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Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt -  Jan Loffeld

Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt (eBook)

Das Christentum vor der religiösen Indifferenz

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-84569-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
(CHF 8,75)
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Dass der Mensch 'unheilbar religiös' sei oder irgendwann die Frage nach Gott stellen wird, gehörte lange zu den unhinterfragten Voraussetzungen von Theologie und Pastoral. Empirische Daten melden jedoch Zweifel an diesen Gewissheiten an. Wenn man zulässt, dass es auch anders sein könnte, verschieben sich nicht nur theologische Gedankengebäude, auch die Koordinaten der Seelsorge verändern sich von Grund auf. Dann geht es nicht mehr allein um eine Optimierung pastoraler Vollzüge bzw. Strukturen, sondern um das Gestalten einer fundamentalen Transformation.  Das Buch analysiert die Herausforderungen für das Christentum inmitten der weit verbreiteten religiösen Indifferenzen und zeigt Perspektiven für ein zukünftiges Christentum unter radikal veränderten Vorzeichen auf. Ein anregendes Buch für alle pastoral Engagierten und theologisch Interessierten, nah am Puls der Zeit und mit dem Mut, out of the box zu denken.

 Jan Loffeld, geboren 1975, hat Theologie in Münster und Rom studiert und wurde 2003 zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren und Promotion in Pastoraltheologie war er Studierendenpfarrer und danach Assistent am Lehrstuhl für Dogmatik in Münster. 2017 folgte der Ruf auf die Professur für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz und 2018 die Habilitation an der Universität Erfurt. Seit2019 ist er Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology in Utrecht. Loffeld ist Berater der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. 

 Jan Loffeld, geboren 1975, hat Theologie in Münster und Rom studiert und wurde 2003 zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren und Promotion in Pastoraltheologie war er Studierendenpfarrer und danach Assistent am Lehrstuhl für Dogmatik in Münster. 2017 folgte der Ruf auf die Professur für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz und 2018 die Habilitation an der Universität Erfurt. Seit2019 ist er Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology in Utrecht. Loffeld ist Berater der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. 

B Pastoraltheologische Beobachtungen inmitten des Relevanzverlustes


Die schmerzhafte Einsicht: Pastorale Qualität ist kein Garant für den ‚Erfolg‘


Zu Beginn der pastoraltheologischen Reflexion soll die bereits aufgeworfene Frage nach einer Nicht-Kausalität stehen, die als Subtext viele pastorale Bezüge prägt. Sie ist unter anderem eine Konsequenz aus den oben hergeleiteten Zusammenhängen. Am besten kann man sich ihr an dieser Stelle narrativ bzw. biografisch nähern. Vielfach werden Seelsorgende auch nach einem Stellenwechsel häufig noch für eine Begleitung von Kasualien angefragt. Das geschieht meistens durch diejenigen, mit denen man während der eigenen Zeit in der Pfarrei/Gemeinde zu tun hatte. Als Kaplan traut man so idealerweise einige Zeit nach dem Abschied die ehemaligen Obermessdiener:innen, Ferienlagerleiter:innen, Firmkatechet:innen etc. und tauft noch später deren Kinder. Wenn man bei solchen Feiern, meistens zu späterer Stunde, auf die eigene Zeit des kirchlichen Engagements zu sprechen kommt, wird ein interessanter Gegensatz deutlich. Viele sind dankbar für die Zeit, die man als Ehrenamtliche:r in und mit der Kirche verbracht hat. Man denkt gerne daran zurück und weiß sehr viel Positives und Prägendes zu berichten. Allerdings fällt dann nicht selten der Satz: „Aber ehrlich gesagt, ich war seit Jahren nicht mehr in der Kirche.“ Zugleich steht man etwa der Taufe der eigenen Kinder positiv gegenüber, weil sie dieses ‚tolle Angebot‘ ja auch genießen bzw. erleben können sollen. Man hat allerdings für sich selbst im Laufe der Jahre andere Themen oder Relevanzen entdeckt, die sich eher in den Fokus der Aufmerksamkeit geschoben haben. Daher vermisst man den Glauben auch nicht. Wenn er je wie auch immer da war (und dies ist in keiner Weise abwertend gemeint), ließ sich leicht von ihm ablenken.

