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Der muss haben ein Gewehr -  Peter Lukasch

Der muss haben ein Gewehr (eBook)

Krieg, Militarismus und patriotische Erziehung in Kindermedien vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-7566-2 (ISBN)
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Kinderbücher, so wie wir sie kennen und unseren Kindern gerne zum Lesen geben, sind heiter, bunt, manchmal geheimnisvoll und abenteuerlich und vermitteln das Bild einer heilen Welt. Wenn wir aber den Spuren der Kinderliteratur durch die Jahrhunderte folgen, geraten wir bisweilen in beängstigende Bereiche, in denen die Kriegstrommel dröhnt und der Tod zum allgegenwärtigen Begleiter wird, manchmal in der Maske eines munteren Gesellen, der Abenteuer verspricht, manchmal die Fahne des Vaterlandes schwingend und ewigen Ruhm und Ehre dem versprechend, der ihm folgt. Denn Kinder- und Jugendliteratur ist nicht der gesellschaftlichen Welt entrückt, sondern ist und war immer auch Teil eines die gesamte Erziehung umfassenden Sozialisationssystems, das die epochentypischen Ansichten und Erziehungsziele der älteren Generation - auch jene die wir heute als kriegsverherrlichend und nationalistisch ansehen - widerspiegelt. Diesen dunklen Unterströmungen folgt der Autor und spannt den Bogen von der Kinder- und Jugendliteratur der späten Aufklärung bis in unsere Zeit, wobei seine Darstellung über weite Strecken auch zu einem Abriss der deutschen Geschichte wird. Nicht nur Kinder- und Jugendliteratur im engeren Sinn werden behandelt, sondern auch Filme und Spiele, bis hin zu den Kriegsspielen am Computer, denen das abschließende Kapitel gewidmet ist. Zahlreiche, teils farbige Abbildungen ergänzen den Text und machen das Thema anschaulich.

Peter Lukasch wurde 1942 in Wien geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft trat er in den Staatsdienst ein, wo er bis zu seiner Pensionierung im Bereich der Strafjustiz tätig war. Seinem Interesse für Geschichte und Kriminalistik folgt der Autor in mehreren Zyklen historischer Kriminalromane, er hat aber auch Fantasieerzählungen und in Fachkreisen anerkannte Bücher zum Thema Kinder- und Jugendliteratur veröffentlicht.

Kapitel 1
Von den Anfängen bis zu den Napoleonischen Kriegen


I. Die Entstehung einer deutschsprachigen Kinder- und
Jugendliteratur und ihr pädagogisch- weltanschaulicher Anspruch

Für die Entstehung einer Kinder- und Jugendliteratur als eigenständigen Literaturzweig bedurfte es geistesgeschichtlicher, volksbildnerischer, technischer und gesellschaftlicher Voraussetzungen, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wirksam wurden. Denn erst die Geistesströmung der Aufklärung begriff in ihrer späten Phase die Kindheit in der Entwicklung des Individuums als eigenen Lebensabschnitt, der besonderen Bedingungen unterworfen ist und einer speziellen Zuwendung bedarf. Man kann sagen, die Entdeckung der Kindheit und damit auch eine spezielle Kinderliteratur sind Schöpfungen der Aufklärung.

Von einer deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur kann man daher auch erst ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sprechen. Denn erst ab diesem Zeitpunkt begannen sich die entsprechenden Schriften direkt an ihren Adressatenkreis zu richten. Erziehungsbüchlein, wie sie teilweise schon vorher bestanden hatten, enthielten zwar bereits kindergerechtes Lesegut, waren aber primär als Unterrichtsbehelfe für die Erziehenden bestimmt gewesen.

