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Fernwehland (eBook)

Roman | »Kati Naumann hat die Gabe, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen.« NDR Kultur | Historischer Roman | Frauenunterhaltung | Reise I Familie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
416 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0802-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fernwehland - Kati Naumann
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Die Astoria ist das älteste seetüchtige Kreuzfahrtschiff der Welt. Seit über siebzig Jahren trägt es die Menschen übers Meer und hat schon unzählige Schicksale bestimmt. Nach einer Kollision mit dem Luxusschiff Andrea Doria wurde es an die DDR verkauft und fortan für Urlaubsreisen eingesetzt. Auf seinen Fahrten bis in die Karibik geraten das Schiff und seine Passagiere auch zwischen die Fronten des Kalten Krieges.

Die Stewardess Simone und der Matrose Henri haben sich vor vielen Jahren auf diesem Schiff kennengelernt. Heute treten sie noch einmal eine Kreuzfahrt mit der Astoria und damit auch eine Reise in ihre Vergangenheit an. Denn sie begegnen dabei der Schwedin Frida, die als Kind die Schiffstaufe erlebt hat und deren Geschichte ebenfalls ganz eng mit der des Schiffes verbunden ist.



<p>Kati Naumann wurde 1963 in Leipzig geboren. In Sonneberg, im ehemaligen Sperrgebiet im Thüringer Wald, verbrachte sie einen Großteil ihrer Kindheit. Die studierte Museologin schrieb bereits mehrere Romane sowie Songtexte für verschiedene Künstler und das Libretto zu dem Musical <em>Elixier </em>(Musik von Tobias Künzel). Sie verfasste Drehbücher für Kindersendungen und entwickelte mehrere Hörspiel- und Buchreihen für Kinder. Kati Naumann lebt mit ihrer Familie am Stadtrand von Leipzig.</p>

1. Die Ankunft


April 2019 in Poole
(England)

Henri konnte das Meer spüren, lange bevor er es sah oder hörte. Als er das Fenster in dem stickigen Zugabteil hinunterdrückte, drang schwere Luft herein. Sie schmeckte salzig und vertraut.

Er tauschte einen Blick mit Simone, die ihm gegenübersaß. Sie schien die Sehnsucht in seinen Augen falsch zu deuten und reichte ihm eine gut gefüllte Brotdose. Für jeden Abschnitt ihrer langen Reise hatte sie vorgesorgt.

Sie waren von Kötzschenbroda im oberen Elbtal mit dem Bus zum Dresdner Flughafen gefahren, um die enormen Parkgebühren zu vermeiden. Von dort war es weiter Richtung London gegangen. Nun befanden sie sich auf der dritten Etappe in einem Zug der South Western Railway, der sie an die Küste im Süden Englands bringen sollte.

Ein Zugbegleiter rumpelte mit seinem Servierwagen durch den Gang und bot Erfrischungen an. Henri schüttelte abwehrend den Kopf und spürte gleichzeitig, wie sein Hals trocken wurde. Wegen der Sicherheitsbestimmungen hatten sie ihre Getränke im Aufgabegepäck verstauen müssen. Während des Flugs waren die Thermobehälter durch den niedrigen Luftdruck ausgelaufen. Die erste Hälfte der Zugfahrt hatten sie damit verbracht, ihre nasse Wäsche von der trockenen zu separieren.

Henri nahm die Thermosflasche vom kleinen Klapptisch und trank den kläglichen Rest. Es fühlte sich unangenehm an, so knauserig zu sein. Dabei hatte es Zeiten gegeben, in denen er nicht auf die Mark sehen musste. Aber die waren vorbei, und es war nicht sein Geld, das sie hier ausgaben. Er hatte das Gefühl, sparsam damit umgehen zu müssen.

»Meinst du, uns wird dabei langweilig?«, fragte er unvermittelt. »Wir haben dort überhaupt nichts zu tun.«

Simone, die gern las, hatte sich einige Bücher eingepackt. Er dagegen beschäftigte sich seit Wochen mit dem Umbau einer Simson S51. Die hatte er schlecht mitnehmen können.

Sie lächelte ihn zuversichtlich an, und die kleinen Fältchen in ihren Augenwinkeln vertieften sich. »Wir werden uns bestimmt nicht langweilen. Wir haben ja uns.« Sie holte einen Block aus ihrer Tasche und schlug ihn auf.

»Was ist das?«, wollte er wissen.

»Eine Liste von allen Dingen, die ich noch mit dir machen will.«

Henri warf einen Blick darauf. An oberster Stelle stand: Fahrt mit der V1.

