Das Erbe der Karolinger (eBook)
800 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
9783751774727 (ISBN)
Was geschieht, wenn Neid und Gier zu Streit und Krieg führen: das große Karolinger-Epos
Eigentlich macht Ludwig, Kaiser der Franken und Sohn Karls des Großen, alles richtig: Er regelt seine Nachfolge früh, ernennt seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitregenten und bedenkt die jüngeren Söhne mit großen Ländereien. Schnell zeigt sich jedoch, dass Ludwig und Lothar unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wie das Land regiert werden soll. Während sich der Vater um Frieden und Ausgleich bemüht, drängt der Sohn darauf, die Interessen des Reiches mit Härte durchzusetzen. Als Ludwig nach dem Tod seiner Frau ausgerechnet um Judith wirbt, für die sich auch sein Sohn interessiert, eskalieren die Streitigkeiten. Bald steht alles auf dem Spiel, was Karl der Große einst geschaffen hat ...
In seinem gut recherchierten und einfühlsam erzählten Roman über Politik, Familie und Liebe im frühmittelalterlichen Frankenreich lässt Claudius Crönert eine wichtige Epoche der Geschichte lebendig werden.
<p><strong>Claudius Crönert</strong> wurde 1961 in Hamburg geboren. Er lebt in Berlin, wo er Philosophie und Kunstgeschichte studiert und viele Jahre als Journalist für Zeitungen, Radio und Fernsehen gearbeitet hat. Heute schreibt er vor allem Historische Romane. Sein Roman <i><b>FREYAS LAND</b></i> wurde 2016 mit dem <b>GOLDENEN HOMER</b> ausgezeichnet. Einzelheiten finden Sie unter <a href="http://www.claudius-croenert.de">www.claudius-croenert.de</a>.</p>
1
Es war eiskalt im Kronsaal, und Helisachar wollte den Krieg.
Ludwig kniff die Augen zusammen, als er sich ihm zuwandte. Die Gestik und Mimik des alten Kanzlers verrieten, was in ihm vorging. Wer von den anderen Mitgliedern des Kronrates für Härte gegenüber den Bretonen plädierte, erhielt von ihm ein Nicken oder etwas, das man mit ein wenig gutem Willen für ein Lächeln halten konnte. Sprach sich dagegen jemand für Zurückhaltung aus, runzelte Helisachar die Stirn, hob den Zeigefinger und wackelte damit hin und her, als wäre er ein Hundeschwanz. Ein klares Nein.
Er war der Kanzler, seine Meinung hatte Gewicht. Der alte Mann hatte ein Habichtsgesicht mit eingefallenen Wangen und spitzer Nase. Seine Strategie beim Verhandeln bestand darin, immer als Fragen vorzubringen, was er zu sagen hatte. »Meint Ihr nicht, Kaiser, dass es an der Zeit ist, den Bretonen zu zeigen, wer die Macht hat?«, fragte Helisachar nun.
So etwas ging natürlich nur mit Waffengewalt. Aber das erwähnte Helisachar nicht, er setzte darauf, dass eines der anderen Ratsmitglieder diese Schlussfolgerung zog, und blieb bei seinen Fragen. »Sollten wir ihre Frechheiten nicht ein für alle Mal unterbinden?«
Lothar, Ludwigs Ältester, hatte sich vom ersten Moment an auf die Seite des Kanzlers gestellt, was sicher auch der großen Distanz geschuldet war, die zwischen Ludwig und seinem Sohn herrschte. Inzwischen schien auch Pippin, sein Zweitgeborener, Helisachar zuzuneigen, genauso wie der Marschall und der Kämmerer. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Mehrheit vollends kippte und sich gegen ihn, den Kaiser, stellte.
»Wir sollten nicht voreilig reagieren«, sagte er.
»Voreilig, Vater?« Lothar hielt sofort dagegen. »Wir haben eine Menge Geduld mit den Bretonen gehabt.«
»Auf was wollen wir noch warten, Kaiser?«, fragte Helisachar.
Am liebsten hätte Ludwig die Versammlung einfach beendet. Das Osterfest stand bevor. Vor allem aber fror er. Obwohl die Tage schon wieder deutlich länger waren, lag eine Kälte über dem Saal, gegen die kein Mantel und kein Pelzkragen half. Marschall Hatto knetete seine blutleeren Finger und rieb sich mit ihnen über den kahlen Kopf, Lothar hob abwechselnd die Füße und ließ sie auf den Boden fallen, Pippin atmete weißgraue Wölkchen aus. Der Kamin ließ sich nicht heizen, seitdem neulich eine Rauchwolke aus ihm herausgeplatzt war und den ganzen Saal in schwarzen Ruß gehüllt hatte.
