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Komplexe Traumafolgestörungen (eBook)

Die erweiterte STAIR-Gruppentherapie (ESTAIR)
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage 2025
211 Seiten
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
978-3-8444-3311-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Komplexe Traumafolgestörungen - Janine Borowski, Marylene Cloitre, Thanos Karatzias, Ingo Schäfer
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Das erweiterte Skillstraining zur affektiven und interpersonellen Regulation (ESTAIR) richtet sich an Personen, die an den Folgen anhaltender und wiederkehrender traumatischer Ereignisse in der Vergangenheit leiden. Durch das Übermaß an Belastungen und den Verlust von inneren und äußeren Ressourcen entwickeln Betroffene häufig komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen (kPTBS), die durch Beeinträchtigungen in der Emotionsregulation, in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Selbstkonzept gekennzeichnet sind. Basierend auf der Einzeltherapie STAIR/Narrative Therapie, deren Wirksamkeit für die Behandlung von PTBS nachgewiesen ist, wurde ein Gruppenprogramm konzipiert. Zur Durchführung des Gruppenprogramms sind Kenntnisse von STAIR/Narrative Therapie erforderlich. Die Kombination mit der Einzeltherapie für eine traumafokussierte Arbeit ist sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig. Das Gruppenprogramm umfasst drei Behandlungsschwerpunkte: Emotionsregulation, Selbstkonzept und zwischenmenschliche Beziehungen. In 17 Sitzungen werden den Patientinnen und Patienten Fähigkeiten, sogenannte Skills, vermittelt, die den Umgang mit Gefühlen verbessern, zu einem positiveren Selbstbild beitragen und ein gesundes Beziehungsverhalten fördern. Das Gruppensetting bietet dabei einen sicheren und geschützten Rahmen, um die neuen Skills zu erproben und korrigierende Beziehungserfahrungen zu sammeln. Die einzelnen Bausteine lassen sich auch flexibel einsetzen. Zahlreiche Materialien in Form von Arbeitsblättern und Audiodateien unterstützen die Durchführung und können nach erfolgter Registrierung von der Hogrefe Webseite heruntergeladen werden.

|13|Kapitel 1: Die Behandlung mit dem ESTAIR-Gruppenprogramm


1.1  Einführung in die Behandlung mit STAIR/ESTAIR


Für die Behandlung von Personen, die interpersonellen Traumatisierungen, wie körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt waren und in ihrem gegenwärtigen Leben an den Folgen dieser Erlebnisse leiden, wurde mit STAIR/Narrative Therapie (Skillstraining zur affektiven und interpersonellen Regulation/Narrative Therapie) ein spezielles Therapieprogramm entwickelt (Cloitre, Cohen & Koenen, 2014; Cloitre, Cohen, Ortigo, Jackson & Koenen, 2025). STAIR/Narrative Therapie besteht aus den beiden Behandlungsmodulen „STAIR“ und „Narrative Therapie“. Während im STAIR-Modul Skills vermittelt werden, die helfen, Emotionen zu regulieren und Verhaltensmuster in zwischenmenschlichen Beziehungen zu verändern, fokussiert das NT-Modul die emotionale Verarbeitung der Traumatisierung (Cloitre et al., 2014; Cloitre et al., 2025).

Wenn interpersonelle Traumatisierungen in der Kindheit stattfinden, hat dies Einfluss auf viele verschiedene Ebenen der kindlichen Entwicklung. Oftmals führen sie zu Beeinträchtigungen in den emotionalen, kognitiven sowie verhaltensbezogenen Kompetenzen. STAIR/Narrative Therapie betrachtet die Bedingungen unter denen Betroffene sich entwickeln und heranwachsen mussten als eine Art anhaltenden Verlust von Ressourcen, nämlich dem Verlust von Entwicklungsmöglichkeiten hinsichtlich emotionaler und sozialer Fertigkeiten (Cloitre, Cohen, Ortigo, Jackson & Koenen, 2020; Cloitre et al., 2025). Die „Genesung“ von den Auswirkungen kindlicher Traumatisierung erfordert demnach eine Wiederherstellung dieser Ressourcen, indem das Erlernen diverser Fertigkeiten und Strategien, deren Aufbau aufgrund des anhaltenden „Überlebensmodus“ in der Vergangenheit nicht möglich war, nachgeholt wird. Bei Traumatisierungen in der Kindheit waren primäre Bezugspersonen und Täter:innen vielfach ein und dieselbe Person. Deshalb spielen außerdem der Verlust und Wiederaufbau gesunder Bindungs- und Beziehungsfähigkeit eine zentrale Rolle. Insbesondere die Regulation von Nähe und Distanz in Beziehungen fällt vielen Betroffenen schwer, weil Bindung eng mit dem traumatischen Geschehen verknüpft ist. Zusätzlich fehlte es in den meisten Fällen schlichtweg an gesunden Modellen zur Orientierung.