In Poole stellten sie ihr Gepäck in einem schäbigen Hotelzimmer unter. Im Bad war zwar keine Seife, aber dafür lagen zwei Äpfel auf dem Nachttisch. Ihre klammen Sachen hängten sie über die Stuhllehnen. Als Henri seinen Koffer fast geleert hatte, entdeckte Simone darin das Messer.

»Wieso in aller Welt hast du das mitgenommen?«, fragte sie bestürzt.

Es war ein altes Matrosenmesser mit Holzgriff. Er klappte die Klinge heraus. In den fleckigen Stahl war ein räudig aussehender Löwe eingeprägt. Henri nahm einen Apfel und schnitt ihn auf. »Das hab ich doch immer dabei«, sagte er achselzuckend und begann zu essen. Im Aufgabegepäck für den Flug hatte es niemanden interessiert.

»Aber du kannst doch heutzutage kein Taschenmesser auf ein Kreuzfahrtschiff mitnehmen!« Sie schien sich ernsthaft Sorgen zu machen. »Womöglich nehmen sie es dir weg!«

Er versicherte, dass er sich die Vorschriften genau durchgelesen habe. Die Klinge war nicht feststehend und besaß eine erlaubte Länge. Er klappte das Löwenmesser wieder zusammen, schob es in seine Hosentasche und reichte Simone ein Apfelstück.

Kurz darauf schlenderten sie durch die abendliche Altstadt, vorbei an georgianischen Herrenhäusern, gebaut von Kaufleuten, die durch den Stockfischhandel reich geworden waren. Die Schaufenster der kleinen Läden in der High Street wurden durch Holzsprossen unterteilt. Dadurch wirkten die Auslagen dahinter, Töpferwaren, handgemachte Seife und pulsierende Lavalampen, wie ein nachlässig zusammengesetztes Puzzle.

Sie fanden einen Pub, der aussah, als wäre er die Stammkneipe des gnadenlosen Piraten Blackbeard gewesen, und aßen eine Suppe mit Herzmuscheln.

Später liefen sie den alten Kai entlang und beobachteten, wie Boote hinter der Halbinsel auftauchten und in den Hafen zurückkehrten. Auf den Schwimmdocks saßen Angler. Das Licht der gusseisernen Straßenlaternen spiegelte sich in schillernden Ölschlieren, die aus einem alten Schiffsmotor heraussickerten. Eine kleine weiße Motoryacht legte an. Am Bug flatterte die Flagge von Poole mit dem grimmigen Delfin auf schwarzgelb wogenden Balken, gekrönt von drei Muscheln.

Für die beiden Reisenden war dieser Ort voll von vertrauten Gerüchen und Geräuschen. Und doch konnte Henri nichts davon genießen. Es schien ihm, als würden all die kleinen Pubs und Läden, die malerischen Häuser und schnittigen Boote nur von ihrem eigentlichen Ziel ablenken.

Als hätte sie seine Gedanken erraten, fragte Simone: »Willst du lieber zurückgehen?«

Er nickte. Im Schlaf verging die Nacht schneller.

Henri erwachte in der Dunkelheit ohne jedes Zeitgefühl. Das betraf nicht nur die Stunde, sondern auch das Jahr. Im Dämmerschlaf grübelte er, auf welcher Route sie sich eigentlich befanden. Waren sie rechtsrum oder linksrum gefahren? Ging es die rote Route nach Kaliningrad? Oder waren sie auf dem Weg in den Westen? Allmählich sickerte die Erkenntnis zu ihm hindurch, dass er nicht im harten Doppelstockbett seiner Zweimannkabine lag. Die monotonen Verdrängungsgeräusche des Wassers und die schwankenden Bewegungen fehlten. Er wollte sich aufsetzen, aber die durchgelegene Matratze gab nach.

Neben ihm flammte der kleine Bildschirm eines Telefons auf und tauchte Simones Gesicht in bläuliches Licht. Henri erkannte das schäbige Hotelzimmer. Es war fünf Uhr, und sein Puls raste.

