschob. Irgendwie schob ich ihn auch vor uns her, schließlich ging Papa bei unseren vielen gemeinsamen Spaziergängen während meiner 42-wöchigen Schwangerschaft meist ein paar Schritte hinter mir. So wie auch am 25. Juli des Jahres 2020, an dem die zweite Geschichte, die ich zu Papier bringe, eigentlich beginnt. Es war ein Tag in einem Jahr, das auf eine sehr aufwühlende Zeit folgte und durch die Erwartung meiner Tochter Frida bereichert wurde. 2019 hatte mein Papa schließlich einen Geisterfahrerunfall verursacht. Es war der 4. Juni gewesen, als ich damals nichtsahnend durch den Wald joggte. Ohne Babybauch, dafür mit Hund und einer kleinen Raupe als Begleiterin. Ich habe darüber eingehend in meinem ersten Buch berichtet. Darin habe ich auch die Stunden rund um jenen Unfall geschildert. Und ohne mich zu sehr wiederholen zu wollen, kann ich sagen, dass dieser Unfall unsere familiäre Welt ganz schön durcheinandergerüttelt hat.
Bis dahin lebten wir trotz Promistatus aufgrund der langjährigen und erfolgreichen Fußballtrainertätigkeit meines Papas weitgehend zurückgezogen. Meine Mama war nie eine Spieler- oder Trainerfrau gewesen, meine Schwester Leni zog schon vor einigen Jahren nach Erreichen ihrer Volljährigkeit nach Wien, wo unsere Mama auch ursprünglich herkommt und wir Schwestern geboren wurden.
Papa war zeit seines Lebens beruflich überaus aktiv. Als Trainer so ziemlich jeder österreichischen Bundesligamannschaft und nicht zuletzt der österreichischen Nationalmannschaft (unter anderem an der Seite von Fußballlegende Ernst Happel) war er stets viel unterwegs. Als Familie hatten wir dieses Tun – allen voran meine Mama – immer sehr unterstützt. Im Gegenzug konnten wir ein sehr erfülltes Leben führen, und obwohl wir nie in übermäßigem Luxus lebten, fehlte es uns an nichts. Glücklicherweise und dank meiner Eltern auch nicht an Privatsphäre. An jenem 4. Juni 2019 änderte sich das.
„Didi Constantini verursacht Geisterfahrerunfall.“
Nur wenige Stunden, nachdem auch mich – bei meinem Waldlauf – die Nachricht eines Autounfalls von Papa auf der A13 Brennerautobahn erreicht hatte, folgten die ersten Schlagzeilen. Papas Unfall war in den Medien überaus präsent. Und auch im Krankenhaus, in dem er aufgrund von mehreren Knochenbrüchen und Prellungen einige Zeit verbringen musste, konnte er von der Öffentlichkeit teilweise nur mit Mühe abgeschirmt werden.
Der Unfall und alles, was danach kam, brachte also einiges an Trubel in unsere Familie. Und das nach einer Zeit, die die Wogen auch innerhalb unseres engen Familienkreises bereits hatte hochgehen lassen. Nach seinem Karriere-Aus hatte sich schließlich mein vielfach als strahlender Sunnyboy beschriebener Papa mehr und mehr zurückgezogen. Ein Rückzug, der der letztlich in einer depressiven Phase endete, aus welcher Papa nur mit Mühe wieder herauskam. Kaum hatte er seine Lebensfreude mühsam wieder zurückgewonnen, das Golfen aufgenommen und die Pension langsam, aber sicher zu genießen angefangen, warf ihn der Unfall 2019 wiederum um einiges zurück. Wer auf der Autobahn umdreht, wird schließlich zwangsläufig auf Fahrtüchtigkeit untersucht und auf mögliche Beeinträchtigungen getestet. Und auch, wenn Papa in den Jahren zuvor aufgrund seiner Wesensveränderungen einige Untersuchungen in Kauf genommen und auch regelmäßige Einheiten bei einer Psychologin wahr-genommen hatte, war eine finale Demenzdiagnose noch nie zuvor gestellt worden. Erst der Geisterfahrerunfall vom 4. Juni hatte dazu geführt, dass er diese Diagnose schwarz auf weiß lesen musste. Und wir mit ihm.
Und da uns der Unfall und die mediale Berichterstattung darüber bereits mehr als gewollt in die Öffentlichkeit katapultiert hatten, beschlossen wir als Familie, auch die nun ge-stellte Diagnose öffentlich zu machen. Vor allem, um Papa ein normales Leben auch weiterhin zu ermöglichen. Nämlich jenes Leben, das er nach seinem Tief wiederaufgenommen hatte.
Und so kam es, dass wir im September des Jahres 2019 erneut für Schlagzeilen sorgten. „Didi Constantini leidet an Demenz“ oder „Demenzdrama rund um Ex-Nationalteamchef“ lauteten die Meldungen. Von einem „Drama“ sprechen wir als Familie zwar bis heute nicht, doch das Publikum der Medien sollte jene Worte wohl eher locken. Von einem Drama wollten wir aber auch deshalb nicht sprechen, weil wir als Familie bis heute versuchen, diese Erkrankung in ein anderes Licht zu rücken. Vor allem möchten wir die Angst bei Betroffenen, die Hilflosigkeit bei Angehörigen und die Überforderung der Gesellschaft ein wenig lindern.
„Geht scho, oder?“, fragte mich Papa also angesichts meiner Rolle als Mama an jenem 25. Juli 2020, knapp ein Jahr nach seinem Unfall. Besser gesagt, als werdende Mama, schließlich versteckte sich meine Tochter an diesem Som-mertag noch in meinem dicken Neunmonats-Babybauch.