Die frühe deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur wurde entscheidend von der französischen Aufklärung und von französischen Vorbildern geprägt. Der für Kinderschriften tragende Gedanke, Kinder in einem pädagogischliterarischen Werk direkt als Ansprechpartner zu wählen und ihnen damit die Position eines – wenngleich unwissenden und daher zu belehrenden, so doch – ernst zu nehmenden Gesprächspartners einzuräumen, wurde in einer allgemein beachteten und publikumswirksamen Weise erstmals von der auch in England tätigen französischen Pädagogin Maria Leprince de Beaumont, von der auch das bekannte Märchen „La Belle et la bête“ (Die Schöne und das Biest) stammt, in ihrem Buch Lehrreiches Magazin für Kinder, zur richtigen Bildung ihres Verstandes und ihres Herzens, verwirklicht. Das Buch erschien 1757, die deutsche Übersetzung bereits 1758 und übte erheblichen Einfluss auf die entstehende deutsche Jugendliteratur aus. Leprince de Beaumont schärfte das Bewusstsein für die im Rahmen der erzieherischen Jugendliteratur zentrale Fragestellung, wie denn über die bloße Faktenvermittlung hinaus in einem literarischen Werk auch abstraktere, der Moral und Charakterbildung dienende Ausführungen, sowohl inhaltlich als auch sprachlich in einer für Kinder direkt zugänglichen Weise vermittelt werden könnten.

Entsprechend ihrer Forderung nach einer verstandesgemäß durchdrungenen Lebensgestaltung war Ausbildung und Pädagogik für die Aufklärung ein zentrales Anliegen. Verlangt wurde die Erziehung zu einer von Vernunft bestimmten sittlichen Lebensweise. Diese Gedanken wurden von Rousseau, J. B. Basedow15, J. H. Campe und J. H. Pestalozzi16 propagiert und fanden ihren Niederschlag in zahlreichen Schulreformen.

Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778) war Schriftsteller und Philosoph. Er hatte großen Einfluss auf die Pädagogik und die politischen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts. In Rousseaus pädagogischem Hauptwerk Emile oder über die Erziehung (Émile ou de l’éducation, 1762) wird die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben. „Man muss“, sagte Rousseau im Emile und formulierte damit eine wesentliche Erkenntnis der Pädagogik der Aufklärung, „den Erwachsenen als Erwachsenen und das Kind als Kind betrachten“ und an anderer Stelle: „Die Natur will, dass Kinder Kinder sind, bevor sie zum Erwachsenen werden. Wollen wir diese Ordnung umkehren, erzeugen wir frühreife Früchte, die weder Saft noch Kraft haben und bald verfault sein werden.“ Einer speziellen Kinderliteratur stand Rousseau jedoch ablehnend gegenüber, weil sie seinen Ideen von einer Erziehung zur Natürlichkeit widersprachen: „Die Lektüre ist die Geißel der Kindheit und dabei fast die einzige Beschäftigung, die man ihnen gibt. Emile wird mit zwölf Jahren noch kaum wissen, was ein Buch ist.“ Erst dem Erwachsenen soll sich der Zugang zur Literatur öffnen. Diese Gedanken übten erheblichen Einfluss auf die entstehende, aber durch solch radikale Ansätze von vorneherein in Frage gestellte deutschsprachige Kinderliteratur aus. Einerseits bemühte man sich nunmehr verstärkt Kinderliteratur kindergerechter, das heißt der Vorstellungswelt und dem Verständnis des jeweiligen Lesealters angepasst zu gestalten, andererseits findet man bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts kaum Kinderbücher, die für kleine Kinder bestimmt sind. Bilderbücher ohne oder mit meist nur kurzen, oft gereimten Texten, wie wir sie heute kennen, entstanden als eigenständige Gattung erst in Nachfolge von Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845).17

Joachim Heinrich Campe (1746 - 1818) war als Schriftsteller, Sprachforscher, Pädagoge und Verleger tätig. Er war nicht nur einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Kinder- und Jugendliteratur, sondern auch einer ihrer erfolgreichsten Autoren. Sein 1779/1780 erschienener Jugendroman Robinson der Jüngere wurde in viele Sprachen übersetzt und gilt als erster nennenswerter und überdies als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendromane überhaupt. 1781 folgte der Jugendroman Die Entdeckung von Amerika. Die Tantiemen machten Campe finanziell unabhängig und ermöglichten es ihm, 1787 die Braunschweigische Schulbuchhandlung zu gründen, in der er durch Massenproduktionen die künftige Entwicklung dieser Verlagssparte vorzeichnete.

