Mystikerinnen: Auf ein Wort! (eBook)
Gibt es eine christliche Spiritualität, die die ganze Realität des Frauseins abbildet?
Wohl eher nicht, ertappt man sich beim reflexartigen Antworten. Shannon K. Evans hält dagegen. Im Christentum ist eine dezidiert weibliche Spiritualität beheimatet, die so aktuell ist wie eh und je und die von Frauen gefühlt und gelebt wurde, die lange vor uns da waren - Teresa von Ávila, Margery Kempe, Hildegard von Bingen, Juliana von Norwich, Katharina von Siena und Thérèse von Lisieux. Diese sechs Mystikerinnen offenbaren einen Glauben, der alle Erfahrungen von Weiblichkeit umfasst: Begehren, Lust und Sex; das Verlangen nach körperlicher Selbstbestimmung; die Herausforderungen von Mutterschaft; Gewalterfahrungen; der Kampf um Freiheit und Identität unter jahrhundertelanger männlicher Vorherrschaft. Diese sechs Frauen - selbstbestimmt, durchsetzungsstark und vor allem durch und durch sie selbst - stellten in ihrer jeweiligen Zeit Fragen, die heute erstaunlich aktuell sind. Sie kämpften damals dafür, dass die Belange von Frauen gehört, anerkannt, respektiert werden. Denn letztendlich sind weibliche Erfahrungen heilige Erfahrungen und das verdient Anerkennung. Mystikerinnen: Auf ein Wort! In diesem Buch entdeckt jede Frau kraftvolle spirituelle Impulse für ihr persönliches Leben.
Shannon K. Evans ist Redakteurin für Spiritualität und Kultur beim National Catholic Reporter und leitet Workshops und Retreats zu den Themen Ökofeminismus, Kontemplation und sozialer Wandel. Sie arbeitet eng mit den Jesuiten in Kanada und den USA zusammen, auch für Franziskanische Medien arbeitet sie häufig. Mystikerinnen: Auf ein Wort ist ihr drittes Buch. Shannon K. Evans lebt mit ihrer Familie und ihren Hühnern in Iowa.
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Selbstvertrauen macht dich nicht zum Ketzer
In meiner Brust zog sich etwas zusammen, als ich diesen Kommentar las. Es war mir zwar schon öfter passiert, dass ich auf Instagram von Fundamentalisten kritisiert wurde, doch haben sie in den meisten Fällen zumindest versucht, einen Anschein von Höflichkeit zu wahren. Doch hier fuhr eine Frau so richtig ihre Klauen aus. »Hör auf, so zu tun, als seist du Christin«, kanzelte sie mich in ihrer Antwort auf einen meiner Posts ab. »Du täuschst die Leute ganz bewusst. Aber wir alle wissen nur zu gut, dass du eine Wicca bist.«
Spoileralarm: Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich bin keine Wicca. Ich glaube sogar, dass ich nicht einmal Leute kenne, die einer Wicca-Tradition angehören. Mein gesamtes Wissen über Wicca stammt aus der Fernsehserie Buffy – Im Bann der Dämonen, wo es eine Wicca namens Willow gibt. Als Teenager habe ich mir das gerne angeschaut, meine Kenntnisse sind also eher lückenhaft, dafür aber mit einer Portion Humor gewürzt.
Und doch bekam ich in diesem Moment Herzrasen und meine Wangen brannten, als hätte mich jemand bei etwas Verbotenem ertappt. Ich fühlte mich an den Pranger gestellt und sehr verletzlich. Nicht etwa, weil man mich mit Fug und Recht als Heidin entlarvt hatte, sondern weil die Diagnose der Dame zwar falsch war, aber nichtsdestotrotz ein Körnchen Wahrheit enthielt: Ich hatte gegen die für christliche Weiblichkeit geltenden Gesetze verstoßen.
Mein Vergehen? Ich hatte eine Bemerkung gepostet, die den wilden, rohen, hungrigen Geistern in der weiblichen Psyche Ausdruck verlieh, jenen Orten in uns, an denen wir die Macht der inneren Mysterien bewundern und manchmal auch fürchten. Mein Post endete mit dem Satz: »Wir werden uns nie mit einem kleinen Gott zufriedengeben, mit einer winzigen inneren Flamme. Wir wissen, dass in unseren Körpern mehr steckt.«
Es war ganz einfach ein Appell, auf die tiefsten Regungen in unserem Inneren zu hören und sie zu würdigen. Aber die Aussicht auf Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, auf den Wunsch nach einem ungezähmten Leben, verstörte diese Frau. Und sie ließ den Schauer ihrer Ängste auf mich niedergehen, eine eher konfliktscheue Person, die mit so etwas nicht wirklich umgehen konnte. Dabei ging es gar nicht um mich. Es ging um ihr Bewusstsein, um ihre eingesperrten Ansichten, die miteinander im Clinch lagen. Hinter den Gittern des Patriarchats können Frauen ganz schön angriffslustig werden, wenn sie frei umherschweifende Artgenossinnen erspähen.