»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie gähnend und streckte sich. Er brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Sie legte die Hand auf seine Wange, und die Wärme beruhigte seinen Herzschlag. Prüfend blickte sie ihn an und musste lachen. »Na los«, sagte sie. »Lass uns aufstehen. Wir gehen zum Hafen.«

Wenig später verließen sie das Hotel. Es war noch dunkel und kalt. Sie hatten Ferngläser dabei, und Simone zog fröstelnd den Reißverschluss ihrer Wetterjacke höher. Sie setzten sich auf eine Bank am Kai und beobachteten, wie der blassrote Streifen am Horizont breiter wurde. Der Himmel zerfloss in Grautönen. Inzwischen konnten sie die Umrisse der Insel erkennen, die mitten in dem alten Naturhafen aus dem Wasser wuchs. Ein Schwarm kreischender Uferschnepfen stob aus den Baumwipfeln hoch. Brandseeschwalben fingen im Sturzflug unsichtbare Insekten.

Allmählich erwachte hinter ihnen der kleine Ort zum Leben. Mit metallischem Rattern wurden Rollläden hochgezogen, Radfahrer verschafften sich klingelnd Platz, und ein Motorrad knatterte vorbei. Ein junger Angestellter zerrte Blechstühle vor ein Straßencafé.

»Willst du frühstücken?«, fragte Simone. »Soll ich uns einen Kaffee holen?«

Henri schüttelte den Kopf. Gebannt starrte er zur Hafenmündung, als wäre er ein Zauberer, der allein mit der Kraft seiner Gedanken das Schiff zum Erscheinen bringen könnte. Ab und zu kehrte ein Fischerboot zurück, das in der Nacht Krabben gefangen hatte.

Und dann tauchte in der Ferne ein dunkler Schatten auf, verschwommen und flimmernd, wie eine Fata Morgana. Das war keine von den kleinen Yachten.

Vor Aufregung ging Simones Atem schneller. Der Schatten wurde größer, und seine Umrisse waren nun deutlicher zu erkennen. Henri zog das Fernglas unter der Jacke hervor und blickte hindurch.

»Das ist sie!«, rief er, und die Stimme des kräftigen Mannes, der wirkte, als könnte ihn nichts erschüttern, klang plötzlich brüchig.

Das Schiff, das sich gemächlich näherte, war die Astoria, das älteste noch fahrende Passagierschiff der Welt. Inzwischen gehörte es zur Flotte einer britischen Reederei. Unter so vielen Namen war sie gefahren, aber für Simone und Henri würde sie immer die Völkerfreundschaft bleiben, das erste Kreuzfahrtschiff der Deutschen Demokratischen Republik. Vor über vierzig Jahren hatten sie sich darauf kennengelernt. Es war ihr Schiff. Und es hatte ihr Schicksal bestimmt.

Seit Ewigkeiten sparte Henri auf diese Kreuzfahrt. Er hatte sich genau ausgerechnet gehabt, was er jeden Monat zurücklegen musste, um sich diesen Luxus leisten zu können. Er hatte aufgehört zu rauchen, nur noch gelegentlich und in Gesellschaft Bier getrunken, auf Süßigkeiten verzichtet und den Sportkanal gekündigt. Nach seiner Berechnung wäre es im Jahr 2020 so weit gewesen. Und dann war sein Vater gestorben und hatte ihm etwas Geld hinterlassen. Nicht viel, aber genug, um deutlich früher als gedacht zu dieser Reise aufbrechen zu können.

Begleitet von einem Lotsenboot bewegte sich die Astoria auf den South Quay zu, einen langen Tiefwasserkai. Allmählich fanden sich weitere Schaulustige ein, die das größte Kreuzfahrtschiff sehen wollten, das bisher in den Hafen von Poole eingelaufen war.

Fast konnte man meinen, dass die Astoria auf dem Wasser stillstand. Ihr schlanker Körper, der dunkelblaue Rumpf und der weiße Decksaufbau verliehen ihr eine zeitlose Eleganz. Mit ruhiger Gelassenheit näherte sie sich, wie eine Hoheit, die es nicht nötig hat, sich abzuhetzen.

Henri hatte...

Erscheint lt. Verlag 28.1.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Anne Rabe • Astoria • Brigitte Riebe • Charlotte Gneuß • DDR • Die Möglichkeit von Glück • Die Sehnsucht nach Licht • Elternhaus • Familiengeschichte • Familienroman • Flucht DDR • Frauenroman • Frauenromane ab 50 • Generationen • Gittersee • Kreuzfahrtschiff • Ostdeutschland • Sandra Lüpkes • Schicksal • Schiff • Schifffahrt • Schiffsreise • Stockholm • Unterhaltungsliteratur • Unterhaltungsroman • Ute Mank • Völkerfreundschaft • Was uns erinnern lässt • Wo wir Kinder waren
ISBN-10 3-7499-0802-8 / 3749908028
ISBN-13 978-3-7499-0802-8 / 9783749908028
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