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Pferdegestützte Therapie und Förderung -  Annette Gomolla,  Victoria Zirpel

Pferdegestützte Therapie und Förderung (eBook)

Band 2 Therapiepferde: Auswahl, Haltung, Ausbildung, Training und Einsatz von Pferden als Partner in therapeutischen und pädagogischen Interventionen
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
208 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8192-3551-1 (ISBN)
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18,99 inkl. MwSt
(CHF 18,55)
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Auswahl, Haltung, Ausbildung, Training und Einsatz von Pferden in Therapie und Pädagogik.

Dr.rer.nat. Annette Gomolla, Diplom-Psychologin und Master Erwachsenenbildung, Hypnose- und Traumatherapeutin, Autismustherapie und Fortbildungen im vielen weiteren psychotherapeutischen Verfahren, Berittführerin (FN), Fachkraft für Landwirtschaft, seit über 20 Jahren aktiv im Feld der Pferdegestützten Interventionen, Leitung des Instituts für Pferdegestützte Therapie (IPTh), Ausbilderin für Fachkräfte PI, Geschäftsführung der gemeinnützigen Gesellschaft GREAT gUG, therapeutisch und pädagogisch aktiv tätig auf ihrem Hof am Bodensee mit Pferden, Eseln, Ziegen und Rindern (soziale Landwirtschaft), Gründungsmitglied und im Vorstand des Berufsverbandes für Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen e.V.

2. Grundlegendes und vertiefendes Wissen zu artspezifischen Verhaltensweisen


Unser heutiges Hauspferd hat mit seinem Vorfahren, dem Eohippus, das vor ca. 55 Mio. Jahren den Globus besiedelte und ein Waldbewohner war, kaum mehr etwas gemein. Er war Pflanzenfresser, ernährte sich jedoch hauptsächlich von Blättern und gehörte zur Beute verschiedener Jäger. Das Urpferdchen war als Einzelgänger unterwegs, da der Wald viele Versteckmöglichkeiten bot, so dass der Schutz durch eine Herde nicht notwendig war. Mit dem Rückgang der Wälder und der Entstehung großflächiger Steppen entwickelte sich das Pferd vor ca. 25 Millionen Jahren zum Steppenbewohner und ernährte sich vorwiegend von Gras. Die Entwicklung zum sogenannten Merychippus brachte neben anatomischen Veränderungen auch verhaltensmäßige Anpassungen an den neuen Lebensraum mit sich. Der Merychippus war aufgrund nun fehlender Versteckmöglichkeiten auf den Schutz durch eine Herde und damit auf die Entwicklung komplexen Sozialverhaltens angewiesen. Der Herdenverband war zum frühzeitigen Erkennen eines Räubers notwendig. Nur so war es jedem einzelnen Tier möglich, allen seinen Bedürfnissen in ausreichender Form ungestört nachzugehen (Zeitler-Feicht, S.12ff).

Die Urahnen unserer heutigen Hauspferde haben sich ursprünglich in Nordamerika entwickelt. Man geht davon aus, dass sich die sogenannten caballinen Pferde dann vor etwa einer Million Jahren über die eiszeitliche Bering-Landbrücke nach Eurasien ausbreiteten, die wiederholt auch anderen Tierarten als Verbindung gedient hat. Anschließend bildeten die Pferde auf dem neuen Kontinent im Verlauf der Jahrtausende eine Population, die sich zunehmend genetisch von den in Nordamerika verbliebenen Tieren zu unterscheiden begann. Während die in Eurasien lebenden Pferde sich weiter ausbreiteten und ihre Nachfahren schließlich vom Menschen domestiziert wurden, verschwanden die Pferde Amerikas vor etwa 11.000 Jahren aus bisher ungeklärten Gründen (Orlando et al., 2013).

