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Die Familie als Lernumwelt -  Frank Niklas,  Simone Lehrl

Die Familie als Lernumwelt (eBook)

Definition, Konzeption und Zusammenhänge mit der kindlichen Kompetenzentwicklung
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
154 Seiten
Kohlhammer Verlag
9783170330399 (ISBN)
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33,99 inkl. MwSt
(CHF 33,20)
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Die häusliche Lernumwelt stellt den Kontext dar, in dem die allermeisten Kinder weltweit aufwachsen und in dem sie wesentliche Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben. Dieses Lehrbuch gibt eine fundierte Einführung in das Konzept der häuslichen Lernumwelt und stellt Definitionen, Theorien, Modelle und Erfassungsmethoden vor. Auch die Zusammenhänge mit weiteren familiären und kindlichen Hintergrundvariablen und mit der kindlichen Entwicklung über die ersten Lebensjahre bis in die Grundschulzeit hinein werden ausführlich behandelt. Erziehende und Lehrkräfte sowie Eltern erhalten zudem einen Überblick zu Fördermaßnahmen und Familienprogrammen und zur Rolle der zunehmenden Digitalisierung der häuslichen Lernumwelt.

Prof. Dr. Frank Niklas ist Entwicklungs- und Pädagogischer Psychologe und forscht zur Kompetenzentwicklung von Kindern im Familienkontext und zu (digitalen) Fördermaßnahmen. Er studierte, promovierte und habilitierte an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg und arbeitete von 2013 bis 2015 als Post-Doc an der University of Melbourne, in Australien. Seit März 2019 ist er Professor für Pädagogische Psychologie und Familienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Prof. Dr. Simone Lehrl ist Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt frühkindliche Bildung und forscht zu Bildungsprozessen und Kompetenzentwicklungen von Kindern im familiären und instutionellen Kontext. Sie studierte und promovierte an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Seit Januar 2022 ist sie Professorin für Elementarbildung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.

2 Theoretischer Bezugsrahmen und Konzeptionen


2.1 Einleitung


Wie im Rahmen des vorhergehenden Kapitels deutlich wurde, handelt es sich bei der häuslichen Lernumwelt um keine einheitliche Konzeption, der eine eindeutige Definition zugrunde liegt. Eine vergleichbare Heterogenität zeigt sich auch bei der theoretischen Fundierung, denn Forschungsarbeiten, die sich mit der häuslichen Lernumwelt auseinandersetzen, nehmen teilweise Bezug auf sehr unterschiedliche theoretische Ansätze. Ähnlich verhält es sich mit Konzeptualisierungen und Modellen zur häuslichen Lernumwelt, die je nach Forschungsinteresse verschiedene Aspekte fokussieren, beinhalten oder auch bewusst ignorieren und nicht der häuslichen Lernumwelt zurechnen.

Im folgenden Kapitel sollen daher zunächst die zentralen Theorien erklärt werden, die häufig als theoretische Grundlage für die Erforschung der häuslichen Lernumwelt herangezogen werden. Daran anschließend werden aktuelle englisch- und deutschsprachige Konzepte und Modelle der häuslichen Lernumwelt vorgestellt.

2.2 Theoretische Grundlagen


Die im Folgenden behandelten Theorien von Bronfenbrenner, Bourdieu, Vygotski und Bandura sind nicht als grundsätzliche Theorien zur häuslichen Lernumwelt zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um allgemeine Theorien der menschlichen Entwicklung, des menschlichen Lernens bzw. zur Erklärung sozialer Ungleichheiten und der Entwicklung in sozialen Kontexten. Sie finden bei verschiedenen Thematiken Anwendung wie beispielsweise als Erklärungsansätze für Lernen aus soziologischer Sicht oder aus Sicht der Entwicklungspsychologie. Diese vier Theorien eignen sich aber dahingehend als sehr guter theoretischer Bezugsrahmen für die häuslichen Lernumwelt, da sie ebenfalls soziale Kontexte fokussieren, die Entwicklung und Lernen ermöglichen. Sie können damit auch als Erklärung herangezogen werden, warum Lernen im Rahmen der häuslichen Lernumwelt funktioniert und warum diese eine so wichtige Rolle einnimmt.