In Robinson der Jüngere, „ein Lesebuch für Kinder“ ging es Campe darum, in unterhaltsamer Weise erzieherische Gedanken zu transportieren. Einem auch heute noch nicht unüblichen Verfahren folgend, nämlich geeignet scheinende

Werke der für Erwachsenen bestimmten Literatur kindergerecht aufzubereiten, variierte er Daniel Defoe's Robinson Crusoe, um die von ihm angestrebte pädagogische Wirkung optimal zu erzielen. Das Werk verknüpft zeitgemäße pädagogische Vorstellungen mit Rousseauschen Gedanken. Die Erzähltechnik, die Campe anwendet, ist typisch für die frühen Werke der aufklärerischen Kinderliteratur. Es wird nicht nur einfach die Geschichte erzählt, sondern in einer Rahmenhandlung tritt der Vater einiger Kinder als Erzähler auf, kommentiert die Ereignisse und beantwortet Fragen seiner Zuhörer. So können die aus der eigentlichen Handlung abgeleiteten Nutzanwendungen den Zuhörern direkt nahegebracht werden.

Die Abbildung oben zeigt eine Ausgabe um 1860 mit Illustrationen von Ludwig Richter.

Anders als im Original wird Robinson bei Campe nach seiner Ankunft auf der Insel jeglicher Hilfsmittel beraubt. Denn er soll sich ganz allein, ohne alle Werkzeuge, bloß mit seinem Verstand und mit seinen Händen helfen, um zu zeigen, wie hilflos der einsame Mensch ist, und wie viel Nachdenken und Strebsamkeit notwendig ist, um in einer solchen Situation die eigene Lage zu verbessern. Das Zusammenleben mit dem Eingeborenen Freitag, der später zu Robinson stößt, soll zeigen, wie sehr schon die bloße Geselligkeit den Zustand des Menschen verbessern kann.

Campes Robinson der Jüngere erlebte unzählige Auflagen und war mehr als ein Jahrhundert ein Standardtitel der Kinder- und Jugendliteratur. Campe selbst legte im Vorwort zu Robinson der Jüngere seine programmatischen Zielsetzungen, die in der Folge allgemeine Geltung erlangten, fest. Es ging ihm vor allem darum – wie er schreibt – die Leser auf eine so angenehme Weise zu unterhalten als möglich, ihnen dabei elementare Kenntnisse aller Art zu vermitteln und dem Verstande und den Herzen der Kinder angemessene moralische Anmerkungen zu machen, damit fromme und gottesfürchtige Empfindungen daraus erwüchsen.18

Die Anfänge der Kinder- und Jugendliteratur waren daher auf religiöse Werte und moralische Normen ausgerichtet, zielten in diesem Rahmen aber auch auf die Vermittlung von Sachwissen und rhetorischer Kompetenz ab. Basedow betonte den Wert des Erzählens als Erziehungsmittel, weil Regeln durch Erzählungen bestärkt werden müssen. Lernen ist dabei an sinnliche Erfahrung und Anschauung gebunden.

Weitere nicht zu vernachlässigende Faktoren für das Entstehen einer Kinder- und Jugendliteratur waren die Entwicklung moderner Drucktechniken, welche Massenproduktionen zuließen, damit verbunden die Ausbildung eines leistungsfähigen Verlagswesens und eine zunehmende Alphabetisierung der Bevölkerung, die zu einer steigenden Nachfrage nach Druckerzeugnissen führte.

Bei der Konstituierung des Schulwesens überlagerten sich verschiedene Interessen. Neben den grundsätzlich volksbildnerischen Ambitionen der Aufklärung schuf die in Schwung kommende Industrialisierung...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-7543-7566-0 / 3754375660
ISBN-13 978-3-7543-7566-2 / 9783754375662
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