Natürlich ist dies ein ziemlich extremes Beispiel. Die meisten Frauen hinterlassen keine Hassbotschaften unter den Social-Media-Posts anderer Frauen. (Wenn du das machst … bitte lass es.) Die meisten von uns führen diesen Kampf im Inneren. Erkennen wir das Grummeln im Bauch oder lesen wir weiter von dem Skript ab, das man uns in die Hand gedrückt hat?
Viel zu oft fühlen sich bestimmte Themen im Raum unseres Glaubens deplatziert an, während umgekehrt unser Glaube in manchen Bereichen wichtiger sozialer Kritik Anstoß erregt. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich Christin und Feministin bin, dann schreckt das Feministische die Christen ab und das Christliche die Feministen. Wie viele Frauen von heute habe ich den Druck verspürt, mich zwischen der Treue zu meiner Religion und progressivem Denken entscheiden zu müssen. Ein Punkt, an dem ich schon einmal gestanden bin – und zu dem zurückzukehren ich nicht die Absicht habe.
Vor einigen Jahren schrieb ich für ein bekanntes katholisches Frauenwerk, wo ich mich zugehörig und in Freundschaft angenommen fühlte, gefeierte Beiträge. Gemeinschaft war immer schon ein bedeutender Teil meines spirituellen Lebens, und die Frauen, die dort aktiv waren, waren damals meine wichtigste Gemeinde. Sie repräsentierten ein breites Spektrum sozialer, politischer und theologischer Überzeugungen, aber ihre übergreifende Identität war konservativer als die meine. Und doch war ich überzeugt, dass ich bei ihnen meinen Platz gefunden hatte, vor allem, weil meine Artikel ja so gut ankamen. Also zensierte ich meine eher kontroversen Meinungen und Überzeugungen, um dazuzugehören. Schlimmer noch: Ich ließ mich auf mentale Verrenkungen ein und bei bestimmten Dingen, die dort gesagt, getan und gelehrt wurden, belog ich mich selbst. Ich verspürte in mir nicht die Erlaubnis, mir selbst zu vertrauen, meinem Gewissen oder der Art, wie ich den Geist in mir verstand. Also hörte ich auf andere.
Ich erwachte nur sehr langsam. In meinem Privatleben kamen Prüfungen auf mich zu, die mich zwangen, mich ehrlich damit auseinanderzusetzen, wie sehr ich mich von meinem authentischen Selbst entfernt hatte. Dadurch fand ich den Mut, auf meine Instinkte und meine innere Stimme zu hören. Ich packte immer wieder mal ein bisschen Kritik am Patriarchat in meine Artikel und trat für Führungspositionen von Frauen in religiösen Institutionen ein, ja selbst für die Priesterinnenweihe. Ich kritisierte Politiker, die Kirche und Staat vermischten, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Und ich sprach offen über meine Vorliebe für Yoga und das Enneagramm. Obwohl ich diese Ansichten nur in meinem persönlichen Blog und auf meinen Social-Media-Accounts äußerte, begann mein Status im Frauenwerk zu bröckeln. Langjährige Leser beschwerten sich über mich, was ich ebenso demütigend wie empörend fand. Ein Priester und ein Bischof arbeiteten mit vereinten Kräften darauf hin, mich mundtot zu machen. Das öffnete mir die Augen dafür, wie fein gesponnen das klerikale Netz ist. Als mir dann die Leitung des Frauenwerks mitteilte, ich müsse meine persönlichen Ansichten künftig ganz für mich behalten, wenn ich weiter Teil des Teams bleiben wolle, trat ich zurück, und zwar auf eine, wie ich dachte, freundschaftliche und anständige Art. Zu meinem Entsetzen aber redete eine große Mehrheit jener Frauen, die ich für meine Freundinnen gehalten hatte, nie wieder mit mir. Das Gefühl, benutzt und dann ausgesondert worden zu sein, tat mehr weher als die Zensur.
