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Der Existentialismus ist ein Humanismus (eBook)

Und andere philosophische Essays 1943 - 1948
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01884-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Existentialismus ist ein Humanismus -  Jean-Paul Sartre
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Kaum ein Text Sartres trug so sehr zur Verbreitung seines Denkens bei wie 'Der Existentialismus ist ein Humanismus', doch kaum einer war zugleich so vielen Mißverständnissen ausgesetzt. Er gehört zu den wenigen, von denen sich Sartre später distanzierte. Weiterhin enthalten: 'Materialismus' und Revolution', der Sartres Gegensatz zum zeitgenössischen dogmatischen Marxismus bezeugt. Eine adäquate Zusammenfassung seines damaligen Denkens, wie es in «Das Sein und das Nichts» seinen systematischen Ausdruck gefunden hat, bietet Sartres Vortrag «Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis».

Geboren am 21.06.1905, wuchs er nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahre 1906 bis zur Wiederheirat seiner Mutter im Jahre 1917 bei seinen Großeltern Schweitzer in Paris auf. 1929, vor seiner Agrégation in Philosophie, lernte er seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennen, mit der er eine unkonventionelle Bindung einging, die für viele zu einem emanzipatorischen Vorbild wurde. 1931-1937 war er Gymnasiallehrer in Philosophie in Le Havre und Laon und 1937-1944 in Paris. 1933 Stipendiat des Institut Français in Berlin, wo er sich mit der Philosophie Husserls auseinandersetzte.Am 02.09.1939 wurde er eingezogen und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er 1941 mit gefälschten Entlassungspapieren entkam. Noch 1943 wurde unter deutscher Besatzung sein erstes Theaterstück «Die Fliegen» aufgeführt; im selben Jahr erschien sein philosophisches Hauptwerk «Das Sein und das Nichts». Unmittelbar nach dem Krieg wurde Sartres Philosophie unter dem journalistischen Schlagwort «Existenzialismus»zu einem modischen Bezugspunkt der Revolte gegen bürgerliche Lebensformen. 1964 lehnte er die Annahme des Nobelpreises ab. Zahlreiche Reisen führten ihn in die USA, die UdSSR, nach China, Haiti, Kuba, Brasilien, Nordafrika, Schwarzafrika, Israel, Japan und in fast alle Länder Europas. Er traf sich mit Roosevelt, Chruschtschow, Mao Tse-tung, Castro, Che Guevara, Tito, Kubitschek, Nasser, Eschkol. Sartre starb am 15.4.1980 in Paris.Auszeichnungen: Prix du Roman populiste für «Le mur» (1940); Nobelpreis für Literatur (1964, abgelehnt); Ehrendoktor der Universität Jerusalem (1976).

Geboren am 21.06.1905, wuchs er nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahre 1906 bis zur Wiederheirat seiner Mutter im Jahre 1917 bei seinen Großeltern Schweitzer in Paris auf. 1929, vor seiner Agrégation in Philosophie, lernte er seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennen, mit der er eine unkonventionelle Bindung einging, die für viele zu einem emanzipatorischen Vorbild wurde. 1931-1937 war er Gymnasiallehrer in Philosophie in Le Havre und Laon und 1937-1944 in Paris. 1933 Stipendiat des Institut Français in Berlin, wo er sich mit der Philosophie Husserls auseinandersetzte. Am 02.09.1939 wurde er eingezogen und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er 1941 mit gefälschten Entlassungspapieren entkam. Noch 1943 wurde unter deutscher Besatzung sein erstes Theaterstück «Die Fliegen» aufgeführt; im selben Jahr erschien sein philosophisches Hauptwerk «Das Sein und das Nichts». Unmittelbar nach dem Krieg wurde Sartres Philosophie unter dem journalistischen Schlagwort «Existenzialismus»zu einem modischen Bezugspunkt der Revolte gegen bürgerliche Lebensformen. 1964 lehnte er die Annahme des Nobelpreises ab. Zahlreiche Reisen führten ihn in die USA, die UdSSR, nach China, Haiti, Kuba, Brasilien, Nordafrika, Schwarzafrika, Israel, Japan und in fast alle Länder Europas. Er traf sich mit Roosevelt, Chruschtschow, Mao Tse-tung, Castro, Che Guevara, Tito, Kubitschek, Nasser, Eschkol. Sartre starb am 15.4.1980 in Paris. Auszeichnungen: Prix du Roman populiste für «Le mur» (1940); Nobelpreis für Literatur (1964, abgelehnt); Ehrendoktor der Universität Jerusalem (1976).

