Smart Thinking für das dritte Jahrtausend (eBook)
384 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60839-8 (ISBN)
Saul Perlmutter erhielt 2011 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der sich beschleunigenden Expansion des Universums. Er ist Professor für Physik an der University of California, Berkeley, und leitender Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory.
Saul Perlmutter, Nobelpreisträger, lehrt Physik an der Univ. of California, Berkeley. John Campbell ist Professor für Philosophie an der Univ. of California, Berkeley. Robert MacCoun ist Sozialpsychologe und lehrt in Stanford.
Sie werden außerdem feststellen, dass Sie, wenn Sie unterschiedliche Vokaltöne singen, unterschiedlich viele dieser Obertonlinien erhalten. Wenn Sie zum Beispiel »ah« singen, haben Sie sehr viele Obertöne, bei »oh« sind es weniger, bei »ii« noch weniger. Wenn man eine Weile mit dieser App herumspielt, kommt einem das irgendwann wie die Realität des Klangs vor. Selbst wenn Sie die Theorie, die dem zugrunde liegt, nicht kennen, sehen Sie die Welt der Töne von nun an anders, weil Sie direkt damit gespielt haben. (Unser Gehör behandelt die gleichzeitigen, zusammenhängenden Töne – die Obertöne – wie eine Tonhöhe, jedoch mit unterschiedlichen »Klangfarben«, je nachdem, welche Mischung aus gleichzeitigen Tönen es aufnimmt. Das ist eine der Möglichkeiten, wie wir den Unterschied zwischen einer Geige, Flöte oder einer Tenorstimme feststellen können, die alle dieselbe Tonhöhe spielen oder singen. Auch ohne Spektrograf sehen Geigen, Flöten und Tenöre unterschiedlich aus!)
Nicht jedes Messinstrument verleiht uns dieses Gefühl, etwas über die Realität gelernt zu haben. Was einen Stuhl zu verschieben, auf den Tisch zu hauen oder in einen Spektrografen zu singen gemeinsam haben, ist das interaktive Entdecken oder »interactive exploration«, wie es der Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking genannt hat. Damit ist gemeint, dass wir stärker davon überzeugt sind, dass etwas real ist, wenn wir erleben, dass es sich durch unser Handeln verändert. Stößt man zum Beispiel eine Billardkugel mit dem Queue an und bringt sie dadurch ins Rollen, beginnt man zu glauben, dass dieses runde Bild da tatsächlich ein hartes Objekt mit Gewicht in der physischen Welt ist. Das Spektrografenbild ist einen Schritt weiter von einer direkten Erfahrung entfernt, aber auch die App reagiert, wenn Sie damit herumspielen, und zeigt Ihnen eine Linie, die nach oben oder unten führt, je nachdem, wie hoch Sie pfeifen, oder zwei Linien, wenn zwei Personen gleichzeitig pfeifen. So beginnt man, etwas als wirklich anzusehen, wovon man vorher nichts wusste – zum Beispiel, dass die Klangfarbe Ihrer Stimme mehrere verschiedene, gleichzeitig erzeugte Tonhöhen widerspiegelt.
Wenn man darüber nachdenkt, wie der Realitätssinn durch interaktives Entdecken geschärft wird, ist es interessant (und, wie wir sehen werden, bezeichnend), ein paar Beispiele zu betrachten, bei denen Instrumente unsere Sinne verbessern, mit unterschiedlichen möglichen Interaktionsgraden. Schauen wir uns also noch ein paar weitere wissenschaftliche Beispiele an, bevor wir zu alltäglicheren übergehen.
Nach der Spielerei mit der Spektrografen-App passt ein Beispiel besonders gut, für das man keine Technik benötigt – nicht einmal ein Smartphone! Und so können Sie es zu Hause ausprobieren: Sie brauchen ein Fenster mit direktem Sonnenlicht und ein Stück Pappe mit Guckloch, um das Fenster damit so weit zu bedecken, dass nur noch ein einziger Sonnenstrahl hindurchscheint. Wenn Sie jetzt ein Prisma in den Sonnenstrahl halten, sehen Sie, wie sich das Sonnenlicht in einen Regenbogen aus Licht auffächert. Leuchtet man mit einer LED-Taschenlampe durch das Prisma hindurch, sieht man nur ein paar bunte Linien, nicht den ganzen Regenbogen an Farben, den der Sonnenstrahl erzeugt hat. Sollten Sie eine alte fluoreszierende Glühlampe oder eine Glühbirne zur Hand haben, mit der Sie durch das Prisma leuchten können, werden Sie wieder verschiedene Farblinien aus dem Prisma hervortreten sehen, aber auch hier nicht den ganzen Regenbogen. Obwohl wir all diese Arten von Licht als weißes Licht bezeichnen, scheinen sie über verschiedene Farbkomponenten zu verfügen. Was kann man daraus schließen, und erleben wir den Versuch mit dem Prisma als genauso interaktiv wie das Experimentieren mit einem Tonspektrografen?
