24 Stunden im Leben der Wikinger (eBook)
295 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-33207-5 (ISBN)
Nicht erst seit der Netflix-Serie Vikings sind die Wikinger ein beliebtes Thema der Medien- und Popkultur. Die Skandinavistin und Historikerin Kirsten Wolf zeichnet für uns ein lebendiges und authentisches Bild dieses Volkes, das wir heute als die Wikinger kennen, und das zwischen dem berüchtigten Lindisfarne-Überfall 793 n. Chr. und der normannischen Eroberung im Jahr 1066 zu einer der weitreichendsten und einflussreichsten Zivilisationen der Geschichte wurde. Sie beschreibt 24 Stunden im Alltagsleben der Wikinger, und beleuchtet dabei jede Stunde des Tages aus der Perspektive einer anderen Person. So erhalten wir einen fesselnden Einblick in die Welt von 24 Wikingern und erfahren, wie sie lebten, liebten, arbeiteten, kämpften und starben – vom Krieger bis zum Sklaven, vom Bauern bis zum Dichter.
- So waren sie wirklich!
- Die Wikinger sind eines der am meisten mit Mythen und Klischees umrankten mittelalterlichen Völker
- Wikingerexpertin Kirsten Wolf schildert im Laufe eines Tages jeweils eine Stunde aus dem Leben von 24 Personen der Wikingergesellschaft: Bauern, Krieger, Sklaven, Schiffsbauer oder Dichter
- Wie sie lebten, liebten, arbeiteten, kämpften und starben. Fesselnde, fundierte und greifbare Einblicke in das Leben dieser faszinierenden Menschen
Kirsten Wolf ist Professorin und Leiterin des Torger-Thompson-Lehrstuhls für Skandinavistik an der University of Wisconsin, Madison. Sie studierte am University College London und an der Universität Island. Die gebürtige Dänin ist seit 2001 im Fachbereich tätig und unterrichtet altnordische und isländische Sprache und Literatur sowie skandinavische Linguistik. Sie ist Verfasserin und Herausgeberin zahlreicher Fachbücher und Mitherausgeberin des Journal of English and Germanic Philology. Darüber hinaus hat sie eine Reihe von Isländersagas ins Dänische übersetzt und etwa 90 Artikel zu einer Vielzahl von Themen veröffentlicht, wie nonverbale Kommunikation, Geschlechtsdysphorie, Farbbegriffe und Krankheiten, darunter auch Editionen religiöser Texte.
Die siebte Stunde der Nacht
(00.00 – 01.00 Uhr)
Ein Hofbesitzer wird in seinem Bett ermordet
Unter dem Vorwand, er habe vergessen, eines der Pferde seiner Gäste zu versorgen, geht Gisli Sursson spät am Abend noch einmal nach draußen. Seine Frau Aud weist er an, die Tür zu verriegeln und wach zu bleiben, damit sie ihm bei seiner Rückkehr öffnen könne. Dann nimmt er seinen Speer namens Graustahl aus der Truhe, zieht einen dunklen Umhang über sein Hemd und macht sich auf den Weg zum Bach, der seinen Hof Hol in den Westfjorden Islands von dem Hof Sæbol seines Schwagers Thorgrim trennt. Obwohl das Wasser des Baches eisig ist, watet er hindurch, bis er den Pfad nach Sæbol erreicht hat. Gisli ist nicht wohl bei seinem Vorhaben, doch er ist überzeugt, dass er seine Mission erfüllen muss. Sein Ehrgefühl lässt ihm keine andere Wahl.
Besondere Waffen trugen oft ausgefallene Namen, die sich auf ihre Herkunft oder ihre Eigenschaften bezogen. Beispiele aus der altnordisch-isländischen Literatur sind »Beinbeißer«, »Grettirs Geschenk«, »Schlachtenfeuer«, »Kettenhemdbeißer« und »Waffenstillstandsbrecher«.
Gisli denkt an die Zeit zurück, als er und die anderen Männer aus Haukadal in vollkommener Eintracht bei Trinkgelagen zusammensaßen, nach Herzenslust aßen und Bier tranken, miteinander sangen und lachten, sich Geschichten und Witze erzählten. Doch bereits in diesen einvernehmlichen und friedlichen Zeiten hatte ihn der Wahrsager Gest, ein weiser und von Gisli hochgeschätzter Mann, gewarnt: Schon in wenigen Jahren werde es mit der Harmonie in ihrer Gruppe vorbei sein. Auch Gisli waren gewisse Spannungen zwischen den Leuten von Haukadal nicht entgangen, doch, so sagte er sich, welche Familie ist schon frei davon? Er hätte nicht gedacht, dass die Unstimmigkeiten eine solch gefährliche Entwicklung nehmen würden.
