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Ndrangheta (eBook)

Wie die mächtigste Mafia Europas unser Leben bestimmt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3072-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ndrangheta - Sanne de Boer
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Das erste Buch über die organisierte Kriminalität der mächtigsten Mafia Europas

Momentan steht sie im Rampenlicht, obwohl sie lieber im Dunkeln arbeitet: Der bisher größte Prozess gegen die 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia Europas, läuft seit Januar 2021 und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Denn: Die 'Ndrangheta ist schon lange kein rein italienisches Problem mehr, sondern betrifft ganz Europa. Und damit unser aller Leben. Von der Lebensmittelproduktion bis zur Müllentsorgung - die 'Ndrangheta hat ihre Finger im Spiel. Mit unglaublichem Mut und Durchblick gelingt es der Journalistin Sanne de Boer, das System hinter dieser äußerst raffiniert agierenden Mafia zu durchdringen, die besonders von Krisenzeiten wie der jetzigen enorm profitiert. Ein ebenso enthüllendes wie erhellendes Buch!

'Ein eindringliches Porträt der größten kriminellen internationalen Organisation der Welt.' Volkskrant.

'Ein ausgezeichnetes, mutiges und wichtiges Buch.' Bas Mesters, ehemaliger Italien-Korrespondent für NOS und das NRC Handelsblad.



Sanne de Boer, geboren 1979, ist Journalistin für zahlreiche niederländische Zeitungen, Rundfunk und TV. Seit 2006 wohnt sie in Kalabrien in Süditalien und berichtet als erste ausländische Journalistin von dort über die `Ndrangheta, die mächtigste Mafia Europas.

2.

Wer sind hier die Mafiosi?


Es war mein erster Sommer in Kalabrien, als die Nachricht um die Welt ging, dass die ’Ndrangheta in Deutschland ein Blutbad angerichtet hatte. Sechs junge Männer waren nachts vor dem Eingang eines beliebten italienischen Restaurants in Duisburg von Kugeln durchsiebt worden. Die Medien schrieben den sechsfachen Mord sofort einer Fehde zwischen ’Ndrangheta-Familien aus dem kalabresischen Dorf San Luca zu.

Ich hatte den Begriff ’Ndrangheta erst ein paarmal gehört und wusste nicht sehr viel mehr, als dass es der Name der kalabresischen Mafia war. Wenn ich meine Nachbarn danach fragte, sagten sie: »Nein, die gibt es nicht bei uns im Dorf. Die Mafia sitzt weiter im Süden.« Ich sah tatsächlich, dass San Luca, das Dorf, aus dem sowohl die Verdächtigen als auch die Opfer des Mordanschlags in Duisburg stammten, ungefähr zwei Autostunden weiter südlich lag. Warum hatten sie diesen Racheakt dann zweitausend Kilometer weiter nördlich verübt?

Die Blutrache schien für meine Nachbarn im Dorf ein vollkommen irrelevantes Thema zu sein. Wenn ich von ihrer Gleichgültigkeit ausging, war San Luca für sie fast ebenso weit entfernt wie Duisburg. Ich hätte gern mehr gewusst, musste aber Geduld aufbringen, denn mit meinen damals noch sehr begrenzten Italienischkenntnissen konnte ich keine lokalen Zeitungen lesen oder tiefschürfende Gespräche führen. Zugleich machte ich mir keine großen Sorgen, denn niemand von den Menschen, die ich kannte, machte einen mafiosen Eindruck auf mich. Sie alle führten ein einfaches, unauffälliges Leben.

Nichts im Dorf fand ich unheimlich, abgesehen vielleicht vom Kühlwagen, der jeden Samstag Eis und tiefgefrorene Lebensmittel brachte und mit einer Art Spieluhrmusik, die mich an Horrorfilme erinnerte, den Hügel hinauffuhr. Im Gegensatz zu vielen meiner betagten Nachbarn, die kein Auto hatten, aber ihr eigenes Obst und Gemüse anbauten, konnte ich selbst den Hügel hinunterfahren, um einzukaufen. In der Umgebung gab es zwar keinerlei Arbeit für mich, aber die suchte ich auch nicht – ich konnte meine Redaktionstätigkeit für niederländische Auftraggeber aus der Ferne erledigen. Ansonsten kümmerte ich mich um meine eigenen Angelegenheiten, so wie es sich hier gehörte. »Fare i cazzi propri« nennt man das in derbem Italienisch. Damit tut man allen einen Gefallen.