Zwar hatten Mägde inzwischen saubergemacht, doch der Schornstein würde erst nach Ostern gefegt werden und wieder benutzbar sein. Derzeit strahlte von den Wänden der Frost ab wie im tiefsten Winter. Ludwigs Thron war trotz der Lammfelle darauf eisig, unerbittlich drang die Kälte aus ihm heraus. Hinzu kam, dass sie alle am Ende der Fastenzeit jegliche innere Wärme verloren hatten.
Helisachar hatte eine rote Nase. Der Kanzler war der letzte verbliebene Berater von Ludwigs Vater. Alle anderen Getreuen des Alten hatte er nach seinem Amtsantritt ausgetauscht. Drei Jahre lag das zurück. Mit Helisachar hatte er nicht so verfahren können, denn sein Vater hatte Ludwig das Versprechen abgenommen, den Kanzler im Amt zu belassen. Schon damals hatte Ludwig unterstellt, dass der Alte von der Vorstellung besessen war, die Geschicke des Reiches über seinen Tod hinaus zu bestimmen, notfalls dadurch, dass ein Getreuer sie in den Händen hielt.
Zudem stellte sich Ludwig die Frage, ob die neuen Berater tatsächlich loyaler waren. Bei Marschall Hatto und dem Kämmerer Botwin war er nie ganz sicher, wo sie standen. Es gab nur einen einzigen Mann im Kronsaal, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte, nämlich Gerrik, seinen Falkner. Gerrik hatte eine tiefe, vertrauenswürdige Stimme und war ein Ehrenmann, ein Ritter und unbedingt loyal. Das Problem war, dass der Falkner in Beratungen wie dieser kaum je den Mund aufmachte. Er schien von der Angst beherrscht zu werden, weniger politischen Einblick zu haben als die anderen, deshalb äußerte er sich nicht.
Ein anderes Ratsmitglied, dem Ludwig blind sein Leben anvertraut hätte, war sein Beichtvater Benedikt. Doch Benedikt fehlte bei dieser Sitzung, denn er bereitete die Karfreitagsmesse vor. Ludwig vermisste seine Überzeugungskraft. Ähnlich wie Helisachar besaß er die Fähigkeit, andere allein mit der Kraft seiner Worte umzustimmen.
»Sollten wir nicht zu einer Entscheidung kommen?«, fragte Helisachar. »Bedenkt, Herr, morgen ist Karfreitag.«
Der Kanzler witterte seine Chance auf eine Abstimmung. Der Feldzug könnte dann gleich nach dem Auferstehungsfest beginnen. Ludwig erkannte, dass dies der Plan war, den Helisachar von Anfang an verfolgt hatte. Aus diesem Grund hatte der Kanzler zunächst mit unbeteiligter Stimme Berichte aus dem Grenzgebiet, der Bretonischen Mark, vorgetragen, Berichte über Raub und Plünderungen, Entführungen von Bauern und Knechten, die auf Sklavenmärkten verkauft wurden, und dazu, wie immer, Schändungen ihrer Frauen und Töchter. Die Schilderungen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, die anderen Männer im Saal hatten ihrer Empörung lautstark Ausdruck verliehen. Lothar hatte sogar die Hand an sein Schwert gelegt.
»Sie weigern sich immer wieder, uns Tribut zu leisten. Damit brechen sie den Vertrag. Was noch bedeutsamer ist: Zum ersten Mal seit Menschengedenken sind sie sich einig«, erklärte Lothar jetzt. Er war inzwischen zweiundzwanzig, ein kräftiger junger Mann mit blondem Haar, schmalem Mund und großer Entschlossenheit.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Ludwig. »Zwei Bretonen, drei Meinungen – so heißt es doch.«
»Ihr habt recht, mein Kaiser«, erklärte Helisachar. »So hieß es immer. Doch hört Ihr nicht auch, dass sie sich um ihren angeblichen König geschart haben, Morvan oder wie auch immer sein Name ist?«
»Ein König der Bretonen – einen solchen Titel gibt es nicht.«
»Ich gebe nur wieder, wovon die Berichte von dort künden«, erwiderte Helisachar achselzuckend, während er Lothar in die Augen blickte, wahrscheinlich in der Hoffnung, der Kaisersohn würde den Feldzug oder zumindest eine Abstimmung darüber verlangen und die Sitzung endlich zu einem Ende bringen. Auch der Kanzler zitterte jetzt vor Kälte.
