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Einführung in die Gruppendynamik -  Thomas Kalkus-Promitzer

Einführung in die Gruppendynamik (eBook)

Gruppenprozesse verstehen, Vielfalt gestalten, Entwicklung ermöglichen
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
284 Seiten
Books on Demand (Verlag)
9783819287367 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Dieses Buch ist ein umfassendes Fach- und Praxiswerk zur professionellen Arbeit mit Gruppen. Es beleuchtet zentrale Konzepte, Modelle und Prozesse der Gruppendynamik und verbindet sie mit systemischen, psychologischen und kommunikationstheoretischen Perspektiven. Leser:innen erhalten fundiertes Wissen über Gruppenstrukturen, Rollen, Phasenmodelle, verdeckte Dynamiken wie Hidden Agendas und Groupthink sowie über Vertrauen, Macht, Leitung, Diversity und kulturelle Prägungen. Modelle wie jene von Tuckman, Schindler, Belbin, Eunson und Spiral Dynamics werden detailliert erklärt und reflektiert. Dabei bleibt das Buch stets praxisnah und anwendungsorientiert. Es richtet sich an Berater:innen, Trainer:innen, Führungskräfte und alle, die Gruppenprozesse achtsam begleiten und professionell gestalten möchten. Mit über 70 Kapiteln, Reflexionsfragen und systemischem Tiefgang bietet es einen einzigartigen Zugang zur Welt der Gruppen.

Thomas Kalkus-Promitzer wurde 1971 in Wien geboren. Inzwischen lebt und arbeitet er hauptsächlich in Graz. Er berät, begleitet, unterrichtet, schreibt und wirkt als psychosozialer Berater, Systemischer Coach, Erwachsenenbildner, Traumapädagoge, Traumazentrierter Fachberater und Supervisor. Für seine Arbeit wurde er mehrmals ausgezeichnet. In seiner Freizeit arbeitet er ehrenamtlich als psychosozialer Akutbetreuer des Kriseninterventionsteams des Landes Steiermark.

Was macht eine Gruppe zur Gruppe?


Nicht jede Ansammlung von Menschen ist automatisch eine Gruppe. Menschen stehen im Stau, warten in der Arztpraxis, sitzen im selben Bus oder wohnen im selben Haus, ohne sich als Gruppe zu empfinden. Die bloße körperliche Nähe oder ein gemeinsames Umfeld macht noch keine soziale Gruppe aus. Erst wenn bestimmte psychologische und soziale Bedingungen erfüllt sind, entsteht aus einer bloßen Ansammlung ein soziales Gebilde, das wir als Gruppe bezeichnen. Die Frage, was eine Gruppe zu einer Gruppe macht, ist deshalb keine rein formale, sondern eine zutiefst inhaltliche. Sie berührt die Qualität der Beziehungen, die gemeinsamen Bezugspunkte, das Maß an Interaktion, die geteilten Ziele und die Dynamik zwischen den Beteiligten.

Eine zentrale Voraussetzung für die Bildung einer Gruppe ist die wechselseitige Wahrnehmung. Menschen müssen sich nicht nur physisch nahe sein, sondern sich auch als zugehörig erleben. Dieses Erleben ist kein Automatismus. Es entsteht durch Kommunikation, durch Interaktion, durch kleine Gesten der Anerkennung, durch Blicke, durch das Teilen von Erfahrungen, Geschichten oder Erwartungen. Eine Gruppe beginnt dort, wo Menschen anfangen, sich aufeinander zu beziehen, aufeinander zu reagieren und aufeinander Einfluss zu nehmen. Diese Bezogenheit bildet den Nährboden für das, was wir als Gruppengefühl oder Gruppenidentität bezeichnen.

Ein weiteres zentrales Merkmal von Gruppen ist das Vorhandensein gemeinsamer Ziele oder Anliegen. Diese müssen nicht immer explizit formuliert sein. Oft reicht eine implizite Übereinstimmung, ein geteiltes Interesse oder ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, das aus gemeinsamen Erfahrungen erwächst. Ob es sich um ein Projektteam handelt, eine Schulklasse, eine Selbsthilfegruppe oder ein Sportverein, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Mitglieder ein gemeinsames Ziel verfolgen oder zumindest einen gemeinsamen Sinn in ihrem Zusammensein sehen. Dieses Ziel verbindet und gibt Orientierung. Es schafft die Grundlage für Kooperation, Abstimmung und gemeinsame Verantwortung.