Unsere heutigen, domestizierten Hauspferde sind soziale Herden- und Fluchttiere, und aus diesem Wissen heraus sollten ihre artspezifischen Verhaltensweisen verstanden und interpretiert werden. Besonders wichtig für das Verständnis unserer heutigen Pferde ist die Berücksichtigung der verschiedenen rassespezifischen Verhaltensweisen, da sich die Rasse eines Pferdes wesentlich auf den Charakter des Tieres und somit den individuellen Ausbildungsweg, den Umgang mit dem Pferd und schlussendlich den Einsatzmöglichkeiten in therapeutischen sowie pädagogischen Settings auswirkt. Neben den rassetypischen Merkmalen spielt ebenso das Geschlecht des Pferdes sowie die individuellen Charaktereigenschaften und weitere individuelle Faktoren eine Rolle, worauf in den folgenden Abschnitten näher eingegangen wird.

2.1 Das Pferd als soziales Herdentier mit artspezifischen und individuellen Merkmalen


Zur Beobachtung von Herdenverhalten werden wildlebende Tiere beobachtet, die nur noch in wenigen Gebieten weltweit vorkommen. Dabei handelt es sich nicht um Wildpferde, sondern um freilebende Hauspferde, denn es gibt weltweit keine Wildpferde mehr, nur noch verwilderte Hauspferde. Die genaue Entwicklung der heute existierenden Rassen ist noch immer unklar (Orlando et al., 2013, Zeitler-Feicht, 2015, S.17).

2.1.1 Die Struktur einer Herde


In freier Wildbahn existieren Pferdeherden von mehreren hundert Pferden. Sie sind wiederum unterteilt in Junggesellenverbände und Familienverbände (Mills & Nankervis, 2004). In Junggesellenverbänden schließen sich Junghengste, die (noch) keinen eigenen Familienverband (Harem) anführen, zusammen. Junggesellenverbände können sehr viele Tiere umfassen und sind locker organisiert. Familienverbände bestehen immer aus einem bis zu fünf Hengsten mit ihren Stuten und Nachkömmlingen. Familienverbände bestehen aus bis zu siebzehn Tieren. Etwa 15% der Tiere wechseln innerhalb eines Jahres die Herde, es kommt daher immer wieder zu Fluktuation (Krüger et al., 2020).

Transferüberlegung: In welcher Art von Herde würde unser Pferd in freier Wildbahn leben? Würde es sich eher einem Junggesellenverband anschließen?

Die Aufgabe des Hengstes der Herde besteht darin die Stuten beisammen zu halten und seine Herde gegen Konkurrenten zu verteidigen. Er läuft bei Flucht hinten und treibt die langsameren Tiere an. Der Hengst hat die spezielle Aufgabe, die Herde von der Gefahr weg zu treiben oder gegen andere zu verteidigen. Hengste pflegen eine lange Beziehung zu ihren Stuten und Nachkömmlingen. Sie spielen mit den Fohlen und sind gegenüber Verhalten der Fohlen toleranter als die Stuten. Dabei sind männliche Fohlen aktiver, mit ihrem Vater zu interagieren, als weibliche Fohlen (Sandlova et al., 2020). Hengste haben in der Herde die Aufgabe, andere Hengste davon abzuhalten, die Stuten zu decken. Seine eigenen Kopulationen bei allen Stuten seiner Herde führt dazu, dass das agonistische Verhalten in der Herde (Konkurrenzverhalten mit Aggressionen) gering gehalten wird (Granquist et al., 2012).

Die Aufgabe der Stuten besteht maßgeblich in der Fortpflanzung und Versorgung des Nachwuchses. Da sie einen Großteil des Familienverbandes bzw. des Harems ausmachen, sind sie mit allen für die Herde wichtigen Aufgaben betraut, wie das wechselseitige Wache halten oder die Nahrungs- und Wassersuche.