Ludwig hatte in der Tat die Sorge, sein Sohn würde ihm mit dem nächsten Satz in den Rücken fallen. Helisachar wäre schnell genug, den Moment zu nutzen und abzuzählen, wer zu seinem Vorschlag nickte, und wenn es die Mehrheit war, würde der Kanzler sich an die Spitze der Kriegsfraktion setzen. Dann brauchte es nicht einmal mehr eine offizielle Abstimmung.
Ludwig aber wollte diesen Krieg nicht. Als Jugendlicher hatte er Feldzüge geführt, damals von Aquitanien aus, das er regierte. Besonders in Spanien hatte er furchtbare Massaker erlebt, hatte die Schreie der Sterbenden gehört und solche Mengen von Blut gesehen, dass sich ganze Wiesen dunkelrot färbten, dazu verstreute Gliedmaßen, schreiende Männer ohne Orientierung, verwirrte Pferde, die ausschlugen, sobald sich ihnen jemand näherte. Diese Erinnerungen stammten aus Kämpfen gegen die Mauren genauso wie aus denen gegen die Basken, ein Volk, das in mancherlei Hinsicht mit den Bretonen zu vergleichen war. Beide siedelten am Meer, waren immerzu Wind und Wellen und dem ewigen Regen ausgesetzt. Und beide Völker werteten ihre Ehre höher als das Leben, weshalb sie lieber in den Tod gingen als in Gefangenschaft.
Damals hatte Ludwig begonnen, sich seinem Beichtvater Abt Benedikt anzunähern, der die Überzeugung vertrat, Jesus sei gegen Gewalt gewesen, deshalb setze ein wahrhaft christlicher Herrscher nicht das Schwert ein. Viele Gespräche waren notwendig gewesen, ungezählte Stunden, in denen sie über Fragen der Herrschaft, der Mission und der Notwehr sprachen und stritten. Lange wollte es nicht in Ludwigs Kopf, wie man ohne Zwangsmittel regieren konnte. Mit der Zeit aber überzeugte Benedikt ihn, weil er immer wieder zeigte, dass ein Krieg nur neue Gewalt nach sich ziehe, und gleichzeitig näherte sich der Abt auch Ludwigs Standpunkt an. Sie einigten sich darauf, dass Angriffe nicht gerechtfertigt waren, wohl aber durfte man sich verteidigen, wenn es sein musste.
Im Zusammenhang mit den Bretonen war die Lage längst nicht so eindeutig, wie Helisachar sie darstellte. Gegenüber den Ratsmitgliedern hatte Ludwig auf Berichte verwiesen, nach denen fränkische Grafen leichtfertig Gewalt ausübten, wenn sie den Tribut eintrieben. Die Erfahrung besagte, dass solche Berichte nur einen kleinen Teil dessen erfassten, was tatsächlich geschah. So gesehen war es vorstellbar, dass sich die Bretonen, weil sie der vielen Demütigungen überdrüssig waren, zur Wehr setzten.
Wie auch immer, Ludwig hatte den ersten echten Konflikt in seiner Amtszeit, und er wollte mit dem Nachbarvolk einen anderen Weg suchen, einen, der ihnen ihre Würde ließ. Der Weg des Friedens war immer der mühsamere, doch er hatte eine Idee: Gegen die vertragliche Zusage, die fränkischen Grenzen zu respektieren und alle Raubzüge einzustellen, würde das Reich auf einen Teil der vereinbarten Zahlungen verzichten. Wenn die Bretonen weniger Tiere und Getreide abliefern müssten, bliebe mehr für sie selbst. Dann müssten sie nicht plündern. Außerdem würde dieser Vorschlag dem kleinen Küstenvolk schmeicheln, und auch das konnte hilfreich sein.
»Mit einem Feldzug gewinnen wir nichts«, sagte er. »Sobald wir wieder abziehen, ist alles beim Alten.«
»Willst du sie etwa ungestraft davonkommen lassen?«, fragte Lothar.
»Das...
| Erscheint lt. Verlag | 28.2.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
| Schlagworte | 9. Jahrhundert • Aachen • Eifersucht • episch • Epischer historischer Roman • Epos • Frühmittelalter • historisch • Historische Romane • Intrigen • Intrigen und Verrat • Judith • Kaiser und Könige • Karl der Große • Karolinger • Krieg und Eroberung • Lothar • Mittelalter • Pippin • Reichsteilung • Succession im Mittelalter • Verfall • Zeit der Franken |
| ISBN-13 | 9783751774727 / 9783751774727 |
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