2.2.1 Bronfenbrenners ökologische Theorie


Die ökologische Theorie von Bronfenbrenner (z. B. 1979) unterscheidet auf verschiedenen Ebenen mehrere Einflussfaktoren für die kindliche Entwicklung und nimmt »eine ineinander geschachtelte Anordnung konzentrischer, ineinander gebetteter Strukturen« (Bronfenbrenner, 1990, S. 76) an. Diese Strukturen interagieren miteinander und wirken gemeinsam auf das Individuum ein, das in dessen Mitte lokalisiert ist (▸ Abb. 2.1).

Abb. 2.1:Modell zu Bronfenbrenners ökologischer Theorie mit dem Kind im Zentrum der verschiedenen Systemebenen

Das Mikrosystem stellt dabei die zentrale Bezugsgröße des sich entwickelnden Kindes dar. Es umfasst

»[...] ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, das die in Entwicklung begriffene Person in einem gegebenen Lebensbereich mit seinen eigentümlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt. Ein Lebensbereich ist ein Ort, an dem Menschen leicht direkte Interaktion mit anderen aufnehmen können, Tätigkeit (oder Aktivität), Rolle und zwischenmenschliche Beziehung sind die Elemente (oder Bausteine) des Mikrosystems« (Bronfenbrenner 1981, S. 38).

Zum Mikrosystem gehören somit die engsten Vertrauten des Kindes, mit denen es täglich interagiert. In erster Linie handelt es sich dabei um die Eltern und Geschwister. Es könnte sich daneben aber auch um andere im Haushalt lebende Personen wie die Großeltern oder um sehr enge Freunde des Kindes handeln. Allerdings zählen auch Institutionen wie Krippe, Kindertagesstätte oder Schule zu den eigenen Mikrosystemen.

Die verschiedenen Lebensbereiche bzw. Mikrosysteme stehen meist nicht unverbunden nebeneinander, sondern interagieren, indem z. B. Eltern mit pädagogischen Fachkräften der Kita hinsichtlich der Förderung ihres Kindes kooperieren. Bronfenbrenner bezeichnet diese Wechselbeziehung zwischen den einzelnen Mikrosystemen als Mesosystem. »Ein Mesosystem ist somit ein System von mehreren Mikrosystemen« (Bronfenbrenner 1981, S. 41). In den äußeren Schichten, die als Makro- bzw. Exosysteme bezeichnet werden, finden sich neben gesellschaftlichen Aspekten wie beispielsweise medialen und kulturellen Einflüssen auch die erweiterte Familie oder die Nachbarschaft, die meist nicht unmittelbar auf das Kind einwirken, aber z. B. über den Kontakt mit den Eltern des Kindes indirekt Einfluss nehmen können (vgl. Lohaus & Vierhaus, 2015).

In ökologischen Modellen wird angenommen, dass distale Faktoren, die weiter vom Individuum entfernt sind, eine weniger wichtige Rolle einnehmen als proximale und damit näher positionierte Faktoren. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass der Einfluss der distalen Faktoren durch proximale Faktoren vermittelt wird. Somit schlagen sich die distalen Faktoren in den proximalen nieder, welche dann wiederum unmittelbar Einfluss auf die kindliche Entwicklung nehmen. Diese Annahme trifft nicht nur auf die Beziehung der verschiedenen Ebenen untereinander zu, sondern auch auf die Beziehungen innerhalb des Mikrosystems Familie.

Distale und proximale Faktoren

Distale und proximale Faktoren in der ökologischen Theorie unterscheiden sich durch ihre Nähe zu einer Person und damit auch in ihrer Bedeutung für sie. Während distale Faktoren eine größere Distanz aufweisen und somit meist nur indirekt auf die Person einwirken sind proximale Faktoren sehr nahe an der Person und nehmen häufig direkt und unmittelbar Einfluss auf die Person und ihre Entwicklung.

