Medium Sagazeit (eBook)
392 Seiten
Narr Francke Attempto Verlag
9783381105236 (ISBN)
Ellen E. Peters war Mitarbeiterin am Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) 'Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen. Historische Perspektiven' (NCCR 'Mediality') an der Universität Zürich und promovierte an der Universität Basel.
Ellen E. Peters war Mitarbeiterin am Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) "Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen. Historische Perspektiven" (NCCR "Mediality") an der Universität Zürich und promovierte an der Universität Basel.
VorwortVorbemerkungen1 Einleitung1.1 Die Íslendingasögur - bedeutungsvolle Vergangenheit1.2 Die ,postklassische' Íslendingasaga: Forschungsstand1.3 Überlieferung, Datierung und Klassifizierung1.4 Die spätmittelalterlichen Íslendingasögur im oral-written continuum1.5 Die Íslendingasögur als kulturelle Texte1.6 Zielsetzung und MethodikTeil I: Íslendingasögur und kulturelles Gedächtnis2 Theoretische Grundlagen2.1 Die Íslendingasaga als kulturelle Textgattung2.2 Die Íslendingasögur im Kontext der Sagaliteratur2.3 Die Wahrheit der Íslendingasögur2.4 Die isländische Ursprungszeit im Wandel3 Rezeptions- und Forschungsgeschichte: Die Íslendingasögur im Wandel der Jahrhunderte3.1 Die spätmittelalterliche Gedächtniszeit3.2 Die Frühneuzeit: Aufleben der Erinnerung an die Sagazeit und neues Selbstverständnis3.3 Die späte Frühneuzeit: Die Íslendingasögur zwischen Tradition und Neubewertung3.4 Die Íslendingasögur in der Moderne: Zwei Wege der Rezeption3.5 Zusammenfassung und Implikation der SystemtheorieTeil II: Íslendingasögur und Systemtheorie4 Theoretischer Hintergrund4.1 Einführende Zusammenfassung zentraler Elemente der Systemtheorie4.2 Von Aufzeichnung zu Kommunikation: Schrift im mittelalterlichen Island4.3 Die Medialität der Sagazeit4.4 Bedingungen der Medialität5 Textanalysen: Mediale Vergegenwärtigung in den spätmittelalterlichen Íslendingasögur5.1 Identifikation und Abgrenzung durch Personifikation5.2 System und Umwelt5.3 Textlandschaften6 Resümee und AusblickAbstract & KeywordsLiteraturverzeichnisNamens- und Werkregister
Teil I:Íslendingasögur und kulturelles Gedächtnis
2Theoretische Grundlagen
2.1Die Íslendingasaga als kulturelle Textgattung
So allgegenwärtig die traditionelle Gattungseinteilung im Zusammenhang mit der isländischen Sagaliteratur ist, so rege wird sie seit einigen Jahrzehnten auch diskutiert.1 Im Falle der Íslendingasögur krankt die bisherige Gattungsdefinition wie dargestellt nicht zuletzt auch daran, dass sie die ‚postklassischen‘ Werke nicht integriert, sondern separiert und sie nicht als vollwertige Mitglieder der Gattung anerkennt. Als distinktive literarische Gattung lassen sich die Íslendingasögur wie auch die anderen Textgruppen der Sagaliteratur zudem nicht exakt definieren, sondern lediglich als Subgattung der Gattung Saga.2 Ausgehend von der Feststellung, dass es sich bei den Íslendingasögur um kulturelle Texte handelt, ist, wie einleitend bereits skizziert, eine Gattungsdefinition möglich, die diesen Status der Texte zur Grundlage einer Textsortenbildung macht und damit auch dem Eindruck eines „tacit agreement among saga writers that their literary technique was applicable only to the period 950–1050 in Iceland“ (Andersson 1964: 113) Rechnung trägt.3 Sie fokussiert nicht auf die literarische Gestalt der Texte, sondern auf ihre kulturellen Entstehungshintergründe und zieht textexterne Merkmale zu ihrer Beschreibung heran, indem sie Kommunikationssituation und -zweck miteinbezieht und ausgehend vom Interpretationsrahmen der Gattung ihre Abgeschlossenheit definiert.4 Die Einheit, die sämtliche Íslendingasögur bilden, ist dementsprechend keine eigenständige literarische