Mit dem Entstehen einer Gruppe bilden sich auch Rollen aus. Rollen strukturieren das Miteinander. Sie geben Orientierung darüber, wer welche Aufgaben übernimmt, wer welche Erwartungen erfüllt und wer welche Verantwortung trägt. Diese Rollen können formell zugewiesen oder informell gewachsen sein. In jeder Gruppe entwickeln sich typische Muster, wer beispielsweise oft die Initiative ergreift, wer Konflikte anspricht, wer vermittelt oder wer sich zurückhält. Diese Rollenzuteilungen sind nicht beliebig, sondern folgen bestimmten Dynamiken und Bedürfnissen innerhalb der Gruppe. Sie sind Teil der sozialen Ordnung, die sich zwischen den Beteiligten herausbildet und ständig verändert.

Mit der Bildung von Rollen entstehen gleichzeitig Normen. Gruppennormen sind die stillschweigenden oder offen ausgesprochenen Regeln, die das Verhalten innerhalb der Gruppe steuern. Sie sagen, was erwünscht ist, was akzeptiert wird und was als unangemessen gilt. Diese Normen müssen nicht in Worte gefasst sein. Oft wirken sie auf einer unbewussten Ebene. Wer sich ihnen widersetzt, riskiert Ausschluss oder Sanktionen. Wer sich ihnen anpasst, wird integriert. Normen stiften Orientierung und Verlässlichkeit, können aber auch einengend oder ausschließend wirken, wenn sie zu rigide sind. Die Aushandlung von Normen ist deshalb ein zentraler Prozess in der Entwicklung jeder Gruppe.

Ein weiterer Aspekt, der eine Gruppe ausmacht, ist das Gefühl von Zugehörigkeit. Dieses Gefühl ist subjektiv, aber keineswegs zufällig. Es entsteht aus dem Erleben von Verbindung, von Vertrautheit, von Gesehenwerden und Gemeinsinn. Zugehörigkeit hat viel mit Resonanz zu tun, mit dem Gefühl, dass das eigene Dasein in der Gruppe einen Unterschied macht. Dieses Gefühl ist nicht nur angenehm, sondern auch essenziell für psychische Stabilität und Entwicklung. Menschen sind soziale Wesen. Sie brauchen Zugehörigkeit wie Luft zum Atmen. Gruppen, die ein starkes Wir-Gefühl erzeugen, geben ihren Mitgliedern Halt, Orientierung und Bedeutung.

Eine Gruppe ist aber nicht nur ein Ort der Zugehörigkeit, sondern auch ein Ort der Abgrenzung. Gruppen definieren sich nicht nur durch das, was sie verbindet, sondern auch durch das, was sie von anderen unterscheidet. Sie entwickeln ein Innen und ein Außen. Diese Unterscheidung kann bewusst gepflegt oder unbewusst mittransportiert werden. Sie zeigt sich in Symbolen, in Sprache, in gemeinsamen Ritualen oder in klaren Regeln der Aufnahme und des Ausschlusses. Durch diese Abgrenzung entsteht Identität. Menschen wissen, wer sie sind, auch dadurch, dass sie wissen, wer sie nicht sind. Gruppenidentität braucht daher sowohl verbindende als auch trennende Elemente.

Ein weiterer Faktor, der Gruppen kennzeichnet, ist die Dauer der Beziehung. Während kurzfristige Kontakte häufig nur flüchtig bleiben, entwickeln sich in stabilen Gruppen tragfähige Beziehungen, Vertrauensstrukturen und emotionale Bindungen. Je länger eine Gruppe besteht, desto stärker sind oft die sozialen Bande, desto tiefer gehen die Prozesse der Rollenbildung, Normenentwicklung und gemeinsamen Identitätsbildung. Das bedeutet allerdings nicht, dass Gruppen immer lange bestehen müssen, um wirksam zu sein. Auch temporäre Gruppen können sehr intensiv sein, wenn sie unter besonderen Bedingungen agieren, etwa in Krisensituationen, bei intensiven Trainings oder bei gemeinsamen Grenzerfahrungen.