Auch innerhalb des Mikrosystems Familie lassen sich distale Hintergrundmerkmale (wie beispielsweise der sozioökonomische Status, SÖS) von proximalen Prozessmerkmalen (wie beispielsweise den unmittelbaren Eltern-Kind-Interaktionen) abgrenzen. Bronfenbrenner hat sein Modell im sogenannten Process-Person-Context-Time-Modell (PPCT-Modell) weiterentwickelt (Bronfenbrenner & Morris, 2006), welches davon ausgeht, dass die proximalen Prozesse die »Motoren der Entwicklung« darstellen.

Process-Person-Context-Time-Modell (PPCT-Modell)

Das PPCT-Modell greift die ökologische Theorie auf und erweitert diese um den Kontext Zeit und Entwicklung, was sich in sogenanten Prozessmerkmalen widerspiegelt.

Diesen proximalen Prozessmerkmalen lässt sich die häusliche Lernumwelt zuordnen, da es sich bei ihr im Schwerpunkt um tagtägliche Interaktionen zwischen Haushalts-/Familienmitgliedern und dem Kind handelt, die die kindliche Kompetenzentwicklung unterstützen (Niklas, 2015; Lehrl, 2018).

2.2.2 Der soziologische Ansatz von Bourdieu


Ein weiterer wichtiger Bezugsrahmen im Kontext der HLE geht auf den soziologischen Ansatz von Bourdieu (z. B. 1983) zurück. Er unterscheidet drei verschiedene Arten von Kapital, die einem Menschen in unterschiedlichem Ausmaß zur Verfügung stehen und von ihm genutzt werden können:

  • 1.

    ökonomisches Kapital, welches unmittelbar und direkt in Geld umwandelbar ist, z. B. Besitztümer wie Wohnungseigentum,

  • 2.

    soziales Kapital, bestehend aus sozialen Netzwerken, Beziehungen und Verpflichtungen, die eingegangen wurden,

  • 3.

    kulturelles Kapital, worunter alle Kulturgüter sowie die kulturellen Ressourcen einer Familie verstanden werden.

Das kulturelle Kapital lässt sich wiederum nach Bourdieu (1983) noch einmal in drei unterschiedliche Bereiche untergliedern:

  • 1.

    inkorporiertes Kapital als dauerhafte Dispositionen, wie kulturelle Fähig-‍, und Fertigkeiten sowie Kenntnisse und Wissensformen, die über Zeitinvestitionen angeeignet wurden;

  • 2.

    objektiviertes Kapital in Form von kulturellen Gütern wie Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen. Eng verbunden mit dieser Form des kulturellen Kapitals ist dabei die Fähigkeit, diese Güter auch effektiv anwenden und nutzen zu können;

  • 3.

    institutionalisiertes Kapital in Form von schulischen oder akademischen Titeln, die wiederum für bereits erworbene und erlernte Fähigkeiten und Kenntnisse stehen.

Im Kontext der Forschung zur häuslichen Lernumwelt ist insbesondere das objektivierte Kapital hervorzuheben, das einen wichtigen Aspekt der häuslichen Lernumwelt darstellt (vgl. z. B. McElvany et al., 2009; Niklas et al., 2013).

Kulturelles Kapital

Kulturelles Kapital bezeichnet nach Bourdieu verschiedene Formen von Kapitel, das sich auf Kulturgüter, kulturelle Ressourcen, aber auch kulturelle Fähigkeiten bezieht, welche von einer Person bereits dauerhaft erworben wurden. Damit umfasst es also sowohl Güter wie Bücher oder Instrumente als auch akademische Titel und kulturelle Fähigkeiten, die eine Person sich über Zeitinvestition angeeignet hat und die ihr nun zur Nutzung zur Verfügung...

Erscheint lt. Verlag 4.6.2025
Zusatzinfo 11 Abb., 1 Tab.
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Familien- / Systemische Therapie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Entwicklungspsychologie • Familienbildung • Familienpsychologie • Frühförderung • Kompetenzentwicklung • Lernen • Pädagogische Psychologie
ISBN-13 9783170330399 / 9783170330399
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