Ein neuer Mystiker


I


Der Essay befindet sich in einer Krise. Eleganz und Klarheit scheinen zu verlangen, daß wir in solchen Werken eine noch totere Sprache als das Lateinische verwenden: die Sprache Voltaires. Ich habe das früher schon im Zusammenhang mit Der Mythos des Sisyphos bemerkt.[1] Aber wenn wir unsere heutigen Gedanken in einer gestrigen Sprache auszudrücken suchen, wie viele Metaphern, wie viele Umschreibungen, wie viele ungenaue Bilder ergeben sich dann: man fühlt sich in die Zeit des Abbé Delille zurückversetzt. Manche Schriftsteller wie Alain und Paulhan versuchen mit Worten und Zeit sparsam umzugehen, durch zahlreiche Ellipsen die üppigen und blumigen Ausführungen, die dieser Sprache eigen sind, zu straffen. Aber welche Unklarheit entsteht dann! Alles ist mit einem ärgerlichen Firnis überzogen, dessen Spiegelungen die Gedanken verdecken. Der zeitgenössische Roman hat mit den amerikanischen Autoren, mit Kafka, bei uns mit Camus seinen Stil gefunden. Der Stil des Essays muß noch gefunden werden. Und auch der Stil der Kritik, wie ich meine; denn ich verkenne beim Schreiben dieser Zeilen nicht, daß ich ein veraltetes Instrument benutze, das die akademische Tradition bis heute bewahrt hat.

Deshalb muß man ganz besonders auf ein Werk wie das von Georges Bataille aufmerksam machen, das ich einen Märtyrer-Essay nennen möchte (und der Autor autorisiert mich dazu, da in seinem Buch so oft von Marterqualen die Rede ist). Bataille gibt zugleich die eisige Sprechweise der Schöngeister von 1780 und, was auf das gleiche hinausläuft, die Objektivität der Klassiker auf. Er entblößt, er zeigt sich, er hat keine feinen Manieren. Kommt er auf das menschliche Elend zu sprechen, dann sagt er: seht hier meine Geschwüre und meine Wunden. Und dann öffnet er seine Kleider. Doch er beabsichtigt keine lyrische Wirkung. Wenn er sich selbst enthüllt, dann nur, um etwas zu beweisen. Kaum hat er uns seine jämmerliche Nacktheit erblicken lassen, da hat er sich schon wieder verhüllt, und wir philosophieren mit ihm über das System Hegels oder das cogito Descartes’. Plötzlich bricht die Beweisführung, und wieder erscheint der Mensch. «Ich könnte sagen», schreibt er etwa, mitten in einem Gedankengang über Gott, «(daß) dieser Haß die Zeit ist, aber das geht mir gegen den Strich. Warum sollte ich die Zeit sagen? Ich spüre diesen Haß, wenn ich weine, aber ich analysiere nichts.»

