Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Ein Volk verschwindet (eBook)

Wie wir China beim Völkermord an den Uiguren zuschauen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
208 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-504-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Volk verschwindet - Philipp Mattheis
Systemvoraussetzungen
13,99 inkl. MwSt
(CHF 13,65)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

In der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang ist in den vergangenen Jahren eine Dystopie Wirklichkeit geworden: Die muslimischen Uiguren werden dort mit allen Möglichkeiten des Digitalzeitalters erfasst und überwacht. Etwa eine Million Menschen sind monatelang in 'Umerziehungslagern' interniert, wo Folter, Zwangsarbeit und Gehirnwäsche an der Tagesordnung sind. Gleichzeitig werden Moscheen geschlossen, religiöse Feste untersagt, Baudenkmäler zerstört. Offensichtlich soll die kulturelle Identität des 15-Millionen-Volks ausgelöscht werden. Westliche Konzerne hält das nicht davon ab, in Xinjiang produzieren zu lassen. Philipp Mattheis' aufrüttelndes Buch erzählt von den Schicksalen Betroffener und klärt über die Hintergründe des Geschehens auf.

'Eines der größten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit.'

Süddeutsche Zeitung

'Vielleicht erklärt ... der Mangel an Bildern die unverzeihliche Empathielosigkeit mit den Uiguren in China, von deren brutaler Entrechtung und massenhafter Internierung die Öffentlichkeit seit Jahren weiß.'

Carolin Emcke



Philipp Matheis, Jahrgang 1979, war von 2012 bis 2016 China-Korrespondent der WirtschaftsWoche, von 2016 bis 2019 berichtete er aus Istanbul über die Türkei und den Nahen Osten. Von 2019 bis 2021 war er Ostasien-Korrespondent des Stern.

Er studierte Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München S. J. und besuchte anschließend die Deutsche

Journalistenschule. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt: 'Kryptopia' (2018, mit Milosz Matuschek).

Was wir wissen können


»Sie werden Baumwollfelder besichtigen und die Wahrheit und Fakten respektieren.«

Gao Feng, Sprecher des chinesischen Handelsministeriums, 2021

Bis vor kurzer Zeit hatten die meisten Menschen von dem Turkvolk im Westen Chinas noch nie etwas gehört. Xinjiang, die Stammheimat der rund 15 Millionen Uiguren, ist eine der ärmsten Provinzen Chinas. Während zum Jahreswechsel 2020/21 die Staatschefs mehrerer EU-Länder hinter verschlossenen Türen ein Handelsabkommen mit Peking aushandelten, schlugen Menschenrechtler Alarm. Peking hatte in der Region Xinjiang in den vergangenen Jahren eine digitale Dystopie errichtet. Die totale Überwachung ist – zumindest für die Minderheit der Uiguren – Wirklichkeit geworden. Bis zu zwei Millionen Menschen werden monatelang in »Umerziehungslagern« festgehalten. Folter, Zwangsarbeit und Gehirnwäsche sind dort an der Tagesordnung. Anfangs basierten die Meldungen noch auf Gerüchten und wenigen Berichten derer, die entkommen sind. Mittlerweile aber sind die Menschenrechtsverletzungen der kommunistischen Partei Chinas gut belegt.

Auf der einen Seite werden seit Jahren Milliarden in die Region investiert. Auf der anderen Seite schließen Pekings Beamte aber auch Moscheen, untersagen religiöse Feste und erlassen sogar Kleidervorschriften, um die Religion aus dem Alltag der Menschen zu verbannen. Uralte Oasenstädte wie Kashgar werden unter dem Vorwand der Modernisierung ihrer einzigartigen Architektur beraubt. Den Verlust der kulturellen Identität sollen Wirtschaftswachstum und Infrastruktur ausgleichen. Das ist das Rezept, mit dem die kommunistische Partei Chinas spätestens seit 1990 das Riesenland regiert.

Recherchen in Xinjiang sind nie einfach gewesen. Angst, Diskriminierung und Beamtenwillkür waren immer spürbar. Doch anders als zum Beispiel in Tibet, das seit Jahren für ausländische Journalisten komplett gesperrt ist, waren und sind Reisen nach Xinjiang noch immer erlaubt. Eine tiefergehende Berichterstattung aber ist kaum mehr möglich.

