Der Raub. (eBook)
248 Seiten
Wachholtz Verlag
9783529087172 (ISBN)
Cord Aschenbrenner lebt in Hamburg, er ist Historiker und Journalist. Recherche- und Reportagereisen haben ihn nach Osteuropa, Russland, in den Nahen Osten und in afrikanische Länder geführt. Er ist Autor der Süddeutschen Zeitung, hat für die Neue Zürcher Zeitung und SPIEGEL Geschichte geschrieben. Mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg hat sich Aschenbrenner in vielen Artikeln und Rezensionen historischer Bücher beschäftigt. 2015 veröffentlichte er 'Das evangelische Pfarrhaus. 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte'. Für das Buch erhielt er 2017 den Georg-Dehio-Preis.
Cord Aschenbrenner lebt in Hamburg, er ist Historiker und Journalist. Recherche- und Reportagereisen haben ihn nach Osteuropa, Russland, in den Nahen Osten und in afrikanische Länder geführt. Er ist Autor der Süddeutschen Zeitung, hat für die Neue Zürcher Zeitung und SPIEGEL Geschichte geschrieben. Mit der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg hat sich Aschenbrenner in vielen Artikeln und Rezensionen historischer Bücher beschäftigt. 2015 veröffentlichte er "Das evangelische Pfarrhaus. 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte". Für das Buch erhielt er 2017 den Georg-Dehio-Preis.
EINLEITUNG
»ARISIERUNG« AM NEUEN WALL IN HAMBURG
DISKRIMINIERUNG, ENTEIGNUNG UND DER KAMPF UM WIEDERGUTMACHUNG
Äußerlich war alles wie immer. Die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft verliefen unauffällig am Neuen Wall, der Geschäftsstraße, die sich in der Hamburger Innenstadt vom Jungfernstieg im Nordosten bis zur Stadthausbrücke im Südwesten zieht. Von der judenfeindlichen Politik des NS-Regimes war, abgesehen vom 1. April 1933, jedenfalls auf der Straße, vor den Geschäften noch nichts zu bemerken. Mehr als 40 große und kleine »jüdische Geschäfte«12 und Unternehmen gab es am Neuen Wall. Dazu zählten die renommierten Modegeschäfte Arendt, Hirschfeld und Robinsohn, die den Hamburgerinnen und Hamburgern seit Jahrzehnten wohlbekannt und vertraut waren; die weit über Hamburg hinaus angesehene Firma W. Campbell & Co., wo man seine Brille oder ein Opernglas kaufte, wenn man auf sich hielt; das Atelier des besonders für seine Kinderporträts vom Bürgertum geschätzten Fotografen Max Halberstadt; das Hutgeschäft von Hermann Hammerschlag, dessen wirtschaftlicher Erfolg darauf beruhte, dass damals niemand ohne Hut auf dem Kopf das Haus verließ. Die ausnahmslos jüdischen Inhaber waren in Hamburg geblieben, hielten ihre Geschäfte weiterhin geöffnet trotz der unverhohlen herabsetzenden, hasserfüllten Sprache gegen die jüdische Minderheit in Deutschland, trotz Schikanen und einengender Verordnungen. Auch Anwaltspraxen, Kontore von Großkaufleuten und Büros von Fabrikanten jüdischer Herkunft gab es am noblen Neuen Wall. Den meisten Kunden war dies von jeher bekannt, sie ließen sich durch »die stets spürbare Grenze zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland«13 dennoch nicht am Einkauf bei Hirschfeld oder Robinsohn hindern. Erklärte Antisemiten, deren Zahl während der Weimarer Republik wuchs, gehörten ohnehin nicht zu den Kunden der erwähnten Geschäfte oder einer der kleinen jüdischen Privatbanken – auch die gab es am Neuen Wall.
