Heinrich V. (eBook)
384 Seiten
Theiss in der Verlag Herder GmbH
978-3-534-61020-4 (ISBN)
Gerhard Lubich, geb. 1964, lehrt Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Bochum. Im Rahmen der Regesta Imperii ediert er die Regesten Kaiser Heinrichs IV. und Heinrichs V. Er gilt als einer der wichtigsten deutschen Salier-Spezialisten.
Gerhard Lubich, geb. 1964, lehrt Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Bochum. Im Rahmen der Regesta Imperii ediert er die Regesten Kaiser Heinrichs IV. und Heinrichs V. Er gilt als einer der wichtigsten deutschen Salier-Spezialisten.
I. Bilder
Das erste Mal bekommen wir Heinrich als einen jungen Mann vor Augen geführt, am Rande einer Fürstenversammlung allein auf einem kleinen Hügel stehend, unstandesgemäß ärmlich bekleidet, zurückgezogen, demütig auf Ansprache wartend. Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich im offenen Aufstand gegen den königlichen Vater, dessen Namen er trägt. Diese Beschreibung entstammt einer zeitgenössischen Bamberger Chronik, die hervorhebt, wie sehr sich Heinrich um Einverständnis mit den kirchlichen Kräften bemüht. Zwar bedenkt Heinrich auch die weltlichen Großen und sichert ihnen den Bestand ihrer Rechte zu, aber eigentlich geben sie eher anonyme Randfiguren ab – namentlich genannt werden allein die Bischöfe, und es war deren Zustimmung, von der Heinrich sein Erscheinen auf der von ihm selbst initiierten Versammlung abhängig gemacht hatte. Heinrichs Verhalten wird überaus positiv bewertet, sein Respekt gegenüber der Geistlichkeit, seine kompetenten Entscheidungen, all dies erwecke bereits den Eindruck eines geborenen Herrschers. Seine moralische Integrität scheint evident, und dies gilt auch, als er zur Rechtfertigung seines Aufstandes ein von allen akzeptiertes höheres Gut ins Spiel bringt: Nicht Herrschsucht, sondern des Vaters Konflikt mit Kirche und Papst sei sein Motiv für den Aufstand. Der junge Aufrührer verspricht sogar seinen Rücktritt für den Fall, dass sein Vater sich noch eines Besseren besinne und sich mit dem Papst aussöhne. Die Versammlung applaudiert, tränenreiche Gebete werden in Hoffnung auf eine Bekehrung (conversio) des Vaters angestimmt, während sich zugleich papstfeindliche Bischöfe dem anwesenden Mainzer Erzbischof unterwerfen. Auf diese Weise, so hält der Text fest, habe Heinrich zu Beginn seiner Herrschaft ganz Sachsen mit der Kirche versöhnt, und ausdrücklich spricht er von einer großen Hoffnung, die der Auftritt des jungen Königssohnes bei den Anwesenden hervorrief.