Vor etwa zehn Jahren mussten Journalisten sich zwar offiziell anmelden, wenn sie in Xinjiang recherchieren wollten, aber wie zu dieser Zeit noch oft in China waren die Vorschriften lax und folgten eher dem »Cha Bu Duo«-Prinzip, welches eine gewisse Larifari-Mentalität beschreibt und sich grob mit »passt schon« übersetzen lässt. Eine »Mann-Deckung«, also die direkte Verfolgung durch Beamte, gab es nur selten, und nahezu alle Städte und Landstriche Xinjiangs waren prinzipiell zugänglich, auch wenn man hin und wieder mit Behinderungen rechnen musste. Fernsehteams hatten es insgesamt schwerer, weil sie als Menschengruppe und durch ihr Equipment für mehr Aufmerksamkeit sorgten als ein einzelner Print-Journalist, der sich im Notfall immer als Tourist ausgegeben konnte. Aber das traf auf viele Teile Chinas zu, wenn man zu heiklen Themen recherchieren wollte. Vieles hing auch von der Willkür der zuständigen Beamten ab. Während manche Polizeichefs sich wenig Gedanken über Ausländer in der Region machten und Journalisten in Ruhe ließen, sobald diese versichert hatten, keine Fotos zu machen, waren andere übervorsichtig. Dennoch: In dieser Zeit waren Gespräche mit Uiguren möglich. Viele ließen sich zwar lieber anonym zitieren, aber ihnen war es ein Anliegen, dass die Welt etwas über die Situation in Xinjiang erfuhr. Die Angst vor den Konsequenzen war noch nicht so groß, dass sie mit niemandem sprechen wollten, wie es später der Fall war. Das änderte sich etwa um die Jahre 2016/2017, als das Lagersystem aufgebaut wurde.

Harald Maass, Journalist und ehemaliger China-Korrespondent der Frankfurter Rundschau, flog im Frühsommer 2018 in die kasachische Hauptstadt Almaty. Von dort aus bestieg er einen Bus, der ihn zur chinesischen Grenze brachte. Sein Plan: Mit eigenen Augen zu sehen, was in der Provinz Xinjiang vorging, die er zum ersten Mal in seinem Leben 1987 bereist hatte. Und um einem Verdacht nachzugehen: Ein kanadischer Student hatte über Google Maps und Satellitenaufnahmen Anlagen identifiziert, die wie Lager aussahen. Gerüchte darüber, dass es in Xinjiang Arbeits- oder Umerziehungslager gab, kursierten schon länger. Zu diesem Zeitpunkt aber stritt die chinesische Regierung deren Existenz noch rigoros ab.

Maass reiste mit einem Touristenvisum ein, das er zuvor in München beantragt hatte. »Mich wunderte es, dass es tatsächlich ausgestellt wurde. Heute wäre das völlig unmöglich«, erzählt er knapp drei Jahre später. Maass traf außerdem diverse Vorsichtsmaßnahmen. Er löschte jegliche Dateien von seinem Computer, die in den Augen der chinesischen Sicherheitsbeamten irgendwie verdächtig aussehen könnten. Die Fotos, die er auf seiner zweiwöchigen Reise durch die Provinz machte, lud er über ein Virtual Private Network (VPN) hoch und löschte sie anschließend wieder. Seine Notizen schrieb er in ein Heft, verklausulierte und chiffrierte sie als harmlose Tagebucheinträge, so dass auch sie keinen Verdacht erregen konnten. »Mir war bewusst, dass mir all das als Spionage ausgelegt werden könnte«, sagt der Journalist an einem sonnigen Junitag in München.

»Was ich dann aber tatsächlich sah, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen.« Maass schildert die Provinz als ein gigantisches Freiluftgefängnis, in dem die Uiguren auf Schritt und Tritt überwacht, kontrolliert, gescannt, registriert und diskriminiert werden. Am schlimmsten sei die Situation im Süden der Provinz. Nachts glichen die Städte einer einzigen Polizeikontrolle: Überall Blaulicht, bewaffnete Soldaten, die herumbrüllten, Durchsuchungen. Maass selbst wurde in den zwei Wochen 57 Mal kontrolliert.