Eine weitere Erinnerung bezieht sich auf die Rückmeldung zu Taufen, Trauungen oder Beerdigungen seitens kirchenferner Menschen. Auch hier gilt: Wenn man nicht alles falsch macht, sind viele Menschen für eine gute Begleitung oder einen schönen Gottesdienst dankbar und äußern dies auf vielfältige Weise. Nicht selten fällt dann der Satz: „Wenn es immer so schön wäre, würde ich auch öfter kommen.“ Leider hat diese Aussage keine empirische Triftigkeit. Aus Umfragen wissen wir schon länger, dass es vor allem die biografischen Selbstthematisierungen des eigenen Lebens sind (Familie, Freunde, Netzwerk), die während der Kasualien rituell und narrativ artikulierbar werden.1 Sie bewirken die emotionale Beteiligung und das Gefühl, dass etwas ‚gut‘ war. Dies ist jedoch eine sehr spezielle, singularisierte Feierform, die sich in normalen Gottesdiensten nicht immer ermöglichen lässt. Mehr noch: Eigentlich steht sie dem Anliegen eines Gemeindegottesdienstes entgegen.

Die Diskrepanz, die sich an diesen und vergleichbaren Beispielen zeigt, ist schmerzhaft. Trotz großen Engagements, trotz einer dezidiert positiven Kirchenerfahrung hält sich die Bindungskraft in Grenzen. Wir wissen etwa aus der eingangs erwähnten Sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen und Katholischen Kirche in Deutschland (KMU VI) von 2022/23,2 dass dies auch für religiöse Einstellungen gilt. Außerdem wirken sich kirchliche Kontakte, mit denen man in Deutschland gerade in ihrer Diversität pro Jahr derzeit 70 % aller Bundesbürger (!) erreicht und die zu großen Teilen positiv bewertet werden, nicht messbar auf religiöse Einstellungen aus. Vergleichbares gilt für alles im Bereich der sogenannten „Präsenzpastoral“.3 Kirchlich als positiv erlebtes Engagement steht daher in den meisten Fällen nicht in positiver Relation zum Glauben an Gott bzw. an ein Leben nach dem Tod. Beides ist sowohl bei ehemals Engagierten wie nicht-Engagierten gleich wenig vorhanden. Man könnte es auf die für viele bittere Einsicht bringen: Pastorale Qualität und Religiosität stehen nicht zwingend und immer weniger in einem kausalen, sich bedingenden Zusammenhang. Zugleich ist eine aktive Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft mittel- bis langfristig die Voraussetzung dafür, dass zumindest einige wenige den Glauben als Lebensprogramm wählen, was ohne diese Zugehörigkeit wahrscheinlich nicht der Fall wäre. Das macht den Zusammenhang komplex, um nicht zu sagen dialektisch.

Für viele Seelsorgende setzt das Gefühl ‚pastoraler Vergeblichkeit‘ an genau diesem Punkt an. Sie fühlen sich nutzlos, fragen nach den Gründen. Dass es nur an der Kirche liegt, kann nicht sein, denn diese spielt in Gesprächen etwa zu Kasualien fast nie eine Rolle. Im Gegenteil, der Seelsorge vor Ort – ob territorial oder kategorial – wird, ganz im Gegensatz zur ‚Institution Kirche‘, bescheinigt, dass sie im Großen und Ganzen einen „guten Job“ macht. Umfragen wie zuletzt die KMU VI zeigen sogar, dass viele derjenigen, die nicht zum Segment der „Geschlossenen Säkularen“ gehören, eigentlich sehr dankbar für die Existenz der Kirche sind und sie gesellschaftlich nicht missen möchten. Tragisch sehen sie das institutionelle Versagen auf anderen Ebenen. Wegen ihres gesellschaftlichen bzw. gemeinwohlorientierten Wirkens bleibt man vielfach auch in der Kirche. Aber als Institution, die den eigenen Glauben ermöglicht oder ‚das Heilige‘ erlebbar werden lässt, wird die Kirche weniger gebraucht.4 Die Erklärung für diese Kränkung, die ursächlich ausnahmsweise nicht ausschließlich auf kirchliches Fehlverhalten zurückzuführen ist, wird bisweilen bei ‚den Menschen‘ gesucht. Für manchen zeigen sie sich undankbar oder vielleicht sogar unwürdig, weil sie die Qualität der eigenen Arbeit nicht zu schätzen wissen.