Noch ein knappes Jahr sollte unser Zeuge, ein anonymer Fortsetzer der Weltchronik des Frutolf aus dem Bamberger Kloster Michelsberg,1 die Taten Heinrichs begleiten, ein dramatisches Jahr, voller Konflikte und hektischer Bewegung, ein Jahr, in dem der Sohn den Vater zum Rücktritt zwingen wird, der Vater sich jedoch dagegen nochmals zur Wehr setzt, bevor er schließlich stirbt, ohne dass es zu einem Entscheidungskampf gekommen wäre. Heinrich bleibt für den im Jahre 1106 endenden Verfasser der aufrechte, von religiösen und ethischen Idealen bewegte junge Mann, als den wir ihn zuerst erblickt haben, frei von Selbstsucht, zweifelnd und demütig. Rebellen zeichnet man anders, denn sie haben etwas zu gewinnen, etwas, das man ihnen vorenthalten hat, auf das sie ganz persönlich Anrecht zu haben meinen. Dies gilt insbesondere für eine selbstbestimmte Zukunft, denn wie im klassischen Generationenkonflikt sind es in der querelle des anciens et des modernes die Alten, die sich an eine im Vergehen begriffene Welt klammern, während sich die Zurücksetzung der »jungen Wilden« in provokativ alternative Lebens- und Zukunftsentwürfe übersetzt. Von einem Konflikt zwischen jungen Marginalisierten und verstockten Mächtigen ist in der Darstellung des Jahres 1105 allerdings nichts, gar nichts zu spüren. Vielmehr führt man uns einen jungen Mann vor Augen, der nicht die Welt nach seinen Bedürfnissen verändern will, sondern sich bemüht, den Erwartungen seiner Zeit zu entsprechen. Das entscheidende Argument ist also nicht die generelle Neuerung, sondern die bessere Eignung des Sohnes hinsichtlich derselben tradierten Normen. Der Vater wiederum wird nicht als ein hoffnungslos veraltetes »Auslaufmodell« charakterisiert, denn mit der conversio wird ihm die Chance auf Besserung zugestanden. Beide Kontrahenten stellten also im selben christlich fundierten Weltbild feste Größen dar, ihre Handlungsmuster waren im Grunde identisch, ihre Ziele, Normen und Ideale ebenfalls. Auch andere Autoren, die dem Vater deutlich näherstanden als dem aufständischen Sohn, schildern die Situation ähnlich – der Konflikt zwischen Vater und Sohn drehte sich nicht um eine grundstürzende Umwälzung der Verhältnisse oder deren Erhalt, sondern um die Frage einer personellen Alternative. In den Jahren 1105/1106 ging es um einen neuen König, nicht um ein erneuertes Königtum.2
Recht genau ein Jahrzehnt später verfasste Ekkehard, Abt des fränkischen Klosters Aura, auf der Basis dieser Überlieferung, die den jungen Aufständischen so begeistert geschildert hatte, ein eigenes Werk bis zum Ende des Jahres 1116. Nur wenig griff der Abt in seine Vorlage ein – noch immer wohnt dem Anfang Heinrichs ein positiver Zauber inne. Auch für seine Handlungen nach dem Herrschaftsantritt wird Heinrich kaum kritisiert, denn für diesen Zeitabschnitt lehnte sich Ekkehard eng an die sogenannte Anonyme Kaiserchronik an, ein Werk, das Heinrich selbst in Auftrag gegeben hatte und das entsprechend wohlwollend über ihn berichtet. Ekkehard übernahm diese Darstellung immerhin bis einschließlich des Jahres 1111, das eine durchaus kritische Phase in der Herrschaft Heinrichs markiert, zumal er nach erfolglosen Verhandlungen über die Investiturfrage den Papst und die Kardinäle gefangen gesetzt und die Kaiserkrönung erpresst hatte – ein Vorgehen, das weithin bemerkt wurde und auch später noch das Urteil über Heinrich wesentlich beeinflussen sollte. Erst ab der Darstellung des Jahres 1112 löst sich Ekkehard von seinen Vorlagen. Sein Ton wird zunehmend schmallippiger und seine Darstellungen erschöpfen sich schließlich in knappen Strichen, die den Herrscher eher skizzieren als charakterisieren. Je näher der Text der Gegenwart Ekkehards kommt, desto deutlicher und größer wird die Distanz zum Herrscher. Schließlich setzt Ekkehard die Herrschaft Heinrichs mit dem gescheiterten Regime seines Vaters gleich: Seit 1112 ist von der Unmäßigkeit Heinrichs die Rede, von Misstrauen bei Hofe, erfolglosen Aktionen, ausbleibender fürstlicher Unterstützung, Niederlagen und schließlich einem fast fluchtartigen Zug nach Italien zu Beginn des Jahres 1116 – »dadurch wurde das Reich wieder gespalten, das ein Jahrzehnt oder wenig mehr Ruhe gehabt hatte«.3 Als Schützer des Reiches hatte der Sohn genauso versagt wie der Vater, ja sich sogar der Verantwortung entzogen, lieferten sich doch nunmehr seine Stellvertreter erbitterte Kämpfe mit seinen Gegnern, wobei die öffentliche Ordnung zusammenbrach und Räuberbanden ungestraft das Land heimsuchen konnten, wie Ekkehard vermerkt. Der Gemeinschaft suchende, demütig fromme junge Hoffnungsträger hatte keine Integrationskraft bewiesen und mit seiner Politik im Grunde nichts erreicht, sondern das Reich in altbekannte Probleme zurückgeworfen.