Es gibt durchaus Parallelen. So wie der Spektrograf uns gezeigt hat, dass der gehörte Ton aus verschiedenen Tonhöhen besteht, die wir alle gleichzeitig hören, haben wir durch das Prisma erkannt, dass sich das weiße Licht, das wir für gewöhnlich sehen, aus verschiedenen Farben zusammensetzt. Und genau wie wir auf dem Spektrogramm gesehen haben, dass Pfeifen einen sauberen Klang mit nur einer Tonhöhe erzeugt, können wir auch sehen, dass das LED-Licht, das durch ein Prisma fällt, sich nicht in so viele Farben auffächert wie ein Sonnenstrahl. Wenn Sie mit unterschiedlichen Lichtquellen spielen, können Sie sich vielleicht davon überzeugen, dass das, was Ihre Augen nur als weißes Licht wahrnehmen, im Grunde ein »Akkord« aus vielen verschiedenen kombinierten Farben ist, genau wie die Tonhöhe, die Sie gesungen haben, sich letztendlich als eine Kombination vieler verschiedener Töne herausstellte. Und dann akzeptieren Sie vielleicht, dass Licht mehr ist als das, was wir allein mit unseren Augen sehen können.
Wenn Sie diese beiden Beispiele für interaktives Entdecken – Klänge und Licht – miteinander vergleichen, finden Sie es vielleicht besser, mit einem simplen Glasprisma zu arbeiten und nicht mit einer Handy-App. Ein Prisma ist ein physisches Objekt, etwas zum Anfassen. Ihr Verstand beginnt nicht zu überlegen, ob Sie vielleicht irgendetwas an der App nicht richtig verstanden haben oder ob Sie mit irgendwelchen versteckten Kniffen aufs Glatteis geführt werden. Sie sind ziemlich überzeugt davon, dass das Licht, das aus dem Prisma kommt, einfach eine Modifikation des Lichts ist, das ins Prisma eingefallen ist. Und da es sich bei solch einem Glasprisma um ein einfach gebautes Objekt handelt, sind Sie auch sicher, dass das, was aus dem Prisma austritt, nicht von einem schlauen Computerprogrammierer manipuliert wurde, sodass es das Gegenteil einer Repräsentation der Realität ist.
Doch vielleicht fühlt sich irgendetwas an diesem interaktiven Entdecken des Lichts mithilfe des Prismas nicht ganz so befriedigend an wie das Erkunden von Klang mit der Handy-App. Mit der Vielfalt von weißen Lichtquellen können wir nicht in der gleichen Weise herumspielen wie mit den Tonquellen. Könnten unsere Augen einfach Laserstrahlen abfeuern und darüber bestimmen, welche Farbe sie haben – so wie wir die Tonhöhen beim Singen eigenständig variieren können –, wäre unser Verstand dann stärker überzeugt von der Realität der Zusammensetzung von weißem Licht? Schlussendlich ist das der Unterschied zwischen interaktiverem und weniger interaktivem Entdecken der Realität.
Andererseits könnte es natürlich auch schlimmer kommen. Vergleichen wir diese Beispiele einmal mit der Frage, wie abgestanden die Luft in dem Raum ist, in dem wir gerade sitzen – und atmen. In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass es sich dabei um eine wichtige Frage handelt. Je mehr Sauerstoff wir einatmen und Kohlendioxid ausstoßen, umso abgestandener ist die Luft, und es wird schwierig für das Gehirn, den Sauerstoff zu bekommen, den es zum Denken benötigt. Normalerweise ist das kein Problem, da es doch in einem einigermaßen großen Raum genug Luft gibt, in den die ganze Zeit über Sauerstoff hineinströmt. Befindet man sich jedoch mit vielen anderen Personen in einem Raum, in dem die Luft wenig zirkuliert – wie beispielsweise in einem Seminarraum an der Universität während einer einstündigen Sitzung –, kann sich der Kohlendioxidanteil aufbauen, während der Sauerstoffanteil zurückgeht. Es gibt Studien dazu, wie Menschen bei unterschiedlichen Kohlenstoffdioxidkonzentrationen in kognitiven Tests abschneiden.[5] Bei Werten von 800 und darunter geht es den Menschen gut, schlechter bei Werten um die 1000, und ganz schlecht sieht es aus, wenn die Konzentration bei 1200 liegt, also nahe an den Werten, die in einem schlecht belüfteten Seminarraum am Ende einer Stunde vorherrschen.
Heute kann man kleine Sensoren kaufen, die die Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Luft messen (und darüber hinaus Temperatur und Feuchtigkeit anzeigen – es lohnt sich). Das CO2-Messgerät ist nicht ganz so interaktiv wie andere Instrumente. Vielleicht gelingt es einem, den Messwert auf dem Display kurz in die Höhe zu treiben, wenn man eine Weile in den Sensor hineinatmet, aber das war es dann auch schon. Man kann nicht wirklich interaktiv mit dem Instrument...
| Erscheint lt. Verlag | 24.10.2024 |
|---|---|
| Übersetzer | Marlene Fleißig, Thomas Stauder |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Third Millennium Thinking |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
| Schlagworte | Denktraining • Emotionale Intelligenz • Intelligenz • Intuition • Kognitionswissenschaft • Lernen • Lernwissenschaft • Mentaltraining • Neuropsychologie • Organisationspsychologie • Psychologie • Verhaltenstheorie |
| ISBN-10 | 3-492-60839-6 / 3492608396 |
| ISBN-13 | 978-3-492-60839-8 / 9783492608398 |
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