2.1.2 Beziehungen zwischen Stute, Nachkommen und Hengst


Stuten sind elf Monate trächtig und bekommen in der Regel ein Fohlen als Nachwuchs, Zwillingsgeburten sind äußerst selten. Frei lebende Stuten bekommen nicht zwingend jedes, sondern teilweise nur jedes zweite oder dritte Jahr Nachwuchs. Ihr Fertilitätsoptimum liegt bei sieben bis acht Jahren, ab dem Alter von 15 Jahren wird mit einer Abnahme der Fruchtbarkeit gerechnet. Sie werden in der Regel bis zu ihrem 20.Lebensjahr trächtig. Damit ist ihre Fertilität im Vergleich zu einigen andern Säugetieren eher gering mit einer überschaubaren Anzahl an Nachkommen. Stuten gelten als „saisonal-polyöstrisch“, was bedeutet, dass sie ihr Zyklus nur zwischen April und Oktober auftritt. 80% aller Stuten gehen in eine „Winterpause“, wobei die Überganszeiten in Bezug auf Anfang und Dauer variieren können. Der Zyklus einer Stute dauert 21 Tage, wobei die Dauer der Rosse zwischen drei und neun Tagen betragen kann. Zur Ovulation (zum Einsprung) kommt es etwa 24 Stunden vor Rosseende.

Ein Fohlen wird etwa 10 Monate von der Mutterstute gesäugt. Auch nach dieser Zeit bleibt der Nachwuchs in der Nähe bis zu einem Alter von mindestens zwei Jahren. In einer Studie von Stanley und Shultz (2021) wurde gezeigt, dass Stuten in der beobachteten Herde eine engere Beziehung zu ihren männlichen Nachkommen zeigten, diese häufiger und auch länger säugten. Allerdings konnten anderen Studien dies nicht belegen bzw. eine Studie zeigte, dass Stuten in guter körperlicher Konstitution sich mehr um die männlichen Nachkommen kümmerten und Stuten in schlechterer Verfassung eher um die weiblichen Nachkommen (Cameron & Linklater, 2000). In der Studie von Stanley und Shulzt wurde beschrieben, dass das längere Trinken bei der Mutter ihrer Ansicht nach durch das Hengstfohlen gesteuert wird und darüber erklärbar ist, dass das Hengstfohlen mit mehr Aggression und Gefahren zu tun hat, wenn es sich von der Mutter und damit gegebenenfalls auch von der heimischen Herde entfernt. Daher suchen es eventuell länger den Rückbezug zur Mutterstute. Grundsätzlich wird mit Zunahme des Alters der Entfernungsradius der Nachkommen zur Mutter größer.

In den Monaten April bis August kann in Herden ein vermehrtes Aggressionsverhalten von Stuten gegenüber anderen jungen Pferden beobachtet werden, in einer Phase, in der sie ihre neuen Fohlen gebären und besonders viel Kontakt- und Bindungsaufnahme leisten (Stanley & Shultz, 2021).

Auch der Rang der Mutter scheint die Beziehung zum Fohlen zu beeinflussen. So konnten Heitor und Vicente (2007) in einer Herde beobachten, dass ranghöhere Stuten ihre Fohlen in der späten Stillphase (nach einigen Monaten) häufiger saugen ließen als rangniedrige Stuten. Zugleich war der räumliche Abstand zwischen Fohlen und ihren ranghohen Müttern höher als bei rangniedrigen Müttern.

Transferüberlegung: Aus welcher Aufzucht kommt unser Therapiepferd? Welche Position hatte die Mutterstute? Welches Erziehungsverhalten hat es erlebt?

Stuten unterscheiden sich nicht bezüglich ihrer Stellung in der Gruppe in ihrem Protektionsverhalten: rangniedrige wie ranghohe Stuten verteidigen ihre Nachkommen. Jedoch erleben Fohlen ranghoher Stuten in den ersten Lebensmonaten weniger Aggression von anderen Pferden der Herde als Nachkommen eher rangniedriger Tiere.

Beim Schutz der Fohlen (Protektion) scheinen beide, Mutterstute und Hengst, eine Aufgabe zu übernehmen. In einer Untersuchung von Watts und Kolleg*innen (2019) konnte in einer Herde frei lebender Pferde in Australien gezeigt werden, dass die Stuten ihre Fohlen beschützen, wenn sie befürchten, dass ein fremder Hengst das Fohlen verletzten könnte. Die Stute kann das Fohlen vom angreifenden Hengst wegtreiben und auf Abstand zusammen mit dem Fohlen gehen oder sich zwischen das...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
ISBN-10 3-8192-3551-5 / 3819235515
ISBN-13 978-3-8192-3551-1 / 9783819235511
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