Da die unheilvollen Vorahnungen des Wahrsagers sich bereits häufig als zutreffend erwiesen hatten, überlegte Gisli fieberhaft, wie er die Prophezeiung abwenden könnte. Fest entschlossen, alles in seiner Macht Stehende dafür zu tun, schlug er seinem Bruder Thorkel, ihrem gemeinsamen Schwager Thorgrim (dem Mann ihrer Schwester Thordis) sowie dem Bruder seiner Frau Aud, Vestein, vor, Blutsbrüderschaft zu schließen, um ihren Zusammenhalt zu bekräftigen und zu besiegeln. Gisli rief alle Götter als Zeugen an und schlug den vier Männern vor, einen Eid abzulegen, jedes Leid zu rächen, das einem Mitglied ihrer Bruderschaft angetan werden würde. Alle waren einverstanden, aber als sie einander die Hände reichen sollten, wies Thorgrim Vesteins Hand zurück und erklärte, er fühle sich nur den Brüdern seiner Ehefrau verpflichtet, nicht jedoch Vestein. Da zog auch Gisli seine Hand zurück und rief, dann wolle er es ebenso mit Thorgrim halten. Die Blutsbrüderschaft war gescheitert.
Wie Gest vorhergesagt hatte und sehr zu Gislis Verdruss begann die Kameradschaft, die einmal zwischen den vier Männern geherrscht hatte, alsbald zu schwinden. Gislis größte Sorge galt der Sicherheit seines geliebten Schwagers Vestein, der sich für eine Reise ins Ausland rüstete. Daher fertigte Gisli in seiner Schmiede eine metallene Scheibe an, die er in zwei Hälften schnitt, welche perfekt zu einer Art großer Münzen zusammengefügt werden konnten. Die eine Hälfte behielt er selbst, die andere gab er Vestein vor dessen Abreise. Sie vereinbarten, ihre jeweilige Hälfte nur dann dem anderen zukommen zu lassen, wenn einer von ihnen in Lebensgefahr sei. Tief im Innern fühlte Gisli, dass sie eines Tages davon Gebrauch machen würden.
Nachdem einige Zeit vergangen war, erzählte Aud ihrem Mann eines Abends von einem Gespräch, das sie mit Asgerd, der Frau seines Bruders Thorkel, geführt hatte. Gisli und Thorkel besaßen den Hof gemeinsam, und ihre Ehefrauen standen einander sehr nahe. Als die beiden Schwägerinnen eines Tages an ihren Webstühlen saßen und miteinander plauderten, fragte Aud Asgerd, ob sie früher einmal Vestein geliebt habe. Asgerd verneinte, gab aber bereitwillig zu, sich sehr zu Vestein hingezogen zu fühlen, sogar mehr als zu ihrem eigenen Mann. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Aud, dass Thorkel dieses Gespräch belauscht hatte. Obwohl Gisli sehr bestürzt war, als er Auds Geschichte angehört hatte, gab er seiner Frau keine Schuld, sondern sagte: »Jemand musste die Schicksalsworte aussprechen. Was geschehen muss, wird geschehen.«
Bald darauf verlangte Thorkel, dass Gisli und er ihren gemeinsamen Hof aufteilen sollten. Auch wenn Gisli sehr wohl wusste, dass er derjenige sein würde, der von einem solchen Arrangement profitierte, da Thorkel nur selten auf dem Hof weilte und sich mehr als Nutznießer denn als Mitbesitzer hervortat, war er dagegen. Es widersprach seinem Familiensinn. Ohne die Bande des gemeinsamen Besitzes, so Gislis Befürchtung, würde der Zusammenhalt der Familie schwinden. Doch Thorkel setzte sich durch und fuhr auf den nahegelegenen Hof ihres Schwagers Thorgrim nach Sæbol. Mittlerweile war Gisli klar, dass Vestein sich ernsthaft in Gefahr befand. Zwar war Thorkel nach wie vor an seinen Schwur gebunden, doch niemand konnte Thorgrim daran hindern, im Namen seines Schwagers Rache zu üben. Als Gisli erfuhr, dass Vestein von seiner Reise zurückgekehrt war und sich wieder in Island befand, sandte er einen Boten mit seiner Hälfte der Münze aus, doch Vestein nahm nicht den üblichen Weg, und so konnte Gisli ihn nicht aufspüren.