Kalabresen sind Fremden gegenüber oft etwas misstrauisch. Die Geschichte hat ihnen ausreichend Grund dafür geliefert. Eine Fremdherrschaft nach der anderen hat hier ihre Flagge in den Boden gerammt: Griechen, Römer, Normannen, Spanier, Franzosen, ganz zu schweigen von türkischen und anderen Eroberern aus der Ferne. Die Dörfer baute man nicht direkt am Meer, sondern auf den Hügeln, damit die Kalabresen schon von Weitem sehen konnten, wenn wieder der eine oder andere Feind herannahte.

Glücklicherweise war die ausländische Familie, von der ich ein kleines Haus gemietet hatte, im Dorf beliebt, respektiert und genoss einen guten Ruf. Die Leute sahen uns zusammen und assoziierten mich mit ihnen, also wurde ich schon bald immer herzlicher gegrüßt und von ihnen zu sich nach Hause eingeladen. Vom Arzt und seiner Frau, die in der Schule Englisch unterrichtete. Vom Anwalt und seiner Mutter, die mit ihren verführerischen Kochkünsten zu versuchen schien, einem eventuellen Auszug ihres Sohns aus dem Elternhaus vorzubeugen. Und von den auffallend munteren Rentnern, die auf dem Rückweg von ihrem Gemüsegarten oder dem Hühnerstall an meinem Haus am Rand des Dorfes vorbeikamen und mir manchmal Eier in die Hände legten oder eine Tüte mit knackigem Salat an die Tür hängten.

Ich hatte noch nie so viel herzliche Gastfreundschaft erlebt wie in diesem winzig kleinen kalabresischen Dorf. Erst dachte ich, dass ich mich weitab von jeder größeren Stadt vielleicht langweilen würde, doch das Leben hier war alles andere als öde. Bevor ich mich recht versah, hatte ich eine ganze Familie streunender Hunde in meiner Obhut, machte zusammen mit einem Imker Honig und sah meinen Nachbarn dabei zu, wie sie wie professionelle Metzger Wildschweine zerlegten. Mineralwasser konnte man sich hier selbst aus den Bergen holen, die mit Klee und Blumen in grellen Farben bewachsen waren. Ziegenherden kletterten auf steilen Felsen herum, und Schafe grasten zwischen Bäumen, die das ganze Jahr über ihr Blattwerk behielten. All dieser Romantik war ich nicht gewachsen: ’Ndrangheta hin oder her, ich ging ganz in dieser Idylle auf.

Die Monate vergingen, und ich war schon ein Dreivierteljahr in Kalabrien, als in einer warmen Septembernacht etwas Ernüchterndes geschah. Die gesamte Straße wurde aus dem Schlaf gerissen: Ein Auto stand in Brand. Alle kamen in ihrem Nachtzeug nach draußen, um beim Löschen zu helfen oder zu trösten. Das Auto gehörte einer jungen Frau, die bei der Gemeinde arbeitete. Sie wirkte erschrocken, reagierte aber ruhig und gelassen. Feuerwehr oder Polizei wurden nicht benachrichtigt.

Am nächsten Tag hörte ich an ihrem Küchentisch, dass sie eine starke Vermutung hatte, wer ihr Auto angezündet haben könnte. Sie war es gewohnt, bei jedem, der an ihrem Schalter eine Baugenehmigung beantragte, die gleichen Regeln anzuwenden, doch für eine Reihe von Dorfbewohnern war das offenbar inakzeptabel. Sie forderten bestimmte Freiheiten ein, und wenn sie die nicht bekamen, ließen sie auf diese Weise wissen, dass sie sich diese Freiheiten trotzdem nehmen würden, egal, was andere davon halten mochten. Ich fragte meine Nachbarin, ob sie wegen der Brandstiftung Anzeige bei der Polizei erstatten werde. Nein, sagte sie, das würde es nur noch schlimmer machen. Sie machte sich auf die Suche nach einer anderen Arbeit, denn in dem Wissen, dass sie sich würde fügen müssen, wollte sie ihre Stelle bei der Gemeinde nicht mehr behalten. Ihren Verdacht, wer die Täter gewesen waren, sprach sie nicht laut aus. Ich drängte sie nicht weiter und lieh ihr mein Auto.