Freilich hat diese Form, die so neu scheint, bereits eine Tradition. Der Tod hat die Gedanken Pascals davor bewahrt, als ausgesprochene und farblose Apologie abgefaßt zu werden; er hat sie uns in ihrer Unordnung überliefert, hat ihren Verfasser getroffen, noch bevor er sich knebeln konnte, und sie damit zum Muster der Gattung gemacht, die uns hier beschäftigt. Und ich finde bei Bataille so manchen Zug Pascals wieder, insbesondere jene fieberhafte Verachtung und den Willen zur raschen Formulierung, worauf ich noch zu sprechen komme. Er selbst aber bezieht sich ausdrücklich auf Nietzsche. Und tatsächlich scheinen manche Seiten von L’Expérience intérieure mit ihrer nach Atem ringenden Unordnung, ihrer leidenschaftlichen Symbolik, ihrem prophetischen Predigerton dem Ecce Homo oder dem Willen zur Macht entsprungen zu sein. Außerdem hat Bataille dem Surrealismus nahegestanden, und niemand hat so sehr wie die Surrealisten die Gattung des Märtyrer-Essays gepflegt. Die ausgreifende Persönlichkeit Bretons fühlte sich darin wohl: im Stil von Charles Maurras begründete er kühl die Überlegenheit seiner Theorien, und dann erzählte er plötzlich von sich selbst bis in die kindischsten Einzelheiten seines Lebens hinein, zeigte Fotos von den Restaurants, wo er gegessen hatte, von dem Laden, wo er seine Kohlen kaufte. Dieser Exhibitionismus entsprang dem Bedürfnis, alle Literatur zu vernichten, und darum wollte er auf einmal hinter den «durch die Kunst nachgeahmten Monstren» das wirkliche Monstrum erscheinen lassen; sicherlich entsprang er auch einer Vorliebe für Skandalöses, vor allem aber einer Vorliebe für unmittelbare Zugänglichkeit. Das Buch sollte zwischen Autor und Leser eine Art körperlicher Promiskuität herstellen. Schließlich sollte für diese Autoren, die darauf achteten, jedes Werk ein Wagnis bedeuten. Wie Leiris in seinem bewundernswerten Mannesalter enthüllten sie von sich, was schockieren, mißfallen, zum Lachen reizen konnte, um ihrem Werk den gefahrvollen Ernst einer wirklichen Tat zu verleihen. Die Gedanken, die Bekenntnisse, Ecce Homo, Les Pas perdus, L’Amour fou, das Traité du style, Mannesalter – in die Reihe dieser ‹leidenschaftlichen Geometrien› reiht sich L’Expérience intérieure ein.

Schon im Vorwort nämlich setzt uns der Autor davon in Kenntnis, daß er eine Synthese von «Verzückung» und «strengem intellektuellem Verfahren» herstellen, daß er die «allgemeine und strenge emotionale Erkenntnis (das Lachen)» und «die rationale Erkenntnis» zur Deckung bringen wolle. Schon das macht uns begreiflich, daß wir einen Beweisapparat mit starker affektiver Spannung vorfinden werden. Mehr noch, bei Bataille ist das Gefühl Ursprung und Ende: «Die Überzeugung», schreibt er, «entspringt nicht der Urteilskraft, sondern den Gefühlen, die sie verdeutlicht.» Man kennt die berühmten kalten und glühenden, in ihrer spitzen Abstraktion so beunruhigenden Schlußfolgerungen, wie sie die Schwärmer, die Paranoiker ziehen: ihre Schärfe ist bereits eine Herausforderung, eine Drohung, ihre verdächtige Reglosigkeit läßt eine ungebärdige Lava ahnen. So sind auch die Syllogismen Batailles: Beweise eines Redners, eines Eifersüchtigen, eines Rechtsanwalts, eines Wahnsinnigen, nicht die eines Mathematikers. Man ahnt, daß dieser Schmelzfluß mit seinen jähen Erstarrungen, die sich wieder verflüssigen, sobald man sie berührt, eine eigene Form verlangt und sich in keine Allerweltssprache gießen läßt. Bald erdrosselt, verknotet sich der Stil, um die kurzen Erstickungsanfälle der Ekstase oder der Angst wiederzugeben; das «Freude, Freude, Freudentränen» Pascals hat sein Gegenstück in Sätzen wie: «Es muß sein! Heißt das stöhnen? Ich weiß nicht mehr. Wohin will es mit mir?» usw.[2] Bald wird er durch kurzes Auflachen zerhackt, bald fließt er in ausgewogenen Perioden der Beweisführung dahin. Sätze, die einen intuitiven, im Augenblick geronnenen Genuß ausdrücken, stehen in L’Expérience intérieure neben diskursiven, die sich Zeit lassen.