Sämtliche Interviews mit ehemaligen Insassen der Lager und Familienangehörigen von Inhaftierten führte er in Kasachstan. In Xinjiang selbst beschränkte er den Kontakt mit Uiguren auf ein absolutes Minimum. »Das Wichtigste für mich war, dass niemand durch meine Arbeit in Gefahr geraten würde. Wenn in Xinjiang jemand mit einem Ausländer gesehen wird, droht ihm sofort ein Verhör oder Lagerhaft.« Die Geschichte, die Maass dann schrieb, wurde im März 2019 im Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Sie gewann den renommierten Deutschen Reporterpreis und wurde für den Theodor-Wolff-Preis nominiert.

Etwas später ist auch der französische Fotograf Patrick Wack zum letzten Mal in Xinjiang gewesen. »2019 folgten mir ein oder zwei Männer mit etwas Entfernung. Es handelte sich dabei oft um Uiguren. Sie waren übrigens sehr freundlich, das führte manchmal zu absurden Situationen. Ich sagte meinen Aufpassern, ich führe morgen hier- oder dorthin, und sie freuten sich mitzukommen.« Das täuschte aber nicht über die Repressionen hinweg. Wack führte immer zwei Fotokarten mit sich. »Ich wurde im Schnitt alle zwei Tage von einem Polizisten aufgefordert, meine Fotos zu löschen. Deswegen hatte ich eine JPEG-Fotokarte bei mir, mit der ich demonstrierte, dass ich die Fotos gelöscht hatte, während die zweite Karte sicher war. Jeden Abend machte ich zudem mehrere Kopien auf meinem Laptop und lud die Fotos über Filesharing-Dienste hoch.«

Die plumpe »Mann-Deckung« ist inzwischen von einer smarten, digitalen Überwachung abgelöst worden. Im Juni 2021 war Christoph Giesen, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, in Xinjiang und beschrieb, dass sich die Lage vordergründig entspannt habe. »Noch vor einem Jahr wurde man Schritt für Schritt von mindestens einem Mann mit Handy verfolgt. Fuhr man mit dem Auto, folgten einem Wagen ohne Nummernschilder. Mittlerweile aber ist das System ausgefeilter: Man hat die Städte, und eigentlich die ganze Provinz, in Zonen aufgeteilt. Überquert man eine Zonengrenze, wechselt automatisch auch das Personal, das einen verfolgt. Hinzu kommt, dass der Bewegungsradius durch Covid-Beschränkungen stark eingegrenzt ist. Da man nur in bestimmten Hotels übernachten darf, kann man maximal 200 Kilometer ins Land fahren«, erzählt er.

Gesprächspartner zu finden, die etwas über die tatsächliche Situation erzählen, ist dagegen noch schwieriger geworden. Es scheint, als hätten die massive Einschüchterung, Traumatisierung und Propaganda der Lager ihren Effekt gehabt: »Immer öfter bekommt man nichts als die Regierungspropaganda zu hören«, sagt Giesen. Die niederländische Journalistin Eva Rameloo bestätigt das. Sie war zuletzt im Mai 2021 mit dem französischen Reporter Simon Leplâtre in Xinjiang. Sie erzählt, dass die Überwachung zunächst weniger strikt schien als noch vor zwei Jahren. Die Kontrollen seien nun einfach verdeckter und raffinierter. Oft werden jetzt Corona-Maßnahmen als Vorwand genommen: »Bevor wir nach Xinjiang flogen, mussten wir natürlich einen Covid-Test machen. Als wir ankamen,...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte China • Gehirnwäsche • Genozid • Islam • Istanbul • Lager • Menschenrechte • München • Neue Seidenstraße • Überwachung • Xinijang • Zwangsarbeit
ISBN-10 3-86284-504-4 / 3862845044
ISBN-13 978-3-86284-504-0 / 9783862845040
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mit Beiträgen von Christian Baron, Dietmar Dath, Aladin El-Mafaalani, …

von Wolfgang M. Schmitt; Ann-Kristin Tlusty

eBook Download (2024)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 16,60
Die großen Fragen ethisch entscheiden

von Alena Buyx

eBook Download (2025)
Fischer E-Books (Verlag)
CHF 19,50