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Moderne Philosophiedidaktik -

Moderne Philosophiedidaktik (eBook)

Basistexte
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
229 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-4561-8 (ISBN)
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Dieses Buch zeigt in umfassender Weise das ganze Spektrum an Ansätzen in der modernen Philosophie-Didaktik. Neben den beiden »klassischen« Texten von Immanuel Kant (?selber denken?) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (?nach-denken?) sind (nahezu) alle Ansätze versammelt, die seit der berühmten Martens-Rehfus-Debatte in den Siebzigerjahren das Feld der Didaktik der Philosophie bereichert haben. Insgesamt werden 16 neue Ansätze vorgestellt: der konstitutive Ansatz von Ekkehard Martens, der bildungstheoretisch-identitätstheoretische von Wulf D. Rehfus, der lerntheoretische von Karl Leeuw und Pieter Mostert, der transformative von Johannes Rohbeck, der dialektische von Roland Henke, der sokratische von Gisela Raupach-Strey, der kulturtechnische von Ekkehard Martens, der literarische von Johannes Rohbeck, der narrative von René Torkler, der kompetenzorientierte von Anita Rösch, der kulturphilosophische von Volker Steenblock, der kanonische von Vanessa Albus, der problemorientierte von Markus Tiedemann, der wissenschaftstheoretische von Bettina Bussmann sowie der experimentelle von Markus Bohlmann. Die Herausgeber, Martina und Jörg Peters, führen in die unterschiedlichen Ansätze ein und zeigen deren Bedeutung für das unterrichtliche Geschehen auf. Das Buch schließt mit einem Literaturverzeichnis, in dem eine Übersicht über die aktuelle didaktische Landschaft gegeben wird.

Der dialogisch-pragmatische Ansatz


Ekkehard Martens

Der Methode kommt im Philosophieunterricht ein Primat zu. Damit soll keine Beliebigkeit der Inhalte behauptet werden, sondern die Inhalte sollen durch das methodische Vorgehen gerade aus der bloßen Beliebigkeit in eine von allen Beteiligten durchschaubare und akzeptable, zumindest überprüfbare Form gebracht werden. Somit könnte die Entfremdung von Wissenden und Gewusstem aufgehoben werden. Die Methode der dialogischen Rechtfertigung zur Ermittlung des Wissenswerten muss nicht nur auf der Planungsebene angewandt, sondern vor allem im Unterricht selbst vollzogen werden, jedenfalls wenn man Philosophie als problemorientierten Verständigungsprozess praktizieren möchte.

Die Einheit der drei Dialogmethoden


Philosophieunterricht als Vermittlung von Subjektivität und Objektivität, Emotionalität und Rationalität verbietet sowohl einen bloßen Nachvollzug von Vorgegebenem als auch eine bloße Reproduktion des Ausgangsnichtwissens der Beteiligten. Das dialogische Prinzip muss daher als Einheit von drei dialogischen Momenten praktiziert werden: als offenes Unterrichtsgespräch zur Klärung der eigenen Interessen und Vormeinungen, als Hinzuziehen von Dialogpartnern durch das Zuhören bzw. Lesen von Texten und schließlich als Realisierung des dabei erhaltenen Dialogangebots durch Rückfragen, Reformulierung und Problematisieren. Dieser Dreierschritt, eine dialektische Spiralbewegung, ist prinzipiell unabgeschlossen und hat keinen fixierbaren Anfang und Abschluss, sondern er ist situativ verschieden anzusetzen.

Bei aller Flexibilität im Methodeneinsatz kann der dialogische Dreierschritt jedoch als Strukturierungs- und Rechtfertigungshilfe für die jeweilige didaktische Situation dienen. Vor allem kann er einige Scheingegensätze überwinden, etwa Textarbeit versus Unterrichtsgespräch, Ganzschriften versus Textauszüge, Selbstdenken versus Nachvollzug. Abzulehnen ist ferner eine bloß scheinbare Dialogbewegung, bei der etwa das freie Unterrichtsgespräch lediglich zum »Dampfablassen« oder als motivationaler »Aufhänger« dient, während »der Text« dann die eigentliche Lösung bringt. Umgekehrt muss auch ein Bruch zwischen beiden Phasen vermieden werden, indem etwa die Textinterpretation in ihrer Bedeutung für den gemeinsamen Problemlösungsprozess nicht gesehen oder sogar als störend empfunden wird. Die drei Dialogmomente sollen nun nacheinander genauer entfaltet werden.

Der offene Dialog (1) folgt der Maxime des Selbstdenkens, die Kant in seiner Vorlesungsankündigung von 1765/66 folgendermaßen definiert: »Kurz, er (der Philosophiestudent, E. M.) soll nicht Gedanken, sondern denken lernen; man soll ihn nicht tragen, sondern leiten, wenn man will, dass er in Zukunft von sich selbsten zu gehen geschickt sein soll.«1 Diese Maxime führt Kant in seiner Anthropologie-Schrift näher aus: »1) Selbst denken. 2) Sich (in der Mitteilung mit Menschen) in die Stelle jedes anderen zu denken.« Das erste Prinzip nennt er die »zwangsfreie«, das zweite die »liberale, sich den Begriffen anderer bequemende Denkungsart«, die er drittens mit der »konsequenten (folgerechten)« verbindet: »3) Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken.« Zusammen ergibt sich daraus die »wichtigste Revolution im Innern des Menschen« als Ausgang von der eigenen Erfahrung.2