„Ja, geht, danke“, erwiderte ich ihm damals, als ich die Familie, bestehend aus meinem damaligen Freund und heutigen Mann Matthias, meiner Mama Irmy, meinem Papa Dietmar – genannt Didi – und meiner Oma Friedi, bei einem Spaziergang anführte. Unser Weg sollte uns zu einem Reitstall führen, in dem ich eines meiner Pferde eingestellt hatte. Schließlich sind wir nicht nur eine sportliche, sondern auch eine besonders tierliebende Familie. Fast zwei Stunden waren wir damals marschiert, Papa ging dabei wie so oft hinter oder neben mir und fragte immer wieder nach, ob alles in Ordnung sei.
Nur wenige Stunden später kam meine erste Tochter Frida zur Welt. Zwar bebte an jenem Abend des 26. Juli 2020 nicht die Erde, wie sie es laut meiner Oma Hanni bei Papas Geburt am 30. Mai 1955 getan und sie gleich beide aus dem Bett geworfen hatte. Aber Beben hin oder her, Frida machte meinen Papa in jener Nacht erstmals zum Opa.
Es war am Morgen nach Fridas Geburt, als ich den mächtigen Ginkgobaum vor dem Klinikfenster zum ersten Mal wahrnahm. Zwar war ich an dem Krankenhaus, in dem wir nach einer langen Geburt nun diese ersten Lebenstage von Frida verbringen sollten, schon so oft vorbeigekommen – auch Papa hatte ich nach diversen Operationen dort bereits besucht –, doch der beeindruckende Gigant war mir zuvor nie wirklich aufgefallen. Matthias und ich hatten uns schon länger für dieses Krankenhaus entschieden. Hier sollte unsere Tochter auf der Welt willkommen geheißen werden. Dass diese Ent-scheidung goldrichtig war, lag nicht ausschließlich an dem märchenhaften Ginkgo, der es nun schaffte, die heiße Julisonne ein wenig zu dämpfen. Er trug auch durchaus zu der angenehmen Atmosphäre an den Tagen nach Fridas Geburt bei. Während sie schlief, beobachtete ich oft, wie die Blätter im Wind wehten und die Sonne immer wieder hinter den massiven Ästen verschwand. Der Baum muss bereits viele Jahre direkt vor den Krankenhausmauern gestanden sein, dachte ich, während mein Blick den mächtigen Stamm entlangglitt. Frida war zu jenem Zeitpunkt erst wenige Stunden auf der Welt, und die Sonnenstrahlen streichelten ihre zarte Haut. Die Wärme der Sonne schien ein wohliges Gefühl bei ihr zu hinterlassen. Von Beginn an wirkte die kleine Erdenbürgerin zutiefst zufrieden. Auch die vielen neuen Gesichter konnten diese Zufriedenheit nicht trüben. Denn obwohl sie mitten in die Zeit der COVID-19-Pandemie geboren wurde, durfte sie bereits an ihrem ersten Lebenstag – dem 27. Juli 2020 – außerhalb des Klinikgebäudes von ihrer Familie begrüßt werden. Während der Sommermonate 2020 waren die Einschränkungen etwas gelockert worden, und Besuche außerhalb des Gebäudes wurden erlaubt. Dies ließen sich Matthias und meine Familie nicht zweimal sagen, weshalb unsere Mamas Irmy und Sonja, unsere Geschwister Thomas und Leni, die Uroma Friedi und natürlich die frischgebackenen Opas Martin und Didi mit selbstgepflückten Blumen, Pralinen und einigen Decken unterm Arm im Klinikgarten aufmarschierten.
Mein Papa erschien damals – wie sollte es auch anders sein – im Fußballdress und in Begleitung seines besten Freundes und Ex-Co-Trainers beim Nationalteam, Heinz Peischl. Fridas Geburt fiel schließlich mitten in eine seiner Fußballcamp-Wochen. Das von Papa seit mehr als zwei Jahrzehnten veranstaltete Fuß-ballcamp fand zu dem Zeitpunkt gerade im Tiroler Ischgl statt, und genau an dem Tag, da Frida von ihrer Familie willkommen geheißen wurde, waren Papa und Heinz aufgebrochen, um dem dortigen Trainerteam und den Teilnehmern1 einen Besuch abzustatten.
Obwohl Papa zuletzt im Jahr 2011 eine aktive Position im österreichischen Fußballgeschehen – nämlich nach zwei Interimsposten seinen damals dritten Trainer-Job beim österreichischen Nationalteam – innegehabt hatte, kennen ihn die Kids auch heute noch als „Didi Constantini“. Und ganz egal, ob sie von seiner Karriere über ihre Eltern, die älteren Geschwister oder jemand anderen aus ihrem näheren Umfeld erzählt bekamen, es herrschte stets Hochstimmung, wenn Papa eines seiner Camps besuchte. „Didi, Didi, Didi!“, begrüßten ihn die Kinder auch noch vor Freude schreiend, als ich Papa im Sommer 2022 zuletzt auf eines seiner Camps begleiten durfte. Damals waren wir nach Ischgl gefahren, wo Papa es sich sogar im Jahr 2019 trotz Liegegips – sein Geisterfahrerunfall war damals nur wenige Wochen her – nicht...
| Erscheint lt. Verlag | 25.6.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
| Schlagworte | Alzheimer • Burnout • Demenz • Depression • Didi Constantini • Fußball • Kindesentwicklung • Krisenbewältigung |
| ISBN-13 | 9783903583139 / 9783903583139 |
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