All diese Begründungen laufen allerdings ins Leere. Es ist wahrscheinlich an der Zeit einzugestehen, dass der Glaube bzw. Religion an sich, ja sein Angebot, das einen Unterschied machen will, von immer mehr Menschen nicht mehr gebraucht werden. Rituale, die man narrativ auflädt, sind sehr willkommen, ebenso wie kirchliches Engagement auf vielen gesellschaftlichen Feldern (vgl. dazu unten Abschnitt D). Der Kern des Christentums, der unten mit dem weiten theologischen Begriff der ‚Erlösung‘ umrissen werden wird, füllt offensichtlich in der Bedürfnisskala von immer mehr Menschen im 21. Jahrhundert keine Lücke mehr.

Diese Gedanken führen zu einer weiteren Kränkung: Die Kirche ist nicht mehr für alle und alles zuständig. Theologisch steht damit der christliche Universalismus infrage. Er läuft offenbar lebensweltlich ins Leere. Wenn jedoch dieses „für alle“ empirisch nicht mehr zutrifft, hat das direkte pastorale Konsequenzen.

Pastoral nur vom „Sender“ her denken?


Was ein vorausgesetzter Universalismus eines Angebots pastoral bedeutet, lässt sich in einem ersten Schritt sehr schön anhand der sehr häufig sichtbar werdenden, allerdings pastoraltheologisch zugleich wenig reflektierten „Sender/Empfänger-Prämisse“ verdeutlichen. Zuvor ist allerdings ein kurzer gedanklicher Schritt zurück angezeigt, der eine Analyse des Zeitkontextes versuchen möchte, in welchem diese Sender/ Empfänger-Prämisse unter den Vorzeichen der Moderne innerhalb der Kirche entstanden ist.

Was bis hier versucht wurde, ist eigentlich nichts anderes als eine mehr oder minder schonungslose Analyse von Umständen und Kontexten, die zur Zeit des Zweiten Vatikanums zumindest in dieser Massivität noch nicht abzusehen waren. Dennoch weiß sich ein solches Wahrnehmen der pastoralen Option des Konzils verpflichtet: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute (!) als theologischen Erkenntnisort ernst zu nehmen. Dieser Ansatz des konziliaren Aggiornamento ist ein dauerndes, dynamisierendes Aufputschmittel, sich wirklich im Heute mit seinen vielschichtigen und diversen Lebensbezügen zu verorten. In diesem Sinne konziliar zu sein bedeutet, das Konzil mithilfe seiner eigenen Grundlegung stets neu weiterzudenken und niemals in einer Epoche steckenzubleiben bzw. allein sie für maßgeblich zu halten. Dies gilt auch und gerade für die Konzils- und direkte Nachkonzilszeit selbst. In dieser Zeit stellte man auf eine Sender/Empfänger-Logik in der Pastoral um. Hierbei setzte man fraglos voraus, dass der Empfänger immer eingeschaltet und auf Empfang sei, man lediglich die richtige Frequenz finden müsse, damit die Botschaft ankomme. So hat sich die Pastoral während der vergangenen Jahrzehnte vervielfacht, für jede Hörfrequenz sollte etwas dabei sein. Dieses Ansinnen ist sehr lauter und hat in der Konsequenz dazu geführt, dass die Kirchen das Evangelium auf sehr vielfältige Weise in der Gesellschaft präsent halten konnten. Zugleich gab und gibt es bis heute unglaublich viele Sendefrequenzen und gleichzeitig wird die Frage nach der Beschaffenheit und den Bedürfnissen konkreter Empfänger:innen wenig gestellt. Eine Wahrnehmung komplexer Indifferenzphänomene könnte allerdings dazu führen, dass bei Fragen der sogenannten Glaubenskommunikation auch die Adressatenseite stärker berücksichtigt wird, damit man nicht...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Christentum in säkularer Gesellschaft • Der Nachmittag des Christentums • Gottesfrage • Kirchenreform • Religionssoziologie • Religiöse Gleichgültigkeit • religiöser Wandel • Säkularisierung • Tomáš Halík • Transformation des Christentums • Zukunft des Christentums
ISBN-10 3-451-84569-5 / 3451845695
ISBN-13 978-3-451-84569-7 / 9783451845697
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