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Die Kinder Gottes und ihr Christus - Stefan Schreiber

Die Kinder Gottes und ihr Christus (eBook)

Die Johannesbriefe als Lotsen einer frühjüdischen Messias-Bewegung
eBook Download: EPUB
2025
319 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-046281-6 (ISBN)
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Schreiber liest die Johannesbriefe als Schriften des antiken Judentums und zeigt zugleich, wie sie der Adressatengruppe eine Anleitung zum Leben mit Gott - dem Gott Israels - und seinem Messias Jesus geben. Sie antworten auf Konkurrenten aus den eigenen Reihen und bleiben dabei im Diskursraum der jüdischen Tradition. Darin profilieren sie ihre Zugehörigkeit zu Christus: Sie zeichnen ein bestimmtes Bild vom Gott Israels und vom Messias, zeigen auf, dass in Christus ein neuer Umgang mit dem Thema Sünde eröffnet ist, und betonen das Gebot der gegenseitigen Liebe als Identitätsmerkmal der eigenen Gruppe. Interessant ist, wie sie die Bildung und Weitergabe der eigenen, johanneischen Tradition reflektieren und wie sie sich selbst in die Endgeschichte Gottes mit seinem Volk einordnen. Damit verortet sich die Studie in der aktuellen exegetischen Diskussion, die die Texte des Neuen Testaments als Teil des antiken Judentums ('within Judaism') versteht. Im religionsgeschichtlichen Vergleich mit frühjüdischen Texten arbeitet sie die Eigenart des jüdischen Selbstverständnisses, das die Briefe erkennen lassen, heraus.

Prof. Dr. Stefan Schreiber lehrt Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Augsburg.

2.  Die Antichristus-Gruppe und der jüdische Kontext der Briefe


Sucht man nach der religionsgeschichtlichen Einordnung der JohBr, hat sich in der Forschung die Diskussion um die sogenannte Gegnerfrage als entscheidend erwiesen. Die Stellen, an denen die JohBr ausdrücklich auf bestimmte Konkurrenten referieren, geben Hinweise auf deren theologische Positionen und lassen sich somit für die Frage nach der Gesprächssituation der Briefe auswerten. Allerdings sind die Aussagen der Briefe zu den Konkurrenten so gehalten, dass deren Identität für uns heute nicht einfach ersichtlich ist: Wer steht hinter den »vielen Antichristussen«, die »aus uns hinausgingen, aber nicht aus uns waren«, in 1 Joh 2,18f.? Wer ist der »Lügner« und »Antichristus«, »der leugnet, dass Jesus der Christus ist«, in 2,22? Wer sind »die, die euch täuschen«, in 2,26? An wen denkt der Verfasser von 4,1–3, wenn er vor »vielen Falschpropheten« und dem Geist »des Antichristus« warnt und als Kriterium, an dem man Gottes Geist erkennt, das Bekenntnis zu »Jesus als Christus, der im Fleisch gekommen ist«, nennt? Darf man auch in Aussagen wie »Wer sagt, er sei im Licht, und seinen Bruder/seine Schwester hasst, ist in der Finsternis bis jetzt« aus 1 Joh 2,9 oder »Wer etwa die Güter der Welt hat und sieht seinen Bruder/seine Schwester Not leiden und verschließt sein Mitgefühl vor ihm (…)« aus 3,17 eine polemische Spitze gegenüber »Gegnern« erkennen? Die Beispiele ließen sich fortsetzen, aber es wird schon deutlich, dass die Bestimmung der »Gegner« eine exegetisch-historische Aufgabe ist, die man lösen muss, um die Briefe historisch einordnen und ihre Gesprächssituation erfassen zu können, und es verwundert nicht, dass die »Gegner« in der Forschung recht unterschiedlich bestimmt werden. Daher soll ein kurzer Forschungsüberblick am Anfang dieses Kapitels stehen. Im Blick auf die Forschung wird zugleich deutlich werden, wo meine Untersuchung ungewohnte Wege bei der Einordnung der Briefe geht.

Die Forschung spricht häufig von Gegnern oder englisch opponents. Ich vermeide diesen Sprachgebrauch, weil er die Gefahr einer Wertung und einer bereits kanonisch geprägten Perspektive in sich trägt: Die Briefe, die heute (!) zum Kanon des NT zählen, gehören auf die Seite der Guten, Orthodoxen, Rechtgläubigen etc., die »Gegner« stehen für die Seite der Bösen, Abweichler, Häretiker etc. Um solche Einseitigkeiten zu vermeiden, spreche ich von Konkurrenten: Sowohl die Briefpartei als auch die von den Briefen angegriffene Partei stehen auf dem Boden einer berechtigten, begründbaren Überzeugung im größeren Rahmen einer bestimmten (jüdischen, »christlichen«?) Tradition. In diesem Rahmen ringen beide um ihr Selbstverständnis und die richtige Auslegung ihrer gemeinsamen Tradition.