Übrigens äußert sich Bataille nur ungern diskursiv. Er haßt das Diskursive und mit ihm die Sprache überhaupt. Diesen Haß, den wir neulich schon bei Camus festgestellt haben, teilt Bataille mit einer größeren Anzahl zeitgenössischer Schriftsteller. Aber er hat dafür seine eigenen Gründe: er nimmt für sich den Haß des Mystikers in Anspruch, nicht des Terroristen. Erstens ist die Sprache, so sagt er, Entwurf: der Sprecher erwartet sich am Ende des Satzes; die Rede ist Aufbau, Unternehmung; ein Achtzigjähriger, der spricht, ist ebenso wahnsinnig wie ein Achtzigjähriger, der pflanzt. Sprechen heißt sich zerreißen, das Existieren auf später verschieben, ans Ende der Rede, sich zwischen einem Subjekt, einem Verb, einem Attribut zersplittern. Bataille jedoch will als Ganzes und sofort existieren: im Augenblick. Übrigens sind die Wörter «die Instrumente nützlicher Handlungen»: wenn ich daher das Wirkliche nenne, so bedeutet das, es mit Vertrautheit zu bedecken und zu verschleiern, es auf die Stufe dessen zu stellen, was Hegel als «das Bekannte» bezeichnete: das allzu Bekannte, das unbemerkt bleibt. Die Schleier zu zerreißen und die undurchsichtige Seelenruhe des Wissens gegen die Verdutztheit des Nichtwissens zu vertauschen, dazu bedarf es eines «Sühneopfers von Worten», jenes Sühneopfers, das die Dichtung schon vollzieht: «Wenn Worte wie Pferd oder Butter in einem Gedicht verwandt werden, so sind sie praktischen Anliegen entzogen … Wenn die Magd Butter oder der Stallknecht Pferd sagt, dann kennen sie die Butter und das Pferd … Dagegen führt die Dichtung vom Bekannten zum Unbekannten. Sie vermag, was der Knecht und die Magd nicht können, nämlich ein Butterpferd zu erfinden. Auf diese Weise stellt sie uns vor das Unbegreifliche.»

Allein die Dichtung beabsichtigt nicht, ein bestimmtes Erlebnis mitzuteilen. Bataille aber muß orten, beschreiben, überreden. Die Dichtung beschränkt sich darauf, die Worte zu opfern; Bataille will uns die Gründe für dieses Opfer angeben. Und mit Worten wiederum muß er uns dazu ermahnen, die Worte zu opfern. Unser Autor ist sich dieses Zirkels vollauf bewußt. Teilweise deswegen stellt er sein Werk «jenseits der Dichtung». Daraus ergibt sich für ihn ein ähnlicher Zwang wie der, den sich etwa die Tragiker auferlegen. Wie Racine sich fragen konnte: «Wie kann man die Eifersucht, die Furcht in zwölfsilbigen Versen mit Endreim ausdrücken?» und seine Ausdruckskraft gerade aus diesem Zwang schöpfte, so fragt sich Bataille, wie sich das Schweigen mit Worten ausdrücken läßt. Vielleicht enthält dieses Problem keine philosophische Lösung; vielleicht ist es, so gesehen, nur ein einfaches Wortspiel. Aber unter dem Blickwinkel, aus dem wir es hier betrachten, erscheint es als ein ästhetisches Prinzip, das ebensogut ist wie ein anderes, als eine zusätzliche Schwierigkeit, die der Autor sich freiwillig auferlegt wie der Billardspieler, der Felder auf das grüne Tuch zeichnet. Und diese selbstgewählte Schwierigkeit verleiht dem Stil von...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2023
Übersetzer Werner Bökenkamp, Hans Georg Brenner, Margot Fleischer, Traugott König, Günther Scheel, Hans Schöneberg, Vincent von Wroblewsky
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Existenzialismus • Humanismus • Identität • Klassiker • Materialismus • Philosophie • Revolution
ISBN-10 3-644-01884-7 / 3644018847
ISBN-13 978-3-644-01884-6 / 9783644018846
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