Gattung, wohl aber eine distinktive kulturelle Textgattung, die durch für sie charakteristische Erinnerungsfiguren bestimmt werden kann. Erinnerungsfiguren sind, wie Jan Assmann (1992: 37–40) aufzeigt, raum-, zeit- und identitätskonkret, d.h. gebunden an einen bestimmten Raum, eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Gruppengedächtnis. Allen Íslendingasögur ist gemeinsam, dass sie auf Island (sowie zusätzlich in Norwegen und weiteren mit Island zur Wikingerzeit in Kontakt stehenden Ländern) im Zeitraum vom ausgehenden 9. Jh. bis in die Mitte des 11. Jh.s – der sog. söguöld – angesiedelt sind und auf die sich mit der Besiedelung Islands dort neu formierende Gemeinschaft und ihre frühe Entwicklung fokussieren. Sie verbinden die drei für die sich etablierende Gesellschaft zentralen Erinnerungsfiguren Auswanderung, Besiedelung und Christianisierung und erinnern zusammen mit Íslendingabók und Landnámabók die Ursprungszeit der Isländer. Die Erinnerung an eine Ursprungszeit teilen wie angesprochen alle Erinnerungsgemeinschaften. In rein mündlichen Gesellschaften nimmt sie die Form einer absoluten Vergangenheit an und bringt ein zyklisches Zeitverständnis zum Ausdruck, während sich in Gesellschaften, die über Schrift verfügen, allmählich ein lineares Zeitverständnis und damit eine historische Vergangenheit etabliert (dazu Fried 2004: 218–222, Assmann 1992: 75–78). Die Íslendingasögur stellen dementsprechend eine spezifisch isländische historische Ursprungszeit dar. Ihr gemeinsamer Raum-, Zeit- und Gruppenbezug macht sie zu einer eigenständigen Gattung kultureller Texte. Nicht aufgrund formaler oder inhaltlicher Kriterien sind die Texte als Einheit zu verstehen, die sich eindeutig von anderen Textgruppen unterscheiden lässt, sondern aufgrund ihrer spezifischen Funktion im kollektiven Gedächtnis, die sich anhand von Universalien kulturellen Erinnerns bestimmen lässt.
Die handschriftliche Überlieferung reflektiert diese Einheit wie eingangs angesprochen in Form von Sammelhandschriften wie Möðruvallabók und Vatnshyrna, die ausschließlich Íslendingasögur, klassische als auch ‚postklassische‘, beinhalten (vgl. Clunies Ross 1998: 103–113). Eine spezifische Bezeichnung für die Íslendingasögur findet sich gleichwohl nur einmal in einem mittelalterlichen Pergament, und zwar in der ältesten Handschrift der Gunnlaugs saga, der (für den entsprechenden Teil) auf die erste Hälfte des 14. Jh.s datierten Holm. Perg. 18 4to. In dieser wird die Saga in der Überschrift auf Ari inn fróði zurückgeführt und so indirekt zu den landnámssögur (Landnahmesagas) gerechnet: „Saga þeira Hrafns ok Gunnlaugs ormstungu, eptir því sem sagt hefir Ari prestr inn fróði Þorgilsson, er mestr fræðimaðr hefir verit á Íslandi á landnámssǫgur ok forna fræði“ (ÍF III: 51).5 Die Landnahme selbst wird in der Gunnlaugs saga allerdings nicht behandelt. Im Gegensatz zu den Íslendingasögur mit norwegischer Vorgeschichte setzt die Saga deutlich nach der in der Íslendingabók genannten Landnahmeperiode ein und ist in der Zeit um die Christianisierung angesiedelt. Die Bezeichnung landnámssögur scheint hier in einem umfassenderen kulturellen Sinn gebraucht und auch die Aneignung des Landes durch eine Semiotisierung der Landschaft, wie sie die Íslendingasögur vornehmen, miteinzubeziehen.6 Als zeitgenössischer Überbegriff für sämtliche narrativen Texte, die im Sinne einer kulturellen Textgattung die isländische Ursprungszeit thematisieren, erscheint landnámssögur sehr wahrscheinlich, wiewohl offen bleiben muss, wie verbreitet er tatsächlich war.7 Dementsprechend ist die Íslendingasaga (mit der hier vorgeschlagenen Erweiterung um Íslendingabók, Landnámabók sowie die Íslendingaþættir) als moderne analytische Kategorie durchaus kongruent mit der ethnischen Kategorie, die von der Angehörigen der mittelalterlichen isländischen Kultur wahrgenommen wurde.8