Dem offenen Dialog widerspricht keineswegs eine gelenkte Gesprächsführung (Kant: erotematisch-katechetische Lehrart), wenn man nicht die von Nelson aufgelöste pädagogische Paradoxie von angestrebter und vorausgesetzter Autonomie durch heteronome Hilfestellung einfach ignorieren will. Dem gleichberechtigten partnerschaftlichen Gespräch (Kant: erotematisch-dialogische Lehrart) sind in der Schule nicht nur durch den Entwicklungsstand der Schüler Grenzen gesetzt, sondern auch durch die institutionellen Vorgaben, etwa den Zwang zu überprüfbaren Lernerfolgen und die Notengebung. Dennoch ist seine Idee als Handlungsmaxime für die Entwicklung der Schüler zum Selbstdenken wirksam.3

Autonomiefähigkeit ist nicht nur auf den rationalen Bereich als Bildung eines eigenen Urteils beschränkt, sondern beinhaltet auch die vor- oder nicht-bewussten emotionalen Bereiche des »Selbst«. Autonomiefähigkeit als Ziel des Philosophieunterrichts ist daher nicht ohne Kreativität erreichbar, die als »Beliebigkeit« des »freien Unterrichtsgesprächs« einen systematischen Ort im Prozess der Selbstfindung hat. Sie beugt der Gefahr vor, nur bestimmte, »orthosprachlich« normierte Aussagen oder »vernünftige Gedanken« zuzulassen. In Kants Aufklärungsmaxime ist vom »Mut«, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, die Rede. Dieser Mut sollte den Schülern nicht durch die Verpflichtung auf eine Denk- und Sprechdisziplinierung der akademisch geschulten Lehrenden genommen oder als zweifellos bereits vorhandene Angst der Artikulation auch noch verstärkt werden. Ein derartiger Dialog wäre nicht »sanktionsfrei« (Kambartel). Vielmehr muss das Eigenrecht der umgangssprachlichen Kommunikationsformen mit ihren latenten Denk- und Handlungsmustern im Philosophieunterricht von allen Beteiligten ausgeübt werden, etwa im Durchspielen von Denkmöglichkeiten oder im »ungeschützten« Sprechen. Nur so werden alternative Möglichkeiten des »Selbstdenkens« sichtbar: »Ein Lernen, in welchem Bewusstsein nur geübt, bereichert und vervollkommnet, aber nicht neues Bewusstsein hervorgebracht wird, erfüllt nicht seinen Sinn«.4 Den besonderen Wert der sokratischen Aporie sieht Krings in ihrer Provokation zur Kreativität. Kreative Einfälle müssen sich jedoch im Zusammenspiel mit anderen Handlungs- und Kommunikationspartnern bewähren, sollen sie nicht zu einer »Methode der Autorität« zur Festlegung gemeinsamer Überzeugungen umschlagen. An dieser Stelle wäre die Autonomiefähigkeit auch des Einzelnen gefährdet. Daher ist die Beliebigkeit der ersten Einfälle, die bereits unter der Minimalbedingung der Verständlichkeit für andere steht, mit dem Prinzip der dialogischen Überprüfbarkeit zu verbinden. Beide Prinzipien zusammen aber sind unverzichtbar.

Die Stelle, an der ein Übergang vom offenen Dialog zum Nachvollzug (2) eines vorgegebenen Gedankenganges in Form von Textlektüre oder als Zuhören bei einem Referat zu geschehen hat, lässt sich nicht vorweg markieren. Es bleibt der jeweiligen didaktischen Situation vorbehalten festzustellen, wann alle Argumente der Lerngruppe erschöpfend genannt und diskutiert wurden, so dass zum Weiterkommen eine »Expertenbefragung« nützlich sein könnte. Zum Übergang müssen die gesammelten Argumente und die genaue(n) Frage(n) für das Zuhören deutlich gemacht werden. Nur durch eine derartige Forderung kann »der philosophische Verfasser, den man etwa bei der Unterweisung zum Grunde legt, nicht wie das Urbild des Urteils, sondern nur als eine Veranlassung, selbst über ihn, ja sogar wider ihn zu urteilen, angesehen werden«, wie Kant gegen die zeitgenössische Handbuch-Methode in seiner Vorlesungsankündigung von 1765/66 fordert.5 Der »innere Dialog in der Seele«6 als Mitdenken des Zuhörers oder Lesers setzt jedoch einen »dialogischen Monolog« voraus, einen argumentativen, überprüfbaren Aufbau und eine verständliche Sprache. Nach Adorno ist der nachzuvollziehende Monolog sogar das Moment der Andersheit, an der sich die bloße Subjektivität dialektisch abarbeiten muss: »Zu interpretierende und zu kritisierende Texte stützen darum unschätzbar die Objektivität des Gedankens«.7

Als Minimalanforderungen an die Verständlichkeit eines geschriebenen oder gesprochenen Textes kann man verlangen, dass sachlich unangemessene Sprachschwierigkeiten wie verschachtelter Satzbau, unübersichtliche Gliederung, überflüssige und unbekannte Fremdwörter sowie ein bildungssprachliches Vorwissen mit undefinierten »großen Worten«, Eigennamen und ganzen Theorieansätzen vermieden werden sollten.8 Die Verständlichkeitsforderung ist keineswegs mit der Forderung nach »didaktischer Rücksichtnahme«9 zu verwechseln, einer ungerechtfertigten Anpassung an bequemes Denken. Denn die Schwierigkeiten in der Wiedergabe philosophischer Gedankengänge kann man nicht beliebig verringern.10 In der Philosophie lässt sich die Sache nicht von ihrer Darstellung trennen, wie Josef König in seinem Aufsatz »Das spezifische Können der Philosophie als εὖ λέγειν« darlegt: Der philosophische Gegenstand ist immer schon sprachlich vermittelt. Daraus folgt für die...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-7873-4561-2 / 3787345612
ISBN-13 978-3-7873-4561-8 / 9783787345618
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