Hinzu kommt, dass interpersonelle Traumatisierungen und andere andauernde traumatische Lebensereignisse ein Übermaß an Belastung und Beschwerden zur Folge haben. Beides zusammen, das Mehr an Belastung und das Weniger an Ressourcen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter eine (komplexe) Traumafolgestörung zu entwickeln (Cloitre et al., 2014). Einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS), die in der ICD-111 eine eigene Diagnose darstellt, liegen meistens langanhaltende oder wiederholte traumatische Ereignisse zugrunde (World Health Organization WHO, 2023).

Zur Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erwies sich STAIR/Narrative Therapie in verschiedenen Studien als wirksam (Cloitre, Koenen, Cohen & Han, 2002; Lorbeer, Knaevelsrud & Niemeyer, 2022). Teilweise wurde STAIR auch ohne das zweite Behandlungsmodul eingesetzt. Dabei zeigen sich je nach Studie kleine bis große Effekte hinsichtlich emotionaler Ressourcen und zwischenmenschlichen Beziehungen (Lorbeer et al., 2022). STAIR eignet sich somit als Grundlage zur Behandlung von kPTBS. Die Arbeit an der Emotionsregulation und an Beziehungsmustern des STAIR-Moduls kann sehr gut auch in der Gruppe umgesetzt werden, was gerade in Hinblick auf die psychotherapeutische Grundversorgung sinnvoll ist. Das ESTAIR-Gruppenprogramm basiert dabei auf STAIR/Narrative Therapie für das Einzelsetting (vgl. Kapitel 1.4), mit dem Therapeut:innen, die das Gruppenprogramm verwen|14|den, vertraut sein sollten. Das Gruppenmanual ist kompakt gehalten, um die Anwendung und Gruppendurchführung möglichst einfach zu gestalten. An einigen Stellen, vor allem zu den Grundlagen von ESTAIR, ist es empfehlenswert, vertiefende Informationen im Einzelmanual nachzulesen (Cloitre et al., 2014, 2020, 2025). Das vorliegende Gruppenmanual geht über das Einzelmanual insofern hinaus, als es neben den Bereichen Emotionsregulation und interpersonelle Probleme auch den dritten Bereich der „Störungen der Selbstorganisation“ im Rahmen der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) adressiert, das negative Selbstkonzept (Sitzungen 7 bis 11). Es basiert damit auf einer Erweiterung, die STAIR in den letzten Jahren erfahren hat (ESTAIR; Karatzias, McGlanaghy & Cloitre, 2023).

Das ESTAIR-Gruppenprogramm richtet sich also vor allem an Betroffene mit der Diagnose einer kPTBS (vgl. Kapitel 1.2 und 1.3). Sein Aufbau spiegelt die Empfehlung der S3-Leitlinie zur Behandlung der PTBS wider (Schäfer et al. 2019), die bei Patient:innen mit kPTBS neben traumafokussierter Arbeit (Behandlungsmodul Narrative Therapie) Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation und zur Bearbeitung dysfunktionaler zwischenmenschlicher Muster (Behandlungsmodul STAIR) empfiehlt. Es eignet sich aber auch für die Behandlung anderer Störungen, die aufgrund von (Entwicklungs-)Traumatisierungen entstanden sind (vgl. Kapitel 1.2). Über die reine Symptomebene hinaus dient es der Förderung von Emotionsregulation, dem Aufbau eines gesunden Selbstkonzepts sowie der Verbesserung von Beziehungsstörungen und den zugrunde liegenden traumaassoziierten Beziehungsmustern.