2.1  Die »Gegner« – eine kleine Forschungsgeschichte


2.1.1  Grundlinien der Forschung bis 1990


Die Forschung zu den JohBr hat die Hauptintention der Briefe lange Zeit in der Bekämpfung von Gegnern gesehen und diese Gegner in einem innerchristlichen Konflikt verortet, als Schismatiker aus den eigenen Reihen.1 Hans-Josef Klauck fasst in seinem Kommentar zu 1 Joh den Forschungsstand Anfang der 1990er Jahre zusammen, was hier als Ausgangspunkt dienen soll. Demnach lassen sich die Hauptrichtungen der Forschung mit den Stichworten »Juden(christen)tum, Kerinth, Doketismus, Gnosis, Ultra-Johanneer« beschreiben.2

(1) Nur selten wird in der Zeit vor den 1990er Jahren die Herleitung der Gegner aus dem Judentum in Betracht gezogen. Die 1903 publizierte Arbeit von Alois Wurm, der in 1 Joh wie im JohEv einen Streit um die Messianität Jesu erkennt, die der Brief gegen jüdische Angriffe verteidigt, hat wenig Nachfolger gefunden.3 Vor dem 20. Jahrhundert war eine Situierung von 1 Joh im jüdischen Kontext verbreitet, bevor sie durch die Religionsgeschichtliche Schule verdrängt wurde.4 Joachim Kügler vertrat 1989 die These, das innertextliche Bild jüdischer Gegner diene 1 Joh, »einem (fiktiv) alten Brief«, als klischeehafte Fiktion, um damit eine außertextliche, innerchristliche Gruppe anzugreifen.5

Bei diesen Gegnern habe »die Überzeugung von einem vollkommenen Heilszustand im Sinne einer ›realized eschatology‹« geherrscht, die zu »einer generellen Vernachlässigung der sozialen Bezüge und Verpflichtungen in der Gemeinde« geführt habe.6 – Man müsste dazu 1 Joh jedoch eine völlige (innere) Trennung vom Judentum und eine böswillige Instrumentalisierung jüdischer Menschen unterstellen. Auch hätte er dann, wie das JohEv, einfach den Begriff »die Juden« verwenden können, um die Gegner zu markieren, was er nirgends tut.

(2) Meist verortete die Forschung die Gegner in christologischen Streitigkeiten, wie sie in der frühen Kirche ab dem 2. Jahrhundert bezeugt sind. Dabei wurde einerseits auf die Nähe zu Kerinth verwiesen, der nach Irenäus (haer. I 26,3; III 3,4) eine Trennungs- oder Einwohnungschristologie vertreten habe: »Das himmlische Geistwesen Christus geht mit dem irdisch-fleischlichen Menschen Jesus nur eine zeitweilige Verbindung ein« von der Taufe bis kurz vor der Kreuzigung.7 Irenäus beschreibt Kerinth als Gnostiker, der den wahren, über die irdische Wirklichkeit erhabenen Gott vom untergeordneten Schöpfer der Welt (dem Demiurgen) unterscheidet.