Entscheidend ist nicht nur die Dauer, sondern auch die Qualität der Beziehungen. Eine Gruppe lebt davon, dass ihre Mitglieder miteinander kommunizieren, interagieren und sich gegenseitig wahrnehmen. Diese Kommunikation kann offen und unterstützend oder konflikthaft und destruktiv sein. In jedem Fall entsteht durch sie eine gemeinsame Geschichte, eine kollektive Erinnerung, die die Gruppe prägt. Diese Geschichte ist ein weiterer Baustein der Gruppenidentität. Gruppen erzählen sich selbst Geschichten über sich. Sie entwickeln gemeinsame Narrative, die darüber Auskunft geben, wer sie sind, was sie erlebt haben und was sie verbindet. Diese Geschichten stiften Sinn und festigen das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Aus all diesen Elementen entsteht das, was wir als Gruppenstruktur bezeichnen. Sie umfasst die Rollenverteilung, die Kommunikationsmuster, die Normen, die Machtverhältnisse und die emotionalen Bindungen innerhalb der Gruppe. Diese Struktur ist nicht statisch, sondern verändert sich mit der Entwicklung der Gruppe. Sie bildet sich aus dem Zusammenspiel individueller Persönlichkeiten, gemeinsamer Ziele, geteilter Erfahrungen und kollektiver Dynamiken. Gruppen sind deshalb lebendige Systeme, keine starren Gebilde. Sie entwickeln sich, sie wachsen, sie durchlaufen Phasen, sie reagieren auf innere Spannungen und äußere Einflüsse.

Die Gruppendynamikforschung hat verschiedene Modelle entwickelt, um diese Prozesse zu beschreiben. Ein bekanntes Beispiel ist das Phasenmodell der Teamentwicklung nach Bruce Tuckman, das von Forming, Storming, Norming und Performing spricht. Dieses Modell beschreibt, wie Gruppen sich finden, Konflikte austragen, Regeln entwickeln und schließlich effizient zusammenarbeiten. Andere Modelle wie die Rangdynamik von Raoul Schindler oder die Teamrollen nach Meredith Belbin helfen dabei, typische Rollenverteilungen und Machtverhältnisse zu erkennen. Auch wenn diese Modelle abstrahieren, bieten sie wertvolle Anhaltspunkte, um Gruppenprozesse besser zu verstehen und gezielt begleiten zu können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Gruppe nicht einfach vorhanden ist, sondern entsteht. Sie entsteht durch Kommunikation, durch Beziehung, durch gemeinsame Ziele, durch geteilte Erfahrungen, durch emotionale Resonanz, durch Rollen und Regeln. Eine Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Sie ist ein lebendiger Organismus, der sich ständig verändert, herausfordert, schützt und weiterentwickelt. Wer mit Gruppen arbeitet, tut gut daran, sie nicht nur funktional zu betrachten, sondern in ihrer ganzen Komplexität zu begreifen. Denn nur wer versteht, was eine Gruppe zur Gruppe macht, kann Gruppenprozesse wirkungsvoll begleiten.

Reflexionsfragen:

  • Wann habe ich selbst erlebt, wie aus einer bloßen Ansammlung von Menschen eine wirkliche Gruppe wurde?
  • Welche Rolle spielen unausgesprochene Regeln und Normen in den Gruppen, in denen ich tätig bin?
  • Wie erkenne ich, ob sich jemand in einer Gruppe zugehörig fühlt oder nicht?
  • Was unterscheidet eine funktionierende Gruppe von einer bloßen Zweckgemeinschaft?
  • In welchen Gruppen habe ich das Gefühl, mich wirklich zeigen zu können?
  • Wie beeinflussen meine eigenen Gruppenerfahrungen mein berufliches Handeln?
  • Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass sich eine Gruppe gerade neu formiert oder instabil ist?
  • Welche Geschichten erzählt eine Gruppe über sich selbst und welchen Einfluss haben diese auf das Gruppenverhalten?

Eine Gruppe entsteht nicht durch Nähe, sondern durch Beziehung. Erst durch Kommunikation, gemeinsame Ziele, geteilte Normen, Rollen und emotionale Verbundenheit wird aus einem Nebeneinander ein Miteinander. Gruppen sind lebendige Systeme, die sich entwickeln, verändern und strukturieren. Wer versteht, was eine Gruppe...

Erscheint lt. Verlag 6.5.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Sozialpsychologie
ISBN-13 9783819287367 / 9783819287367
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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