Mehr als hundert deutsche und italienische Ermittler waren unterdessen damit beschäftigt, den sechsfachen Mord in Duisburg aufzuklären. Die Italiener hatten ihre deutschen Kollegen schon fünfzehn Jahre zuvor gewarnt, dass das Restaurant – keine einfache Pizzeria, sondern ein Etablissement, in dem man auch Hummer bestellen konnte – von einem kalabresischen Mafia-Clan betrieben wurde. Jetzt lagen die Beweise dafür in Hülle und Fülle vor. Beispielsweise in Form eines angesengten Andachtsbildchens des Erzengels Michael, eines Schutzheiligen der ’Ndrangheta. Es wurde in der Hosentasche eines der Opfer gefunden, eines gewissen Tommaso, der eine Koch-Lehre in diesem Restaurant absolvierte. In der Nacht war Tommaso 18 Jahre alt geworden, und alles deutete darauf hin, dass sein Geburtstag von seinem Arbeitgeber, Chefkoch Sebastiano, dazu genutzt worden war, ihn nach Schließung des Restaurants als neues Clan-Mitglied einzuweihen.

Tommaso hatte Blut aus seinem Finger auf das Bildchen tropfen lassen und es anschließend, den Regeln des Rituals folgend, angezündet. Doch er hatte das Andachtsbild nicht ganz verbrennen lassen, nur das Gesicht des Engels. Auf dem Bild war noch deutlich zu sehen, dass der Engel sein Schwert stoßbereit über ein Wesen hielt, das, halb Mensch, halb Drache, lang ausgestreckt auf ein paar schwelenden Felsbrocken lag. Vom Engel waren auch noch die großen, weißen Flügel und der lange, rote Umhang zu erkennen, die sich vor einem hellblauen Himmel und einer grünen Hügellandschaft abhoben.

Vielleicht hatte Tommaso sich ein Andenken an diesen Abend bewahren wollen und das Andachtsbildchen deshalb nach dem Abkühlen in sein Portemonnaie gelegt und dieses in die Gesäßtasche gesteckt. Um zwei Uhr nachts verließ er das Restaurant mit seinem neununddreißigjährigen Chef Sebastiano, dessen sechzehnjährigem Neffen und drei Männern in den Zwanzigern: zwei weitere kalabresische Kellner und Marco, der gerade erst aus Kalabrien nach Duisburg gekommen war. Die Polizei fand sie kurz danach alle sechs in einem schwarzen VW Golf und einem weißen Transporter, durchsiebt von zahlreichen Kugeln. Tommaso hatte vierzehn Schusswunden, darunter vier in den Kopf.

Eine deutsche Frau hatte den Notruf gewählt. Ihr waren auf der Straße zwei Männer begegnet, die sich in Richtung des Restaurantparkplatzes bewegten. Kurze Zeit später hörte sie etwas, das wie ein Feuerwerk klang, und als sie zurückging, sah sie dieselben zwei Männer in einer...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2022
Übersetzer Christiane Burkhardt, Gerd Busse
Vorwort Petra Reski
Sprache deutsch
Original-Titel Mafiopoli. Een zoektocht naar de 'Ndrangheta, de machtigste maffia van Italië
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Recht / Steuern Allgemeines / Lexika
Recht / Steuern Strafrecht
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Cosa Nostra • Deutschland • Drogenhandel • Drogenmafia • Europa • Europas mächtigste Mafia • Gerichtsprozess • Italien • italienische Mafia • Kalabrien • Kokainhandel • Korruption • Kriminelles Netzwerk • Kriminelle Vereinigung • Kronzeugen • Mafia • Mafia in Deutschland • Mafiaprozess • ‘Ndrangheta • Ndrangheta • Ndrangheta-Prozess • Organisiertes Verbrechen • Wirtschaftskriminalität
ISBN-10 3-8412-3072-5 / 3841230725
ISBN-13 978-3-8412-3072-0 / 9783841230720
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