Am 1. April 1933, einem Samstag, zwei Monate nach Beginn der NS-Herrschaft, zeigte sich ein erster Riss im gepflegten Äußeren der feinsten Hamburger Einkaufsstraße. Vor den Türen der jüdischen Geschäfte, Arztpraxen und Büros standen seit dem Morgen so wie überall im Deutschen Reich SA-Männer und Mitglieder der Hitler-Jugend, die Schilder hochhielten mit Aufforderungen wie etwa: »Deutsche, wehrt Euch, kauft nicht bei Juden«. Die Männer verstellten den Kunden den Weg, beschimpften und bedrohten sie und versuchten, sie am Betreten der Geschäfte zu hindern. Zum ersten Mal zeigte das Regime seine rohe, ungehemmte Judenfeindschaft in einer für das ganze Land abgestimmten Aktion. Sie diente auch dazu, den in diesem Frühjahr hochschießenden rüden Antisemitismus übereifriger Parteimitglieder und Sympathisanten in geordnete Bahnen zu lenken. Noch aber reagierten die Menschen überwiegend reserviert, auch in Hamburg. Der junge Journalist Sebastian Haffner meinte, »ein gewisses Murmeln der Missbilligung, unterdrückt aber hörbar« im ganzen Land zu vernehmen.14 Am Abend dieses 1. April brach die NS-Führung den »Judenboykott« ab. Zwar war das Ganze kein Misserfolg, aber man hatte doch mehr Zustimmung erwartet.
Zu Beginn des Jahres 1933 lebten etwa 20 000 Menschen jüdischer Abstammung in Hamburg. In ganz Deutschland waren es etwa 500 000, von denen bis Ende 1937 insgesamt 125 000 emigriert waren, also ein Viertel der in Deutschland lebenden Juden.15 Nur wenige Tage später, am 7. April 1933, wurde das Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« erlassen, dessen Name bewusst in die Irre führte – natürlich hatte es auch bis dahin ein Berufsbeamtentum im Deutschen Reich gegeben. Es ging darum, auf dieser Grundlage »nichtarische« und politisch missliebige Beamte entlassen oder in den Ruhestand versetzen zu können. Indirekt waren auch jüdische Anwälte betroffen, die ihre Zulassung verloren, sehr bald galt dies auch für jüdische Ärzte und ihre Kassenzulassung. Für Juden wurde der Zugang zu Schulen und Hochschulen begrenzt. Das der Gleichschaltung allen Kulturlebens dienende Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 schloss Juden von der erforderlichen Kammermitgliedschaft in allen Bereichen von Kunst, Literatur, Rundfunk und Theater aus. Bald darauf untersagte das Schriftleitergesetz die Beschäftigung von Juden bei Zeitungen und im Rundfunk. Im Mai 1935 schließlich machte ein neues Wehrgesetz »arische« Abstammung zur Voraussetzung für den Militärdienst. Und auch ohne staatlichen Zwang wurden Juden überall in vorauseilendem Gehorsam ausgeschlossen oder nicht mehr aufgenommen, ob es nun der Deutsche Automobilklub war, die Freiwilligen Feuerwehren, Gesangsvereine oder akademische Verbindungen.16 Eine entscheidende Rolle im Zusammenhang mit der Anwendung des »Arierparagraphen« in Berufsgruppen und Vereinen spielten die beiden großen christlichen Kirchen. Die Pfarrämter mussten die Auszüge aus den Kirchenbüchern bereitstellen, aus denen hervorging, ob jemand als »arisch« galt: nämlich dann, wenn sie oder er christliche, als Kind getaufte Großeltern hatte. Die Religionszugehörigkeit bestimmte nun die angebliche Rasse. Es gab Pfarrer, die von sich aus getaufte Gemeindemitglieder jüdischer Herkunft bei den Behörden meldeten.
Ziel der Diskriminierungen und auch immer wieder aufflammender Gewalttaten gegen einzelne Juden war erstens ihre wirtschaftliche »Ausschaltung«, also die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben und die Aneignung ihres Besitzes, über den angeblich, entsprechend einem jahrhundertealten Vorurteil, alle Juden verfügten. Zweitens wollte man die jüdische Bevölkerung aus Deutschland vertreiben. Partei und Behörden gingen mit Drohungen, Demütigungen und ständiger Drangsalierung in regional unterschiedlicher Intensität gegen die jüdischen Bürger vor.