In den beiden Nächten nach Vesteins Ankunft auf Hol fand Gisli kaum Schlaf. Wenn er schließlich doch einnickte, hatte er verstörende Träume, die er niemandem anvertrauen mochte, nicht einmal seiner Frau. In der dritten Nacht lag er als Einziger wach, als eine heftige Sturmbö das Haus so stark traf, dass auf der einen Seite das Dach vollständig abgerissen wurde, während draußen ein sintflutartiger Regen niederging. Gisli und seine Knechte stürzten aus den Betten, um das Heu auf den Feldern in Sicherheit zu bringen. Nur ein einziger Knecht, Thord der Feige genannt – ein Leibeigener –, blieb mit Vestein und Aud im Haus zurück. Vestein bot seine Hilfe an, doch Gisli bat ihn, bei der Schwester zu bleiben.
Schon bald regnete es so stark durch das undichte Dach, dass Vestein und Aud ihre Betten in trockenere Bereiche des Hauses schieben mussten. Kurz vor Tagesanbruch erwachte Aud von einem lauten Schrei. Entsetzt fuhr sie auf und rannte zu ihrem Bruder, doch sie sah nur noch, wie er neben seinem Bettpfosten tot zu Boden sank – ein Speer hatte seine Brust durchbohrt. Vollkommen schockiert schrie sie Thord den Feigen an, er solle die Waffe aus Vesteins Körper ziehen, doch Thord weigerte sich. Ihm war sehr wohl bewusst, dass jedermann in Island, der eine Waffe aus der Wunde eines Toten zieht, zur Rache verpflichtet ist. Er wusste auch, dass es als Totschlag und nicht als Mord gilt, wenn eine Waffe in einer tödlichen Wunde belassen wird. In diesem Augenblick stürzte Gisli herein, zog den Speer aus der Wunde und warf die von Blut besudelte Waffe in eine Truhe, sodass niemand sie mehr sehen konnte.
Gisli ließ sich auf dem Rand des Bettes nieder, um seine Gedanken zu ordnen. Schließlich beschloss er, seine Ziehtochter nach Sæbol zu schicken, um zu erfahren, was dort vor sich ging. Die Ziehtochter berichtete bei ihrer Rückkehr, sie sei kühl empfangen worden, und auf Sæbol habe sich niemand bekümmert oder überrascht gezeigt, als sie von dem Mord an Vestein berichtete. Thorgrim sei sogar in voller Rüstung gewesen, habe Helm und Schwert getragen, und auch Gislis Bruder Thorkel sei mit einem Schwert bewaffnet gewesen. Gisli war über diese Nachricht nicht verwundert. Unverzüglich schickte er sich an, auf der Sandbank jenseits des Weihers unterhalb von Sæbol ein Hügelgrab für Vestein anzulegen. Viele Menschen erschienen, um Vestein das letzte Geleit zu geben, auch Thorkel, der Gisli ermahnte, sich vor Rachegedanken für den Mord an Vestein zu hüten.
Gisli konnte die Angelegenheit jedoch nicht auf sich beruhen lassen. Er konnte seine brüderliche Pflicht und Schuldigkeit gegenüber Vestein nicht ignorieren, und auch nicht gegenüber Aud, die sich den Verlust ihres Bruders sehr zu Herzen nahm. Selbst wenn...
| Erscheint lt. Verlag | 21.5.2025 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | 24 Hours in the Viking World. A Day in the Life of the People Who Lived There |
| Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter |
| Schlagworte | Asen • Die Wikinger • eBooks • Entdecker • Geschichte • historische romane winkinger • Mittelalter • Mythen • Nordeuropa • nordische Götter • nordische Mythen • Nordische Sagen • Odin • Saga • Seefahrer • Seekrieger • Skandinavien • Thor • Walhalla • Walküre • Weltenbaum • Wikinger • wikinger buch • Wikingerroman • Wikinger Saga • zeit geschichte wikinger |
| ISBN-10 | 3-641-33207-9 / 3641332079 |
| ISBN-13 | 978-3-641-33207-5 / 9783641332075 |
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