(3) Andererseits wurden die Gegner als Doketisten bestimmt.8 Ein strenger Doketismus (wie er sich bei Kerdon oder Satornil im 2. Jahrhundert findet) vertritt eine monophysitische Christologie, d. h. Christus sei ausschließlich göttlicher Natur und habe nur scheinbar einen menschlichen Leib besessen, einen Scheinleib, der lediglich als Erscheinungsweise des Erlösers in der Welt diente.9 Vertreter eines Doketismus nehmen für den Christus eine exklusive Göttlichkeit an, das Menschliche hingegen stelle nur eine scheinbare Wirklichkeit dar; er scheint nur ein menschliches Wesen zu sein.10 Die Ignatius-Briefe verweisen offenbar auf eine frühe Form des Doketismus oder eine Trennungschristologie, wenn sie Behauptungen ihrer Gegner wiedergeben: Christus »habe zum Schein gelitten« (δοκεῖν πεπονθέναι; IgnTrall 10; IgnSm 2). Sein Leiden und Sterben »wurde zum Schein (δοκεῖν) von unserem Herrn vollbracht« (IgnSm 4,2). Die Gegner bekennen nicht, dass Christus »einen Leib trägt« (σαρκοφόρον; IgnSm 5,2). Sie glauben nicht an das »Blut Christi«, also sein gewaltsames Sterben (IgnSm 6,1). Im Kontext der Gegnerkritik betont umgekehrt IgnEph 7,2, dass Christus »aus Fleisch (σαρκικός) und zugleich aus Geist ist, gezeugt und ungezeugt, im Fleisch (ἐν σαρκί) gewordener Gott«. Nach IgnEph 19,3 »erschien Gott in Menschengestalt«. Ignatius betont, dass Christus »im Fleisch« (ἐν σαρκί) gekreuzigt wurde (IgnSm 1,2) und auch nach der Auferstehung »im Fleisch« ist (IgnSm 3,1). IgnSm 2 droht den Gegnern an, ihnen werde es ergehen, wie sie lehren: Sie werden »leiblos und dämonisch« (ἀσωμάτοις καὶ δαιμονικοῖς) sein (Dämonen stellte man sich als körperlose Wesen vor).11 Eine genaue Bestimmung dieser Gegner ist allerdings umstritten, u. a. da sich die Ignatius-Briefe an anderen Stellen gegen judaisierende Positionen wenden.12 Nach wie vor steht die Datierung der Ignatius-Briefe in der Diskussion, die klassisch an den Anfang des 2. Jahrhunderts (110–117), aber auch zur Zeit Hadrians oder – unter der Annahme pseudepigraphischer Abfassung – erst ins letzte Viertel des 2. Jahrhunderts datiert werden.13 Die zitierten Stellen zeigen jedenfalls, dass die Ignatius-Briefe eine andere Terminologie benutzen als 1 Joh und eine anders gelagerte christologische Diskussion spiegeln.

(4) Eine Nähe der Gegner von 1 Joh (oder des Briefes selbst) zur Gnosis, wie sie seit der frühen Kirche die Forschung dominierte, wird in jüngerer Zeit kaum noch vertreten. Denn für die Zeit vor der Mitte des 2. Jahrhunderts ist kein ausgebildetes System einer Gnosis nachweisbar, und die JohBr spiegeln weder in ihrer Argumentation noch in der Polemik gegen die Gegner Züge eines gnostischen Systems.14

Ein kurzer Blick auf die Denkstruktur der Gnosis zeigt die Differenzen zu den JohBr. Gnosis lässt sich am besten als Sammelbegriff für verschiedene, miteinander verwandte Lehren beschreiben. Ihnen ist die Unterscheidung zwischen einem höchsten Gott und einem untergeordneten Demiurgen gemeinsam. Die höchste, gute Gottheit, die über alle irdische Wirklichkeit erhaben ist, entfaltet sich in vielfältigen Abstufungen und »Ausflüssen« (Emanationen). Der auf einer untergeordneten Stufe stehende Demiurg, der Schöpfergott, schuf den Kosmos, die materielle Welt, zu der auch der Mensch in seiner (minderwertigen) Leiblichkeit gehört, indem er göttliches Pneuma mit »böser« Materie verband. Erlösung aus seiner Gottferne kann der (dazu bestimmte) Mensch in der »Gnosis« finden, d. h. im Wissen und der Erkenntnis seiner eigenen Göttlichkeit, des göttlichen Lichtfunkens, den er in sich trägt.

(5) Als letzte Forschungsrichtung nennt Klauck Ultra-Johanneer als Gegner.15 Diese hätten überspitzte Interpretationen der johanneischen Tradition vertreten, besonders in Bezug auf die christologische Frage der Inkarnation und der Bedeutung der Taufe Jesu als Ereignis der Geistbegabung. Urban von Wahlde denkt an Gegner, die sich im endzeitlichen Geistbesitz und in Vollendung wähnen und eine dauerhafte Rolle Jesu als Heilbringer zugunsten des Geistes ablehnen.16 Damit...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2025
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Ruth Scoralick, Reinhard von Bendemann, Marlis Gielen, Jan Dietrich, Veronika Burz-Tropper
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Christlich-jüdischer Dialog • Frühjudentum • Jesus • Jesusbewegung • Messias • Neues Testament
ISBN-10 3-17-046281-4 / 3170462814
ISBN-13 978-3-17-046281-6 / 9783170462816
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