Bürger im gleichen Sinne wie ihre nichtjüdischen Nachbarn, Kollegen und Freunde sollten sie auch nicht mehr lange sein. Auf Initiative Adolf Hitlers wurde im September 1935 die staatsbürgerliche Gleichheit der jüdischen Deutschen beendet. Die eilig beschlossenen »Nürnberger Gesetze« unterschieden erstens mit dem »Reichsbürgergesetz« »arische«, nämlich »deutschblütige« Vollbürger mit politischen Rechten von den »Nichtariern«, die fortan als »Staatsangehörige« ohne politische Rechte galten. Als »Rassejude« galt, wer mindestens drei jüdische Großeltern hatte. Das zweite Gesetz, das »Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«, verbot Ehen und sexuellen Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Wer dem zuwiderhandelte, beging »Rassenschande«, ein neues Delikt, das ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Seit 1871 waren Juden als gleichberechtigte Bürger des Deutschen Reiches anerkannt gewesen. Mit den Nürnberger Gesetzen wurde diese sogenannte jüdische Emanzipation rückgängig gemacht.
In Hamburg wie in ganz Deutschland gab es im Frühjahr 1933 Ausschreitungen, Straßenterror und Boykottaufrufe. SA-Männer bedrohten und verprügelten Juden auf offener Straße oder drangen sogar in ihre Wohnungen ein, der Antisemitismus »von unten«17 zeigte sich für die Betroffenen von seiner übelsten Seite. Gleichzeitig versuchten kleine und mittelständische Unternehmer, die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, um mit antisemitischen Kampagnen unliebsame Konkurrenten zu denunzieren und ihnen zu schaden, sie sogar möglichst rasch im Wirtschaftsleben »auszuschalten«. Oft geschah dies in der Überzeugung, es sei »von oben«, also vom Staat, von der NSDAP oder sogar vom »Führer« selbst gewünscht.18 Das war jedoch gerade in den ersten Jahren der NS-Herrschaft in Hamburg nicht der Fall, »weil sich die kompromisslose Verwirklichung antisemitischer Prinzipien zunächst nicht mit den Zielen der Herrschaftskonsolidierung und ökonomischen Stabilisierung vertrug«, wie der Historiker Frank Bajohr in seinem Standardwerk »Arisierung« in Hamburg schreibt.19
Noch musste bei den antijüdischen Maßnahmen aus taktischen Gründen auf die labile Wirtschaftssituation mit hohen Arbeitslosenzahlen Rücksicht genommen werden. Auch jüdische Unternehmen sorgten schließlich für Arbeitsplätze. Die hohe Arbeitslosigkeit war eine anhaltende Folge der Weltwirtschaftskrise sowie der Ausrichtung Hamburgs auf Handel und Hafen, die im Gegensatz zu der von den Nationalsozialisten propagierten Autarkiepolitik stand, von der vor allem Industrie und Landwirtschaft profitierten. Die Zahl der Arbeitslosen sank nur langsam, Hamburg galt bis 1938 offiziell als wirtschaftliches »Notstandsgebiet«.20 Auch die Rücksicht auf die konservativen Verbündeten Hitlers in der Reichsregierung und auf die Meinung im Ausland erforderte eine gewisse Zurückhaltung. Anders als die gleichgeschalteten deutschen Zeitungen berichtete die internationale Presse schonungslos über jede antisemitische Maßnahme auch und gerade in Hamburg, ließ sich doch in der durch den Hafen gezwungenermaßen weltoffenen Hansestadt nichts lange unter der Decke halten. Ohnehin war die deutsche Regierung durch ihre antijüdische Politik und die brutale Verfolgung Andersdenkender außenpolitisch und auch außenwirtschaftlich zunehmend isoliert.
Es konnte dem NSDAP-Gauleiter und Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann nicht egal sein, wenn britische und amerikanische Boykottkomitees Schiffsladungen aus Hamburg überwachten, blockierten und gegen den Import und Verkauf deutscher Waren vorgingen. Anlässlich einer Konferenz mit den Reichsstatthaltern im Sommer 1933 mahnte Hitler selbst, nachdem die ersten antisemitischen Gesetze in Kraft waren, zur Zurückhaltung, um die Isolierung Deutschlands nicht noch voranzutreiben. Ähnlich äußerten sich...
| Erscheint lt. Verlag | 6.3.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 |
| Schlagworte | Arisierung • Enteignung • Hamburg • Juden • Nationalsozialismus • Neuer Wall |
| ISBN-13 | 9783529087172 / 9783529087172 |
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