Die Trauer ging tief. Ich verlor Freundschaften, die ich für real gehalten hatte. Ich verlor die größte Plattform zur Veröffentlichung meiner Texte. Ich verlor meine spirituelle Gemeinschaft und das Gefühl der Zugehörigkeit. Ich trauerte monatelang darüber – und wenn ich ehrlich bin, trauert ein Teil von mir immer noch. Und doch lernte ich dabei, wie es sich anfühlt, mir selbst treu zu sein. Ich lernte, dass ich mir vertrauen konnte. Und das war es mehr als wert.
Ich weiß, ich bin nicht die Einzige, die eine solche Erfahrung durchgemacht hat. Wenn man überlegt, wie verbreitet diese Art von Druck ist, ist es weiter kein Wunder, dass Angstzustände und Depressionen bei Frauen epidemische Ausmaße annehmen. Um weiter dazugehören zu können, disziplinieren wir uns selbst, sodass wir weiter innerhalb der überkommenen Grenzen dessen verharren, was man uns zu denken, glauben oder praktizieren erlaubt, statt unser Dasein an dem auszurichten, was wir tatsächlich denken, glauben und praktizieren wollen. Um uns Gewissheit zu verschaffen, wo die Grenzen des Erlaubten verlaufen, richten wir uns nach Ehegatten, Angehörigen, Pastoren oder Nachrichtensprecherinnen. Wir haben sehr viel mehr Vertrauen in die Autorität der Stimmen von außen statt in die Führung unserer Seele. Allein bei der Vorstellung, uns selbst zu vertrauen, wird uns schon mulmig: Steht nicht in der Bibel, dass wir das nicht tun sollen?
Es stimmt schon, es gibt Stellen in der Bibel, die uns davor warnen, Vertrauen in uns selbst zu setzen. Als ich noch ein braves Baptistenkind war, das regelmäßig an Bibel-Wettbewerben teilnahm, war einer der ersten Verse, die ich auswendig lernte: »Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit; such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade.« (Spr 3, 5–6) Ich bestreite ja nicht, dass dies ein weiser Rat ist: Auf uns zu vertrauen, wenn wir nicht in der Einheit mit Gott sind, ist der beste Garant für Katastrophen jeglicher Art. Sind wir nicht mit der Quelle unseres Lebens verbunden, dann verhalten wir uns gewöhnlich eher selbstsüchtig und destruktiv.
Das heißt aber nicht, dass wir unseren inneren Kompass über Bord werfen können. Wenn wir wirklich in Einheit mit dem Geist leben wollen, dann führt der Weg von der spirituellen Kindheit zur Reife über das Vertrauen, dass wir selbst die Pforte sind, durch die das göttliche Leben in uns eintritt. Jesus selbst sagte, dass das Himmelreich nicht rechts oder links von uns, sondern mitten unter uns ist. (Lk 17, 21) Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das eine beängstigende Aussicht. Es kann sich sicherer anfühlen, das Himmelreich außerhalb von uns selbst zu suchen, bei Autoritäten, in unserer religiösen Kultur oder im Sicherheitsnetz der Orthodoxie. Man fühlt sich nun mal sicher, wenn man glauben kann, dass jemand anderer mehr weiß als man selbst, dass diese Person oder Personen transzendente Antworten gefunden haben, die uns nicht offenstehen. Jesu Worte mögen zwar gut und schön sein, aber im Ernstfall sind wir doch überzeugt, er will, dass wir unser spirituelles Leben einigen wenigen Auserwählten anvertrauen.
Was aber wäre, wenn Jesus, als er das sagte, tatsächlich auch meinte – und lass das einen Moment nachwirken –, dass das Himmelreich in dir liegt? Ich weiß. Klingt verrückt. Was, wenn du tatsächlich eine leise, kleine Stimme hast, die dich führt? Wenn du alles, was du fürs Leben und die Frömmigkeit brauchst, schon besitzt? Wenn es nicht darum geht, dass du lernst, was du glauben sollst, sondern gezeigt bekommst, wie du...
| Erscheint lt. Verlag | 23.4.2025 |
|---|---|
| Übersetzer | Elisabeth Liebl |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | The Mystics Would Like a Word. Six Women Who Met God and Found a Spirituality for Today |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
| Schlagworte | Christliche Mystik • christlicher feminismus • eBooks • faith spaces must be safe spaces • Gott • gott ist feministin • Hildegard von Bingen • juliana von norwich • Katharina von Siena • Margery Kempe • Maria Magdalena • maria pride den mantel aus • Moderne Mystik • Mystik • Neuerscheinung 2025 • Teresa von Avila • Therese von Lisieux |
| ISBN-10 | 3-641-32855-1 / 3641328551 |
| ISBN-13 | 978-3-641-32855-9 / 9783641328559 |
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