Während die aktuelle Forschung zwischen der landnámsöld (Landnahmezeit) und der gemeinhin als söguöld (Sagazeit) bezeichneten Haupthandlungszeit der Íslendingasögur unterscheidet,9 umfasst die Ursprungszeit im kulturellen Gedächtnis des Mittelalters landnámsöld und söguöld, wie sowohl die Landnámabók als auch die Íslendingasögur zum Ausdruck bringen: Die Landnámabók verweist nicht selten auf die Zeit nach Gründung des Althing, insbesondere auf die Christianisierung, zudem berichten zahlreiche Íslendingasögur auch explizit von der Landnahme. Elaborierte narrative Vergangenheitskonstruktionen in Form der Íslendingasögur konzentrieren sich auf die zweite Phase der Ursprungszeit, in ihrem Raum-, Zeit- und Gruppenbezug unterscheiden sie sich jedoch nicht von der Landnámabók und auch der Íslendingabók. Definiert man die Íslendingasögur als kulturelle Textgattung, deren Einheit auf der Konstruktion einer spezifischen Identität gründet, sind entsprechend auch Landnámabók und Íslendingabók einzuschließen. Auch diese Werke, die in Abgrenzung zu den Íslendingasögur oftmals als ‚historisch‘ bezeichnet werden, konstruieren spezifisch isländische Ursprünge und fundieren damit die sich mit der Besiedelung neu etablierende Gemeinschaft (Hermann 2010).10 In dieser Funktion gehen sie den Íslendingasögur voran und begründen so das fiktionale Universum, das diese ausgestalten. Sowohl die Íslendingabók als auch die mutmaßliche erste Fassung der Landnámabók entstehen im ersten Viertel des 11. Jh.s und damit zu der Zeit, in der auch die Christianisierung nicht mehr in den Zeitrahmen des kommunikativen Gedächtnisses fällt. Mit ihnen etabliert sich eine neue Form des kulturellen Erinnerns in Form von Geschichtsschreibung. Der allmähliche Übergang von Erinnerungen an denkwürdige Ereignisse für die sich auf Island etablierende Gemeinschaft vom kommunikativen in das kulturelle Gedächtnis beginnt jedoch schon vor Annahme der lateinischen Schrift, wie Formen spezialisierter Tradition wie die hochgradig geformten Skaldenstrophen mit ihren symbolisch codierten Kenningar verdeutlichen.11 Erst im Medium der Schrift wird diese Ursprungszeit jedoch zu einer klar strukturierten Einheit im kulturellen Gedächtnis. Íslendingabók und Landnámabók gründen auf mündlichen Traditionen, sind jedoch selbst nicht fixierte mündliche Überlieferung, sondern eindeutig Schriftwerke (Glauser 2010: 313–314). Insbesondere die Íslendingabók als erster in der Volkssprache verfasster Text, der eine zusammenhängende historische Vergangenheit für die Isländer konstruiert, macht deutlich, dass das sich entwickelnde isländische Selbstbewusstsein nicht nur in der mündlichen Überlieferung gründet, sondern von Anfang an von literarischen Modellen beeinflusst war (dazu Hermann 2005: 78–82). Die Landnámabók nimmt ihren Anfang ebenfalls als gelehrtes Projekt, das mündliche Überlieferung integriert (Adolf Friðriksson/Orri Vésteinsson 2003: 54), gibt sich jedoch offenkundiger als die Íslendingabók als kultureller Text zu erkennen, indem sie am Fließen der Erinnerung im mittelalterlichen oral-written continuum partizipiert und in diesem beständig aktualisiert wird.12 Doch auch die Íslendingabók ist nicht der historiographische Text, als der sie...
| Erscheint lt. Verlag | 8.4.2024 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Beiträge zur nordischen Philologie |
| Verlagsort | Tübingen |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Literaturwissenschaft |
| Schlagworte | Isländersaga • Kulturelles Gedächtnis • Medialität • Rezeptionsgeschichte • Spätmittelalter |
| ISBN-13 | 9783381105236 / 9783381105236 |
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