1.2  Für wen eignet sich eine Behandlung mit STAIR/ESTAIR?


STAIR/Narrative Therapie wurde für Betroffene von interpersoneller Gewalt entwickelt, die in Folge dieser Erlebnisse eine Traumafolgestörung entwickelt haben (Cloitre et al., 2014). Auch das ESTAIR-Gruppenprogramm richtet sich deshalb in erster Linie an diese Personengruppe (vgl. Kapitel 1.3).

Klinische Erfahrungen mit STAIR/Narrative Therapie zeigen, dass das ESTAIR-Gruppenprogramm auch bei Personen mit einer „subsyndromalen kPTBS“, die nicht die vollen Diagnose-Kriterien erfüllen, anwendbar ist. Auch das Vorhandensein komorbider Erkrankungen ist kein Ausschlusskriterium für die Behandlung mit ESTAIR in der Gruppe. Wie schon beschrieben können die Auswirkungen von Traumatisierung vielfältig sein und sich entsprechend in verschiedenen Symptombildern zeigen. Oftmals sind die zu adressierenden Problembereiche dann die gleichen, wie etwa bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Andere Erkrankungsbilder können nicht selten als Folgen dysfunktionaler Bewältigungsstrategien interpretiert werden, wie beispielsweise die Entwicklung von depressiven Symptomen, Angststörungen oder auch der Konsum von Substanzen. Das Vorliegen anderer psychischer Störungen sollte also nicht automatisch dazu führen, den Patient:innen ein anderes Behandlungsverfahren zu empfehlen. Vielmehr sollte aufgrund der individuellen Lebensgeschichte, dem spezifischen Symptomprofil und den eventuell vorliegenden Vorbehandlungen entschieden werden, welches Verfahren am passendsten erscheint. Dabei sind das Vorliegen von akuter Suizidalität, akuter psychotischer Symptomatik und aktueller Substanzabhängigkeit allerdings mögliche Kontraindikationen. Bestehen diese Problembereiche in abgewandelter oder abgeschwächter Form, ist ein individueller Abwägungsprozess sinnvoll, in dem die Therapeut:innen entscheiden, was sie in ihrem Rahmen anbieten können und wollen (z. B. wenn zuverlässige Vereinbarungen getroffen werden, wie kein Substanzkonsum während der Behandlungsdauer o. Ä.).

1.3  Beschreibung der kPTBS und PTBS


Die Auswirkungen, die früh erlebte, anhaltende oder wiederholte Traumatisierung durch interpersonelle Gewalt haben können, sind vielfältig und in klassischen Diagnosekriterien teilweise schwer abbildbar. Neben den „klassischen“ PTBS-Symptomen zeigen sich eine Reihe von Beschwerden, die Betroffene stark in ihrer Alltagsfunktion und Lebensweise beeinträchtigen. Symptome wie Schwierigkeiten in der Impuls- und Affektregulation (übermäßige aversive Gefühle; Leere und/oder Taubheit; erhöhte Reizbarkeit), wiederkehrende zwischenmenschliche Probleme (Misstrauen; Isolation; Reviktimisierung) oder ein verändertes Selbstbild (Dissoziationen; sehr...

Erscheint lt. Verlag 14.4.2025
Reihe/Serie Therapeutische Praxis
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Bindungserfahrung • Emotionsregulation • Gruppenprogramm • Gruppensetting • Gruppentherapie • Kognitive Verhaltenstherapie • Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung • komplexe Traumafolgestörungen • Missbrauch • Narrative Therapie • Psychotherapie • ressourcenaufbau • Selbstkonzept • Skillstraining • Stair • STAIR/NT • Trauma • Traumaarbeit • Traumatische Ereignisse • zwischenmenschliche Beziehungen
ISBN-10 3-8444-3311-2 / 3844433112
ISBN-13 978-3-8444-3311-1 / 9783844433111
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