Wiederum rund zehn Jahre später, im Jahre 1125, war Heinrich tot, und mit seinem Ableben endet auch ein weiteres Manuskript, das nunmehr die Chronik Ekkehards weiterführt. Der Autor dieses Werks übernimmt dessen Darstellung und schreibt dasselbe Urteil fort: Die Zustände verschlimmern sich immer weiter, dem Herrscher gelingt es nicht, Zugriff zu erlangen. Heinrichs Tod steht am Ende der Schilderung und wird uns als die Folge einer länger schon ausgebrochenen, jedoch geheim gehaltenen Krankheit präsentiert – Sinnbild seines absolvierten Lebens, das dem Verständnis der Zeit nach in der Art des Ablebens gespiegelt wurde.4 Heinrichs letzte Stunden haben etwas eigenartig Defizitäres, treten sie doch unvermutet ein – auch dies kein Ausweis der Gnade Gottes, die dem Tugendhaften zumindest eine Vorahnung von seinem Tod gewährt. Entsprechend einsam ist es um ihn: Nur seine Gattin Mathilde und ein Verwandter, der Herzog Friedrich II. von Schwaben aus dem Haus der Staufer, werden als Anwesende namentlich benannt, als Heinrich auf dem Totenbett seinen Nachlass ordnet. Weitere Fürsten waren nicht zugegen, Heinrich habe sie aber noch herbeigerufen, »so gut er konnte«, eine Einschränkung, die zumindest zeigt, dass Heinrich zu diesem Zeitpunkt nicht aus der Mitte der Eliten heraus regierte. Erst das Begräbnis in Speyer mobilisierte dann die Massen, wie der Autor zu berichten weiß, bevor er zu einer Würdigung Heinrichs anhebt: Gute Anlagen und Fähigkeiten, namentlich im Bereich der Kriegsführung, doch wenig Fortune habe er gehabt und sei hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben, zumal er mit den Reichsrechten nachlässig umgegangen sei, dagegen aber Habgier an den Tag gelegt habe – wovon noch nicht einmal Nachkommen etwas gehabt hätten, da Heinrich kinderlos verstarb. Heinrichs Leben und Leistung werden so zu einer Verfallsgeschichte: Sub specie religionis, unter vorgetäuschter Frömmigkeit5 habe er zunächst den exkommunizierten Vater verdrängt, als anerkannter Herrscher indes sein Verhalten geändert, um schließlich auch dem Apostolischen Stuhl Unrecht zuzufügen und in der Folge endgültig zu scheitern. Selbst die Einigung mit dem Papsttum im »Wormser Konkordat« des Jahres 1122 erscheint eher als das Verdienst der insistierenden Fürsten denn als das des verstockt feindseligen Herrschers, der sich schon im Folgejahr wieder in Bürgerkriege verwickelte, ein problematisches Vermächtnis ohne Erben.6
Das Werk endet im Anschluss daran mit einer kurzen Passage, in auffällig düsterem Ton gehalten, die von Gräueln, Naturkatastrophen und unheimlichen Erscheinungen spricht. Kurz noch erwähnt der Autor, dass »der bleiche Tod« im Jahre 1125 unterschiedslos eine Vielzahl von Opfern forderte, bevor Jahresbericht und Chronik schlagartig abbrechen. Bot sich keine Gelegenheit zur...
| Erscheint lt. Verlag | 9.9.2024 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Mittelalter |
| Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
| Schlagworte | Heiliges Römisches Reich • Heinrich V. • Hochmittelalter • Investiturstreit • Kaiser • Kaiser HRR • Salier • Wormser Konkordat |
| ISBN-10 | 3-534-61020-2 / 3534610202 |
| ISBN-13 | 978-3-534-61020-4 / 9783534610204 |
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